[Ursprünge] Bei der Diskussion um die Geschichte vom Internet wird immer wieder darüber berichtet, wie die Idee von den Rechnern entstanden ist – und dann wird häufig Konrad Zuse als Pionier angeführt mit seinem legendären Z3 aus dem Jahr 1941.[1] Wenig reflektiert wird dagegen die Geschichte der Verbindung der einzelnen Rechner, denn diese machen das Internet erst aus. Und das wiederum führt uns zu der Frage nach einer Standleitung zum Internet. Unter dem Stichwort Flatrate wird eine unbegrenzte Verbindung versprochen, das stimmt aber in der Regel nicht, denn irgendwelche Beschränkungen gibt es fast immer. (Wer hier das beste Angebot sucht, sollte gleich weiter zu allnetflat-tarifvergleich.de) Die Verbindungen der Rechner untereinander, so wird kolportiert, ist von den Militärs der Vereinigten Staaten von Amerika (kurz: USA) entwickelt worden, die für den Fall eines atomaren Angriffs durch die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (kurz: UdSSR) mit einem dezentralen Netz weiter handlungsfähig bleiben wollten. Für mich aber ist der eigentliche Pionier der technischen Verbindung über Entfernungen hinweg der aus Gelnhausen in Hessen stammende Johann Philipp Reis (1834–1874).
"Das Pferd frisst keinen Gurkensalat"
Vor den Mitgliedern des Physikalischen Vereins in Frankfurt führte Philipp Reis im Jahr 1861 erstmalig den von ihm entwickelten Fernsprecher vor. Die Membran, mit der er seinen Schalltrichter bespannt, nimmt die Schallwellen auf, die in elektromagnetische Signale umgewandelt und mit Hilfe eines Kupferdrahtes zum Empfangsgerät weiter geleitet werden, wo sie wiederum in Töne zurück verwandelt wurden. Der berühmte überlieferte Satz mit dem Pferd und dem Gurkensalat war womöglich die erste durch ein technisches Gerät übermittelte Durchsage. Verrückt, aber eindrucksvoll, eben eine ungewöhnliche, nicht erwartbare Aussage zu verwenden. Der Amerikaner Alexander Graham Bell, der den Apparat von Reis kennen lernen konnte, entwickelte daraus später in Amerika den Prototypen des heutigen Telefons. Und mit der globalen Verbreitung des Telefons entstanden auch gigantische Kupfernetze und die berühmten Schaltstellen, wo die Fräuleins vom Amt noch mit Hand beliebige Verbindungen herstellen (und bei Bedarf auch mithören können). Heute ist auch diese Aufgabe vollautomatisiert und nicht mehr von Menschen abhängig.
[Drähte] Als es Jahrzehnte später darum ging, Rechner miteinander zu verbinden, war es eine kleine, aber ausschlaggebende Idee, diese Telefonleitungen zu verwenden und auf einer anderen Frequenz Signale hin und her zu übermitteln. Ein kleines Kästchen, der sogenannte Modulator-Demodulator (kurz Modem), übernahm dann die Aufgabe, ähnlich wie ein Telefon, die Signale aus der Kupferleitung wieder in Computersprache umzuwandeln und umgekehrt. Das ganze Internet beruht also mehr oder weniger darauf, bestehende Kupferdrähte zu nutzen. Ein Zugang zu einer Kupferverbindung dürfte nicht mehr kosten als die laufenden Instandhaltungs-, Modernisierungs- und ggf. Erweiterungskosten. Um so unverständlicher ist es, wenn große Konzerne dafür den Nutzern horrende Tarife verlangen, die in keinem Verhältnis dazu ziehen. Vor allem deshalb lohnt es sich, die Konzerne gegeneinander auszuspielen und den zu bevorzugen, der im Vergleich den günstigsten Tarif für Flats bietet. Betrüger sind sie alle.
Berlin und Basel, 24.06.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] Fernsprecher von Philipp Reis, hier in ener Abbildung aus der Zeitung "Die Gartenlaube" aus dem Jahr 1863, Quelle: WikiCommons http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Die_Gartenlaube_(1863)_809_1.jpg
[Fussnote] Friedrich Christian Delius hat die Geschichte von Zuse zu einem biographischen Roman verdichtet, der im Jahr 2009 in Reinbek bei Hamburg unter dem Titel Die Frau, für die ich den Computer erfand erschienen ist.
