02.01.2007 - taz - Esther Slevogt: Überirdische Lichtstimmungen
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Der Fotograf, der durch die Realität hindurch fotografiert: Peter Woelck müsste für seine großartigen Aufnahmen eigentlich berühmt sein
und hoch gehandelt werden. Doch sein Leben beweist, dass es den verkannten Künstler noch immer gibt
VON ESTHER SLEVOGT
Eigentlich müssten diese Fotos berühmt sein und ihr Fotograf Peter Woelck erst recht. Woelcks Foto vom halbfertigen Fernsehturm am Alex zum Beispiel, um den sich ruinöse Altberliner Häuser ducken. Lange standen sie nicht mehr - bald darauf wurden sie für Walter Ulbrichts und Erich Honeckers sozialistisches Utopia, seine begradigten Straßen und sein begradigtes Geschichtsbild abgerissen. Oder das Panoramabild, das durch tausend Lampen aus dem Inneren des Palasts der Republik das gegenüberliegende DDR-Außenministerium ins Visier nimmt - inzwischen auch schon wieder abgerissen. Das sind Bilder vom Aufbau eines Berlin, das zurzeit wieder abgerissen wird.
Oder Woelcks Fotos von Bergarbeitern im Erzgebirge, deren Gesichter selbst dann noch vom Dunkel erzählen, das ihr Leben unter Tage prägt, wenn sie im Winter ihr traditionelles "Fest des Lichts" feiern. Dann Woelcks humoriges Bild einer Kolonne Leipziger Müllmänner aus den 70er-Jahren, die wie eine Popgruppe vor ihrem Müllauto posieren. Fotografien von ostdeutschen Gegenden, denen schon vor dreißig Jahren anzusehen war, dass der Sozialismus nicht wirklich ein Konzept mit Zukunft war. Und deren Tristesse Woelck trotzdem in nahezu überirdische Lichtstimmungen zu bringen verstand.
So kommt es, dass heruntergekommene Straßen und Plätze in Leipzig, wo Woelck seit 1972 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie studierte, plötzlich aussehen, als lägen sie irgendwo in Paris oder Florenz. Überhaupt das Licht auf Woelcks Bildern: Besonders intensiv scheint es einem aus den Landschaftsbildern entgegen, die manchmal wirken, als hätte hier Hölderlin höchstpersönlich seine Gedichte in Fotografie übersetzt.
Doch statt in Museen zu hängen oder in teuren Galerien gehandelt zu werden, liegen Woelcks Bilder in einer recht heruntergekommenen Ladenwohnung eines Eckhauses im Prenzlauer Berg. Hier lebt auch Woelck selbst. Und zwar unter Bedingungen, die eines Fotografen seines Formats eigentlich nicht würdig sind. Die großen Scheiben hat er mit seinen Fotos verklebt, was manchmal Vorbeikommende animiert, bei ihm anzuklopfen, um für ein paar Euro einen Ausdruck davon zu kaufen. Im Herbst hatte die Friedrichshainer Kneipe "Filmrisz" immerhin eine kleine Ausstellung mit Woelcks Leipziger Fotos aus den 70er-Jahren organisiert.
Woelck lebt nur mit einer Unterbrechung in dieser Ladenwohnung in der Kastanienallee - seit er 1982 aus Leipzig nach Berlin zurückgekehrt war, wo er 1946 geboren wurde. Zu der Unterbrechung kam es im berühmten Sommer 1989, als der gut erinnerte Sog, der die DDR schließlich aussaugen sollte, auch ihn erfasste und er in den Westen ging. Wenige Monate später war er wieder zurück.
Damals entstand auch eine bemerkenswerte Fotografie der Kastanienallee. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie auch in den Jahren vorher: klassizistische Fassaden, von den Stuck und Putz bröckelt. Am Straßenrand parken Autos aus DDR-Fabrikation. Man muss schon ganz genau hinsehen, um auf einem der Balkone die Satellitenschüssel zu entdecken. Und mitzubekommen, dass sich ein Epochenwechsel vollzogen hat.
Und Woelck, der in der DDR als Künstler und Lebenskünstler immer durchkam, einer, für den schon ein Stück Wiese - wenn man seinen Fotografien glaubt - das Paradies sein, ein Stück DDR-Landstraße zu unentdeckten Kontinenten führen konnte? Sucht Anschluss an die neue Zeit. Wird Fotoreporter bei der Boulevardzeitung Super, die Hubert Burda 1991 zusammen mit dem australischen Medientycoon Rupert Murdoch gründet. Der jedoch steigt schnell wieder aus, und nach fünfzehn Monaten wird das Blatt eingestellt. Auch Woelck steht von einem Tag auf den anderen auf der Straße und stellt fest, dass es im Kapitalismus für Paradiesvögel wie ihn keinen Artenschutz gibt.
Versuche, in der Werbung Geld zu verdienen, scheitern. Am Ende hält er sich damit über Wasser, dass er Dönerspieße und andere einschlägige Speisen für Imbissschautafeln fotografiert. Privat macht er mit dem für ihn so typischen Blick für Momente, die aus der Zeit gefallen sind, Bilder vom neuen Berlin. Von der Love Parade zum Beispiel, der er im ekstatischen Gewimmel zutiefst intime Momente abtrotzt.
