[Radeberger] Es war eine dieser Sommernächte, ich war gerade 16 oder 17 Jahre alt, und mein Freund Sebastian, den ich immer nur Sam nannte, und ich langweilten uns im Jugendclub. Es war erst elf oder halb zwölf und noch viel zu früh, um jetzt schon nach Hause zu gehen. "Lass uns einen 10er Träger Radeberger holen und dann im Park spazieren gehen!", war sein Vorschlag. Das war ein sehr guter Vorschlag, fand ich. Bier trinken wollte ich sowieso. Ich weiß gar nicht, wo wir damals noch das Bier herbekamen, auf jeden Fall wollten wir den Träger nicht mit uns rumschleppen. Also rissen wir die Pappe auf, stopften uns die Pullen in die Jackentaschen und gingen so bewaffnet spazieren. In den Volkspark Mariendorf.
[Flugbahnen] Ich weiß gar nicht mal mehr, über was wir uns alles unterhalten haben in jenen Tagen, auf jeden Fall standen wir nach einer Weile oben auf dem Trümmerberg und fragten uns, was wir jetzt mit den leeren Pullen machen sollten. Weit und breit kein Mülleimer in Sichtweite. "Ich weiß, wie wir das machen," sagte ich in einem Anfall von Übermut, "wir entsorgen die einfach in den Weltraum." Ich warf also eine leere Pulle in die Höhe und einen Moment später machte es unten auf dem Boden: Klirr! Sam lachte nur. "Ey, das ist cool!", sagte er und ließ auch seine Pulle fliegen. So ließen wir es klirren und lachten uns kaputt dabei. Dann zogen wir weiter. [Wenn ich heute daran denke, finde ich das gar nicht lustig. Glasscherben in einer Erholungsanlage, wo Menschen auch mal barfuß gehen möchte, sind alles andere als lustig. Im Grunde schäme ich mich dafür. Wo immer ich heute Glasscherben sehe, versuche ich, diese beiseite zu räumen, als eine Art Wiedergutmachung.]
[Hochwasser] Dann zogen wir angeheitert weiter. Am Blümelteich entdeckte ich einen Rettungsring. Auf den war ich schon länger scharf. Jetzt war die Gelegenheit günstig und ich murmelte etwas von: "Der wird hier sowieso nicht gebraucht, der Teich ist ja nur einen Meter tief!" Das stimmte auch, und das hatte ich persönlich gesehen. Eines Tages war ein Modell-U-Boot abgesoffen und der Eigner stieg in den Teich und stocherte mit einer Stange an der Stelle herum, wo er sein Schiff vermutete. Er war nur bis zum Bauch im Wasser. Tief konnte der Teich nicht sein. Also nahmen wir den Rettungsring mit und packten ihn in den Kofferraum von Sam's hellblauen Opel Kadett. [Auch über diese Geschichte denke ich heute anders nach. Es gibt ja auch kleine Menschen und Kinder. Und den Rettungsring hätte ich auch im Seglerbedarf für wenig Geld kaufen können. Aber das wusste ich damals nicht.] Auf jeden Fall hing dieser Rettungsring mit der Aufschrift Berliner Feuerwehr dann von der Decke meines WG-Zimmers in der Hauptstraße. Wenn mich Besucher darauf ansprachen, sagte ich nur: Das ist für den Fall, dass es mal Hochwasser geben sollte. In der Tat wurde Jahre später im Zuge der Debatte um den Klimawandel das Steigen des Meerwasserspiegels als ernsthaftes Problem diskutiert. Ich fand es einfach nur cool.
