[Bindungen] Die Welt des vergangenen Jahrhunderts wurde von großen Maschinen regiert. Sie waren die großen Kraftwerke der Ökonomie und gaben den Rhythmus vor. Säuberlich schieden sie die Sphären. Es gab ein Reich der Arbeit und eines der Freizeit, eine Welt der Politik und der Kultur, der Religion und der Arbeitsstunden im Verein. Irgendwo dazwischen fand der Alltag statt. Reisen zu jenen Zeiten bedeutete für die meisten Menschen drei Wochen Urlaub von der Maschinenarbeit. Kostbare Tage, die gut genutzt werden wollten. Gab es schulpflichtige Kinder, lag die Hauptreisezeit meistens in den sommerlichen Schulferien. Im Verlauf der Zeit änderte sich das Verkehrsmittel. Während Zugreisen anfangs noch der Standard war, gewann die Reise im eigenen Automobil zunehmend an Bedeutung. Gerade von den ersten sogenannten türkischen "Gastarbeitern" wurde berichtet, dass sie im Sommer umständliche, drei Tage dauernde Autofahrten über tausende von Kilometern unternahmen, um ihre Heimatorte zu erreichen und ihre Verwandten zu besuche
[Rechnungen] Die großen Maschinen verschwanden zwar nie, aber maßgeblich zum Ende des letzten Jahrhunderts wurde eine ganz andere Kraft. Wichtig war es nun, alles mit nur mit den Zeichen Null und Eins beschreiben zu können und alle Veränderungen zu berechnen. Die Maschinerie wurde dank kleiner Kästchen, in denen Millionen und Abermillionen von diesen Operationen verzogen wurden, so vielfältig wie die Menschheit selbst, ja, sie wurde Teil des Menschen, gleichsam seine Dritte Haut.[1] Damit änderte sich auch das Reisen. Die nomadische Lebensweise erfuhr eine große Renaissance, immer mehr Menschen waren praktisch ständig unterwegs. Auch die Sphären waren nicht mehr voneinander geschieden. Arbeit, Freizeit, Politik und Kultur, Soziales und Gemeinschaftsarbeit verschmolzen miteinander und das Leben im Fluss wurde als Alltag angesehen.
[Änderungen] Deshalb muss auch eine Firma, die Reisen verkaufen will, ihre werbliche Strategie ändern. Das eindimensionale Versprechen eines rundum sorglos Urlaubs ist für immer weniger Menschen attraktiv, wird zunehmend als langweilig und uneffektiv empfunden. Reisen ist Leben, ist Veränderung. expedia.de hat damit angefangen und wirbt mit komplexen Lebenssituation, die so oder anders tausendfach stattfinden. Ein open-space-Kongress in Pisa mit anschließendem Rendezvous in Florenz, eine Versöhnungsreise zum Exgeliebten in Tel Aviv mit Kurzstop bei einer GeschäftspartnerIn in Istanbul, eine archäologische Expedition zur Kultur der Skythen mit anschließendem Speeddating für schwule Akademiker in Osaka, ein Auslandspraktikum bei einer Investmentfirma in Louisiana mit Abstecher bei der schwierigen Erbtante in Ontrio und Besuch bei einem Grindcore-Festival auf den Bahamas. Zu einem Vorstellungsgespräch nach Salzburg mit anschließendem Kurzurlaub an der Ostsee bei Danzig. Für einen akademischen Vortrag nach vormittags Ludwigshafen und nachmittags zu einem Privatkonzert nach Bristol. Und das Zelt, das die Nomaden einst bei sich führten, ist heute abgelöst durch ein Netz von Nullen und Einsen, das uns sagt, wo wir das Lebensnotwendige finden können.