Doch von seiner Fotografie kann er nicht leben. Im Rahmen eines Projekts des Arbeitsamts wird er Fotograf der Obdachlosenzeitung Straßenfeger. Bedingung für die staatliche Unterstützung ist, so wollen es damals die Berliner Sozialhilfe-Richtlinien, seine freiberufliche Tätigkeit aufzugeben. Im Gestrüpp verschiedener Förderungsverordnungen verschlechtert sich seine berufliche Lage immer weiter. Nicht aber seine Fotos: Woelck fotografiert die Obdachlosen mit dem gleichen wachen Blick für Spuren des Lebens, für das Unbeugsame, aber auch das Unglück in jedem Gesicht, der schon seine frühen Fotos von DDR-Proletariern prägt.
"Det ist sozialistischer Realismus", sagt Woelck lakonisch und schüttelt die hennagefärbten langen Locken, die ihm ein bisschen das Aussehen eines alten Glamrockers geben. Doch das beschreibt die Sache natürlich nur sehr unvollkommen. Denn Woelck fotografiert sozusagen durch die Realität hindurch und richtet sein Objektiv direkt auf die Umstände, die von ihr verborgen werden. Vielleicht aber hat der Zauber von Peter Woelcks Bildern auch damit zu tun, dass hier einer fotografiert, für den sich die Welt nur durch das Kameraobjektiv zum geschlossenen Bild fügt.
taz Berlin lokal Nr. 8164 vom 2.1.2007, Seite 25, 193
Kommentar ESTHER SLEVOGT, Rezension
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17.12.2006 - Tagesspiegel - Annette Kögel: Ein unerwünschter Akt
Bordell wollte für Kindereinrichtung Arche spenden – doch die lehnte ab
Wenn einer Geld spenden will, ist er meistens willkommen. Egbert Krumeich ging es anders. Der Bordellbesitzer und Betreiber des FKK Wellness Saunaclubs „Artemis“ in Wilmersdorf („Berlins erotischer Höhepunkt“) wollte anlässlich des Weihnachtsfestes 20 000 Euro für Bedürftige spenden. Bei zwei von sechs potenziellen Empfängern stieß Krumeich jedoch auf Ablehnung. Die Hellersdorfer Kindereinrichtung Arche und auch der Kinderring wollten seine Unterstützung nicht haben.
„Wir betreuen hier auch einige sexuell missbrauchte Mädchen und Jungen sowie Kinder, bei denen die Ehe der Eltern scheiterte, weil der Vater zu Prostituierten ging“, sagt Arche-Sprecher Wolfgang Büscher. In die von Pater Bernd Siggelkow gegründete Einrichtung in Hellersdorf kommen täglich rund 400 Kinder, in Mitte werden in Kooperation mit dem Johanniterorden rund 80 Kinder betreut.
„Durch unsere Ablehnung wollten wir auf niemanden mit dem Finger zeigen“, sagt der Arche-Sprecher , „doch Pornografie und Kinder, das passt nicht zusammen.“ Man wollte sich zudem nicht „an einer PR-Show beteiligen “ – hatte der Bordell-Betreiber doch auch die Medien zur Spendenübergabe in den Club geladen. Die Arche wies bereits ein ähnliches Angebot von „Botschaftsluder“ Djamila Rowe zurück, diese hatte Einnahmen eines Internet-Striptease-Spiels angeboten, sagt Büscher. Wenn das Bordell jedoch anonym ohne Presse überwiesen hätte, „wäre das okay, das kann man nicht verhindern“.
Das wiederum hält Artemis-Chef Egbert Krumeich für eine „Doppelmoral“. Für den früher im Sozialwesen tätigen Bordellleiter, selbst Vater, seien „leuchtende Kinderaugen das Schönste, was es gibt“. Er verstehe nicht, dass Einrichtungen über Finanznot klagen, Geld aber nicht annehmen – zumal es sich nicht um Anteile von Freiergebühren handele. „Die Spenden stammen von den 70 Euro Eintritt in den Club, und nicht jeder Gast geht ja aufs Zimmer.“ Zudem sei Prostitution legal, die Zurückweisung daher ein Akt der „Diskriminierung“. Felicitas Schirow, Chefin des Bordells „Café Pssst“ in Wilmersdorf, sagte dazu, sie würde wenn, dann privat spenden, und dass sie sich ob der Geschäftslage über die Spendensumme der Konkurrenz sehr wundere. Je 5000 Euro nahmen die Leiter der Obdachlosenzeitung strassenfeger, die Berliner Tafel, ein Behindertenschwimmclub sowie „Kindervereinigung e.V.“ im Bordell entgegen.
Indes wird weltweit vom Geschäft mit Sex profitiert. In Istanbul hofieren Stadtoffizielle die Bordellchefin, weil sie die meisten Steuern zahlt. Auch Köln meldet stetig steigende Einnahmen durch die einzigartige „Sexsteuer“ .
