Berliner Stadtstreicher kämpfen um ihre Bleibe
Von Katrin Rüter
Als die letzten verschlafenen Zugreisenden in der Nacht zu Dienstag durch die fast leeren Gänge des Bahnhofs Zoo strebten, bot sich ihnen in der Haupthalle ein ungewöhnliches Spektakel. Etwa 100 Obdachlose hatten sich dort zu einem "sleep-in" versammelt. Die Besetzer forderten den freien Zugang zu allen öffentlichen Gebäuden. Zahlreiche Straßenmusikanten unterstützten das Mitternachts-Happening. Liedermacherin Bettina Wegener kam eigens mit ihrer Klampfe und sang den Demonstranten Mut zu. Diese prosteten derweil den verwunderten Fahrgästen mit einer Dose Bier zu. Nach zwei Stunden beendeten Beamte des Bundesgrenzschutzes und der Polizei die Aktion. Sie trugen die Demonstranten auf die Straße.
Etwa 8000 nichtregistrierte Obdachlose suchen Nacht für Nacht eine Bleibe im Warmen. Nur etwa 600 Plätze in Notunterkünften bietet die Hauptstadt. Sinkt das Thermometer unter den Gefrierpunkt, lassen Meldungen über erfrorene Stadtstreicher nicht lange auf sich warten. "Wir sind auf warme öffentliche Orte angewiesen. Doch Schutzsuchende werden regelmäßig von Sicherheitsdiensten verjagt und mit Hausverboten belegt", klagt Stefan Schneider von der Obdachlosenzeitung "Strassenfeger", die zu der Aktion aufgerufen hatte.
"Am Bahnhof Zoo war das früher anders. Nur wer Fahrgäste angepöbelt oder eine Straftat begangen hatte, wurde verjagt", erinnert sich Uwe (44), der seit knapp acht Jahren auf der Stra§e lebt. Seit zwei Jahren glänzt der ehemals berüchtigte Schmuddel-Bahnhof in hellem Licht. Edle Metall- und Stein-Verkleidungen haben die Patina aus Christiane-F.-Zeiten abgelöst. Obdachlose und Drogensüchtige werden nicht mehr geduldet.
"Ein Bahnhof ist keine Sozialstation", sagt die Bahnhofsmanagerin Barbara Kraßke: "Wir können nicht die sozialen Probleme der Stadt lösen." "Das verlangt auch niemand. Das einzige dringende Problem der Obdachlosen ist, einen warmen Platz zu finden. Für einen ,sauberen Bahnhof' werden Treber tagsüber und nachts in die Kälte geschickt", sagt Mitinitiator Carsten Dannel. "Bahnhöfe sind für Reisende da, nicht für Obdachlose", kontert Marlene Schwarz, Sprecherin der Bahn-AG. "Obdachlosen werden aber notfalls vom Bahnhofspersonal Plätze in Notunterkünften vermittelt."
Auch im Hauptbahnhof Leipzig, im November vergangenen Jahres mit noblen "Center-Promenaden" und 140 Geschäften auf drei Etagen im Bahnhofsbereich eröffnet, werden Stadtstreicher nicht geduldet. Sicherheitsdienste verwehren Obdachlosen gnadenlos den Zutritt. "Um 23 Uhr werden die Promenaden geschlossen. Dann ist nur noch der Zugangsbereich zu den Bahnsteigen offen", sagt eine Center-Mitarbeiterin.
Im Hauptbahnhof in Frankfurt am Main haben "Penner" ebenfalls keine Chance: Mehr als 100 Videokameras überwachen jeden Winkel des Gebäudes. "Früher galt der Bahnhof als sozialer Brennpunkt der Stadt. Die sogenannte B-Ebene mit der Einkaufspassage war Tag und Nacht voller Obdachloser und Drogensüchtiger", berichtet Alexander Sack vom Frankfurter Bahnhofsmanagement: "Das ist vorbei. Wer keinen Fahrschein hat, Reisende abholt oder begleitet, muß den Bahnhof verlassen."