Zürich, 29.10.2012
Stefan Schneider
[Abbildung] Zelt von Zirkus Conelli, Zürich. Quelle: WikiCommons
[1] Die Formulierung Dritte Haut wurden von Joachim Ritzkowsky geprägt. Ursprünglich war damit gemeint, dass neben der natürlichen Haus und der Kleidung als zweiter Haus die jeweils eigene Wohnung die dritte, schützende Haut eines Menschen ist. Im Zuge der hier angedeuteten Bedeutungsverlagerung der Dinge ist es m.E. legitim, vom Internet als Dritter Haut des Menschen zu sprechen. Vgl. Ritzkowsky, Joachim: "Die Spinne auf der Haut". Leben mit Obdachlosen. Alektor Verlag Berlin, 2001. ISBN 3-88425071-X
[Bildung] In den letzten Jahren bin ich sehr viel unterwegs, deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Das hat unterschiedliche Gründe. Ein Grund sind die seit vielen Jahren existierenden Billigfluglinien, bei denen sich gelegentlich wirklich spektakuläre Angebote finden. Zum anderen habe ich auch mehr Zeit als früher, da ich meine Verantwortung als gewählter Geschäftsführer in einem Sozialunternehmen aufgegeben habe. Drittens erlaubt gerade das beinahe weltweit verfügbare mobile Internet, wichtige Aufgaben von überall aus zu erledigen. Viertens bieten soziale Plattformen wie couchsurfing.com eine kostengünstige und anregende Alternative zu stereotypen Hotels und verschnarchten Hostelmehrbettzimmern. Und außerdem macht die Europäisierung und Globalisierung es auch schlichtweg notwendig, wichtige Themen und Anliegen auf breiter Basis und unmittelbar vor Ort auf Tagungen und Konferenzen miteinander zu besprechen. Und last but not least gilt auch heute noch, was schon damals zu Zeiten von Goethes Italienreise gilt: Reisen bildet. Selbst wenn es einen virtuellen 3D-Rundgang durch die Altstadt von Warschau gäbe – die Technik wäre sicher eine gute Vorbereitung, wird aber den unmittelbaren sinnlichen, persönlichen Eindruck so schnell nicht ersetzen können.
[Gastgeber] Apropos Warschau. Agnieszka gehört zu den Freundinnen, die ich oft und gerne besuche, weil die Gespräche mit ihr so anregend, so tiefgründig sind. Auch ist sie sehr kulturinteressiert und weiß meistens immer ganz genau, wo es gerade neue Ausstellungen oder Filme gibt oder wenn es ein interessantes Konzert zu besuchen gibt. Als ich im Winter 2011/2012 einige Monate in Warschau verbrachte, half sie mir auch, Orte zu finden, wo es kostenfreies WiFi gibt und vermittelte mir auch den einen oder anderen Job.Und Agnieszka ist auch eine gute Gastgeberin. Häufig kochen wir zusammen Mittagessen, oder wir treffen uns bei Rühreiern und einem guten Kaffee zu Frühstück, auch kann ich bei ihr meine Oberhemden bügeln oder mit Stullen schmieren für die Rückreise. Deshalb stellt sich für mich die Frage, wie ich mich für diese großzügige Gastfreundschaft bedanken könnte. Eine Möglichkeit dazu bietet zum Beispiel das Cocktail-Mixing-Ebook, das kostenfrei aus dem Internet herunter geladen werden kann. Da ich weiß, dass Agnieszka ein großer Krimifan ist, wäre es naheliegend, ihr mal einen Dry Martini zu mixen, schließlich ist das der Klassiker unter den Cocktails und das bevorzugte Getränk von James Bond alias Geheimagent 007. Das würde ihr sicher gefallen. Das Rezept geht so:
[Rezept für einen Dry Martini]
- 6 cl Dry Gin
- 1 cl Dry Vermouth
Spezialisten unter den Barkeeper bereiten einen Martini auf folgende Weise: Crushed Ice und 1-2 cl Noilly Prat in einen Rührbecher geben und umrühren. Dann den Vermouth zusammen mit dem Schmelzwasser wegschütten und 6 cl Gin zugeben. Nochmals gut umrühren und ohne(!) Eis in einen gut gekühlten Martinikelch geben. Als Garnitur dient die obligatorische, ungefüllte Olive. Das Mischungsverhältnis von 6:1 soll nur als Anregung dienen. Variationen mit einem Gin zu Vermouth Verhältnis von 1:1 oder gar 10 :1 sind genauso möglich.
