01.11.2006 - Querkopf - hs: taz-Geschwatz
14.09.2006 - taz: Jan Feddersen: Die unterirdischen Behelliger
Kolumnen bieten eine interessante Mixtur aus Beobachtungen, Gedankenspielchen und Motivforschungen. Manche sind witzig, hintersinnig und anregend. Andere kommen schwammig, inkonsequent halb-ironisch und ob satzbaulicher Verschachtelungen schwer leserlich daher. Je nach Thematik neigen sie zur Bedienung herrschender Klischees. Eine Stilart, die gerade bei der Behandlung sensibler Themen wie Armut voll daneben liegt. Texte dieser Art kann man zigmal durchkauen. Sie bereiten nur Magenkrämpfe, weil geistiger Dünnpfiff.
Ein Produkt solcher Machart lieferte taz-Redakteur Jan Feddersen mit der Kolumne ‘Die unterirdischen Behelliger’ in der taz-Ausgabe vom 14.September ‘06. Untertitel: ‘Sie geistern durch die U-Bahnen der Metropolen und geben sich alle Mühe uns zu nerven.’
‘Sie’ sind in diesem Fall Verkäufer von Obdachlosenzeitungen, die ihre Ware in der U-Bahn feilbieten und um Spenden bitten. Als nervig und ‘Akt der Aufdringlichkeit’ empfinden Feddersen und die anderen Fahrgäste, die er zu vertreten glaubt, diesen Auftritt. Insbesondere das Sprüchlein, das ‘Klagelied’, das die Verkäufer kundtun, ehe sie den Waggon durchschreiten. Feddersen vermutet eine professionelle Masche. Seinen Beobachtungen zufolge haben die Verkäufer/innen ein ‘perfektes Timing’ gelernt, immer seien sie mit ihrer ‘Bettlerrede’ rechtzeitig fertig, um noch mit der Zeitung und einem Kaffeebecher für Spenden umherzugehen. Durchaus mit Erfolg: Einige Fahrgäste geben gern etwas. Der Tazler gerät ins Staunen. Kunststück. Wäre dem nicht so, würde er keine Verkäufer/innen in der U-Bahn antreffen. Ganz banal.
Das Pauschal-Wir, mit dem Feddersen die Allgemeinheit der Bahnbenutzer kolumnistisch zu vereinnahmen sucht, erhält Abstriche. Nicht nur durch die Geber, sondern auch diejenigen, die nichts geben, jedoch auch nichts dagegen haben, dass sozial Schwache etwas für sich tun und auf legale Weise Geld verdienen. Hat die taz einen besseren Vorschlag, wie man Betroffenen helfen soll?
Kolumnist Feddersen taucht zur Mitte seines Berichts mit psychologischem Erhellungsdrang hinab in das Unterbewusstsein des doppelmoralischen Besserbürgertums. Ein Terrain, auf dem er sich scheinbar gern tummelt. Warum, so seine Frage, leiden ‘wir’ trotz milder Gabe unter einem schlechten Gewissen? Sonnenklar:’Man hasst die Armut, aber noch mehr die Armen, die dies kundtun.’
Man wird an das erinnert, dessen Existenz man aus der eigenen Klischeewelt verbannt hat. Echt unangenehm. Schlimm, was einem durch das bloße Erscheinen gewisser Leute angetan wird.
Außerdem, so Feddersen weiter, könne man sich der Situation nicht entziehen, müsse warten bis zur nächsten Haltestelle und derweil diese ‘Tribunale der Armut’ und ‘Wegelagerei ohne Notausgang’ über sich ergehen lassen.
Der gewissenhafte Fahrgast hat’s schwer: Er wird angeklagt, verurteilt und ausgenommen. Ein harmloser Zeitungsverkäufer: Staatsanwalt, Richter und Dieb in einer Person. Die Phantasie des taz-Redakteurs schlägt Purzelbäume. Als ‘infam’ empfindet jener das ‘Drücken auf die Tränendrüsen’, das Spielen mit ‘archaischen Bildern von Vater und Mutter’, das Spekulieren auf den Wunsch der Fahrgäste,’niemals selbst hinfällig, bedürftig und klagend’ zu werden, weshalb sie sich durch die Spende erleichterten. Gering sei der Unterschied zur Bereitschaft,’die eigenen siechenden Eltern ins Pflegeheim zu verbringen, um sich selbst nicht kümmern zu müssen.’ Diese Karten würden die ‘Armutsagitatoren’ bewusst oder intuitiv spielen, um nicht als Störer zu wirken. ‘Hilflos, stumm’ würde die Bettelei machen, fast obzön die so ausgestellte Armut erscheinen.
Halt eben wie die Wahrheit, die man nicht wahrhaben möchte.
Feddersen bestaunt die Routinierheit der ‘BettelzeitungsverkäuferInnen’. Sie erinnert ihn an ‘Büroangestellte, die ihre Ablage sortieren oder ihren Mailordner verwalten.’ Mit anderen Worten: Zeitungsverkauf ist das, was gemeinhin unter ‘Arbeit’ verstanden wird. Im Gegensatz zum Bürodienst ist diese Tätigkeit öffentlich wahrnehm- und nachweisbar.
