Bedarf. Meinen Führerschein machte ich recht spät mit dreiundzwanzig. Das lang nicht zuletzt daran, dass ich zweimal durch die praktische Prüfung gerasselt bin und dann keine Lust mehr hatte. Und nachdem ich nach gut einem Jahr wieder Geld hatte, musste ich nochmals von vorne anfangen. Auch gehöre ich einer Generation an, die dem motorisierten Individualverkehr ohnehin kritisch gegenüber steht. Aber die Kompetenz, so ein Gerät fahren zu dürfen, wollte ich jedenfalls im Leben erworben haben. Weil ich dachte, es wäre für meine Unabhängigkeit ganz gut, wenn ich mich bei Bedarf hinter ein Steuer setzen könnte.
Befreit. Keine vier Wochen später kaufte ich mir für 500 Mark einen Renault 4. Das Auto war preisgünstig, praktisch und mit Ganzjahresreifen ausgestattet (eine Winterreifenpflicht gab es damals noch nicht) und so sammelte ich meine ersten Fahrerfahrungen. Zusammen mit meiner Freundin plante ich einen Urlaub in Spanien. Es war mehr oder weniger ein Autofahrurlaub. Ich fand es so großartig, selbst und unabhängig überall hin fahren zu können, wo ich wollte, dass ich sie kaum an das Steuer ließ. Es war wie eine Sucht. Wenn wir irgendwo länger an einem Ort wahren, wurde ich spätestens am Folgetag unruhig und wollte weiter. Eine richtige Kilometerfresserei oder anders gesagt, mehr oder weniger eine Spanienrundfahrt. Vom Norden durch das Baskenland bis nach Santiago de Compostella, dann über Madrid und Toledo in den Süden nach Huelva und Sevilla. Dann über Alicante nach Granada. Und irgendwo dort in der Gegend passierte es: Die Straße war hügelig, aber übersichtlich, jedenfalls dachte ich das so. Nur bei einer Bodenwelle sah ich plötzlich mit Schreck, dass die Straße eine scharfe Linkskurve machte. Der schnelle Tritt in die Bremse nützte nicht mehr viel. Der Wagen rutschte über die Welle hinweg in abschüssiges Gelände und kurz vor einem sumpfigen See zum Stehen. Ich riss an der Handbremse und riss sie aus. Mit zitterndem Knie drückte ich die Fußbremse und merkte, wenn ich sie loslasse, rollt der Wagen ins Wasser. Ich instruierte meine Freundin, auszusteigen und Hilfe zu holen. Nach 10 Minuten kam ein Traktor und der zog mich mit dem Abschleppseil aus dem Malheur. Eine Werkstatt in der nächstgelegenen Ortschaft konnte das ausgerissene Bremszugseil am nächsten Tag wieder in Ordnung bringen - ohne funktionierende Handbremse wäre ich auch nicht weiter gefahren – und seit diesem Tag weiß ich, dass frene mano das spanische Wort für Handbremse ist.
Bedacht. Wenn ich heute ein Auto fahre, achte ich sehr viel mehr auf meine Sicherheit, und neben der technischen Funktionsfähigkeit spielt auch die Frage der richtigen Reifen eine große Rolle. Und da ich auf allen möglichen, und auch sehr anspruchsvollen Strecken unterwegs bin, wäre möglicherweise der Runflat eine ganz brauchbare Wahl. Mit dem Renault 4 bin ich dann in gut zweieinhalb Jahren gute vierzig tausend Kilometer gefahren – was schon eine ordentliche Leistung ist. Dennoch habe ich das Auto im Jahr 1991 wieder abgeschafft, weil es sich im Alltag als unpraktisch erwiesen hat. Vor der Haustüre in der Hauptstraße in Schöneberg habe ich abends keinen Parkplatz gefunden (da war ja auch eine Busspur), sondern musste in der Regel eine gute halbe Stunde die umliegenden Nebenstraße nach einer Parklücke absuchen. Und in der Gegend um die Hochschule der Künste, wo ich seinerzeit arbeitete, war es tagsüber nicht besser. Mit dem Fahrrad war ich einfach schneller.
