Zweckentfremdung
Neulich treffe ich meinen guten alten Kumpel Manne wieder und frage denn so, wie es ihm geht und ob er immer noch Platte macht und wie er so zurechtkommt und so, und da sagt mir doch Manne glatt, daß er nicht mehr Platte macht, sondern jetzt zweckentfremdet. Ich gucke wahrscheinlich wie ein Auto, und Manne sagt, komm, laß uns ein Bier trinken, dann erzähl ich Dir das.
Also mit dem Zweckentfremden hat es folgende Bewandtnis, wie mir dann Manne erklärte. Er ist also letzten Herbst zum strassenfeger gekommen, was jetzt die strassenzeitung heißt und dann erstmals in der Notübernachtung untergekommen. Das war ganz gut und aber auch ein bißchen eng und manchmal auch stressig, so viel Leute auf einen Haufen, aber eine prima Gemeinschaft. Und gerade zu dem Zeitpunkt hat der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V., der den strassenfeger mitherausgibt, zwei Wohnungen in der Straßmannstr. angemietet, damit da Leute erstemal wohnen können. Manne fand das ganz gut und ist dann auch da eingezogen. Ging alles ganz problemlos. Nutzungsvereinbarung mit dem Verein geschlossen und dann zum Sozialamt wegen der Kostenübernahme. Und in der Wohnung selber ist auch alles paletti, sagt Manne. Er hat ein eigenes Zimmer und kommt mit den anderen beiden Leuten, die auch Ihre Zimmer haben, ganz prima klar. Nur so die üblichen Sachen, wer kauft wann ein und das mit dem Putzen war anfangs so ein Problem. Aber jetzt geht das rundum.
Und was hat das jetzt mit Zweckentfremdung zu tun, frage ich Manne.
Na, ganz einfach, sagt Manne. Da gibt es im Bezirksamt Friedrichshain in der Abteilung Bau- und Wohnungswesen so ein Amt für Wohnraumnutzung und Stadterneuerung, und die sind der Meinung, wenn ehemals Obdachlose in einer Wohnung wohnen, daß das dann Zweckentfremdung ist.
Ach so, sage ich. Wenn also Leute, die eine Wohnung haben, wohnen, dann ist das Wohnen, und wenn Leute, die keine Wohnung haben, dann aber doch in einer Wohnung wohnen, ist das nicht Wohnen, sondern Zweckentfremdung.
So ungefähr, sagt Manne. Und Zweckentfremdung - er zeigt er mir dann eine Kopie des Schreibens an den Verein - stellt "eine Ordnungswidrigkeit gem. §5 2, ZwVbVo dar, die mit einer Geldbuße bis zu 100.00,00 DM geahndet werden kann."
Verstehe, sage ich. Also nicht Du, sondern der Verein zweckentfremdet.
Ja, sagt Manne, weil ich da wohne. Wenn also ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel hat, die Lebensumstände wohnungsloser Menschen zu verbessern, Wohnungen anmietet, um dort Leute wohnen zu lassen, ist das also eine Zweckentfremdung.
Und wie soll das nun weiter gehen, frage ich?
Na, das ist doch ganz einfach, sagt Manne. Wenn der Verein die Ordnungswidrigkeit nicht bezahlt, muß der Verein in den Knast. Nun kann man aber einen Verein nicht verknasten, nur den Vorsitzenden. Der muß sich um seine Unterkunft dann keine Sorgen mehr machen. Und die Obdachlosen landen wieder auf der Straße. Schöne Aussichten, nicht wahr?
Das heißt, man könnte es so zusammenfassen, daß wer Obdachlosen helfen will, bestraft wird in dieser Gesellschaft.
So könnte man das sehen, sagt Manne. Komm, trinkst Du noch ein Bier?
Ist das nicht auch Zweckentfremdung, frage ich.
Nein sagt Manne, nur eine Ordnungswidrigkeit. Wenn wir hier auf der Straße trinken.
Dann trinken wir am besten noch ein paar Bier und erstatten anschließend eine Selbstanzeige.
Genau so machen wir das, sagt Manne.
Na dann Prost, sage ich.