Annette Kögel
01.11.2006 - Journalist - Martin Jahrfeld: Almosen und Meinungsmacht
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Straßenzeitungen haben sich in vielen deutschen Großstädten fest etabliert. Doch längst nicht alle Konzepte sind erfolgreich. Manche Titel gehen an den Bedürfnissen von Lesern und Obdachlosen vorbei.
Menschen ohne festen Wohnsitz haben es schwer. Nicht nur im Alltag gegenüber Behörden und Ordnungskräften, sondern auch in den Medien. Denn das Bild, das Journalisten von Obdachlosen präsentieren, ist nur allzu häufig von Klischees gekennzeichnet. In der positiven Variante sind Obdachlose dann zumeist sympathisch-verschrobene Figuren, die sich nicht unterkriegen lassen und launigen Stoff für warmherzige Geschichte hergeben ("Harry lässt seinen kranken Hund nicht im Stich"). In der negativen Variante müssen Obdachlose hingegen meist als Sündenböcke für alle möglichen Missstände herhalten: innerstädtische Verwahrlosung, Gewaltkriminalität, Drogensucht, Bettelei, Belästigungen, Sozialbetrug.
"Eine differenzierte Betrachtung dieser Menschen und ihrer Situation ist selten. In den Medien sind die Obdachlosen entweder die netten Kerle oder die fiesen Betrüger", beobachtet Sybille Ahrendt, Sprecherin des Hamburger Straßenmagazins "Hinz & Kunzt". Die Zeitungsszene in der Hansestadt macht bei dieser Schwarzweiß-Malerei keine Ausnahme. Auch das "Hamburger Abendblatt" sowie die Boulevard-Titel "Bild" und „Hamburger Morgenpost" reduzieren das Problem der Obdachlosigkeit in der Elbmetropole gern auf emotionsgeladene Geschichten, in denen wohnungslose und andere randständige Menschen wahlweise als Alltagshelden oder als Hartz-IV-Betrüger porträtiert werden.
Alternative. Mit einer verkauften Auflage von monatlich rund 70.000 Exemplaren ist "Hinz & Kunzt" in der von Springer-Blättern dominierten Hansestadt inzwischen jedoch selbst so etwas wie eine kleine Medienmacht geworden. Die Popularität, die der 1993 gegründete Titel unter den Hamburgern mittlerweile besitzt, erleichtert die Präsentation von Perspektiven, die in den anderen Blättern kaum Platz finden.
Als beispielsweise Hamburgs damaliger Justizsenator Roger Kusch beabsichtigte, den offenen Strafvollzug in den Haftanstalten der Stadt einzuschränken, und dieses Vorhaben in den großen Blättern eher wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, machte "Hinz & Kunzt" mobil gegen die Pläne: „Das Vorhaben betrifft viele Obdachlose ganz direkt. Je weniger offenen Vollzug es gibt, desto schwieriger wird die Resozialisierung der Menschen. Mit einem Appell für den offenen Vollzug haben wir deshalb kritisch Stellung gegen den Senator bezogen", erläutert Ahrendt.
Doch auch Deutschlands erfolgreichstes Straßenmagazin kann es sich nicht immer leisten, derart engagiert und kämpferisch aufzutreten. Die finanzielle Basis des Blattes bildet ein engmaschiges, gut funktionierendes Geflecht aus Sponsoren, Anzeigenkunden und Stammlesern, deren politische Empfindlichkeiten im Zweifelsfall berücksichtigt werden wollen. Zu den Unterstützern des Blattes zählen die Hamburger Sparkasse, der Energiekonzern EON Hanse sowie 1.300 weitere gewerbliche und private Geldgeber. Auch das Lesepublikum im eher konservativ geprägten Hamburg soll nicht mit allzu extremen Positionen verschreckt werden: „Mit sozialpolitischen, primär auf Obdachlose zugeschnittenen Themen allein hätten wir sicherlich nicht diesen Erfolg. Wichtig ist eine ansprechende redaktionelle Mischung aus harten und weichen Themen", so Ahrendt. Neben kommunalpolitischen Themen und Geschichten über Obdachlosigkeit gehören deshalb auch Kulturtipps oder bunte Geschichten wie ein Porträt des W-Kochs Tim Mälzer zum Repertoire.
Ambitioniertes Profil. Das Wohlwollen eines vermögenden Sponsorenkreises garantiert dem Blatt die finanzielle Voraussetzung für eine gewisse journalistische Qualität. Chefredakteurin Birgit Müller, einzige fest angestellte Journalistin des Blattes, legt mit ihrer kleinen Crew aus fest-freien Autoren Wert auf seriöse Recherche und redaktionelles Profil. Für eine Geschichte über vernachlässigte Kinder wird deshalb auch schon mal tagelang intensiv in örtlichen Kinderheimen recherchiert - ein Aufwand, den sich selbst Tageszeitungen nicht immer leisten. Darüber hinaus sieht Müller das Blatt als Kommunikationsplattform zwischen Journalisten und Obdachlosen: Die Menschen auf der Straße bringen Ideen für Geschichten, die Journalisten recherchieren und schreiben.