Quelle: Berliner Morgenpost 1998 - 12.02.1998
Mitte. Ein wenig Staub wirbelten die etwa zwei Dutzend Obdachlosen gestern schon auf: Sichtlich verärgert reagierten einige der Gäste des Hotels Adlon an der Straße Unter den Linden, als die Treber die Eingangshalle für wenige Minuten besetzten. In einem der teuersten Hotels der Stadt demonstrierten sie gegen das Ende der sogenannten "Kältehilfe".
In den Wintermonaten waren in den Bezirken 203 zusätzliche Betten in Notübernachtungen und 490 Plätze in Nachtcafés geschaffen worden. Seit heute sind sie wieder geschlossen. "Wir wissen nicht, wo wir hinsollen. Wir wollen uns nicht auf der Parkbank aufs Maul hauen lassen", sagt der 21jährige Sven. Er hatte sich der Aktion des Vereins "Obdachlose machen mobil (Mob)" angeschlossen. Der Verein fordert unter anderem ein "ausreichendes Angebot an ganzjährigen Notübernachtungen".
Bei der Senatssozialverwaltung kann man diese Forderung nicht verstehen. Helga Burkert, zuständig für Wohnungslosenhilfe: "Es muß keiner auf der Straße schlafen, wenn er nicht will." Dies bestätigt auch Jürgen Mark, Leiter einer Einrichtung an der Franklinstraße mit 73 Plätzen: "Jedem, der sich an uns wendet, kann geholfen werden." Aber nicht jeder wendet sich an die Behörden, haben die Beteiligten erfahren. Die Aktion im Adlon ist nach wenigen Minuten beendet. Die Polizei kommt, zwei Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz werden erstattet. Die Gruppe zieht zu einer Kundgebung auf Alexanderplatz weiter.
Quelle: Berliner Morgenpost 1999.04.01
Viele ObdachlosenblŠtter haben wirtschaftliche Probleme / Zentralisierung als Ausweg?
Von Martin Busche
Sie heißen trott-war, Parkbank oder Bodo. Statt am Kiosk sind sie in Kneipen oder U-Bahnen zu erwerben: Rund 40 Obdachlosenzeitungen soll es bundesweit geben, schätzen Experten. Viele kommen und verschwinden sang und klanglos wieder. Die genaue Zahl ist Stefan Schneider, Dozent der Berliner Hochschule der Künste, auch egal. "Es sind auf jeden Fall zu viele", glaubt der Wissenschaftler, der der Berliner Obdachlosenzeitung Straßenfeger nahesteht. Ginge es nach ihm, erschiene Ende des Jahres nur noch eine bundesweite Obdachlosenzeitung. "Zentral hergestellt, dezentral vertrieben".
Sein stärkstes Argument sieht Schneider in der Kostenersparnis, die eine bundesweite Zeitung mit sich bringen würde. "Es ist billiger, eine Zeitung 100 000mal zu belichten und zu drucken, als alles 40mal zu tun", schreibt er in einem fünfseitigen Papier, das jetzt allen bekannten Straßenmagazinen zugeht.
Tatsächlich geht es vielen Magazinen ziemlich schlecht. So munkelt man in Insiderkreisen, daß das Hannoveraner Magazin Asphalt Schulden von mehr als 10.000 Mark hat, weil es sich mit seinen 15 Lokalausgaben übernommen hat. Auch in Berlin ist der Konkurrenzkampf hart. Lediglich 60.000 Exemplare vom Straßenfeger werden monatlich gedruckt, 40.000 vom Konkurrenzblatt motz. Nicht viel im Vergleich zu erfolgreichen Magazinen wie Hinz und Kunzt aus Hamburg, das alleine 120.000 Exemplare verkauft.