Bruno Katlewski
Liebe Leserin, lieber Leser,
Kommunikation, so hat mir mal ein Bekannter erzählt, ist vermittelt durch ein gegenständliches Drittes. Hoppla, was ist das denn, fragte ich mich. Ich brauchte eine ganze Weile, um dahinter zu kommen. Damit der eine sich mit dem anderen verständigen kann, muß etwas Drittes hinzukommen. Ja, aber wieso denn, ich mache meinen Mund auf und sage ganz freundlich Guten Tag und trage mein Anliegen vor! Ja eben, meinte mein Bekannter, und dann sprecht ihr über irgend etwas Praktisches, etwas Gegenständliches eben - und das ist immer so. Stelle Dir einfach vor, Du bist auf der Baustelle, und jemand sagt Dir: Gib mir mal den Hammer! Und das ist immer so. Man kann nicht mit jemandem kommunizieren, ohne daß irgend etwas Drittes, irgendein Sachverhalt im Spiel ist. Das ist auch bei anderen Formen der Kommunikation der Fall: Was im Radio gesendet wird, was in der Zeitung steht, im Fernsehen gezeigt wird. Jemand schreibt oder zeichnet etwas auf, es geht um einen bestimmten Sachverhalt, und Du liest, hörst oder fühlst es denn. Auf diese Weise bekam ich eine kurze Einführung in die Grundlagen der modernen Medientheorie.
Um das Thema Medien geht es auch in dieser Ausgabe, wobei die Zeitung selbst ein Medium darstellt im Sinne dieser Theorie. Als der Verein mob - obdachlose machen mobil e.V. vor nunmehr acht Jahren damit begann, eine Strassenzeitung herauszugeben, stand im Vordergrund die Idee, Armen und Obdachlosen eine Möglichkeit zu eröffnen, über den Verkauf der Zeitung ein paar Mark zu verdienen in Würde als Alternative zum Betteln. Gleichzeitig war allen Beteiligten wichtig, mit dieser Zeitung ein Stück Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, die Bevölkerung, also Sie, zu informieren über die Situation von armen und obdachlosen Menschen in dieser Stadt und so ein Stück weit Lobbyarbeit zu betreiben. Beide Aspekte haben sich im Verlauf der Jahre wesentlich verschoben: Neben der Zeitung selbst haben alles Vereine weitere Hilfeformen entwickelt, wie Notübernachtungen, Beschäftigungs-, Recycling-, Wohn- oder Integrationsprojekte. Verschiedene Vertreibungs- und Ausgrenzungsphänomene konnten trotz der Lobbyarbeit der Vereine nicht verhindert werden. Und auch die Verkäufer beklagen, daß es immer schwieriger geworden ist, die Zeitung an den Mann oder an die Frau zu bringen. Das kennen wir schon - ist ein häufig gehörtes Argument, oder: Da steht doch immer nur das gleiche! Das könnte, liebe Leserin, lieber Leser, sogar so sein: Daß das, was wir aus unserer redaktionellen Sicht als große Themenvielfalt angesehen wird, von Ihnen als langweilig und sich immer wiederholend wahrgenommen wird.
Aus diesem Grund möchten wir Sie ermutigen, uns Rückmeldung zu geben, was Ihnen an unserer Zeitung ärgert, stört, langweilt, anregt, interessiert, bewegt, fehlt oder was immer Ihnen dazu einfällt. Sie erreichen unsere Redaktion in der Oderberger Str. 12 in 10435 Berlin. Auf jeden Fall haben Sie durch den Kauf unserer Zeitung die Bereitschaft gezeigt, einen armen Menschen zu unterstützen - womöglich haben Sie darüber hinaus auch Interesse an den Themen, über die wir in dieser und in den regelmäßig erscheinenden Ausgaben berichten. Aus Sicht der Verkäufer, von denen in der Zeitung regelmäßig einige berichten, ist der Strassenverkauf jedenfalls so ein gemeinsames Drittes, eine Möglichkeit der Kommunikation von Mensch zu Mensch.
In diesem Sinne wünschen wir eine schöne Osterzeit!
