Staub, Schweiß und Baulärm - Oderberger Straße - neues von der Selbsthilfebaustelle
Im Moment ist das Haus Nummer 12 das wohl auffälligste Haus in der ganzen Oderberger Straße. Nicht nur, daß an der Fassade ein Gerüst gestellt ist, das gesamte Dach ist nunmehr überrüstet. In einer imposanten Aktion vor gut einer Woche rückte ein Baukran an, und Stück für Stück wurden die einzelnen Elemente zusammengesetzt und in 25 Metern auf das Fassadengerüst aufgesetzt. Diese Maßnahme war notwendig, weil in einem Zug das gesamte Dach abgerissen wird - da völlig marode - und ein neuer Dachaufbau durchgeführt wird. Es wäre aufwendiger und unkalkulierbarer gewesen, dies unter freiem Himmel zu tun: Jedes mal müßte das offene Dach zum Feierabend gegen Regen geschützt werden und bei Schnee - was ja dann auch der Fall war - wären die Bauarbeiten zum Erliegen gekommen. So aber kann, nach der einmaligen spektakulären Aktion des Überrüsten des Hauses, in einem Zug ohne Gefahr von Zeitverzug durchgebaut werden.
An und für sich ein nicht ungewöhnlicher Vorgang auf einer Baustelle. Das besondere aber ist, wer hier baut. Der gemeinnützige Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. hatte die Chance, von der Eigentümerin das Objekt, bestehend aus einem Vorderhaus- und Hinterhaus für die Laufzeit von 50 Jahren zu pachten. Mit Hilfe des Programms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" werden beide Häuser instandgesetzt, saniert und modernisiert. Das Förderprogramm sieht vor, daß etwa 17% der gesamten Bauleistung in Eigenarbeit geleistet wird. Für den Verein mob e.V. war die Kombination aus Pachtvertrag und Förderprogramm und zentraler Lage ausschlaggebend dafür, die Idee umzusetzen. Insbesondere, weil das Hinterhaus aufgrund der früheren Nutzung als Bürogebäude lange leer stand, können hier neue Wohnungen hergerichtet werden, die dauerhaften und preisgünstigen Wohnraum darstellen für Menschen in schwierigen Lebensumständen. Der Idee, als Verein Eigenleistung zu bringen, sehen wir als große Herausforderung und Chance an, ein hohes Maß an Identifikation mit dem Vorhaben zu erreichen.
Rio, einer aus der Selbsthelfergruppe, berichtet über den Stand der Dinge wie folgt: "Die Sanierungsarbeiten im Quergebäude der Oderberger Str. 12 durch den mob e.V. gehen immer zügiger voran. Der Grund hierfür ist vor allem, daß es uns jetzt endlich gelungen ist, 15 Selbsthelfer zu finden, die bereit und in der Lage sind, die geforderten 1204 Arbeitsstunden Eigenbauleistung zu erbringen. Unser Selbsthelferkollektiv hat neben den Erwachsenen Zuwachs durch 3 Kinder, 2 Katzen und 1 Hund bekommen. (...) Unser Selbsthelferkollektiv besteht fast ausschließlich aus Menschen, die über wenig Geld verfügen, zum Beispiel auch Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose. Dank der Hilfe von Freunden und Unterstützern des mob e.V. und auch Dank der Spenden, die durch die Strassenzeitung bei uns eingegangen sind, haben wir im Moment 60 Euro, die wir verkochen können. Wir würden uns über jede Spende die uns in der Selbsthilfe unterstützen würde, freuen, durch das Kochen auf der Baustelle schaffen wir ein Zusammengehörigkeitsgefühl und sparen auch Kosten."
Inzwischen hat die Selbsthilfegruppe in Andreas, der mit am längster dabei ist, einen Sprecher gefunden, der die Interessen der Gruppe gegenüber den bauleitenden Architekten und gegenüber dem Verein vertritt. Dies ist ein Resultat der Selbsthelferversammlung von letzten Sonnabend. Ein weiteres Resultat: Die Selbsthelferversammlung wird sich regelmäßig einmal im Monat treffen, um alle wichtigen Angelegenheiten miteinander zu besprechen: Dazu zählen Vorstellungen von dem Ausbau der Wohnungen und gestalterischen Wünschen, aber auch die Frage nach den Arbeitszeiten und vor allem eine permanente Kosten- und Leistungskontrolle: Wo liegen wir mit unserer Selbsthilfe und wieviel ist noch vor uns.
