Ein Stück Freiheit
Neulich wollt ich mal wieder raus. Also hab ich mir Rucksack und Schlafsack gegriffen, Wochenendticket besorgt und dann los. Da komme ich in die erste größere Stadt, verkaufe vor Ort meine Restbestände von "Looser/Strassenfeger" und werde doch gleich dumm angemacht. Ich solle gefälligst die regionale Straßenzeitung verkaufen und mir werde dann ein Standplatz zugewiesen. Das sei mit dem Ordnungsamt vor Ort so abgesprochen. Und wenn ich Probleme hätte, kšnnte ich mich vertrauensvoll an sie wenden - sie sei übrigens die Streetworkerin und für die Verkäuferbetreuung zuständig. Pustekuchen: Erstens brauche ich gar keine Genehmigung von der anderen Zeitung und vom Ordnungsamt auch nicht, und Zeitung verkaufen kann ich sowieso überall da, wo ich will. Jedenfalls auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen. Steht auch so in der Gewerbeordnung - ich hab mich natürlich vorher schlau gemacht. Von wegen fester Standplatz und zuweisen und dieser ganze Blödsinn. Und eine Aufpasserin brauche ich auch nicht. Also, das war schon mal ein super Einstieg.
Dann aber später unterwegs noch Leute getroffen, ich dachte, ich seh nicht richtig, die verkauften auch Looser/Strassenfeger. "Ja logo, wir sind doch jetzt bundesweit!" sagten die Kollegen. Ich muß geguckt haben wie ein Auto. "Da und da kriegst Du Nachschub!", und: "Brauchste noch nen Pennplatz heute nacht? Null Problemo!" Und ob ich denn zum Verkäufertreffen komme nach Mainz, da sei Katholikentag und bestimmt gute Umsätze, und anschließend ein gewaltiges Fest bei den Looser-Leuten im Odenwald. Das war dann auch so.
Also, wenn ich bedenke, wie ich früher durch die Wärmestuben geschlichen bin und beim Sozialamt immer Fahrkarten bekommen habe, damit ich bloß schnell den Ort verlasse, dann ist das jetzt schon ein echter Fortschritt. Nur wenn diese Sozialarbeiterhansel einem jetzt schon wieder vorschreiben wollen, wann und wo man eine Obdachlosenzeitung zu verkaufen hat - also das kotzt mich echt an. Ein Glück, da§ das beim Looser/Strassenfeger nicht so ist. Ich verkaufe, wann und wo ich will, natürlich immer sauber angezogen und ohne Fahne, ist ja logo. Ein paar Mark verdienen kann man überall. Ein Stück Freiheit - wenn man so will. Ich finde, das sollte man echt unterstützen.
Bruno Katlewski
Wahrscheinlich ist es Ihnen gar nicht aufgefallen: Von den 22 Beiträgen der letzten Ausgabe wurden 12 von obdachlosen oder ehemals obdachlosen Autoren erstellt. Aha, werden Sie sagen, schon wieder eine Statistik. Aber es geht um etwas anderes: Wettbewerb ist gnadenlos gegenüber Verlierern. Das wäre soweit in Ordnung, solange wir über Sport reden täten. Es kann immer nur einen Gewinner geben. Jedoch im Kontext des täglichen Lebens sieht das ganz anders aus: Es geht darum, Geld zu haben zum Einkaufen, Miete und alles andere muß auch bezahlt werden. Daß dafür gearbeitet werden muß, hart gearbeitet, ist jedem klar. Wenn aber die Frage des täglichen Überlebens als Konkurrenz organisiert ist, dann stimmt etwas nicht. Es kann nicht sein, daß 200 Leute Schlange stehen um einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung und dann sortiert wird: Nur einer, und zwar der Beste, erhält den Zuschlag und die anderen gehen leer aus. Ja, werden Sie sagen, aber Sozialismus hat auch nicht funktioniert - eine historische Erfahrung. Was (also) tun? Der große Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, hat in seiner gleichnamigen Publikation aus dem Jahre 1902 die Frage wie folgt beantwortet: Zeitung machen! Die Zeitung selber, so Lenin, sei nicht nur Transmissionsriemen für Nachrichten und Botschaften (das moderne Wort dafür ist: Kommunikation), sodern auch ein einzigartiger Organisator. Man kann von Lenin nun halten, was man will, aber eines ist klar: Der gemeinnützige Verein »mob - oddachlose machen mobil e.V.