[Leiden] Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht so: Ich schätze ihre Klugheit, ihren Humor, ihre Originalität und manchmal auch ihre Sturheit. Sie ist ein meistens freundlicher und im Grunde sehr hilfsbereiter Mensch. Doch etwas ist anders als ihr als bei den meisten anderen Menschen. Heute ist unser Verhältnis so, dass ich vielleicht alle 10 Tage nachsehe, was sich bei ihr im Postkasten gesammelt hat. Dann klopfe ich an ihrer Tür, wenn ich Glück habe, öffnet sie einen Spalt breit, nimmt die Post entgegen und wir tauschen kurz die neuesten Nachrichten aus. Sie sagt meistens nach wenigen Minuten schon: Ich melde mich, was auf deutsch heißt: Lass mich jetzt in Ruhe! Die Momente, in denen sie sich verhält wie die meisten anderen Menschen, sind in den letzten Jahren immer seltener geworden. Ich habe auch eine Zeit lang versucht, sie zu bewegen, eine Therapie zu machen, aber inzwischen spreche ich das Thema schon gar nicht mehr an, weil ich weiß, dass das nur eine ablehnende Reaktion verursacht. Dabei sagen die da draußen, dass das eigentlich kein Problem sei: Es gäbe Medikamente und die Therapien würden auch gut helfen. Wegen dieser Geschichte hat sie einen Haufen Ärger. Kleinere Rechnungen, die nicht bezahlt werden und aus denen dann Mahnbescheide und Gerichtsklagen mit erheblichen Nebenkosten entstehen. Post vom JobCenter und Kürzung und Streichung der Leistungen. In den besseren Phasen alles wieder aufzuräumen und in Ordnung zu bringen, das kostet sehr viel Kraft und dann biete ich ihr meine Hilfe an. Vieles macht sie aber auch alleine, um dann kurze Zeit wieder in die alte Lethargie zu verfallen. An manchen Tagen frage ich mich, ob ich als ihr Unterstützer nicht alles nur viel schlimmer mache. Ob es nicht besser wäre, sie sich selbst zu überlassen. Aber dann stelle ich mir vor, dass sie zwangsgeräumt und in eine Obdachlosenunterkunft eingewiesen würde und weiß, dass diese Kränkung sie vollständig kaputt machen würde.
[Therapie] Die Name dieser Krankheit heißt offiziell Depression. Es geht ihr nicht gut damit. Meines Erachtens ist es eine Verletzung der Seele, die viel mit den Zumutungen, Demütigungen, Verletzungen und Kränkungen zu tun hat, die diese kapitalistische Gesellschaft den einzelnen Menschen zufügen kann. Viele bemerken dies nicht einmal, und andere sind davon substantiell erschüttert und wie von einem Gift gelähmt. Wegen der oft beschriebenen Nebenwirkungen lehnt sie eine medikamentöse Behandlung ab. Nur wenige können Depressionen ohne Medikamente behandeln und dazu zählt ein neues Verfahren, mit Hilfe von speziell entwickelten Elektromagneten im Gehirn feinste Ströme zu induzieren, die dann eine Anregung der Gehirnzellen bewirken, die für die Stimmung zuständig sind. Und das ohne Schmerzen und Nebenwirkungen. So wird es wenigstens angepriesen. Ich denke, ich werde bei nächster Gelegenheit ihr diese Information einmal zukommen lassen. Denn die Hoffnung, dass sie wieder zu alter Form zurückfindet, stirbt zuletzt.
Berlin, 12.06.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schiele-tote-stadt.jpg [Egon Schiele: Tote Stadt III 1911, ehem. Sammlung Grünbaum, heute Leopold Museum Wien. Egon Schiele: Tote Stadt III 1911, Sammlung Fritz Grünbaum, Wien, 1938 verschollen, heute Sammlung Leopold Wien, nicht restituiert.]
[Etat] Warum wir keinen Koch oder Küchenchef einstellen, das bin ich oft gefragt worden in meiner Zeit als ehrenamtlicher Geschäftsführer. Das Problem war, wir betrieben ein Arme-Leute-Restaurant. Die Lebensmittel waren überwiegend gespendet und wurden – ganz nach dem Prinzip der Tafeln - von uns abgeholt, und die meisten Mitarbeiter_innen wurden vom Sozialamt bezahlt, arbeiteten ehrenamtlich oder waren Inhaber der berühmten 1-Euro-Jobs. Wir hatten genug damit zu tun, von den wenigen Einnahmen die Miete, die Heiz- und Betriebskosten zu bezahlen und den notwendigen Zukauf, um vollständige Mahlzeiten anbieten zu können. Das war nur möglich durch Spenden der Berliner Bevölkerung. Um mein Anliegen plausibel darzulegen, stellte ich folgende Modellrechnung auf: Wenn ein Koch oder eine Köchin eingestellt würde, würde das dem Verein wenigstens 2.000 Euro monatlich kosten, und selbst das wäre ein sehr geringer Lohn. Bei 20 Arbeitstagen im Monat müssten an jedem Arbeitstag wenigstens 100 zusätzliche Euro erwirtschaftet werden, um überhaupt nur eine einzige Stelle aus eigener Kraft finanzieren zu können. Das war ein sehr überzeugendes Argument, denn alle wussten, dass jede Mahlzeit gut einen Euro teurer werden müsste, um diesen Koch oder diese Köchin zu bezahlen. Denn am Ende des Geldes war meistens noch so viel Monat übrig, und unser Angebot richtete sich bewusst an arme Menschen, die das Geld für eine Mittagsmahlzeit häufig auf der Straße zusammen bettelten.
