[Pläne] Zu den Dingen, die ich in Nicaragua – neben dem solidarischen Arbeitseinsatz bei der Kaffeeernte – unbedingt tun wollte, gehörte eine ausführliche Reise durch das Land: Sehen wollte ich unter anderem Solentiname, jenen Insel-Archipel auf dem Nicaragua See, wo das Evangelium der Bauern von Solentiname entstanden ist, von dem der Theologe, Dichter und Revolutionär Ernesto Cardenal geschrieben hat. Ich wollte aber auch nach Corn Island, den beiden Karibik-Inseln an der Westküste, allein um zu sehen, wie es da aussieht. Schon die Anreise dorthin war abenteuerlich. In einem total überfüllten Bus, der mir kaum Luft zum atmen lies, ging es nach Rama, und von dort aus sollte am nächsten Tag ein Schiff den Fluss runter nach Bluefields fahren. Und die Überfahrt am dritten Tag zu den Inseln auf einem rostigen alten Fischkutter war ein permanenter Kampf mit den ungestümen Wellen und der Seekrankheit.
[Ereignisse] Die Tage, die ich auf Corn Island verbrachte, gehörten zu den Besten der ganzen Reise. Zum einen fühlte ich mich dort sehr wohl, weil fast alle englisch sprachen. Ich konnte mich erstmalig auf der Reise wirklich mit den Menschen unterhalten. Und auf Corn Island war es wirklich paradiesisch: Strände, Palmen, Sonnenschein, an jeder Ecke eine Bar, Rum, Musik und Langusten in allen Variationen: Gekocht, gegrillt, gebraten .... Auf einer meiner abendlichen Touren war ich bei Myers in North End, einer Bar direkt am Stand, ganz schön versackt, fand den Weg nach Hause nicht mehr und und legte mich irgendwo auf die Wiese zum Schlafen. Dabei gab es im Grunde auf der Insel nur eine einzige Straße und die verlief mit einigen Schlenkern mehr oder weniger in Ufernähe. Als ich am nächsten morgen von den Strahlen der Mittagssonne wach wurde, hatte sich das schon auf der ganzen Insel herumgesprochen. Myers bot mir daraufhin seine Gästewohnung an, die in Sichtweite der Bar lag, damit ich nicht mehr so weit laufen musste. An den nächsten Tagen lernte ich alle seine Freunde kennen und einer wollte mich sogar mit seiner Tochter verheiraten. Die war auch sehr schön, aber ein bisschen zu jung für mich, deshalb lehnte ich doch ab. Alternativ dazu wurde mir angeboten, beim Langustenfang einzusteigen. Sie sagten, ein Tag Arbeit pro Woche würde locker reichen, um davon gut leben zu können. Aber die in Streifen geschnittenen Kuhhäute, die für den Fang als Köder verwendet wurden, stanken wirklich bestialisch, so dass ich darauf keine Lust hatte. Statt dessen entdeckte ich ein altes, verfallenes Kino aus besseren Zeiten und träumte davon, das wieder zu eröffnen mit Filmen, die ich aus Deutschland einfliegen lassen wollte. Dann traf ein Schiff voller Bier vom Festland auf der Insel ein. Das war bemerkenswert. Plötzlich stieg die ganze Insel von Rum auf Bier um. Eines Tages wollten sie mir etwas ganz besonderes zeigen. Wir fuhren mit einem Jeep zur Mitte der Insel und dort entdeckte ich eine Hanfplantage, die wirklich riesig war. Natürlich mussten wir das Zeug auch testen. Als es Abend wurde und die Moskitos kamen, zündete einer ein Feuer an, denn der Rauch sollte die Biester vertreiben. Das gelang aber nur teilweise. Am Strand selbst gab es kaum Moskitos, aber im inneren der Insel schon. Und wir waren alle ziemlich stoned an diesem Abend.
[Rückkehr] Nach wenigen Tagen wurde das Bier auf der Insel knapp und ich musste weite Wege laufen, um noch irgendwo was zu ergattern. Betrübt kam ich abends zu Myers und bestellte eine Flasche Rum. Myers lachte über beide Ohren und sagte: Heute Abend gibt es eine kleine Party hier. Ich habe nämlich die letzten zwei Kästen Bier, die es auf der Insel gibt, und die trinken wir heute Abend aus. So war es dann auch. Zu Corn Island gäbe es noch sehr viel mehr zu erzählen. Auch die Rückreise war ein einziges Drama, weil wegen Sturm kein Boot mehr fuhr. Mit Mühe und Not habe ich es trotzdem geschafft, nach Hause zu kommen über Havanna, Halifax, Prag und Berlin (Hauptstadt der DDR) nach Westberlin. Wenige Jahre nach meinem Aufenthalt verwüstete ein Hurrikan fast die gesamte Insel, und alles musste neu aufgebaut werden. Zu Schaden ist keiner gekommen, weil die sandinistische Regierung gute Evakuierungspläne ausgearbeitet hatte. Und in mancher Stunde träume ich davon, wieder einmal dorthin zurückzukehren, um zu sehen, was sich dort verändert hat. Moskitos wird es dort bestimmt immer noch geben, aber sicher auch das eine oder andere Hotel, dass Fenster mit VELUX Insektenschutz bietet, um ungestört den Sonnenauf- oder -untergang genießen zu können.