Berlin, 23.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: Renault 4, Quelle: WikiCommons
Fummeln. Meine erste Freundin hatte ich mit fünfzehn. Ich traf mich damals immer mit Claudia und Regina, und ich fand Claudia ja total super. Aber die interessierte sich nicht so für mich, dafür aber Regina. Und auch Regina war irgendwie klasse. Sie war schon 16, ziemlich politisch und trug immer ein Palästinensertuch. Ihre Gesichtszüge waren herb und doch irgendwie schön. Nach einem Konzert von DAF im Temporal gingen wir zusammen in Richtung U-Bahnhof, und auf irgendeiner Betonbank auf dem Weg zum U-Bahnhof Gleisdreieck küssten wir uns, das heißt, genauer gesagt, küsste sie mich. Die Beziehung hielt nicht lange. Wir konnten uns weder bei mir noch bei ihr treffen, es war schon Herbst und Geld hatten wir auch nicht. So drückten wir uns immer irgendwo draußen herum und küssten uns, fummelten und froren. Ein paar Wochen später, kurz vor dem Udo Lindenberg Konzert im Metropol sagte sie mir, dass es vorbei ist.
Freiheit. Bis ich dann wieder eine Freundin hatte, vergingen viele Jahre. Ich war inzwischen 19 und sie hieß Claudia-Maria und wohnte in der Alexandrinenstraße. Sie war auch die erste Frau, mit der ich richtigen Sex hatte. Ich erinnere mich noch genau daran, dass sich mein Schwanz vor lauter Geilheit und Aufregung total taub anfühlte und dass mich das ziemlich irritierte. Beim zweiten Mal war es kaum besser. Das Abspritzen war weniger ein Höhepunkt als vielmehr eine Art Druck ablassen. Erst ab dem dritten Mal empfand ich so etwas wie Lust am Miteinander-Schlafen und dann taten wir es ziemlich regelmäßig. Diese Beziehung ging so nach eineinhalb Jahren zu Ende, weil ich das Gefühl hatte, dass mich Claudia-Maria so langsam oder sicher in die Rolle ihres Ernährers und Ehemanns drängen wollte. Wir haben so direkt nie darüber gesprochen, aber es gab immer solche Andeutungen. Obwohl in der Beziehung alles irgendwie in Ordnung war, gefiel mir diese Perspektive nicht. Ich wollte Freiheiten, Freiräume. Warum und wozu, das war mir damals noch nicht bewusst.
Fühlen. Seit jenen Tagen ist viel Zeit vergangen, und weitere Beziehungen folgten. Es waren einige flüchtige Affairen darunter, aber auch einige langjährige Beziehungen. Und darunter waren auch Frauen, von denen ich viel über Sex lernte. Das für mich wichtigste vielleicht ist die Erkenntnis, das Sex eine Art Sprache ist, eine Fortsetzung des Dialogs mit anderen Mitteln. Es geht gar nicht mal um möglichst viele oder möglichst akrobatische Stellungen, und auch nicht unbedingt um alle denkbaren Varianten vom Kuschelsex bis hin zum handfesten Zulangen. Vor allem von Anja habe ich gelernt, dass der Weg oftmals wichtiger ist als das Ziel und dass es darauf ankommt, die Momente zu genießen und sich Zeit zu lassen. Viel Zeit. Das zusammen Schlafen und der Orgasmus sind bestenfalls ein Teil des Ganzen und nicht die alleinige Hauptsache, um die sich alles drehen muss. Es ist eher das Spiel mit den Gefühlen, der Erotik, dem Auf- und Abgeilen und der angenehme Erschöpfung am Schluss.
Fesseln. Es ist übrigens bis heute so, dass ich mich an eine Frau gewöhnen muss. Deshalb erwarte ich vom "ersten Mal" gar nicht so viel und bin eher gespannt, was sich so im Verlauf der Zeit entwickelt. Vielleicht erhalte ich ja in nächster Zeit mal ein diskretes Paket von einem Erotikversand, und da ist dann eine schöne lederne Peitsche, ein lilafarbener Umschnalldildo, viel Fesselkram und jede Menge Vanillesauce drin. Ich denke, ich wäre dann keine 10 Minuten später bei meiner schönen Nachbarin, die ein paar Häuser weiter wohnt, und würde sie zur Rede stellen, was das denn solle. Sie würde natürlich alles leugnen und wir hätten den heftigsten Streit. Aber glücklicherweise habe ich das Paket und den Inhalt ja dabei. und dann ... Seit dem ich gelernt habe, dass ich nicht unbedingt eine Freundin haben muss, geht es mir eigentlich viel besser und das strahle ich wohl auch aus. Deshalb kann ich meine Umgebung viel besser wahr nehmen und Stelle fest, dass es genug Frauen gibt, die mich richtig süß finden. Im Vergleich mit meinem pubertären Stress von vor über 30 Jahren doch ein sehr angenehmes Gefühl, muss ich sagen.