Die Arbeiten betreffen auch den Verein mob e.V. als Bauherr. Die Vereinsräumlichkeiten und auch die Redaktion der Straßenzeitung sind seit letztem Herbst ebenfalls provisorisch auf der Baustelle untergebracht, was bisher weitgehend unproblematisch war, weil sich die Bauarbeiten auf das Hinterhaus konzentrierten. Seit Anfang diesen Jahres wird auch im Vorderhaus gearbeitet, und das bedeutet für die gesamte Bürogemeinschaft von Redaktion über Buchhaltung bis hin zur Personalbetreuung richtig Streß. Erst kürzlich war der Schornsteinfeger da, der die Schornsteine ausbrannte. Wir versuchten zwar, alle Löcher und Ritzen abzudichten, der unerbittliche Ruß fand aber trotzdem seinen Weg. Ganz besonders schlimm traf es ein Büro. Weil eine Absprache nicht funktionierte, war das ganze Büro von einer Ruß- und Staubschicht überdeckt. Das bedeutete für uns: Einen ganzen Tag lang wischen, putzen, aufräumen. Das Ganze hatte dennoch ein Gutes: Das Büro konnte danach neu eingerichtet werden, die Möbel wurden komplett neu aufgestellt. Als nächstes steht an, daß in Bereich der Redaktion eine Wand abgerissen werden muß. Allerdings haben wir noch ein paar Tage Zeit, uns darauf einzurichten.
Die ganze Situation ist trotzdem noch halbwegs erträglich, weil Land in Sicht ist. Der zweite Teil des Winters war bei weitem nicht so schlimm, wie es hätte sein können, die Tage werden schon wieder länger, der Frühling steht vor der Tür. Für ein Bauvorhaben sind das wichtige Umstände. Und auch von der Arbeitsleistung her haben wir alle miteinander ein Ziel vor Augen: Im Spätsommer soll das Hinterhaus fertiggestellt sein. Damit hat nicht nur der überwiegende Teil der Selbsthelfer Wohnungen, die bezogen werden können (auch wenn drumherum noch gebaut wird), sondern auch der Verein mob e.V. kann dann seine endgültigen Räume beziehen. Und mit Blick auf diese Aussicht lassen sich vorübergehende Belastungen leichter ertragen. In diesem Sinne können wir festhalten: Trotz Staub, Schweiß und Baulärm: Es geht voran.
Stefan Schneider
"Im Innenhof haben wir den Hausengel gefunden ..."
Bericht über ein etwas anderes Gutachten im Haus Oderberger Str.
"In der Oderberger Str. 12 in Berlin Prenzlauer Berg wird ein Haus von dem Obdachlosenverein mob e.V. saniert. Die Finanzierung erfolgt ¸üer das Senatsprogramm 'Wohnungspolitische Selbsthilfe'. Ein Großteil der Bauarbeiten ist dabei von dem Verein selbst auszuführen. Die Geomantiegruppe Berlin hat den Auftrag bekommen, vor allem das Hinterhaus energetisch zu reinigen. An dem Auftrag beteiligen sich Jana, Tanja, Ullrich und Agnes. Der Selbsthilfebauleiter und Zimmerer sowie der Architekt sind unserer Arbeit gegenüber sehr aufgeschlossen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir dort arbeiten können. Durch diesen Auftrag ist mir ganz deutlich geworden, wie sehr ich mir wünsche, dass geomantische Arbeit in jedem Bauvorhaben selbstverständlich wird."