Stefan Schneider
Liebe Leserin, lieber Leser,
gleichsam als Nachlese zu den eben zu Ende gegangenen Olympischen Spielen in Salt Lake City beschäftigen auch wir uns in dieser Ausgabe mit sportlichen Themen. Die Übertragung der Olympischen Spiele war selbstverständlich auch in unserer Notübernachtung ein Thema, die Goldmedaillen wurden ebenso gefeiert wie die Dopingvorfälle kommentiert: Wir haben in unserem Übernachtungsraum eine kleine Sitzecke eingerichtet, und in der Ecke steht der Fernseher, eine Spende. Für viele unserer Schläfer waren die Spiele eine gelungene Abwechslung zum sonst so grauen Alltag. Aber einfach war es auch nicht. Um das Zusammenleben zu regeln, besagt unsere Hausordnung, daß nur solange Fernsehen geguckt werden darf, bis einer der Übernachter schlafen möchte. Dann müssen alle anderen Rücksicht nehmen und die Kiste ausschalten. Und wenn gerade eine wichtige Entscheidung ansteht, zum Beispiel im Skispringen, möchte man natürlich schon wissen, wie das ausgeht. Auf der anderen Seite ist natürlich klar: Ein Übernachter, der früh aus dem Haus muß, hat natürlich ein Anrecht darauf, zu seinem Schlaf zu kommen. Insofern waren die olympischen Spiele auch für uns ein kleiner Test, ob wir Fair miteinander umgehen (können). Sport, also selber aktiv Sport zu trieben, das haben wir dann auch festgestellt, ist insbesondere für obdachlose und arme Menschen gar kein Thema. Wer von den Gästen in der Notübernachtung hat schon Skier und kann zum Wintersport in die Alpen fahren? Von daher war es nur folgerichtig, daß wir uns in dieser Ausgabe vor allem mit einem wichtigen sportlichen Aspekt befassen, der Fairneß im Umgang miteinander. In diesem Zusammenhang möchten wir auf eine Kampagne der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hinweisen, an der wir uns auch beteiligen: "Der Bahnhof ist das Herz der Stadt - Die Stadt gehört allen!" Wir haben das Plakat der Kampagne auf unseren Mittelseiten abgedruckt in der Hoffnung, daß sie es an geeigneter, gut sichtbarer Stelle aufhängen können, in der Hoffnung auf Ihre Unterstützung.
Bruno Katlewski
Zum Abschluß noch eine wichtige Nachricht an alle unsere Spender und Unterstützer, die uns über den Paritätischen Wohlfahrtsverband erreichte: "In § 50 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ist das so genannte Spendennachweisverfahren geregelt. Bei Zuwendungen, also Spenden an steuerbegünstigte Körperschaften genügt als Nachweis der Bareinzahlungsbeleg oder die Buchungsbestätigung eines Kreditinstituts, wenn die Zuwendung einen bestimmten Betrag nicht übersteigt. Die Grenze lag bisher bei 100 Mark. In Artikel 2 des Steuer-Euroglättungsgesetzes (!) wird die Kleinspendengrenze mit Wirkung vom 1. Januar 2002 auf 100 Euro erhöht." Selbstverständlich stellen wir Ihnen auch weiterhin Spendenbescheinungen aus, selbstverständnis auch bei Beträgen, die weniger als 100 Euro betragen. Jede noch so kleine Unterstützung unserer Arbeit ist willkommen. Dazu weisen wir unsbesondere auf unsre Kampagne "Ein Dach über dem Kopf" hin, die sie auf der Rückseite unserer Zeitung finden.
Liebe Leserinnen und Leser,
"globus" ist bekanntlich das lateinische Wort für Kugel und meint im engeren Sinne Nachbildungen der Himmelskörper, insbesondere der Erde. Globalisierung wäre demnach die Nachbildung der Erde (oder anderer Himmelskörper) in Kugelform. Das wiederum können wir uns beliebig groß oder klein und beliebig häufig vorstellen. Die Sonne etwa "Klärchen" zu nennen, was einige Zeitgenossen beiläufig tun, wäre demnach eine Art Globalisierung mit Worten. Eine Kugel ist nicht nur eine Kugel, sondern kann zum Beispiel auch ein Fußball sein. Haben Sie jetzt etwa keinen Erdglobus in Ihrem Haushalt - den meines Vaters habe ich zum Beispiel als kleines Kind kaputtgespielt - sind Sie fast schon ein - Achtung! - Globalisierungsgegner. Sie sehen also, wie lächerlich das ganze ist, wenn man es wörtlich nimmt. Daß es darum nicht geht, sondern daß Globalisierung letztlich um eine neue Runde der Verteilung von Armut und Reichtum bedeutet, das ist der rote Faden dieser Ausgabe.