Berlin, 23.06.2012
Abbildung: Egon Schiele: Freundschaft 1913 (Quelle: Wiki Commons)
Verweigerung. Als ich Jugendlicher war und begann, abends eigenständig mit Freunden auszugehen, war McDonald's unter uns verpönt. Das hatte unterschiedliche Gründe. Weil wir die USA als Kriegstreiber Nummer Eins ansahen, wollten wir einen US-Amerikanischen Konzern auf keinen Fall unterstützen. Auch war das Fast-Food aus unserer Sicht kein vernünftiges Essen. Außerdem hatte ich damals meine vegetarische Phase und wollte mit dem Hackklops in den Hamburgern nichts zu tun haben. Ich erinnere mich noch genau an eine chaotische Jugendgruppenfahrt aus dem Jahr 1984, wo wir vor dem Dauerregen auf dem Zeltplatz in eine McDonalds-Filliale geflüchtet. Ich konnte mich dem Gruppendruck schlecht entziehen, und die anderen Gruppenmitglieder, die ja wussten dass ich Vegetarier bin, empfahlen mir, doch einen Cheeseburger zu bestellen. Was ich nicht wußte war, dass auch dieser Fleisch enthielt. Ich aber war hungrig und fühlte mich ehrlich gesagt, ziemlich mies nach diesem Essen.
Verbreitung. Die erste deutsche McDonald's Filiale wurde am 4. Dezember 1971 in der Martin-Luther-Straße im Münchner Stadtteil Obergiesing eröffnet und sie existiert noch heute. Inzwischen gibt es in Deutschland 1.415 Fillialen (Stand 2011), und der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Fillialen beträgt in Deutschland etwa 16 km. Jemand, der alle Fillialen in Deutschland wenigstens ein Mal besuchen wollen würde, wäre, selbst wenn er morgens, mittags und abends an einem anderen Standort wäre, beinahe anderthalb Jahre ununterbrochen unterwegs und könnte überall aktuelle Coupons einlösen. Ein Blog zu diesem Thema informiert auch über aktuelle McDonald's Gutscheinaktionen in Österreich und der Schweiz. Und der Gutscheinrabatt auf dieser Seite macht die Besuche noch ein wenig attraktiver. Weltweit gibt es 32.000 Restaurants in mehr als 100 Ländern.
Verständigung. Inzwischen beurteile ich McDonald's nicht mehr so negativ, wie noch vor knapp 30 Jahren, sondern sehe hier eher einen wichtigen Beitrag zur Globalisierung. Menschen, die auf Reisen sind und sich zunächst unsicher fühlen, können erstmal eine McDonald's-Filiale ansteuern und finden dort eine vertraute Umgebung vor. Gerade für Städte- und Rucksackreisende ist die Möglichkeit, sich bei einer Tasse Kaffee in einem geschützten Raum aufhalten zu können, ein wichtiges Element des Reisekomforts. Wichtig sind auch die meistens sauberen Toiletten und das oft angebotene kostenfreie WiFi. Auch hat McDonald als globaler Player gezeigt, dass es sich den regionalen Gepflogenheiten durchaus anpassen kann. So gibt es in Indien zahlreiche vegetarische Angebote und in Israel auch koschere McDonald's-Restaurants.