So beginnt der schriftliche Bericht der Geomantiegruppe. Es gab auch Stimmen, die bezweifelt haben, daß soetwas überhaupt Sinn macht. Aber auch die Kritiker meinten: Schaden kann es jedenfalls nicht. Ich habe Holger H. gebeten, einmal zu recherchieren, was Geomantie überhaupt ist. Er hat herausgefunden:
"Geomantie - im Einklang mit den Energien der Erde bauen - ist ein besonders in China verbreiteter Volksglaube, aus Erdzusammensetzung und Sandfiguren Weissagungen erstellen zu können. Geomantie, sowie Feng Shui, Radiaesthesie, Lo Shu und weitere aus dem asiatischen Raum stammende Techniken sind Themen, die einen jahrhundertelangen Hintergrund haben. Bisher war es in jeder Kultur selbstverständlich, auf die Gegebenheiten von Umwelt und Natur zu achten und diese in das Bauen einfliessen zu lassen. Erst durch die moderne Wissenschaft und deren Aufklärung - "Alles was nicht messbar ist, ist nicht existent" -, wurde dieses Wissen in den Hintergrund gedrängt, der Mensch hat verlernt zu fühlen und spüren. In der heutigen Zeit wird dieses Wissen, das sich aus Beobachtung und Erfahrungen zusammensetzt, durch die Quantenphysik erklärt. Mit Hilfe der Geomantik und ähnlicher Techniken wird nicht nur auf den Bau als solchen, sondern auch auf die Inneneinrichtungen der Häuser Wert gelegt. Berücksichtigt wird die Wirkung der fünf Elemente, Harmonie (Ying Yang), die Bestimmung positiver und negativer Bereiche im Haus, astrologische Einflüsse, Erdstrahlen, energetische Reinigung, Elektrosmog und die Aktivierung positiver Plätze."
In ihrem Gutachten schreibt Agnes weiter:
"Unser erster Arbeitstag dort war am 17.12.2001. Nach gemeinsamer Erdung hat uns Tanja in die Durchfahrt des Hinterhauses geführt. Ich hatte das Gefühl, jemand hält mich an den Handgelenken sehr fest bzw. ich bin gefesselt. Auch an den Schultern wurde ich festgehalten. Ich habe Angst in mir gespürt. Ich war starr, nicht fähig mich frei zu bewegen. Das ist wohl das Thema, vor allem hier im Hinterhaus. Hier konnte sich niemand frei entfalten, erst die ‰rmlichen sehr beengten Wohnverhältnisse, Faschismus, Kontrolle der Machtorgane der DDR. (...) Im Innenhof, weit oben, haben wir den Hausengel gefunden. Hier ging es uns viel besser, das Tönen ging leichter. Wir haben versucht den Engel nach unten zu tönen. Ich hatte das Gefühl, er ist nicht bis nach unten gekommen, sondern er hat sich seitlich verteilt und ist dann wieder aufgestiegen. Wir haben Lichtsäulen getönt, damit die unerlösten Seelenteile aus dem Hinterhaus aufsteigen können. (...)
Zum Schluß waren wir auf dem Nachbargrundstück, einem entkernten großen Hof. Trotz großer Bäume war er grau und tot. (...) Jana und ich sind zutiefst auf unsere DDR - Vergangenheit gestoßen. Uns wurde bewußt, dass wir uns von der DDR nicht wirklich verabschiedet haben, von der Illusion einer sozialen gleichberechtigten Gesellschaft. Wir fühlten Schmerz und Resignation, entstanden durch das nicht vorhandene Vertrauen in die Menschen. (..) Wir waren alle vier ziemlich geschafft. Ich denke, es ist sehr gut, daß wir in dieser Gegend arbeiten (...)"
Soweit, in Auszügen, der Bericht von Agnes. Im neuen Jahr besuchte die Geomantiegruppe nochmals unsere Baustelle, diesmal berichtet Tanja von merklichen Veränderungen:
"Am 9.1.2002 trafen wir uns wieder zu viert in der Oderberger Str. 12. Diesmal waren wir fast erstaunt über die Veränderung des Ortes. Es gab noch viel Schmerz. Doch die Botschaft der Vergebung und die Freude über einen freien kreativen Ausdruck an diesem Ort waren schon spürbar. Wir waren uns darin einig, es ist noch viel zu tun, viel auszudrücken in Liebe und Wahrheit, damit eine wirklich tiefe Vergebung zwischen Ost und West, eine wahre Wiedervereinigung und Heilung stattfinden kann. (...)"