[Lehrgeld] Cool fand der Feuerwehrmann, der Jahre später mein Zimmer betrat, diesen Rettungsring überhaupt nicht. Ich selbst war gerade einige tausend Kilometer westlich in Nicaragua bei einem solidarischen Kaffeeernteeinsatz und erfuhr erst Wochen später durch einen Brief von dieser Aktion. Während meiner Abwesenheit wohnte meine Freundin Bettina in diesem Zimmer und wahrscheinlich hatte ein Kabelbrand einen Schwelbrand in meinem Zimmer verursacht. In dem dichten Rauch wusste sich Bettina nicht anders zu helfen und rief die Feuerwehr. Die kam dann auch, ließ sich einen Eimer geben, und mit zwei Eimern Wasser wurde der Schwelbrand gelöscht. So berichtete mir Bettina. Ein Glück, dass ihr damals nichts passiert ist, sie hätte ja auch an einer Kohlenmonoxidvergiftung sterben können. Damals aber war ich sauer. Natürlich nahm der Feuerwehrmann auch den Rettungsring mit. Monate später kam dann eine Rechnung. Ich sollte 400 DM Ordnungswidrigkeitsgebühr bezahlen. Das fand ich natürlich nicht so toll, aber zähneknirschend zahlte ich den Betrag. Das war ein richtig teurer Rettungsring. Natürlich sind diese Geschichten jugendlichem Leichtsinn geschuldet, und heute würde ich das auch nicht noch einmal machen. Aber die Beispiele machen natürlich klar, dass leichtsinniges Verhalten sehr schnell weitere Kreise ziehen kann. Wenn sich jetzt wirklich jemand an den Glasscherben im Park verletzt hätte oder wegen dem fehlenden Rettungsring ertrunken wäre. Für eine neue Rechtsschutzversicherung gibt es deshalb viele gute Gründe und heutzutage ist diese auch einfach im Internet abschließbar. Und auch wenn ich heute bestimmte Sachen nicht mehr machen würde, ist es doch vorstellbar, dass ich Sachen unternehme, dessen Folgen ich nicht immer vollständig überschaue. Aber ob eine Rechtsschutzversicherung in den geschilderten Fällen eingreifen würde, wage selbst ich zu bezweifeln.
Berlin, 16.01.2013
Stefan Schneider
[Abbildung] Lifebelt model based on drawing by Leonardo da Vinci. Photo by Erik Möller. ''Leonardo da Vinci. Mensch - Erfinder - Genie'' exhibit, Berlin 2005 Quelle: WikiCommons http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leonardo-Rettungsring.jpg
Wohnungsbaugenossenschaft „Bremer Höhe" eG - Vorstand - Schönhauser Allee 59 b - 10437 Berlin
Berlin, 07.01.2013
Bewerbung auf die Wohnung Buchholzer Str. xx VH re
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Genossinnen und Genossen, lieber Ulf, liebe Barbara,
bei einem Rundgang durch den Stadtteil erfuhr ich in der Herbstlaube von Frau E., dass altersbedingt möglicherweise in absehbarer Zeit die Wohnung in der Buchholzer Str. xx, VH rechts (yxz) frei werden könnte. Auf diese Wohnung möchte mich mich gerne als Mieter und dann Mitglied der Genossenschaft bewerben.
Zu meiner Motivation: Seit 1999 lebe, arbeite und wohne ich in Prenzlauer Berg und habe mich seitdem an vielen Projekten und Initiativen beteiligt, diese teilweise sogar mit aufgebaut. Ich bin in diesem Stadtteil gut vernetzt, habe mich im Gemeinwesen (Helmholtzplatz) und in der Kommunalpolitik (BVV) engagiert und würde sagen, dass ich mich hier zu Hause fühle.
In der Bremer Höhe wohnen (oder wohnten) einige meiner engsten Freunde (Jutta W., Torsten L., Kerstin H.) sowie eine ganze Reihe weiterer Bekannter. Mit Blick auf die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist das Wohnen in einer Genossenschaft nicht nur zeitgemäß, sondern ein zukunftsfähigkes Konzept. Dazu zähle ich die demokratischen Prinzipien, die Überschaubarkeit und die Möglichkeiten, mitzubestimmen und Verantwortung zu übernehmen. Weil ich von diesem Konzept überzeugt bin, bin ich auch bereit, mich in die Genossenschaft einzubringen und mich an Aktionen und Vorhaben zu beteiligen und Verantwortung in Gremien oder bei Projekten zu übernehmen.
Da ich davon ausgehe, auch den Rest meines Lebens in Prenzlauer Berg zu verbringen, wäre die Wohnung, auf die ich mich bewerbe, auch deshalb ideal, weil die Lage Hochparterre und der Zugang zum Hof und die räumliche Nähe zu Freunden und Bekannten wichtige Punkte sind, die gewährleisten, dass ich auch im hohen Alter, sollte ich dieses erreichen, dort gut werde wohnen können.