Feddersen tendiert in eine andere Richtung: Der Auftritt der Bettelzeitungsverkäufer mache wütend, denn ‘arm kann man sein, aber nicht mit ihr (besser: damit; kleiner lekt. Tipp) kokettieren’. Es bleibe immer ein Verdacht, ob diese ‘behelligenden Aktionen’ wirklich nötig seien. Reiche der Zeitungsverkauf nicht für ein auskömmliches Leben? Scheinen sie nicht ganz froh zu sein, in der U-Bahn andere in Verlegenheit zu bringen, statt sich in Büros oder Verwaltungen ‘vom Computer ersticken zu lassen’?
Fragen, die davon zeugen, wie schwer die Dimension von Armut in dieser Gesellschaft zu begreifen ist. Vor allem, wenn sie einen selbst im Geiste längst ergriffen hat.
Der Tobak kommt noch stärker: ‘Kurzum: Genießen die womöglich das, worunter sie nicht so strikt leiden- denn Armut, nicht wahr, setzt bei uns das Gefühl des Leidens frei, der (das?) des anderen, der dies aber nicht mehr tun soll, deshalb unsere Fantasie etwas zu spenden oder es zu lassen.’
Franz Beckenbauer formulierte Ähnliches einmal in überschaubarerem Satzbau: ‘Wir sind im Inneren alles kleine Sozialdemokraten. Wir wollen, dass es keinem schlecht geht.’ Wo die Sozialdemokratie herrscht, findet sie bekanntlich den Calvinismus an ihrer Seite. Jener besagt u.a., dass nur essen soll, wer arbeitet. Wer im Büro sitzt, darf viel essen, denn er gilt heute als Schwerstarbeiter. Sein Übergewicht ist wohl verdient. Im Gegensatz zum ‘Bettelzeitungsverkäufer’, der aus dem protestantisch-sozialdemokratischen wie neoliberalen Blickwinkel automatisch der Sozialschmarotze verdächtig ist. Nicht wenigen kommt der Verkäufer gerade recht, um sich von ihm abzuheben und als etwas Besseres zu fühlen. ‘Wir’ sind unzufrieden, doch Hauptsache wir sind wer und kein bettelnder Niemand.
Diese hochnäsige Denke gedeiht auf der Schattenseite des gutbürgerlichen Gewissens. So weit reicht Feddersens sozialkritisch angehauchte Seelenschau nicht. Weil dem so ist, nimmt seine Kolumne Anleihen bei der Bauwirtschaft: Sie zementiert Vorurteile. Straßenzeitungsverkäufer werden mit Bettlern in einen Topf geworfen. Schon vergessen, dass vor 20 bis 30 Jahren alle Zeitungen auf der Straße verkauft wurden? Abfälligkeiten Richtung Bettler bzw. Ausdrücke wie ‘Bettelzeitungsverkäufer’ sollte man bei der taz sorgsamer handhaben. Man selbst schnorrt seine Leser regelmäßig via Anzeige (‘taz muss sein’) mit der Bitte um den Kauf von Anteilen an, um den eigenen Fortbestand zu sichern. Übrigens soll es unter den ‘Bettelzeitungen’ solche geben, die sich allein aus dem Verkauf finanzieren und keine Spendenaufrufe nötig haben.
Eine einzige kleine Lehre kann man den Ein- und Ausfällen des Tazlers entnehmen: Manche Verkäufer/innen halten sich zu lange mit ihrem Sprüchlein auf. Die potenzielle Kundschaft ist nicht an ihrer Lebensgeschichte interessiert. Überhaupt gilt es zu überlegen, ob feste Standorte mit regem Publikumsverkehr dem Bahnverkauf nicht vorzuziehen sind.
Ansonsten weiß die Kolumne nichts Konstruktives beizutragen. Im Gegenteil: Zum Schluss erhalten Feddersens Absonderungen einen herb sozialdarwinistischen Beigeschmack:’Eine letzte Beobachtung: Menschen, die als Einwanderer erkennbar sind, betteln nie. Sie gieren nach Erfolg. Ohne Caritas.’ Hier kotzt die linksavantgardistische Überheblichkeit neoliberal und bezeugt ihre eigene Unkenntnis. Längst werden deutsche Großstädte von Bettelbanden aus Südosteuropa überschwemmt. Man sollte die Augen schon ein wenig aufsperren beim Schlendern über die Straße. Doch, was soll man erwarten von scheuklappentragendem Bürokratentum, dessen Gesichtskreis sich auf Computerbildschirm und U-Bahn-Röhre beschränkt? Alles, nur keine Entkräftung herrschender Vorurteile und Leistungsideologien. Peinlich für die taz, die versucht, sich als Alternative zum gleichgeschalteten Mainstream der Medienmonopole zu verkaufen.
Tief ist sie gesunken, die Edellinke. Und hat den Grund immer noch nicht erreicht. Feddersens Kolumne: Ein Fass Gülle mit ein paar Tropfen sozialkritischer Gewissensforschung. Zum Wegkippen.
Ein letzter Hieb: Die Gülle ist unter der Rubrik ‘Parallelgesellschaften’ verbucht. Ein soziologischer Modebegriff. Er erweckt den Anschein, als hätten soziale Randgruppen nichts mit der alten oder neuen Mitte der Gesellschaft zu tun. Der Eindruck täuscht. Sie haben nur damit zu tun. Sie zeigen die Problemzonen der Gesellschaft, die diese gern verdrängt. Weil sie sie daran erinnern, wie verfault sie im Kern ist.
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