14.07.1998 - Berliner Abendblatt -kd- "Strassenfeger" - Eine Zeitung von
Die Zeitung "Strassenfeger" sorgt für einen kleinen Beitrag zum Lebensunterhalt und für einen um so größeren, was Unterhaltung und Information betrifft.
Friedrichshain (kd). Wer kennt sie nicht? Kein Abend im Straßencafé, kein Weg zur U-Bahn, ohne daß einer der (meist männlichen) Verkäufer vorbeikommt: "Guten Abend, der neue "Strassenfeger", für nur zwei Mark - oder ham' Sie vielleicht ne' kleine Spende über?"
Seit 1995 vom Verein "mob - obdachlose machen mobil" herausgegeben, ist der "Strassenfeger" eine monatlich erscheinende Zeitung von, aber nicht nur für Obdachlose.
Der in Berlin mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren erscheinende "Strassenfeger" ist ein selbstverwaltetes Projekt von Betroffenen. Wer beim "Strassenfeger" mitmacht, nimmt sein Leben selbst in die Hand und verläßt die passive Opferrolle: Sei es durch den Verkauf der Zeitung, durch das Schreiben von Artikeln, durch die Mitarbeit im Verein oder Aktionen in der Öffentlichkeit. Ohne Zeitungsprofis, sondern mit Menschen, die trotz ihrer Armut und/ oder ihrer Sucht, bereit sind, professionell zu arbeiten.
Von den zwei Mark Verkaufspreis gehen eine Mark an den Verkäufer oder die Verkäuferin, und die andere an den Verein. Und der beschränkt sich keinesfalls nur auf die Zeitung: Nachdem - vor allem im Winter - die Redaktionsräume des "Strassenfegers" immer wieder als Notunterkünfte genutzt werden, hat der Verein jetzt zwei Wohnungen in Friedrichshain renoviert, um Obdachlosen jeweils für ein paar Monate die Möglichkeit zu bieten, zur Ruhe zu kommen, Ämter- und Behördengänge zu erledigen, über Therapiemöglichkeiten nachzudenken oder etwas in Sachen Job, Schule oder Ausbildung zu unternehmen.
Der Verein bietet Beratungen an, und durch die gemeinsame Arbeit wird der Umgang mit Unsicherheit und Aggression geübt. Aber auch die sonstigen Aktionen sind nicht zu verachten: So wird zum Beispiel für eine Teilnahmegebühr von 180 Mark (je zur Hälfte an den Verein und den Dozenten) der Erwerb eines - nicht ganz so ernst gemeinten - "Betteldiploms" angeboten. Die Hauptfächer sind "Sitzung halten" (also korrektes Betteln auf der Straße, wobei laut "Strassenfeger" jedoch "Hunde und etwaige körperliche Gebrechen selbst zu stellen"sind), "Kirchenstich", also das schnorren bei Pastor oder Pfarrer, da Geistliche angeblich immer etwas geben, um ihren Platz im Paradies zu sichern, natürlich "Strassenfeger verkaufen", sowie diverse, ebenso spannende Nebenfächer. Und das ist, wie die Mitarbeiter des "Strassenfeger" versichern, "eine Investition in die Zukunft, denn noch betteln Sie freiwillig."
Wer den Verein mob e.V. unterstützen möchte, spendet bitte an:
mob e.V.,
Kontonummer 76 35 48 107
bei der Postbank Berlin.
Weitere Informationen gibt es unter:
Tel.: 784****
24.06.1998 - Berliner Zeitung - Andreas Kurtz: Betteldiplom für Professor -ky
Betteldiplom für Professor -ky
Nein, nicht alle Studenten werden nach erfolgreicher Verteidigung ihrer Diplomarbeiten Taxifahrer. Es gibt auch welche, die nicht soviel Glück haben.
Und was tun die Professoren dagegen – ich meine außer Taxi rufen und sich zur nächsten Demo für oder gegen mehr Dingsbums chauffieren lassen?! Die Professoren machen sich im Idealfall Gedanken, durch welches Zusatzwissen sie ihren Schutzbefohlenen den Start in das böse Leben ein wenig erleichtern können.
Leuchtendes Beispiel: Professor Horst Bosetzky, Soziologieprofessor an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege. Der Mann belegt morgen gemeinsam mit Studenten eine Zusatzausbildung, an deren Ende das "Betteldiplom" steht. Unter sachkundiger Anleitung von Fachleuten - den Verkäufern des Obdachlosenmagazins "Der Straßenfeger", die auf diese Weise zu Dozenten, also gewissermaßen Kollegen werden.
Bosetzky, der bisher eher als Krimiautor -ky" auffällig wurde, muß sich dabei in drei Pflichtfächern beweisen:
- "Sitzung halten" in der Einkaufspassage (körperliche Gebrechen und Hunde sind selbst mitzubringen, nur ein gültiger Platzverweis der Polizei befreit wirksam von diesem Fach),
- "Straßenfeger" verkaufen,
- Pfarrer zu Hause belagern und anschnorren.