In der Tat hat sich um den Jahreswechsel herum viel Positives auf der Baustelle in der Oderberger Str. entwickelt. Nicht nur der Bau hat Fortschritte gemacht, auch hat in der Zwischenzeit Gruppe der zukünftigen Bewohner Form angenommen. Ob nun wegen oder trotz der geomantischen Arbeit, das ist eine Frage, die wir gerne weitergeben möchten an unsere Leserinnen und Leser. Wie gesagt: Schaden kann es nicht.
Stefan Schneider
Randspalte:
Wenn Sie dazu einen Kommentar, eine Kritik oder Interesse an einer Mitarbeit an der Geomantiegruppe haben, nehmen Sie bitte Kontakt auf:
mob e.V.
- Stichwort: Geomantie-Gruppe
Oderberger Str. 12
10435 Berlin
oder per Fax:
030 - 246 279 xx
oder per email:
Oderberger Str. 12
Der Verein mob e.V. hat in der Oderberger Str. 12 in Berlin Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg) zwei Häuser (Vorderhaus und Quergebäude) für die Dauer von 50 Jahren gepachtet mit dem Ziel, beide Häuser im Rahmen des Programms "Wohnungspolitische Selbsthilfe" instandzusetzen und zu sanieren. Ziel ist, Wohnraum zu schaffen für arme und ausgegrenzte Menschen. Im Januar des Jahres 2001 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, an dieser Stelle wird regelmäßig über den aktuellen Stand der Ereignisse berichtet.
Zunächst sah es nach der Weihnachtsfeier und den feiertagsbedingten Baupause über Weihnachten bis zum Neujahr so aus, als würde der Start in das Neue Jahr auf der Baustelle eher ruhig von statten gehen. Tatsächlich kam es aber ganz anders, die Ereignisse überschlugen sich. Als wäre ein Knoten geplatzt, hatten wir beinahe täglich Anfragen von Menschen, die sich für Wohnraum in der Oderberger Str. interessierten und mit uns Selbsthelfervereinbarungen abschließen wollten. Zum Teil waren es Menschen, die schon seit einiger Zeit auf der Baustelle bei uns mitarbeiteten und sich entschlossen, die Mitarbeit nunmehr konkret werden zu lassen: Eine Wohnung hier zu beziehen. Inzwischen gibt es für 7 der insgesamt 10 entstehenden Wohnungen feste Vereinbarungen mit insgesamt 9 Menschen, über die anderen Wohnungen gibt es bereits Vorgespräche. Damit bildet sich in diesen Tagen soetwas wie eine virtuelle Hausgemeinschaft. Zu dieser Hausgemeinschaft gehören schon jetzt 1 Hund und 1 Katze. Parallel dazu legten unsere Architekten in der Zwischenzeit einen aktualisierten, kleinteiligen Bauablaufplan vor, der sehr ehrgeizig gestrickt ist. Bereits Mitte August sollen die ersten Wohnungen im Quergebäude bezugsfertig sein, für Ende Dezember ist die Fertigstellung des Vorderhauses geplant. Nun muß man bei solchen Planungen immer einige Abstriche machen, weil es in der komplizierten Handlungskette immer Verzögerungen geben kann, die schwer wieder aufzuholen sind. Auch hat sich durch die Beauftragung von vielen Firmen (Bauhauptgewerbe, Heizung - Lüftung - Sanitär usw.) der Charakter der Baustelle gewandelt. Beinahe täglich fahren LKW's vor, um Baumaterial zu liefern, viel mehr Leute, viel mehr Material, überall wird gearbeitet. Und in alledem eine Selbsthelfergruppe, die sich unter diesen