Ähnlich erfolgreich wie "Hinz & Kunzt" agiert auch die seit 1991 in München erscheinende älteste deutsche Straßenzeitung "BISS" ("Bürger in sozialen Schwierigkeiten"). Gründerin Hildegard Denninger, deren Titel Monat für Monat 40.000 Exemplare verkauft, favorisiert ein anderes Vertriebsmodell als vergleichbare Blätter: Sie versucht möglichst viele Verkäufer nicht auf Provisionsbasis, sondern in Festanstellung arbeiten zu lassen, um die Identifikation mit dem Titel zu erhöhen. Inzwischen ist rund ein Viertel der 100 Stammverkäufer von „BISS" fest angestellt.
Von solch professionellen Arbeitsbedingungen können an dere Straßenzeitungsverkäufer in Deutschland nur träumen: Die meisten der 24 im Bundesverband Soziale Straßenzeitungen organisierten Blätter müssen weitaus kleinere Brötchen backen als die "Marktführer" in Hamburg und München. Häufig mangelt es an Sponsoren-Netzwerken, an überzeugenden Vermarktungskonzepten oder schlicht an redaktionellem Profil. Mit regionalen Konkurrenzkämpfen wie in Nordrhein-Westfalen, wo sich die Essener „Ruhrstadtzeitung"und die Düsseldorfer „FiftyFifty"Leser und Verkäufer abspenstig zu machen versuchten, erschweren sich viele Blätter das Leben.
Konkurrenzgerangel. Als besonders kontraproduktiv erweisen sich solche Auseinandersetzungen ausgerechnet in jener Stadt mit der vitalsten Zeitungsszene in Deutschland. Obwohl mit dem "Straßenfeger", der "Stütze" und der "Motz" in Berlin gleich drei Obdachlosentitel um die Gunst des Publikums konkurrieren, kann keines der Blätter inhaltliche Akzente in der Stadt setzen: schlecht geschrieben, lustlos layoutet und ohne thematisches Profil - die mäßige Qualität der Blätter hat sich unter den Berlinern längst herumgesprochen. Die Auflagen der Titel dümpeln dahin.
Wo journalistische Konzepte und intelligente Vermarktungsstrategien fehlen, gerät auch die soziale Aufgabe der Blätter ins Wanken. Titel, die im Lesermarkt nicht reüssieren, können auch den obdachlosen Verkäufern keine wirkliche Perspektive bieten. Wer eine längere Strecke durch das Berliner U-Bahn-Netz fährt, kann erleben, dass innerhalb einer halben Stunde drei verschiedene Verkäufer ins Abteil steigen, lustlos ihren Verkaufsspruch herunterleiern und ohne Erfolg wieder abziehen. Fahrgäste, die sich davon nicht nerven lassen, spenden eine kleine Summe, wollen aber keine Zeitung: Der Sinn der Straßenzeitung - neben der publizistischen Ambition dem Verkäufer ein Zusatzeinkommen mittels eigener Arbeit zu ermöglichen - wird dadurch ad absurdum geführt. Der Obdachlose ist wieder unversehens zum Almosenempfänger mutiert.
Beatrice Gerst, Vorsitzende des Bundesverbandes der Sozialen Straßenzeitungen, ist dennoch überzeugt, dass der Zeitungsverkauf für Obdachlose auch finanziell attraktiv sein kann. „Ein guter Verkäufer kann bei uns 500 bis 700 Zeitungen verkaufen. Die dadurch erwirtschafteten Summen sind ein attraktiver Zusatzverdienst zum Arbeitslosengeld II oder zur Rente", glaubt Gerst, die gleichzeitig als Chefredakteurin des Stuttgarter Straßenmagazins "Trottwar" arbeitet.
Für Menschen auf der Straße ist der Zeitungsverkauf gleichwohl nicht immer die attraktivste aller Verdienstmöglichkeiten: Auch Gerst weiß, dass geschickte Bettler mitunter mehr Geld verdienen können als die Verkäufer. Wer sich dennoch für den Zeitungsverkauf entscheide, dem gehe es nicht allein ums Finanzielle: "Wichtig ist, dass die Obdachlosen durch den Verkauf ein besseres Selbstwertgefühl bekommen und wieder in Kontakt mit Normalbürgern treten. Anders als die Bettler agieren die Verkaufer in Augenhöhe mit ihren Mitmenschen."
Von einem Leben auf Augenhohe mit den anderen bis hin zu normalen Wohn- und Arbeitsverhältnissen
ist es jedoch auch für die Straßenzeitungsverkäufer ein langer Weg. Der erklärte Anspruch vieler Blatter, Obdachlose wieder an Wohnung und geregeltes Erwerbsleben heranzuführen, kann nur selten in die Realität umgesetzt werden: "Einige unserer Verkäufer sind kaum in der Lage, eine eigene Wohnung zu führen. Die Erwartungen daran sollte man nicht zu hoch stecken", glaubt "Hinz & Kunzt"-Sprecherin Ahrendt.