Wahlfächer:
Einkaufswagenmark schnorren oder Containern (die Jagd nach dem Flaschenpfand).
Die Teilnahmegebühr in Höhe von 180 Mark wird zwischen dem persönlichen Dozenten und den Wohnprojekten des "Straßenfeger"-Trägervereins brüderlich geteilt. Für Bosetzkys Studenten ist diese Ausbildung übrigens besonders wichtig, denn viele von denen landen früher oder später sowieso auf dem Sozialamt. Allerdings hinter dem Schreibtisch.
Natürlich gibt es ihn, den Fluch der guten Idee. Ein Beispiel: Irgendein Witzbold in der Redaktion der Radiostation r.s.2 hatte die Idee, vernachlässigten "WM-Witwen" männlichen Beistand anzubieten, während die Gatten in die Röhre schauen. Das Ganze nennt sich nun leicht verrucht "Gentleman-Hotline" und schlägt voll auf seine Erfinder zurück. Bei r.s.2 hat nämlich inzwischen kaum noch ein männlicher Mitarbeiter Zeit zum Fußballgucken … Sogar die Chefs müssen mit ran, wenn die vernachlässigte Hörerin ruft.
Berliner Zeitung 24.06.1998
Stadtgeflüster von Andreas Kurtz
(email:
28.05.1998 - Westdeutsche Zeitung: Fiftyfifty bangt um Existenz
Unlautere Konkurrenz gefährdet das Obdachlosenprojekt fiftyfifty. Vor knapp einem Jahr tauchte in der Stadt ein Straßenmagezin auf, das bislang ausschließlich in Berlin vertrieben wurde. Doch dann schloss "Straßenfeger" einen Pakt mit einer bundesweit erscheinenden Obdachlosenzeitung. Seitdem macht der Print-Konkurrent den Düsseldorfern das Leben schwer. ... Bruder Matthäus ist empört. "Es werden perfide Methoden angewendet." Denn die "Eindringlinge" schrecken nicht davor zurück, die fiftyfifty-Verkäufer abzuwerben. ... "Straßenfeger" senkte kurzerhand (und trotz anders lautender Deklarierung auf dem Heft) den Abgabepreis auf eine Mark und "hat ihn damit gezielt unter unserem Niveau gehalten", so Bruder Matthäus. ... Volker Rekittke, Redakteut bei fiftyfifty, telefoniert bereits seit Tagen den "Straßenfeger"-Verantwortlichen hinterher, jedoch ohne Erfolg. Lediglich ein Fax habe er bekommen, mit dem Angebot, sich an einem bundesweiten Vertrieb von Straßenmagazinen zu beteiligen. "Dabei haben die doch schon angefangen, hier tätig zu werden", ärgert sich Rekittke. "Man bietet eine Umarmung und hält uns gleichzeitig die Pistole an den Hinterkopf."
(aus: Westdeutsche Zeitung, 28.05.1998)
BERLIN - Schlips und Anzug ließen sie zu Hause, zogen ihre ältesten Klamotten an - denn für ihr "Bettel-Diplom" wollten sie "echt" aussehen: Drei Berliner Politiker ließen sich gestern bei der Obdachlosenzeitung "Straßenfeger" zu Bettlern ausbilden.
Scheu blickt er vor sich hin, selten werfen Passanten ein paar Münzen in den Plastikbecher auf dem Bürgersteig: Für einige Stunden schlüpft Lars Liepe (Bündnis 90/Grüne) in die Rolle eines Obdachlosen. Bilanz nach einer Viertelstunde: 1,87 Mark. "Vorhin kam eine Bekannte vorbei, die geschockt fragte: 'Was machst Du hier?`. Als ich sagte, daß ich jetzt obdachlos sei, mußte sie ganz schnell weiter, hatte plötzlich kein Geld dabei", sagt der Direktkandidat in Lichtenberg/Friedrichshain für den Bundestag.
Bessere Erfahrungen macht Christian Gaebler (SPD): "Beim Betteln in der Pfingstgemeinde bekam ich einen ganzen Packen Stullen und eine Unterkunft für die Nacht angeboten." Für Bettel-Lehrer Gerald ist klar: "Der Mann ist gut. Doch Betteln ist nicht nur demütigend, sondern auch gefährlich. Einmal wurde ich von einem Messerstecher niedergestochen, kam gerade nochmal davon."
Der Dritte im Bunde, Freke Over (PDS), bekommt beim Diplom die Note Drei: "Beim ,Straßenfeger'-Verkauf in der U-Bahn hatte er Probleme", so "Ostkreuz-Wolfgang", der dem Politiker die Tips und Tricks des Bettelns beibringt.
Nach vier Stunden ist der Kurs vorbei. Karsten Krempitz vom "Straßenfeger": "Jeder kann heute in diese Lage geraten. Mit solchen Aktionen bauen wir Berührungsängste ab."
Der Kurs kostet 180 Mark, Infos: S 030/784 ** ** *.
tvh
Quelle: Berliner Kurier