schwierigen Bedingungen finden muß. Eine Reihe von Fragen werden dabei wichtig: Was können die einzelnen Teilnehmer der Selbsthilfegruppe, welche Aufgaben können von der Selbsthilfe übernommen werden, wie gut klappt die Zusammenarbeit untereinander, was sind potentielle Streitpunkte, die am Besten vorab aus dem Weg geräumt werden sollten, wer vertritt die Selbsthilfegruppe auf der Baubesprechung und so weiter. Auch der Verein mob e.V. ist gefordert, nun endlich genau zu bestimmen, wie die Vereinsräume im Hochparterre des Hinterhauses genau aufgeteilt werden sollen. Wo die Redaktion der Strassenzeitung hinkommen soll, die Buchhaltung, der Besprechungsraum. Für alle, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf der Baustelle arbeiten, sei es als Selbsthelfer oder als Mitarbeiter im Büro, stellt das Leben und Arbeiten auf der Baustelle eine starke Belastung da. Auf der anderen Seite ist jetzt - mit der Aussicht auf ein greifbares Ziel, auch eine gute Motivation da, die Arbeiten anzupacken und nach vorne zu blicken. Skeptisch wie wir sind, wissen wir, daß eine solche Euphorie nicht von Dauer ist, und daß irgendwann wieder eine kleine Krise auftritt. Weil wir zu ungeduldig waren, gehofft haben, daß es noch schneller geht, oder weil mal wieder zwei eigenwillige Charaktere aneinander geraten.
Die Idee des Vorhabens ist: Wer dauerhaft eine eigene Wohnung bezieht, ist nicht mehr obdachlos, läuft nicht Gefahr, (wieder) obdachlos zu werden. Natürlich wird es in der einen oder anderen Angelegenheit notwendig sein, Hilfe und Unterstützung zu bekommen, aber die akute Notlage, nicht zu wissen, wo man bleiben kann, ist damit behoben und ein Stück "Normalität" wiedergewonnen. Auch die Beteiligung obdachloser und armer Menschen während der Bauarbeiten, die im Programm "Wohnungspolitische Selbsthilfe" vorgesehen ist, schafft Arbeitsmöglichkeiten für Menschen, die anderenorts keine Chance mehr haben. Der Anteil an Selbsthilfe, die im Rahmen des Baus von Menschen geleistet wird, die vielleicht heute noch strassenzeitung verkaufen, beträgt 15% der gesamten Baukosten. Aus diesem Grund hat der gemeinnützige Verein mob e.V. eigens für die Unterstützung der Selbsthilfegruppe auf unserer Baustelle in der Oderberger Str. 12 ein eigenes Spendenkonto eingerichtet, auf ich an dieser Stelle gerne hinweisen möchte. Ihr Engagement kommt direkt und unmittelbar Bürgern zu Gute, die in der Oderberger Str. an der Errichtung ihrer eigenen 4 Wände zur Zeit arbeiten.
Bruno Katlewski
Oderberger Str. 12 - eine kleine Zwischenbilanz
Im Frühjahr 1999 hat der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. vom Grundsatz her einstimmig beschlossen, das Bau- und Wohnprojekt Oderberger Str. durchzuführen, mit der Antragsanmeldung beim Senat für das Förderprogramm "Wohnungspolitische Selbsthilfe" und dem Abschluß des Erbbaurechtsvertrages mit der Eigentümerin Marola Lebeck wurden im Dezember des Jahres die formalen Voraussetzungen dafür gelegt. Das ist jetzt zwei Jahre her, Zeit, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen.