Den Genossenschaftsanteil kann ich bei Fälligkeit stellen, die pünktliche Zahlung der Miete ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich selber würde mich als sozialverträglicher Mieter bezeichnen und bin bisher immer gut mit meinen Nachbarn ausgekommen. Ich würde mich freuen, wenn mich die Genossenschaft als neuen Mieter und Genosse aufnehmen würde. Vorher würde ich mir die Wohnung natürlich genau ansehen wollen und dann müssen wir über die Mietkosten und den Mietvertrag reden.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
s.
[Abbildung] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bremer_H%C3%B6he_Seitenstra%C3%9Fe.jpg
[Prepaid Döner] Da war ich vor vielen Jahren das erste Mal mit meiner neuen Freundin Bettina bei meinem Stamm-Döner, wir holten und noch jeweils ein Bier und einen Kebab für den Weg nach Hause. Als wir draußen standen, fragte Bettina mich: "Sag mal, musst Du hier nichts bezahlen?" Und so erfand ich die Geschichte, dass ich vor einigen Wochen 100 Mark hinterlegt hatte und dass meine Einkäufe so lange abgezogen werden, bis das Konto aufgebraucht ist. "Wirklich?", fragte sie mich. "Wirklich!", sagte ich und sie glaubte es mir. Am nächsten Tag war ich beim Döner-Mann und ich erklärte ihm unser neues System und er sagte nur: "Kein Problem, mein Freund!" Das war sehr gut, denn egal wie abgebrannt ich war, bei meinem Döner-Freund bekam ich immer noch was.
[Prepaid Suppenküche] Im Kaffee Bankrott war es genauso. Spätestens Mitte des Monats waren alle klamm und wollten anschreiben lassen, weil die Soli-Kohle nicht gereicht hat. Und dabei waren die Beträge schon symbolisch. 50 Cent für einen Kaffee, Mittagessen ab 1 €. Für arme Menschen eben. Doch das Eintreiben der Schulden war immer eine Tortur, und einige blieben deshalb sogar weg. Bis ich auf die Idee kam, ein Guthaben-System einzuführen. Und das ging so: Wenn die Leute Geld hatten, konnten sie uns das geben und bekamen 20 Prozent dazu angerechnet. Wer also beispielsweise gerade 20 Euro hatte und diese einbezahlte, konnte für 24 Euro Essen und Trinken. Das System wurde prächtig angenommen, das elende Anschreiben war beinahe spurlos verschwunden, in der Kaffee-Kasse hatten wir immer Geld und alle waren zufrieden. Ob das heute immer noch so ist, ich weiß es nicht.
[Prepaid Auto] Mit Hilfe eines Vergleichsportals hatte ich für meine Schottland – Reise ein wirklich gutes Angebot für einen Mietwagen abgeschlossen, die Summe wurde schon frühzeitig von meinem Konto abgebucht. Vor Ort in Edinburgh wurde ich noch dies und das und jenes gefragt, und am Ende sah ich, dass noch weitere Summen von meinem Konto abgebucht worden sind. Damit war ich natürlich überhaupt nicht einverstanden und habe mächtig protestiert. Am Ende habe ich tatsächlich nur den vereinbarten Betrag gespart: Denn Prepaid ist Prepaid.
[Prepaid Telefon] Auch die meisten Telefonanbieter verhalten sich wie Räuber und Wegelagerer. Da haben sie einmal ein funktionierendes Netz installiert und glauben dann, ihre Kunden ausnehmen zu können wie eine Weihnachtsgans. Dagegen muss mensch sich natürlich wehren und das Geld zurückfordern oder andere Kosten in Rechnung stellen oder was auch immer. Und dann bleibt auch noch die Option, gleich auf prepaid-tarife.com zurückzugreifen. Geld einzahlen und so lange konsumieren, bis das Guthaben verbraucht ist. So wie ich damals im Döner-Laden. Aber da stimmte wenigstens das Preis-Leistungs-Verhältnis.