« kann durch sein Zeitungsprojekt »strassenfeger« vielfältiges organisieren: Verdienstmöglichkeiten für obdachlose und arme Menschen, Arbeitsmöglichkeiten in den Bereichen Vertrieb, Notübernachtung und Redaktion; Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit, Wohn- und Kulturprojekte und weiteres mehr. Wir wollen hinaus auf eine gerechte Verteilung von Arbeit und Wohnung, Einkommen und Grund und Boden. Erst, wenn dies gesichert ist, können wir in einen Wettbewerb eintreten - aus Spaß am Spiel. Durch den Kauf dieser Zeitung und durch Ihre Spenden auf unser Konto »mob e.V. - Kto.-Nr. 76 35 48 - 107 - BLZ 100 100 10 - Postbank Berlin« tragen Sie dazu bei, daß die Verlierer dieser Gesellschaft sich nicht als Versager fühlen müssen, sondern einen Ansatzpunkt finden, ihr Leben zu organisieren. An dem zentralen Problem der Obdachlosigkeit, so würde Brecht sagen, hat sich damit noch nichts geändert. Aber ein paar Menschen ist damit geholfen. Und das ist doch schon mal was!
Stefan Schneider
Während unseres letzten Interviews, welches wir dem SPIEGEL gaben ging es naturgemäß wieder ziemlich chaotisch zu. Eigentlich war ja an diesem Donnerstag ab 20:00 Uhr wieder Schreibwerkstatt, und es galt, diese Ausgabe fertigzustellen. Aber so ist es nun einmal bei uns, Redaktionssitzungen für alle offen, alle sind herzlich willkommen und wir haben Zeit und Kraft, uns mit unseren Gästen auseinanderzusetzen, aber zwischen drin muß eben auch die redaktionelle Arbeit gemacht werden. Artikel vorstellen, diese diskutieren und bearbeiten, uns über das Gesamtkonzept der nächsten Ausgabe verständigen und so weiter. Dazwischen die Ereignisse der letzten Tage, soweit noch nicht bekannt. Irgendwie schaffen wir es immer, das Ganze auf Reihe zu bringen. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil immer mehr von uns verstanden haben: Gemeinsam sind wir stärker; Hilfe zur Selbsthilfe ist ein kollektives Prinzip und jeder sollte versuchen, irgendwie das ganze im Blick zu behalten. Und trotzdem: Wir haben die Fassaden des schönen Scheins längst abgelegt: Wir sind so, wie wir sind. Ohne Filter. Abgründe sind meine Gründe, sagte einst mal André Heller. Nach der Arbeit gehen einige von uns in die Kneipe nebenan. Alkoholexzesse und kein Ende, mögen Sie jetzt denken - aber waren Sie jemals dabei? Ich würde es nennen: Nachbesprechung im vertrauten Kreis. Kennen Sie das? Aber egal - die Leute von der Kneipe nebenan haben inzwischen eine Filiale eröffnen können - habe ich gehört - nicht zuletzt aufgrund unserer Zeche. Sehen Sie schon die Schlagzeile: Obdachlose sichern den Standort Deutschland? In der Tat, Obdachlosigkeit ist ein Wirtschaftsfaktor und Initiativen wie wir sind letztlich ein Bündnis für Arbeit - aber das führt jetzt zu weit. Übrigens ist der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. als Herausgeber dieser Zeitung inzwischen vom Finanzamt für Körperschaften in Berlin als gemeinnützig anerkannt worden, wegen Förderung der Volksbildung als steuerbegünstigtem Zweck. Dies ist durchaus als