Berlin, 18.07.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] Little Corn Island 2005, Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Little_Corn_Island.JPG, Autor: Jagal
Eine extreme, nachhaltige Zeitverschiebung konnte heute in Mariendorf, einem Ortsteil von Tempelhof in Berlin, beobachtet werden. Die Zeitverschiebung daurte bis in die Abendstunden an, ein Ende ist nicht in Sicht. Während im Hintergund die Uhr des Ullsteinhauses die einheitliche mitteleuropäische Sommerzeit, kurz MESZ anzeigt, ist die Zeit auf der am Mariendorfer Damm in Höhe der Kurfürstenstraße beobachteten Uhr bereits bedrohlich vorgerückt.
Beobachten wir hier das Aufbrechen eines Wurmloches und welche Auswirkungen hätte dies auf die Mariendorfer Bevölkerung? Oder handelt es sich hier um erste Signale der Zombie Apokalypse, die entgegen allen Vermutungen nicht in Bochum in der Gegend von @mykke_, sondern statt dessen bei @doc_schneider ihren Anfang nimmt. Oder haben wir es hier mit ersten und ernsten Folgen der #prism - Abhöraffaire zu tun? Oder handelt es sich um einen ersten Zusammenbruch der Zeit und damit um den Anfang des Weltuntergangs? Aber warum ausgerechnet in Mariendorf? Fragen über Fragen!
Auf jeden Fall ist klar: Die Zeit ist nicht mehr die selbe, sie kippt nach links weg und löst bereits jetzt masive Irritationen aus.
Berlin, 17.07.2013
[Ankommen] Manchmal, wenn sich Besuch ankündigt, frage ich nach, ob ich ihn abholen soll. Das ist nicht nur gastfreundlich, sondern macht auch Spaß, vorzugsweise abends oder nachts. Nochmal unter die Dusche, dann etwas Schönes anziehen, vielleicht noch etwas Perfum auflegen, und das geht es raus zum Bahnhof oder zum Flughafen. Denn da gibt es meistens was zu sehen und es wird auch nicht langweilig. Und überhaupt die spannenden Momente, wenn der Zug in den Bahnhof einrollt, zum Stehen kommt und die ersten aussteigen. Wo ist denn mein Gast und ich welcher Stimmung kommt er oder sie an: Heiter und euphorisch, oder erschöpft und matt? Neugierig oder angespannt? Schon auf dem Weg nach Hause gibt es die ersten Gelegenheiten, etwas zu sehen und zu erleben. Ich bin dann so etwas wie eine persönliche Eskorte – ich selbst war schon öfter mal sehr dankbar, dass ich in großen und unübersichtichen Metropolen wie Osaka oder Bogota abgeholt wurde.
[Abholen] Wer im Internet nach dem Begriff Eskorte sucht, wird schnell darüber aufgeklärt, dass damit ursprünglich eine bewaffnete Begleitung zur Bewachung oder zum Schutz von Personen oder Gütern sowie zur Ehrung einer Person gemeint war. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ein Blick in den Duden verrät die Wortherkunft "über ein vulgärlateinisches Verb mit der Bedeutung »ausrichten; beaufsichtigen« zu lateinisch corrigere, ↑korrigieren". Heutzutage gibt es diese Begleitung in Form von Escortagenturen. Die vermitteln Frauen oder Männer, die gegen Bezahlung für eine vereinbarte Zeit ihre Gesellschaft bieten. Wer, wie ich, öfters auch mal alleine eine Stadt besichtigt hat, wird bestätigen, dass es angenehm sein kann, Sehenswürdigkeiten, Museen, Denkmale, Parks und auch die regionale Gastronomie mit einer kurzweiligen Begleitung zu erleben. Und, wo immer Menschen auf einander treffen, geht es häufig auch um die wichtigste Nebensache der Welt. Das Portal Escort 77 Berlinmacht in dieser Hinsicht keine Umwege und listet auf seinen Seiten nicht nur ausführlich und mit freizügigen Fotos auf, welche Menschen – hier ausnahmslos Frauen – als Begleitung gebucht werden können, sondern es gibt auch alle Details zu den sexuellen und erotischen Leistungen, die von der jeweiligen Person angeboten werden oder auch nicht. Ein bisschen wirkt das wie die technische Anweisung zu einem Staubsaugertestportal, aber sicher beugen diese Informationen auch möglichen Mißverständnissen vor.