Vereinigung. McDonald's Restaurants sind die modernen Kirchen an der Schwelle vom zweiten zum dritten Jahrtausend. Sie vereinen die Weltgesellschaft am Altar des Konsums. Statt Brot und Wein werden Cola und Burger dargeboten und das Versprechen von ewiger Jugend zelebriert. Leuchtreklamen und weithin sichtbare Säulen mit dem strahlenden M künden wie Kirchtürme oder Minarette von der neuen Religion. Seid Brüder und Schwestern, kommt zusammen im Namen von M. Und erlebt Euch selbst! - so könnte das Mantra dieser Religion zusammengefasst werden. Und im Unterschied zu anderen Religionen wird nichts weiter verlangt, keine Buße, keine Glaubensbekenntnisse, kein Verzicht, kein Demut. Alle können bleiben, wie sie sind. Das einzige Opfer, das die Gläubigen bringen sollen, ist ihr Geld in immerwährender Wallfahrt.
Berlin, 15.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://randomperspective.com/images/mcdonaldschurch.jpg
Aufwand. Bisher kannte ich genau genommen nur zwei Arten von Edelsteinen: Diamanten und Klunker. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich mich aufgrund meiner überwiegend männlich-heterosexuellen Sozialisation wenig für Schmuck interessiere. Das mit den Diamanten habe ich mir gemerkt, weil mir mal jemand sagte, dass Diamanten aus Kohlenstoff bestehen, also im Grunde nur stark gepresste Kohle sind. Und Kohle kannte ich ja von klein auf vom Heizen im Winter. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Härte kommen Diamanten oder genauer Diamantstaub in unterschiedlichsten Bereichen zur Anwendung. Inzwischen gibt es sogar industriell gefertigte Diamanten. Weil sie recht selten vorkommen und mit außergewöhnlich hohem Aufwand gefördert werden müssen beziehungsweise gefertigt werden, sind Diamanten einigermaßen wertvoll und die Preise sind dementsprechend hoch.
Autorität. Der Begriff Klunker wurde wohl durch meine intensive Lektüre von Walt Disney Comics geprägt. Denn einer der Hauptprotagonisten von Disneys Figurenwelt (der mit dem Geldspeicher ist ein exzessiver Sammler von Gold und Edelsteinen aller Art. Und bei Besuchen in irgendwelchen Museen waren Klunker immer die farbigen Steine, die an den da rumstehenden Kronjuwelen montiert waren. Sie hätten auch aus buntem Glas sein können – mir jedenfalls wäre das nicht weiter aufgefallen. Kronen sind Symbole von Herrschaft, und das lehne ich prinzipiell ab, weil Menschen ihre Angelegenheiten am besten selbst und unter sich regeln können. Demokratisch oder noch besser: basisdemokratisch.
Anwendung. Jetzt wurde ich auf Turmaline aufmerksam. Das ist genau genommen eine Edelsteingruppe mit der Gemeinsamkeit, dass sie aus den Bestandteilen Aluminium Bor und Silikat bestehen – in einer sehr komplexen und wechselnden Zusammensetzung. Die Bezeichnung geht auf das singalesische Wort Turamali zurück und bedeutet in etwa Stein mit gemischten Farben – ein Hinweis auf das breite Farbenspektrum dieser Edelsteine. Turmaline weisen eine Härte von 7 bis 7,5 auf, ähnlich wie Quarz. Besonders gelobt werden die pyroelektrischen sowie die piezoelektrischen Eigenschaften. Piezoelektrik bedeutet, kurz gesagt, dass eine elektrische Spannung entsteht, sobald auf den Stein Druck ausgeübt sind. Als ich das hörte, stellte ich mir vor, dass so ein Turmalin in meinen Laptop eingebaut wird und ich einfach, wenn ich wieder Strom brauche, das Gerät auf den Boden lege und dann 10 Minuten lang wild darauf herum hüpfe. Aber wie der Beitrag zu Piozoelektrizität bei Wikipedia mir zeigte, sind die tatsächlichen Anwendungen im Bereich von Medizin, Steuerungstechnik, Akustik und Kommunikationstechnik doch wesentlich subtiler - und ausgesprochen interessant.
Anlage. Wesentlich – neben der technischen Einsetzbarkeit – scheint mir aber zu sein, dass Turmaline aufgrund ihrer Schönheit eine Wertanlage sind – und zwar offenbar – mit Blick auf die Währungsunsicherheiten bei dem immer noch gebräuchlichen Papiergeld – eine sehr wertbeständige.
Berlin, 12.06.2012
Stefan Schneider
Abbildung: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reichskrone_3D_closeup_front.jpg