Auch hinsichtlich der Re-Integration in das Erwerbsleben macht sich Ahrendt für ihre Klientel keine Illusion: „Die Rückkehr in reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt gelingt nur ganz wenigen Verkäufern. Wo schon qualifizierte Leute kaum noch unterkommen, sind die Chancen für unsere Leute deutlich noch schlechter."
Martin Jahrfeld
arbeitet als freier Journalist und lebt in Berlin
Unsere Antwort darauf:
DER JOURNALIST
Chefredakteurin
Ulrike Kaiser
Bennauerstraße 60
53115 Bonn
Berlin, 05.12.2006
Offener Brief an die Chefredakteurin des journalist, Ulrike Kaiser
Betr.: Artikel „Almosen und Medienmacht“ von Martin Jahrfeld in „journalist“ 11/2006'
„Schlecht geschrieben, lustlos layoutet und ohne thematisches Profil?“
Sehr geehrte Frau Kaiser,
der journalist ist nach eigener Darstellung DAS DEUTSCHE MEDIENMAGAZIN (siehe Titel). Umso mehr verwundert uns, die Macher und den Herausgeber, dass Sie Artikel wie „Almosen und Medienmacht“ von Martin Jahrfeld in „journalist“ 11/2006 in Ihrem Magazin abdrucken. Der werte Autor hat es leider nicht verstanden, das Thema gebührend zu behandeln. Er ist von falschen Voraussetzungen ausgegangen, hat schlecht bzw. gar nicht recherchiert, schwere Fehler (Wenn man nicht mal den Titel einer kritisierten Zeitung aus seiner eigenen Heimatstadt richtig schreibt!) begangen und letztendlich auch falsche Schlussfolgerungen gezogen. Der Autor schreibt beispielsweise in der Überschrift:
„Manche Titel gehen an den Bedürfnissen von Lesern und Obdachlosen vorbei.“
Was sind denn diese Bedürfnisse? Wer entscheidet darüber? Kennt Herr Jahrfeld diese? Warum nennt er sie nicht?
Weiter heißt es:
„Die Popularität, die der 1993 gegründete Titel unter den Hamburgern mittlerweile besitzt, erleichtert die Präsentation von Perspektiven, die in anderen Blättern kaum Platz finden.“
Warum sollte das so sein? Welche Perspektiven sollen das genau sein? Und:
„Das Wohlwollen eines vermögenden Sponsorenkreises garantiert dem Blatt die finanzielle Voraussetzung für eine gewisse journalistische Qualität.“
Ach so ist das! Wir dachten eigentlich, dass sich das nicht zwangsläufig bedingt.
Besonders dumm, unqualifiziert und abwertend (dank der nicht vorgenommenen Recherche!) ist die Passage, in der es um Berlin geht (die richtigen Schreibweisen lauten strassenfeger, motz und die Stütze!):
„Als besonders kontraproduktiv erweisen sich solche Auseinandersetzungen ausgerechnet in jener Stadt mit der vitalsten Zeitungsszene in Deutschland. Obwohl mit dem „Straßenfeger“, der „Stütze“ und der „Motz“ in Berlin gleich drei Obdachlosentitel um die Gunst des Publikums konkurrieren, kann keines der Blätter inhaltliche Akzente in der Stadt setzen: schlecht geschrieben, lustlos layoutet und ohne thematisches Profil – die mäßige Qualität der Blätter hat sich unter den Berlinern längst rumgesprochen. Die Auflagen der Titel dümpeln dahin.“
Woher nimmt der Autor die Frechheit, solche Dinge zu behaupten? Schlecht geschrieben? Lustlos layoutet? Ohne thematisches Profil? Die Auflagen dümpeln dahin?
Zur Kenntnisnahme:
Der strassenfeger widmet sich in jeder Ausgabe einem Titelthema, das in öffentlichen Redaktionssitzungen mit unseren freien, ehrenamtlichen Mitarbeitern diskutiert und festgelegt wird. Das jeweilige Titelthema wird im vorderen Teil jeder Ausgabe von verschiedenen Seiten beleuchtet. Dazu gehören theoretisch-philosophische Betrachtungen, sachliche Reportagen und Berichte, abwegige Aspekte ebenso wie bewusst subjektive Beiträge, die das Thema aus der persönlichen Sicht der Autoren behandeln. Diese Titelthemen sind so gewählt, dass sie den potentiellen Leser ansprechen. Dass nicht alle Artikel gleich mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet werden, versteht sich von selbst. Sonst würden unsere Autoren bei der „FAZ“, der „Süddeutschen Zeitung“ oder beim SPIEGEL arbeiten.
Ferner haben wir seit mehreren Jahren eine eigenständige Jugendredaktion, die als Kehrseiten-Team für jeweils zwei Seiten des strassenfeger verantwortlich ist und das ganz gut bewältigt.
Außerdem findet der geneigte Leser in jeder unserer Ausgaben die Rubrik „Achtung Hartz IV“, in der unsere Autorin Jette Stockfisch über aktuelle Entscheidungen, Urteile etc. zu dieser Thematik informiert. Wo gibt es das sonst in dieser Kontinuität?
Unserem Kommentator Wolfgang Mocker gelingt es regelmäßig, sich inhaltlich äußerst kompetent und auf sprachlich hohem Niveau mit der aktuellen Lage der Nation auseinander zusetzen.