[Mitmachen] Ich weiss auch gar nicht, was passieren würde, wenn ich als Mann mich auf diesem Portal bewerben würde als Escort, um mich zu amüsieren und zugleich meine Einnahmen aufzubessern. Als älterer Mann mit Bauchansatz falle ich da sicher aus dem Rahmen. Aber niemand würde mich ja daran hindern, im Internet ein eigenes Portal in dieser Angelegenheit aufzumachen – wenn mir danach ist.
Berlin – Schmöckwitz 15.07.2013
Stefan Schneider
[Quelle] Escort77
[Abbildung] Ernst Ludwig Kirchner - Straßenszene - Durchblick in Cafe 1935, Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernst_Ludwig_Kirchner_-_Straßenszene_-_Durchblick_in_Cafe_1935.jpg
[Definitionen] Um ehrlich zu sein, in früheren Jahren habe ich mich nicht weiter mit Hirnforschung beschäftigt. Kopfschmerzen hatte ich so gut wie nie, und nachdem ich eine Brille bekam, konnte ich auch wieder dem Geschehen vor mir mit voller Aufmerksamkeit folgen. Das ist vor dem Fernseher aufgefallen, weil ich immer die Augen so zusammen kniff, um einigermaßen scharf sehen zu können. Bezüglich der Frage nach der Intelligenz war ich auf Seiten derer, die die Auffassung vertraten, dass es die sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, ja ganz allgemein die gesellschaftlichen Verhältnisse seien, die für die Entfaltung der Intelligenz eines Menschen maßgeblich seien. Und wichtig war auch noch der Hinweis, dass Intelligenz lediglich das ist, was der Intelligenztest misst. Das hört sich spitzfindig an, meint aber, dass Intelligenz etwas ist, was Menschen erfunden und einige wenige festgelegt haben. Das kann auch anders definiert werden oder ist vielleicht ganz verzichtbar.
[Systeme] Später im Studium tauchte die Frage nach der Intelligenz und ihren Ursachen nochmals anders auf, im Rahmen des Psychologiestudiums. Wo kommt er her, der menschliche Verstand? Darüber hatte ich nie nachgedacht und hätte wahrscheinlich gedacht, der ist irgendwie vom Himmel gefallen. Die Auseinandersetzung mit den Theorien der kulturhistorischen Schule um Vygotskij, Leont'ev und Lurija, eröffnete mir eine völlig andere Perspektive. Weil Organismen ihre Tätigkeit koordinieren müssen, entsteht Hirn. Insbesondere die menschliche Tätigkeit ist ungeheuer komplex, sie erfordert Kommunikation, die Speicherung von Erfahrung, Phantasie, die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und weiteres mehr. Deshalb kann Lurija auch schreiben: "Die gesellschaftlichen Formen des Lebens zwingen das Gehirn auf neue Weise zu arbeiten, sie lassen qualitativ neue funktionelle Systeme entstehen." (Lurija 1978, 647).
[Steigerung] Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, darüber nachzudenken, wie unser Gehirn möglichst optimal genutzt werden kann. Ein natürlicher Brainbooster ist z.B. Braincharger, das ist ein auf dem Markt erhältliches Nahrungsergänzungsmittel mit legalen hirnaktiven Stoffen und natürlichem Guarana. Von Guarana wird gesagt, dass dieses Amazonaspflanze beleben und – ähnlich wie Kaffee - die Aufmerksamkeit und Konzentration fördern soll. Wenn es also darauf ankommt, wissenschaftliche Texte zu schreiben, Ergebnisse zusammen zu fassen, Schlussfolgerungen zu ziehen und neue Ideen zu entwickeln, wäre dies eine Option. Einmal hörte ich, dass 99% aller Menschen an einem beliebigen Tag zu 95% die selben Gedanken denken, die sie am Tag zuvor gedacht haben. Seit dem ich das weiß, leiste ich mir manchmal den Luxus, dass ich mich hinsetze und mir vornehme, mal was anderes, neues zu Denken. Das ist aufregend. Und anstrengend.
Berlin – Schmöckwitz 15.07.2013
Stefan Schneider
[Literatur] Lurija, A.R.: Die Stellung der Psychologie unter den Sozial- und Biowissenschaften. Sowjetwissenschaft -Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge, 31. (1978) 6, 640-647.
[Abbildung] "Der Mensch als Industriepalast": Plakat, 1926 als Anlage der Publikation von Fritz Kahn "Das Leben des Menschen III" erschienen.
[Quelle] hier: http://www.fontblog.de/wp-content/uploads/2011/08/PosterKahn_klein.jpg