Es ist schwer zu durchschauen, aber gegenwärtig werden weltweit nahezu alle sozialen Verträge, die vor Risiken wie Alter, Krankheit, Armut, Arbeitslosigkeit, Invalidität und so weiter schützen helfen sollen, aufgekündigt oder zumindest in Frage gestellt. Die Zahl der Obdachlosen, Armen, Hungernden, Arbeitslosen, Chancenlosen bleibt weltweit nahezu konstant, der Planet Erde wird weiterhin ausgeplündert und vernutzt, als gäbe es einen neuen schon in der nächsten Herbstkollektion. Natürlich stellt sich dann die Frage, was wollen wir dagegen setzen, was kann der Einzelne schon tun. Der kluge Königsberger Philosoph Immanuel Kant bemerkte dazu vor einiger Zeit mal mit ganz einfachen Worten sinngemäß: Handele stets so, daß Dein Handeln Richtschnur für das Handeln aller sein könnte. In diesem Sinne haben Sie mit dem Kauf dieser Zeitung etwas ganz wichtiges getan: Einem armen Menschen geht es jetzt ein kleines bißchen besser als vorher. Und wir als Verein der Hilfe für obdachlose und arme können unsere Arbeit fortsetzen. Danke - das ist ein ganz wichtiger Beitrag!
Stefan Schneider
In eigener Sache: Lieber Matthias F., als redaktioneller Mitarbeiter warst Du schon bald "Chef vom Dienst" und hast für viele Ausgaben der straz verantwortlich gezeichnet und dafür Sorge getragen, daß die Zeitung an Profil gewinnt. Das ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Die Redaktionsgruppe der straz und der Verein mob e.V. sagen "Dankeschön", wünschen Dir alles Gute und erwarten sehnsüchtig Deine redationellen Beiträge aus Spanien oder wo auch immer in der Welt.
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Selbsthilfehaus O12
Das Selbsthilfewohnhaus jetzt!
Das Selbsthilfe(wohn)haus von mob e.V.
Eine Wohnung ist nicht alles – aber ohne Wohnung ist alles nichts. Aus diesem Grund ist das Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße 12 ein wesentlicher Bestandteil zur Bekämpfung der aktuellen Wohnungsnot in der Stadt. Da die aktuelle Wohnungsnot ursächlich auf den strukturellen Mangel an preiswertem Wohnraum zurückzuführen ist und sich die öffentliche Hand aus der Wohnungsbauförderung zurückgezogen hat, ist Selbsthilfe an dieser Stelle dringend erforderlich.
Im Zeitraum 1999 bis 2003 hat mob – obdachlose machen mobil e.V. im Rahmen des Landesprogramms Wohnungspolitische Selbsthilfe ein Wohnhaus aus der Gründerzeit (Vorderhaus und Quergebäude) unter Mitarbeit von ehemals Wohnungslosen unter fachlicher Anleitung in Eigeninitiative in Stand gesetzt und modernisiert.
Es entstanden dort 18 Wohneinheiten und 2 Gewerbeeinheiten. Damit ist erstmalig in Berlin ein Projekt der Selbsthilfe von obdachlosen und armen Menschen in der Lage, in eigenen Häusern dauerhaft preisgünstigen Wohnraum anzubieten. Das Beispiel Oderberger Str. 12 zeigt: Es ist möglich, zusammen mit Obdachlosen ein sehr ehrgeizigen Sanierungsvorhaben fach- und zeitgerecht abzuschließen. Auf dieser Grundlage kann nun der zweite Schritt erfolgen, sich innovativ in die bestehende Nachbarschaft einzubringen.
Der Verein verwaltet die Häuser selbst und hat deshalb einen engen Kontakt zu allen Mieterinnen und Mietern. In den seltenen Fällen, in denen eine Wohnung frei wird, wird diese bevorzugt an obdachlose oder Personen in schwierigen Wohnverhältnissen oder an Menschen mit Wohnungsberechtigungsscheinen (WBS) vergeben.
Stand: 09.05.2006