Kein Wunder, daß die Idee einer bundesweiten Zeitung gerade aus Berlin kommt, in Hannover unterstützt und im kleinen Odenwaldort Essen bereits umgesetzt wird. Der dortige Wohnungsloser hat sich, nach heftigen Streitigkeiten, vom Stammblatt aus Michelstadt abgespalten und versucht nun sein Glück allein. Was schwer fällt, so daß eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Straßenfeger gerade recht kommt. Neuerdings erscheinen beide Blätter unter dem Namen Straßenfeger/Loser gemeinsam. Doch viel mehr Anhänger wird Schneider nicht rekrutieren kšnnen.
Die verschiedenen Zeitungsmacher sind sich spinnefeind und überschütten sich gegenseitig mit Vorwürfen. So glaubt der Berliner Schneider, daß eine Reihe von Zeitungsmachern "journalistisch nicht weitergekommen sind und eher an ihre Interessen als an die der Obdachlosen denken". Andere, wie der Münsteraner Peter Wolter - er gibt das örtliche Blatt draußen heraus -, rügen "die schlechte Qualität vieler anderer Blätter". Er wundert sich nicht, daß die Idee einer bundesweiten Zeitung jetzt aufkommt. "Die Zeitungen sind so schlecht, daß die einfach nicht gekauft werden", glaubt er. Die unstete Arbeitsweise mancher "Hobbyredakteure" und das fehlende Know-how der Schreiber gefährdet seiner Meinung nach den wirtschaftlichen Erfolg der Zeitung und somit auch den sozialpolitischen Nutzen des ganzen Projektes. Deshalb läßt er Obdachlose lediglich als Verkäufer für sein Blatt tätig werden. Das Inhaltliche verantworten er und seine Profiredaktion alleine. "Wir machen keine Zeitung für Obdachlose", ist sein Motto, "sondern über Obdachlosigkeit".
Ähnlich arbeitet auch die Münchener Zeitung Biss - und das recht erfolgreich. Sogar Prominente wie der Fußballspieler Jürgen Klinsmann fordern öffentlich zum Kauf des Blattes auf. Verständlich, daß auch die Münchener Biss-Redaktion gegen die Idee einer bundesweiten Zeitung ist.
Auch Projekte aus Kšln, Kiel und Osnabrück wollen lieber eigenständig bleiben, als sich zu organisieren, haben sie Schneider mitgeteilt. Die restlichen Zeitungen reagieren auf ihre Weise: Gar nicht. Schneider ficht das nicht an. Er glaubt unerschütterlich an seine Idee und wird weiter dafür werben. "Die Gräben sind zwar tief", weiß er, "aber nicht unüberwindbar."
Quelle: Frankfurter Rundschau 1998, Erscheinungsdatum 20.05.1998
Rund 50 Wohnsitzlose und einige Unterstützer haben in der Nacht zu Dienstag die Eingangshalle des Bahnhofs Zoo besetzt. Sie demonstrierten für bessere Obdachlosenquartiere und mehr Wärmestuben. Außerdem forderten sie Spritzenräume für Drogenabhängige. Das Obdachlosenmagazin "Straßenfeger" und die Jungdemokraten hatten den Protest organisiert. Er wurde von einigen Künstlern unterstützt, unter anderem von der Sängerin Bettina Wegner. Gegen Mitternacht versammelte sich die Gruppe und verhinderte nach der Abfahrt des letzten Zuges, da§ die Tore des Bahnhofs geschlossen wurden. "Die Obdachlosen leiden unter den Sicherheitsdiensten", begründete Stefan Schneider vom "Straßenfeger" die Aktion. Nach seiner Schätzung leben 3.000 Berliner auf der Straße. "Wir sind keine Sozialstation", entgegnete Bahnhofsvorsteherin Barbara Kraßke. Um 1.30 Uhr war das "Sleep In" beendet. (se.)
Berliner Zeitung © G+J BerlinOnline GmbH, 12.02.1998