[Engagement] Trotzdem arbeitete das Team vom Treffpunkt ausgesprochen effektiv und professionell. Die Motivation für die Arbeit war hoch. Das lag nicht zuletzt daran, dass wir schon damals auf professionelle Methoden der Motivation setzten: Es gab flache, überschaubare Hierarchien im Projekt, in regelmäßigen Teambesprechungen haben wir die zentralen Fragen gemeinsam besprochen, und die Mitarbeiter_innen wussten, dass sie nicht nur Entscheidungsspielräume, sondern grundsätzlich auch die Rückendeckung der Leitung hatten. Und zu regelmäßigen Anlässen haben wir auch Danke gesagt und versucht, die Wertschätzung für die Tag für Tag geleistete, nicht immer einfache Arbeit auch persönlich auszudrücken. Deshalb kann ich heute aus eigener Erfahrung sagen: Es stimmt nicht, dass Geld die hauptsächliche Motivationsquelle für die Arbeit ist. Im Gegenteil, viel wichtiger sind Aspekte wie das Gefühl, eine sinnvolle Aufgabe zu haben, gebraucht zu werden, anderen helfen zu können, Verantwortung zu tragen, anerkannt und in einem guten Team sozial eingebunden zu sein. Das alles konnten wir bieten und deshalb waren wir so erfolgreich, in dem Sinne, dass arme Menschen gerne in unseren Treffpunkt kamen. Erfolgreiche Strategien für die Motivation von Mitarbeiter_innen zu finden und auch im Betrieb umzusetzen, das ist kein Geheimnis, das ist lernbar.
Berlin, 10.06.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sokol_sport_costumes.jpg
[Landpartie] Zu den Leidenschaften, denen die Berliner gerne frönen, gehört mit Sicherheit der Sonntagsausflug. Das ist weitgehend dokumentiert, beispielsweise im dem Lied von Bolle. Dort heißt es:
Bolle reiste jüngst zu Pfingsten,
Nach Pankow war sein Ziel;
Da verlor er seinen Jüngsten
Janz plötzlich im Jewühl;
Pankow, das war damals vor hundert Jahren so ziemlich das erste Dorf, wenn mensch Berlin Richtung Norden verließ, und ein bekanntes Ausflugsziel.[1] Eine sogenannte Landpartie. Viele kamen erst gar nicht so weit. Der clevere bayerische Brauer Joseph Pfeffer errichtete 1841 auf dem Weg nach Pankow eine Brauerei und für die Sonntagsausflügler einen Biergarten. Damals war es sogar möglich, sich selbst Kaffee mitzubringen und in der Schankhalle des Biergartens selbst aufzukochen – heutzutage völlig undenkbar.
[Attraktion] Diesen Biergarten gibt es heute immer noch, die ehemalige Brauerei steht unter Denkmalschutz und auf dem grundlegend sanierten Gelände mit seinen vielen Gebäuden haben sich viele Unternehmen angesiedelt – darunter ein Theater, ein Hostel, Ateliers, eine Designerschule, mehrere Galerien und demnächst sollen sogar die alten Kellergewölbe wieder für die Öffentlichkeit geöffnet werden. Obwohl laut Nutzungsplanung auf dem Gelände keine Nutzung zu Wohnzwecken erfolgen sollte, ist es doch ein offenes Geheimnis, dass im Laufe der Umbauarbeiten dort einige Appartements entstanden sein sollen. Aber bitte, wer will einen Künstler ernsthaft daran hindern, in seinem Atelier zu wohnen? Oder einen Besucher, sich für längere Zeit in einem Hostel einzumieten? Der Pfefferberg als bauliches Ensemble hat eine ganz eigene Aura und übt auch heute noch eine große Anziehungskraft auf Besucher aller Art aus – heute sind es Ausflügler_innen aus der ganzen Welt, die hier einen Stopp einlegen. Es ist sogar in Planung, dort wieder Bier zu brauen.
[Privileg] Ich selbst hatte für drei Jahre meinen Arbeitsplatz auf diesem Gelände, davon gute zwei Jahre in Haus 13 direkt am Biergarten. Das war – jetzt allein vom Gesichtspunkt des Arbeitsortes – eine der besten Zeiten meines Lebens. Die großen Bäume des Biergartens sorgten im Sommer für eine angenehme Kühle und ein entspanntes Arbeiten im Schatten, aber es war jederzeit möglich, etwa für kurze Besprechungen in den Biergarten zu wechseln und die Sonne zu genießen. Und wenn abends gegen 20:00 Uhr die Events begannen, war das ein deutlicher Hinweis, nun endlich Feierabend zu machen. An so etlicher Veranstaltung habe ich teilgenommen, in dem ich einfach durch das Fenster in den Biergarten stieg und so die Einlasskontrolle umgehen konnte. Es gibt also gute Gründe, über denkmalgeschützte Immobilien länger nachzudenken. Die Investition Baudenkmal lohnt sich. Unter anderen Umständen hätte ich mich damals einkaufen sollen in den Pfefferberg – dann hätte ich heute einen repräsentativen Standort für mein Unternehmen. Es ist anders gekommen, aber das ist eine andere Geschichte.
Berlin, 08.06.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mk_Berlin_Pfefferberg.jpg Foto: Magadan, 2004
[1] Heute ist Pankow bei Berliner Bezirk mit mehr als 350.000 Einwohner_innen und damit so groß wie die Stadt Bochum.