Berlin, 05.01.2012
Stefan Schneider
[Prepaid-Abbildung] Telus-Prepaid. Quelle: WikiCommons
[Ghostwriting per Maschine] Die Internetwissenschaftlerin Mercedes Bunz berichtet in ihrem neuesten Buch aus dem Jahr 2012 Die stille Revolution von dem Programm Stats Monkey, das in der Lage ist, eigenständig Texte zu verfassen. Als Beispiel wird die schon jetzt von einer Zeitungsredaktion angewandte Möglichkeit benannt, standardisierte Fußballberichte in kurze Zeitungsmeldungen umwandeln. "Der in der zweiten Halbzeit eingewechselte Meier nutzte 8 Minuten vor Schluss die Gelegenheit, für die Heimmannschaft auf 1 : 3 zu verkürzen." Diesen Satz könnte ein Mensch geschrieben haben, aber eben auch ein Computer, der mit den entsprechenden Daten gefüttert worden ist. Das ist keine wirklich neue Idee, denn bereits 1966 entwickelte der Informatiker Joseph Weizenbaum sein berühmtes Programm ELIZA, von dem viele dachten, es wäre ein wirkliches computergesteuertes Psychotherapieprogramm. Benutzer: „Ich habe ein Problem mit meinem Vater.“ ELIZA: „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie!“ Dabei arbeitet das Programm nur nach dem Prinzip, Aussagen des menschlichen Gesprächspartners in Fragen umzuformulieren und so eine Reaktion auf eine Aussage zu simulieren. Die Idee der Umformung ließe sich auch weiter denken. Stellen wir uns vor, von Menschen programmierte Roboter mit Kamera, Mikrofon und Geruchssensoren würden in einer Großstadt losgeschickt werden, um, orientiert an den journalistischen Grundfragen: Wer, Was, Wann, Wo und Warum alles aufzuzeichnen, in Meldungen zu verwandeln und an eine Redaktion zu senden: Der Grafiker Frank D. aus P. hat am vergangenen Dienstag gegen 14:11:42 MEZ bei Konnopke (52°32′25,8″ N, 13°24′43,8″ O ) eine Curry Pommes Rot Weiß [Currywurst ohne Darm mit einer Portion Pommes Frites und Ketchup und Mayonnaise] bestellt. Als Grund gab er an, er würde "voll Kohldampf schieben".
[Ghostwriter aus Fleisch und Blut] Das o.g. Beispiel macht deutlich, dass es immer noch Menschen braucht, die Texte lesen und überhaupt erst lesen wollen, und dass es eben die Leser sind, die darüber entscheiden, welche Texte Sinn machen und welche nicht. In sozialen Netzwerken würde es sogar nützlich sein zu wissen, wo man einen Menschen aus dem Bekanntenkreis antreffen könnte. Die Regel wird aber eher sein, dass Texte zu bestimmten Zwecken erstellt werden: Um sein eigenes Wissen zusammen zu fassen, um eine bestimmte Gruppe über ein Thema zu informieren, um zu unterhalten, um eine Frage zu beantworten oder ein Problem zu bearbeiten. Und auch wenn es im Internet auf einer Blogseite möglich ist, Texte ohne besonderen Grund zu publizieren, ist es in der Regel ein konkreter Anlass, zu dem ein Text erstellt werden muss. Auch das kann sehr unterschiedlich sein: Um ein Projekt zu starten oder abzuschließen, wegen einer Prüfung oder einer Untersuchung, zu einer Tagung oder für ein Jubiläum oder eine andere Feier, oder für ein konventionelles Publikationsvorhaben. Bisher konnten sich nur ganz wenige Privilegierte Redenschreiber leisten. Heutzutage ist es mit der Internetplattform www.lass-andere-schreiben.de möglich, dass die, die etwas zu schreiben haben und diejenigen, die schreiben können und auch schreiben wollen, zusammen kommen und - sofern sie sich über eine Preis einig werden - gemeinsam Projekte realisieren können.
[Schreiben und schreiben lassen] Die Zusammenarbeit mit Hilfe des Portals ist einfach und übersichtlich: Wer etwas zu schreiben hat, stellt ein Angebot ein und sollte möglichst genau präzisieren können, was für Erwartungen an den Text gestellt werden und welches Niveau erwartet wird. Wer etwas schreiben kann, kann sich wiederum auf passende Angebote bewerben. Auch Referenzen und Qualifikationen können dargestellt werden, und selbstverständlich gibt es auch ein Feedback- und Bewertungssystem. So kommen Menschen zusammen und nützliche Texte entstehen. Moderne Ghostwriter. Und mit Hilfe moderner Technik wird Textarbeit wieder etwas, was es schon immer war: Eine Gemeinschaftsproduktion.
Berlin, 03.01.2012
Stefan Schneider
[Erklärvideo] http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=ASLVhaN-_hQ
[Abbildung] Die Mechanische Ente von Jaques de Vaucanson (1738, France), Quelle: WikiCommons
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:MechaDuck.png