Herausforderung zu verstehen, denn: "Wenn - humanistisch gesprochen - Bildung die Befreiung des Menschen zu sich selber, zu Urteil und Kritik ist, dann muß dieses Prinzip unter einem anhaltenden Druck zur Anpassung an vorgegebene Situationen verkümmern." - schrieb der große Pädagoge Herwig Blankertz vor einigen Jahren. Was wir mit unserem Verein und dem Selbsthilfeprojekt strassenfeger deutlich machen wollen: Der Druck des Lebens auf der Straße ist ein Kampf um das bloße Überleben. Umgekehrt bedeutet dies: Bildung im einem politisch verstandenen Sinne kann durchaus ein Beitrag zum Überleben sein. "Die Befreiung des Menschen zu sich selber" beinhaltet von daher notwendig die Verfügung eines jeden über Wohnraum, Arbeit und Eigentum. Freiheit - und darum geht es, wenn von "Befreiung" die Rede ist - ist nichts anderes als die Einsicht in die Notwendigkeit. In diesem Sinne, einen guten 1. Mai, Ihr
Stefan Schneider
Bruno Katlewski
c/o mob - obdachlose machen mobil e.V.
Prenzlauer Allee 87
10405 Berlin
An
Bezirksamt Pankow von Berlin
- Bezirkswahlamt -
Rathaus Pankow
Breite Str. 24A - 26
13187 Berlin
Berlin, 29.08.2002
Rückgabe meiner Stimme zur Bundestagswahl 2002
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich hoffe, daß ich mich noch rechtzeitig in einer außerordentlichen Angelegenheit an Sie wende. Ich möchte Sie nämlich hiermit höflichst um Rückgabe meiner Stimme für die Bundestagswahl 2002 bitten. Sie erreichen mich unter o.g. Anschrift.
Zur Begründung:
Vor ein paar Wochen kam per Post Ihre Wahlbenachrichtigung für den 22. September. Weil ich jetzt noch nicht weiß, was ich am 22. September mache, habe ich dann Briefwahl beantragt. Vielleicht fahre ich am 22. September ins Grüne. Ich kann mich auch daran erinnern, daß ich bei einer Wahl verschlafen hatte. Als ich dann um halb 7 aufwachte, war die Wahl schon vorbei. Dann vor ein paar Tagen kamen Ihre Wahlunterlagen dann ja auch per Post. Ich habe den Zettel dann durchgearbeitet und erstmal beiseite gelegt.
In der Zwischenzeit habe ich für meine Stimme ganz viele Überlegungen angestellt. Ob ich doch Stoiber wählen soll, damit Rot-Grün in 4 Jahren wieder eine neue Chance hat, alles besser zu machen. Oder PDS, damit Rot-Grün noch ein bißchen Linke Positionen einnehmen muß, wenn es doch für Schröder reicht. Oder ob ich doch SPD wähle, damit es den Arbeitslosen eventuell besser geht, als wenn Schwarz - Gelb regiert. Aber das geht Sie ja eigentlich gar nichts an. Kurzzeitig habe ich auch mal überlegt, ob ich meinen Wahlzettel nicht bei e-bay zum Verkauf anbieten soll, damit ich mit meiner Freundin mal gut essen gehen kann. Aber dazu bin ich irgendwie nicht gekommen, weil ich mich mit der Technik nicht so gut auskenne.
Auf jeden Fall bin ich gestern abend nach Hause gekommen und war der Meinung, daß ich jetzt mal meinen Schreibtisch aufräumen muß. Ich habe Mietminderung bei meiner Hausverwaltung beantragt, weil nebenan eine Baustelle ist. Dann habe ich geduscht und irgendeiner Computerfirma geschrieben, daß ich ihre Werbeprospekte nicht mehr haben will - weil ich mir das doch nicht leisten kann. Dann habe ich meine Blumen gegossen und dann Ihren Briefwahlschein abgearbeitet. Ich habe dann irgendwas geniales ausgedacht, angekreuzt, alles in dem Umschlag getan, unterschrieben und zugeklebt. Gleich noch am selben Abend auf meiner Gassi-Runde mit meinem Hund habe ich dann den Briefwahlzettel in den Postkasten geworfen und weg war er.