Auffällig ist, daß ein kleiner Verein, der sich die Hilfe für Obdachlose und Ausgegrenzte zur Aufgabe gemacht hat, plötzlich in die Rolle eines Bauherren hineingerät. Das war damals wohlüberlegt, war doch die Zielsetzung, mit Fertigstellung der Sanierung Wohnungen zu haben, die in erster Linie von Menschen ohne eigener Wohnung genutzt werden sollen. Auf der anderen Seite bedeutete dies auf einen Schlag einen Haufen zusätzlicher Arbeit, die geleistet wurde von Menschen, die sich vor allem ehrenamtlich, d.h. unbezahlt, dieser Aufgabe widmeten. Und auch die andere wichtige Arbeit, die Herstellung der Straßenzeitung, die Organisation des Treffpunktes Kaffee Bankrott mit Notübernachtung sowie das Vorhaben Trödel und Wohnungseinrichtungen durfte nicht liegenbleiben. Und strafverschärfend kommt hinzu: Es sind erstmal keine konkreten Ergebnisse zu sehen. So ging denn auch das ganze Jahr 2000 damit hin, Pläne zu machen, Verträge abzuschließen, Kostenkalkulationen zu erstellen, Genehmigungen einzuholen usw. Die Arbeiten für das Holzschutzgutachten waren das einzige, was wirklich praktisch im Jahr 2000 zu sehen war - alles andere war mehr oder weniger: Schreibtischarbeit.
Und es war irritierend und ist es noch heute: Plötzlich wurde mit hunderttausenden von Mark gerechnet, mit Millionenbeträgen, und das bei einem Verein, der jeden Tag um seine finanzielle Existenz kämpfen muß. Dies in ein Verhältnis zu bringen mit den zwei DM, die ein Verkäufer pro Zeitung einnimmt, ist nicht immer leicht. Doch genau so, wie jede Mark, die der Verein aus dem Zeitungsverkauf einnimmt, gemeinnützigen Zwecken zu Gute kommt - in der Notübernachtung kann das ein jeder sehen - dient auch jede Mark für das Hausprojekt dem Ziel, Wohnraum zu schaffen für ausgegrenzte und arme Menschen. Zur Zeit arbeiten etwa 15 Menschen jeden Tag auf der Baustelle, und rechnet man hoch, was jeder von ihnen leistet und die Materialkosten obendrauf, so wird klar, hier kommt tatsächlich einiges zusammen. Und die Höhe der Bausumme von über 3 Millionen DM für beide Häuser steht dann für eine ganz andere Aussage: Der Verein hat sich sehr viel vorgenommen. Förderung hin oder her: Mehr als 15% der gesamten Bausumme wird mob e.V. in Eigenleistung erbringen, und das heißt vor allem: Arbeit. Arbeit, die in der Hauptsache von den zukünftigen Bewohnern geleistet wird: Arme und ausgegrenzte haben so eine Chance, wieder am Arbeitsleben teilzunehmen. Sie sammeln Erfahrungen, tanken Selbstbewußtsein, erhalten manchmal sogar eine materielle Entlohnung.
Im Frühjahr 2001 wurde es dann konkreter: Die Bauarbeiten begannen, zuerst Abriß, Entrümpelung und Entkernung, jetzt inzwischen sind die ersten konstruktiven Maßnahmen sichtbar - wenn auch für Laien schwer erkennbar. Prominenter Besuch auf der Baustelle hat sich eingefunden, vom Arbeitsamt über den Bezirksbürgermeister hin bis zum Bundestagspräsidenten waren sie alle da - und konnten oftmals wichtige Unterstützung geben. Der wichtigste Punkt aber sind die Menschen, um die es geht. Im Frühjahr gab es nur vage Interessensbekundungen, an der Baustelle mitzuarbeiten. Wir haben das einkalkuliert, schließlich ist so ein zweijähriges Bauvorhaben für viele eine unvorstellbar lange Zeit, und in den ersten Monaten sieht es eher schlimmer aus als vorher. Inzwischen haben wir drei Verträge mit Menschen, die nachher in das fertige Haus einziehen wollen, und es werden im Verlauf dieses Winters mehr werden. Damit das auch so bleibt, sind wir auch in den nächsten Wochen und Monaten auf die Unterstützung der Berliner Bevölkerung angewiesen. Dabei geht es nicht allein um finanzielle Unterstützung unserer Selbsthilfegruppe - jeder Hinweis und Rat, der unser Vorhaben voranbringen kann, ist von Nutzen. Die große Resonanz, die wir bisher mit diesem Vorhaben erhalten haben, zeigt: offenbar sind wir auf dem richtigen Weg. Allen Beteiligten sei dafür herzlich gedankt.
Stefan Schneider