Łódź, 10.10.2012
Stefan Schneider
[Abbildung] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Assorted_gin_bottles_on_a_store_shelf.jpg
Ein Kuchen und seine Geschichte
Auf dem Weg an die polnische Ostseeküste kam ich im Sommer 2012 spät abends in Danzig an und wollte am nächsten Tag weiter nach Jastrzebia Gora. Eine Freundin vermittelte mir eine Unterkunft in Danzig. Ich sollte bei Olga wohnen. Olga brach aber selber gerade auf zu einer Reise und wir hatten die Chance, uns kurz am Bahnhof zu sehen. Da mein Bus aber Verspätung hatte, verpassten wir uns und ich machte mich allein auf den Weg zu ihrer Wohnung, vier Tramway-Stationen vom Hauptbahnhof entfernt. Ich hatte eine sehr geheimnisvolle Beschreibung. An einer bestimmten Stelle sollte ich einen schmalen Gang zwischen Haus und Garage gehen bis zu einer Tür. Im Treppenhaus sollte ich hoch gehen bis zu einer Tür, vor der ein großes Regal stand. Dort wäre die Wohnung. Den Schlüssel sollte ich im Stromzählerkasten finden. Das Regal fand ich wohl, aber im Stromzählerkasten war nichts. Ich wurde nervös. Ging noch einen Stock höher. Da war nur der Dachboden. Ständig ging das Licht im Treppenhaus aus. Ich tappte im Dunkeln. Zur Not würde ich Olga anrufen können. Aber vielleicht hatte sie das Handy ausgeschaltet? Dann könnte ich mich immer noch auf dem Dachboden schlafen legen. Keine gute Idee. Ich durchsuchte noch einmal den Stromzählerkasten. Wieder nichts. Ich wollte schon aufgeben. Aber dann dachte ich mir: Bisher hat alles funktioniert, dann muss der Schlüssel da auch irgendwo sein. Also untersuchte ich den Stromzählerkasten noch einmal ganz akribisch. Und siehe da: Ganz hinten in der Ecke lag, gut versteckt im Schatten, ein einzelner ziemlich kleiner Schlüssel. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Schlüssel passte in die Tür und schon stand ich in einer verwunschenen Wohnung. Licht brannte noch im Flur, das Radio spielte leise Musik, und das Fenster war auch noch offen. Just in diesem Moment erreichte mich noch eine weitere SMS von Olga: Übrigens ist noch Kuchen im Kühlschrank. Esse bitte alles auf! Das war richtig großartig. Ich freute mich, in einer schönen Wohnung in Danzig angekommen zu sein, ganz in Ruhe kochte ich mir einen Kaffee und vertilgte den Kuchen. Und der war wirklich lecker.
Einige Monate später lernte ich dann Olga in Berlin tatsächlich persönlich kennen. Ich bat sie, das Rezept mitzubringen. Hier ist es.
Zutaten
- Eier 6 Stück
- Datteln getrocknet 100 Gramm
- Walnüsse 100 Gramm
- Brauner Zucker
- Weinessig weiß 1 Teelöffel
- Kondensmilch aus der Dose
- Puderzucker 300 Gramm
- Schlagsahne 2 Becker klein
- Mascarpone 200 Gramm
- 1, besser 2 runde Backformen
- Backpapier
- Rührmixer
- Backofen
Wichtig ist, mit dem Backen 1 Tag vorher zu beginnen.
Vorgehen
[Erster Teil] Von allen 6 Eiern das Eiweiß vom Eigelb trennen. Dann das Eiweiß so lange schlagen, bis es fest wird. Das dauert von Hand 20 Minuten, ist mit einer Rührmaschine deutlich einfacher. Anschließend 300 Gramm Puderzucker unterrühren und 2 Esslöffel braunen Zucker dazugeben und einen Teelöffel Essig. Auch etwa die Hälfte der kleingeschnittenen Datteln wird dazu gegeben.
Diese Masse wird dann in zwei runde, mit Backpaper ausgelegte Formen verteilt und in einen Ofen erhitzt, zunächst 5 Minuten auf 180 Grad, dann weitere 90 Minuten bei etwa 130 Grad.
[Zweiter Teil] Die Kondensmilch in der Dose wird 3 Stunden lang in einem Wassertopf gekocht, bis sich innen drin eine bräunliche weiche Karamell-Masse gebildet hat (hier noch mit den Zeiten experimentieren, vielleicht geht es auch schneller). Karamell-Masse mit Mascarpone-Käse verrühren. Einen Becher Schlagsahne steif rühren und dazu mischen. Schließlich die Walnüsse und die restlichen kleingeschnittenen Datteln dazu geben.