Und jetzt mein Problem: Ich habe leider inzwischen vergessen, was ich auf dem Stimmzettel angekreuzt habe. Normalerweise mache ich mir von meinen Briefen immer eine Kopie für meine Unterlagen - aber in diesem Fall gab es ja für den Briefwahlschein gar keinen Durchschlag. Und ich habe in der Aufregung - schließlich ist Wahl ja nicht so oft - völlig vergessen, wofür ich mich dann schließlich entschieden habe. Mit anderen Worten: Ich möchte meine Bestellung nochmal rückgängig machen. Wenn Sie mir meinen Wahlschein also nochmal zurückschicken, kann ich mein Wahl nochmal überprüfen und vielleicht sogar ändern oder sogar verbessern. Und dann werde ich mir davon auch eine Kopie machen, damit ich weiß, was ich gewählt habe.
Außerdem führe ich als Argument an, daß ich natürlich wissen muß, was ich gewählt habe, damit ich denn am Wahltag bei den Hochrechnung oder am nächsten Tag in der Zeitung vergleichen kann, was dann mit Hilfe meiner Stimme herausgekommen ist. Sonst ist das für mich ja nicht mehr spannend.
Weil ich natürlich weiß, daß auch das Bezirkswahlamt Geld sparen muß, lege ich diesem Brief einen frankierten Rückumschlag bei. In der Hoffnung, daß ich noch rechtzeitig vor der Wahl meine Stimme zurückbekommen kann, verbleibe ich
hochachtungsvoll
Ihr
Bruno Katlewski
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Selbsthilfehaus O12
Das Selbsthilfewohnhaus jetzt!
Das Selbsthilfe(wohn)haus von mob e.V.
Eine Wohnung ist nicht alles – aber ohne Wohnung ist alles nichts. Aus diesem Grund ist das Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße 12 ein wesentlicher Bestandteil zur Bekämpfung der aktuellen Wohnungsnot in der Stadt. Da die aktuelle Wohnungsnot ursächlich auf den strukturellen Mangel an preiswertem Wohnraum zurückzuführen ist und sich die öffentliche Hand aus der Wohnungsbauförderung zurückgezogen hat, ist Selbsthilfe an dieser Stelle dringend erforderlich.
Im Zeitraum 1999 bis 2003 hat mob – obdachlose machen mobil e.V. im Rahmen des Landesprogramms Wohnungspolitische Selbsthilfe ein Wohnhaus aus der Gründerzeit (Vorderhaus und Quergebäude) unter Mitarbeit von ehemals Wohnungslosen unter fachlicher Anleitung in Eigeninitiative in Stand gesetzt und modernisiert.
Es entstanden dort 18 Wohneinheiten und 2 Gewerbeeinheiten. Damit ist erstmalig in Berlin ein Projekt der Selbsthilfe von obdachlosen und armen Menschen in der Lage, in eigenen Häusern dauerhaft preisgünstigen Wohnraum anzubieten. Das Beispiel Oderberger Str. 12 zeigt: Es ist möglich, zusammen mit Obdachlosen ein sehr ehrgeizigen Sanierungsvorhaben fach- und zeitgerecht abzuschließen. Auf dieser Grundlage kann nun der zweite Schritt erfolgen, sich innovativ in die bestehende Nachbarschaft einzubringen.
Der Verein verwaltet die Häuser selbst und hat deshalb einen engen Kontakt zu allen Mieterinnen und Mietern. In den seltenen Fällen, in denen eine Wohnung frei wird, wird diese bevorzugt an obdachlose oder Personen in schwierigen Wohnverhältnissen oder an Menschen mit Wohnungsberechtigungsscheinen (WBS) vergeben.
Stand: 09.05.2006