Nicht zuletzt haben wir mit Andreas Prüstel einen großartigen Karikaturisten, der auch für das Satiremagazin „Eulenspiegel“ arbeitet und über Berlin hinaus bekannt ist.
Was die inhaltlichen Akzente in der Stadt angeht:
Der strassenfeger hat gerade eine der erfolgreichsten Aktionen seiner Geschichte abgeschlossen. Wir haben ein Extrablatt für das Projekt „Brandauer macht die Dreigroschenoper mit Campino am Berliner Admiralspalast“ in einer Auflage von 37.000 Stück produziert und erfolgreich vertrieben (Das offizielle Programmheft!). Der Produzent des Projekts, der renommierte Schweizer Lukas Leuenberger, und Regisseur Klaus-Maria Brandauer haben sich ausdrücklich den strassenfeger als Medienpartner dafür auserkoren. Dazu haben wir neben dem Extrablatt das Projekt Dreigroschenoper mit einer thematischen Seite über mehrere Monate auch redaktionell begleitet. Unsere Partner waren mit unserer Arbeit äußerst zufrieden.
Zu den Verkäuferinnen und Verkäufern:
Ja, es gibt diese Verkäufer, die in der Berliner U-Bahn oder S-Bahn lustlos einen Verkäuferspruch herunterleiern und erfolglos wieder abziehen. Diese Verkaufenden sind bestimmt am meisten auffällig, aber sicher nicht repräsentativ für die Gesamtgruppe der Verkäufer. Diese ist im Stadtgebiet verteilt, zum Teil auf Stammplätzen vor Markthallen und Einkaufszentren, zum Teil in Kneipengegenden und Geschäftsmeilen unterwegs, und ganz häufig werden die Kunden von den Verkäufern auch über den Inhalt der jeweiligen Ausgabe informiert.
Während in fast allen anderen Städten den VerkäuferInnen ein Standplatz zugewiesen wird, von dem sie sich nicht weg bewegen dürfen, gibt es in Berlin von Anfang an die Tradition, dass die Verkäufer selbst entscheiden können, wo und wann sie verkaufen. (Etwas Anderes wäre in Berlin auch gar nicht durchsetzbar und kontrollierbar gewesen). Und oft genug ist der Verkauf einer Zeitung auch eine Alternative zur Beschaffungskriminalität oder Beschaffungsprostitution, was auch gesehen werden muss.
Gerade der Verein mob e.V., unter dessen Dach auch der strassenfeger erscheint, bietet vielseitige weitere Angebote nicht nur für die Verkäufer an: Eine ganzjährig geöffnete Notübernachtung, einen Treffpunkt mit Essensversorgung und sozialem Beratungsangebot, ein Gebrauchtwarenkaufhaus mit Wohnungseinrichtungshilfe. Damit gerade denen unter den Verkäufern, denen es offensichtlich am schlechtesten geht, weiter geholfen werden kann, wenn sie es denn wollen. Alles das ist dem Autor offenbar nicht präsent.
Last but not least:
Unsere Auflage dümpelt aus den o.g. Gründen auch nicht dahin. Wir haben sie regelmäßig gesteigert und verkaufen momentan zwischen 22.000 und 25.000 Stück pro Ausgabe, d.h. zwischen 44.000 und 50.000 Exemplaren im Monat. Damit dürften wir auf Platz 2 bis 3 in der Rangliste der Auflagenhöhe der deutschen Straßenzeitungen liegen!
Hätte Ihr Autor ein wenig besser recherchiert, hätte er dies selbst herausfinden und der journalist einen seriösen und informativen Artikel drucken können. Leider wurde diese Chance leichtfertig vertan.
Sehr informativ wäre auch eine Grafik zu den Zeitungen, deren Auflagen und Preisen gewesen. Die Berliner Zeitungen schaffen es nämlich, obwohl der Konkurrenzkampf in Berlin so groß ist und die Stadt arm, aber sexy ist, den Preis seit Jahren bei schlappen 1,20 Euro zu halten. Davon bekommen die Verkäufer 80 Cent! Zum Vergleich: Hintz & Kunzt 1,60 Euro – Verkäufer kriegt 75 Cent.
Sehr geehrte Frau Kaiser, wir würden uns also wünschen, dass Sie die angesprochenen Dinge im journalist richtig stellen und mit Ihrem Autor darüber sprechen.
Hochachtungsvoll
Andreas Düllick
Redaktion
Dr. Stefan Schneider
mob – obdachlose machen e.V. (Hrsg.)
01.11.2006 - Querkopf - hs: taz-Geschwatz
14.09.2006 - taz: Jan Feddersen: Die unterirdischen Behelliger
Kolumnen bieten eine interessante Mixtur aus Beobachtungen, Gedankenspielchen und Motivforschungen. Manche sind witzig, hintersinnig und anregend. Andere kommen schwammig, inkonsequent halb-ironisch und ob satzbaulicher Verschachtelungen schwer leserlich daher. Je nach Thematik neigen sie zur Bedienung herrschender Klischees. Eine Stilart, die gerade bei der Behandlung sensibler Themen wie Armut voll daneben liegt. Texte dieser Art kann man zigmal durchkauen. Sie bereiten nur Magenkrämpfe, weil geistiger Dünnpfiff.
