Aristo-Armbanduhr - Foto: Stefan SchneiderExitus. Genau weiß ich es nicht mehr, aber ich meine, dass ich meiner erste Uhr anlässlich meiner Erstkommunion geschenkt bekam. Das war im Frühjahr 1974 und ich war neun. Die Uhr war golden und hatte ein Uhrband mit elastischen Gliedern. Da diese Uhr irgendwie wertvoll sein sollte, bekam ich noch eine zweite für den Alltag. Lange hielt die nicht, denn ich entwickelte die dumme Angewohnheit, sie alle paar Minuten neu aufziehen zu wollen. So zerstörte ich eine Uhr nach der anderen und ärgerte mich über meine Nervosität. Eine Tages kam ich auf die naheliegende Idee, die Uhr am rechten Arm zu tragen. Das war die Rettung. Da das Rädchen zum Aufziehen auf der rechten Seite verbleibt, ist es nahezu unmöglich und bedarf einiger Verrenkungen, sie zu überdrehen. Trotzdem nahm mein Uhrenverschleiss nur geringfügig ab. Zersprungene Gläser und vor allem Wasserunfälle waren jetzt die neuen Ursachen. Da stand zwar fast immer etwas von wasserdicht oder water proof auf dem hinteren Deckel, aber wenn ich wirklich mit der Uhr – aus Versehen – unter der Dusche war, war das Glas meistens beschlagen und ich konnte auf den Exitus warten.

Emanzipation. Uhren kamen und gingen. Nur an die wenigsten habe ich Erinnerungen. Einmal kaufte ich mir eine Taschenuhr. Eines Tages sprang der Deckel auf und riß ab. Auch an dieser Uhr hatte ich keine lange Freude. Durch meine soziologischen Studien lernte ich, dass die allmähliche Etablierung und Durchsetzung immer genauerer Uhren ein wichtiges Instrument kapitalistischer Disziplinierung der Menschen ist – und so betrachtet kann niemand wirklich stolz sein, der eine Armbanduhr trägt. Auf meinem Weg neulich nach New York City war meine Armbanduhr stehen geblieben. Die Reparatur vor Ort erwies sich als langwierig und kam schlussendlich nicht zu Stande, eine neue Uhr wollte ich nicht kaufen und so sah ich das als Chance, mich an an ein Leben ohne Zeiteisen zu gewöhnen. Das gelang ber nicht wirklich, denn es ist ja nicht nur die Armbanduhr, sondern die überall wie ein Netz über unser Leben gelegte Zeitstruktur, die wir derart massiv adaptiert haben, dass wir verunsichert sind, wenn uns die Orientierungsmöglichkeit in diesem Zeitraum fehlt. Pessimistisch ausgedrückt: Ich werde es nicht mehr schaffen, die Emanzipation von der mir (selbst) auferlegten Zeitherrschaft. (1)

Einsatz. Unterwerfung hin oder her, eines Tages hatte ich genug von diesem Uhren – Verschleiß. Ich wollte für den Rest meines Lebens eine gute, präzise, hochwertige Uhr haben. Es wird schon einen Grund haben, wenn sich die, die es sich leisten können, wirklich Luxusuhren kaufen. Meine Aristo, ursprünglich für U-Boot-Fahrer gefertigt, ist aus blank poliertem Edelstahl, hat ein ausgesprochen kratzfestes Glas, ist wasserdicht bis 100 Meter Tauchtiefe und hat ein Zifferblatt mit einem unbedenklichen und nicht-radioaktiven Leuchtstoff – ideal für mich, da ich häufig auf dem Wasser und in der Nacht unterwegs bin. Nur das Armband sieht nach mehr als 10 Jahren Dauereinsatz schon ziemlich mitgenommen aus.

Berlin, 30.06.2012

Stefan Schneider

 

Abbildung: Aristo Armbanduhr - Foto: Stefan Schneider

(1) Die Emanzipation von der Zeitherrschaft gelingt mir dann, wenn ich mir frei nehme und beschließe, die nächsten 36 oder 72 Stunden gehören nur mir und ich mache, was ich für richtig halte. Dann ist die Uhr nur notwendig, um anzuzeigen, wann diese Zeit abgelaufen ist.

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