[Dritter Teil] Die Karamell-Maschine-Schlagsahne-Walnuss-Dattel-Masse auf einen Tortenboden verteilen. Den anderen Tortenboden darauf tun (ich war nicht dabei – also experimentieren, wie das geht. Das Ganze in den Kühlschrank tun und ein paar Stunden durchziehen lassen.
[Letzter Teil] Essen. Genießen.
Gdansk, 02.10.2012
Stefan Schneider
[Abbildung] Bundesarchiv
commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_B_145_Bild-F001326-0001,_Bonn,_Münsterschule.jpg
[Aufmerksamkeit] Natürlich habe ich mir als Teenager eine Freundin gewünscht und sehnlich auf die geguckt, die schon eine hatten. Ich würde auch gar nicht sagen, dass ich besonders schüchtern war. Es war eher so, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich das anstellen sollte. Heute würde ich wahrscheinlich hingehen und sagen: Guck mal, ich bin wirklich süß! Willst Du meine Freundin sein? Ich bin auch aufgeschlossener für Signale, also wenn eine Frau mich wirklich attraktiv findet. Gut erinnere ich mich noch an eine Klassenfahrt. Ein Mädchen aus einer anderen Klasse ließ mir über einen Jungen einen Liebesbrief zukommen und ich war total aufgeregt und konnte zwei Nächte lang kaum schlafen. Keine Ahnung, was genau ich antworten sollte. Dabei war das Mädchen gar nicht mal unattraktiv. Aber mein langes Warten hat ihr wohl gesagt, dass ich kein Interesse hätte. Dabei war das pure Hilflosigkeit. Also die Idee, wie ich es wohl anstellen könnte, eine Freundin zu bekommen, fehlte mir. Wie auch, es hat mir keiner beigebracht und ich hatte als Kind und Jugendlicher auch wenig Freunde. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich die ersten 5 1/2 Jahre meines Lebens als Einzelkind aufgewachsen war. Zwar hatte ich mit 4 Jahren meine ersten intensiveren Kontakte zu anderen Kindern im Kindergarten, aber diese Situation überforderte mich doch sehr und meine Erinnerungen an diese Zeit sind eher negativ. In der Schule bekam ich mehr Anerkennung. Das war auch einfacher. Man musste einfach still sitzen und dem Unterricht folgen, das war schon alles. Die Pausen auf dem Hof habe ich dann mehr oder weniger gut überstanden. Meine soziale Kompetenz verbesserte sich erst später, als ich mich bewusst kirchlich politischen Jugendgruppen anschloss und dort etwas über Gruppendynamik und Gruppenpädagogik lernte.
[Realworld] Natürlich ist es nicht nur so, dass Männer in Bezug auf Frauen unsicher sind, sondern auch umgekehrt ist es vorstellbar und wahrscheinlich gar nicht mal so selten. Und alle suchen sie im Internet nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Das Problem ist, dass das Internet nur sehr bedingt dafür eine Antwort hat. Letztendlich läuft es dann doch darauf hinaus, nach draußen unter Menschen zu gehen und sich zu trauen, direkt Kontakt aufzunehmen und jemanden anzusprechen. Nicht einmal, sondern immer wieder bis es gelingt, einen Partner zu finden. Aber hilfreich ist schon eine gute Ratgeberliteratur. In diesem Fall gibt es einen Ratgeber mit dem Titel Catch him & Keep Him - Ratgeber. Das ist insofern bemerkenswert, als dass eben nicht mehr davon ausgegangen wird, dass (heterosexuelle) Männer immer und prinzipiell Interesse an Frauen hätten. Sondern vielmehr im Gegenteil, dass auch Männer aktiv anzusprechen sind. Aus unterschiedlichen Gründen, zum Beispiel, weil es ihnen gar nicht auffällt, dass eine Frau an ihnen interessiert ist. Das Bemerkenswerte an diesem Ratgeber ist, dass er von einem Mann geschrieben worden ist, also einer Person, die vielleicht am Besten in der Lage ist, sich vorzustellen, wie und unter welchen Umständen ein Mann anzusprechen und zu erobern ist. Nur eines kann der beste Ratgeber leider auch nicht ersetzen. Nämlich, dass es notwendig ist, die eigenen vier Wände zu verlassen und draußen in der Welt reale Menschen zu treffen.
Gdansk, 02.10.2012
Stefan Schneider
[Abbildung] Hugo_Oehmichen_Im_Kindergarten.jpg (Quelle: WikiCommons)