Ein Produkt solcher Machart lieferte taz-Redakteur Jan Feddersen mit der Kolumne ‘Die unterirdischen Behelliger’ in der taz-Ausgabe vom 14.September ‘06. Untertitel: ‘Sie geistern durch die U-Bahnen der Metropolen und geben sich alle Mühe uns zu nerven.’
‘Sie’ sind in diesem Fall Verkäufer von Obdachlosenzeitungen, die ihre Ware in der U-Bahn feilbieten und um Spenden bitten. Als nervig und ‘Akt der Aufdringlichkeit’ empfinden Feddersen und die anderen Fahrgäste, die er zu vertreten glaubt, diesen Auftritt. Insbesondere das Sprüchlein, das ‘Klagelied’, das die Verkäufer kundtun, ehe sie den Waggon durchschreiten. Feddersen vermutet eine professionelle Masche. Seinen Beobachtungen zufolge haben die Verkäufer/innen ein ‘perfektes Timing’ gelernt, immer seien sie mit ihrer ‘Bettlerrede’ rechtzeitig fertig, um noch mit der Zeitung und einem Kaffeebecher für Spenden umherzugehen. Durchaus mit Erfolg: Einige Fahrgäste geben gern etwas. Der Tazler gerät ins Staunen. Kunststück. Wäre dem nicht so, würde er keine Verkäufer/innen in der U-Bahn antreffen. Ganz banal.
Das Pauschal-Wir, mit dem Feddersen die Allgemeinheit der Bahnbenutzer kolumnistisch zu vereinnahmen sucht, erhält Abstriche. Nicht nur durch die Geber, sondern auch diejenigen, die nichts geben, jedoch auch nichts dagegen haben, dass sozial Schwache etwas für sich tun und auf legale Weise Geld verdienen. Hat die taz einen besseren Vorschlag, wie man Betroffenen helfen soll?
Kolumnist Feddersen taucht zur Mitte seines Berichts mit psychologischem Erhellungsdrang hinab in das Unterbewusstsein des doppelmoralischen Besserbürgertums. Ein Terrain, auf dem er sich scheinbar gern tummelt. Warum, so seine Frage, leiden ‘wir’ trotz milder Gabe unter einem schlechten Gewissen? Sonnenklar:’Man hasst die Armut, aber noch mehr die Armen, die dies kundtun.’
Man wird an das erinnert, dessen Existenz man aus der eigenen Klischeewelt verbannt hat. Echt unangenehm. Schlimm, was einem durch das bloße Erscheinen gewisser Leute angetan wird.
Außerdem, so Feddersen weiter, könne man sich der Situation nicht entziehen, müsse warten bis zur nächsten Haltestelle und derweil diese ‘Tribunale der Armut’ und ‘Wegelagerei ohne Notausgang’ über sich ergehen lassen.
Der gewissenhafte Fahrgast hat’s schwer: Er wird angeklagt, verurteilt und ausgenommen. Ein harmloser Zeitungsverkäufer: Staatsanwalt, Richter und Dieb in einer Person. Die Phantasie des taz-Redakteurs schlägt Purzelbäume. Als ‘infam’ empfindet jener das ‘Drücken auf die Tränendrüsen’, das Spielen mit ‘archaischen Bildern von Vater und Mutter’, das Spekulieren auf den Wunsch der Fahrgäste,’niemals selbst hinfällig, bedürftig und klagend’ zu werden, weshalb sie sich durch die Spende erleichterten. Gering sei der Unterschied zur Bereitschaft,’die eigenen siechenden Eltern ins Pflegeheim zu verbringen, um sich selbst nicht kümmern zu müssen.’ Diese Karten würden die ‘Armutsagitatoren’ bewusst oder intuitiv spielen, um nicht als Störer zu wirken. ‘Hilflos, stumm’ würde die Bettelei machen, fast obzön die so ausgestellte Armut erscheinen.
Halt eben wie die Wahrheit, die man nicht wahrhaben möchte.
Feddersen bestaunt die Routinierheit der ‘BettelzeitungsverkäuferInnen’. Sie erinnert ihn an ‘Büroangestellte, die ihre Ablage sortieren oder ihren Mailordner verwalten.’ Mit anderen Worten: Zeitungsverkauf ist das, was gemeinhin unter ‘Arbeit’ verstanden wird. Im Gegensatz zum Bürodienst ist diese Tätigkeit öffentlich wahrnehm- und nachweisbar.
Feddersen tendiert in eine andere Richtung: Der Auftritt der Bettelzeitungsverkäufer mache wütend, denn ‘arm kann man sein, aber nicht mit ihr (besser: damit; kleiner lekt. Tipp) kokettieren’. Es bleibe immer ein Verdacht, ob diese ‘behelligenden Aktionen’ wirklich nötig seien. Reiche der Zeitungsverkauf nicht für ein auskömmliches Leben? Scheinen sie nicht ganz froh zu sein, in der U-Bahn andere in Verlegenheit zu bringen, statt sich in Büros oder Verwaltungen ‘vom Computer ersticken zu lassen’?
Fragen, die davon zeugen, wie schwer die Dimension von Armut in dieser Gesellschaft zu begreifen ist. Vor allem, wenn sie einen selbst im Geiste längst ergriffen hat.
Der Tobak kommt noch stärker: ‘Kurzum: Genießen die womöglich das, worunter sie nicht so strikt leiden- denn Armut, nicht wahr, setzt bei uns das Gefühl des Leidens frei, der (das?) des anderen, der dies aber nicht mehr tun soll, deshalb unsere Fantasie etwas zu spenden oder es zu lassen.’
Franz Beckenbauer formulierte Ähnliches einmal in überschaubarerem Satzbau: ‘Wir sind im Inneren alles kleine Sozialdemokraten. Wir wollen, dass es keinem schlecht geht.’ Wo die Sozialdemokratie herrscht, findet sie bekanntlich den Calvinismus an ihrer Seite. Jener besagt u.a., dass nur essen soll, wer arbeitet. Wer im Büro sitzt, darf viel essen, denn er gilt heute als Schwerstarbeiter. Sein Übergewicht ist wohl verdient. Im Gegensatz zum ‘Bettelzeitungsverkäufer’, der aus dem protestantisch-sozialdemokratischen wie neoliberalen Blickwinkel automatisch der Sozialschmarotze verdächtig ist. Nicht wenigen kommt der Verkäufer gerade recht, um sich von ihm abzuheben und als etwas Besseres zu fühlen. ‘Wir’ sind unzufrieden, doch Hauptsache wir sind wer und kein bettelnder Niemand.
Diese hochnäsige Denke gedeiht auf der Schattenseite des gutbürgerlichen Gewissens. So weit reicht Feddersens sozialkritisch angehauchte Seelenschau nicht. Weil dem so ist, nimmt seine Kolumne Anleihen bei der Bauwirtschaft: Sie zementiert Vorurteile. Straßenzeitungsverkäufer werden mit Bettlern in einen Topf geworfen. Schon vergessen, dass vor 20 bis 30 Jahren alle Zeitungen auf der Straße verkauft wurden? Abfälligkeiten Richtung Bettler bzw. Ausdrücke wie ‘Bettelzeitungsverkäufer’ sollte man bei der taz sorgsamer handhaben. Man selbst schnorrt seine Leser regelmäßig via Anzeige (‘taz muss sein’) mit der Bitte um den Kauf von Anteilen an, um den eigenen Fortbestand zu sichern. Übrigens soll es unter den ‘Bettelzeitungen’ solche geben, die sich allein aus dem Verkauf finanzieren und keine Spendenaufrufe nötig haben.
Eine einzige kleine Lehre kann man den Ein- und Ausfällen des Tazlers entnehmen: Manche Verkäufer/innen halten sich zu lange mit ihrem Sprüchlein auf. Die potenzielle Kundschaft ist nicht an ihrer Lebensgeschichte interessiert. Überhaupt gilt es zu überlegen, ob feste Standorte mit regem Publikumsverkehr dem Bahnverkauf nicht vorzuziehen sind.
Ansonsten weiß die Kolumne nichts Konstruktives beizutragen. Im Gegenteil: Zum Schluss erhalten Feddersens Absonderungen einen herb sozialdarwinistischen Beigeschmack:’Eine letzte Beobachtung: Menschen, die als Einwanderer erkennbar sind, betteln nie. Sie gieren nach Erfolg. Ohne Caritas.’ Hier kotzt die linksavantgardistische Überheblichkeit neoliberal und bezeugt ihre eigene Unkenntnis. Längst werden deutsche Großstädte von Bettelbanden aus Südosteuropa überschwemmt. Man sollte die Augen schon ein wenig aufsperren beim Schlendern über die Straße. Doch, was soll man erwarten von scheuklappentragendem Bürokratentum, dessen Gesichtskreis sich auf Computerbildschirm und U-Bahn-Röhre beschränkt? Alles, nur keine Entkräftung herrschender Vorurteile und Leistungsideologien. Peinlich für die taz, die versucht, sich als Alternative zum gleichgeschalteten Mainstream der Medienmonopole zu verkaufen.
Tief ist sie gesunken, die Edellinke. Und hat den Grund immer noch nicht erreicht. Feddersens Kolumne: Ein Fass Gülle mit ein paar Tropfen sozialkritischer Gewissensforschung. Zum Wegkippen.
Ein letzter Hieb: Die Gülle ist unter der Rubrik ‘Parallelgesellschaften’ verbucht. Ein soziologischer Modebegriff. Er erweckt den Anschein, als hätten soziale Randgruppen nichts mit der alten oder neuen Mitte der Gesellschaft zu tun. Der Eindruck täuscht. Sie haben nur damit zu tun. Sie zeigen die Problemzonen der Gesellschaft, die diese gern verdrängt. Weil sie sie daran erinnern, wie verfault sie im Kern ist.
Sanitäre Pressereinigung