01.04.1999 - Die Welt - Valerija Bacic - 25 Obdachlose wollten ein Bett im Hotel Adlon
- Protest gegen das Auslaufen der Kältehilfe
- Auf Strafanzeige wurde verzichtet
Von Valerija Bacic
In der Lobby des Hotel Adlon protestierten am Mittwoch morgen Obdachlose und ihre Vertreter gegen das Auslaufen der Kältehilfe. Nachdem ein Vordermann per Handy Laut gab, daß Hinter- und Seiteneingang geschlossen sind, marschierten 25 Männer direkt durch den unbesetzten Haupteingang. Das Hotelpersonal war von der mit Megafon und Plakaten ausgestatteten Menge mehr als überrascht. Holger König, stellvertretender Empfangschef verständigte sofort die Polizei. Einige Gäste schauten sich das Schauspiel von der Treppe an. Andere saßen mittendrin: Herr Daniel Carsten forderte sogar den stellvertretenden Empfangschef auf, die Kundgebung nicht zu stören.
Dem Sprecher von "Obdachlose machen mobil", Gerald Dunkler wurde zunächst scheinbar gewährt, ohne Megafon über ihre Forderungen zu berichten. Als aber die Polizei eintraf, nahm man sofort seine Personalien auf. Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch gäbe es nicht, teilte Hotelsprecherin Ulrike Heesch mit. Vor dem Adlon setzte Dunkler seine Ansprache fort. Die Polizei wollte auch diese Versammlung sofort auflösen. Doch Freko Over, ein PDS-Mitglied des Abgeordnetenhauses, konnte durch eine Spontananmeldung der Demonstration seine Redezeit um eine Minute verlängern.
Die Kältehilfe gewährt das Bundesland Berlin jeweils bis zum 31. März. Aus diesem Geld finanzieren die einzelnen Bezirke ihre Notunterkünfte. Wenn diese Gelder wegfallen, schließen die meisten Unterkünfte und die Menschen sind wieder auf der Straße. In seinem Entwurf zu den Leitlinien für die Wohnungslosenpolitik hat der Senat die Obdachlosen auf rund 9000 geschätzt. Dazu kommt noch eine Dunkelziffer von 2000 bis 4000 auf der Straße lebenden Menschen. Die Veranstaltung wurde gestern Mittag auf dem Alexanderplatz fortgesetzt. Die von der "Bundesbetroffeneninitiative" wohnungsloser Menschen geplante Pressekonferenz konnte jedoch nicht stattfinden. Denn alle eingeladenen Gesprächspartner, darunter Bezirksbürgermeister und die Senatorin für Gesundheit und Soziales, Beate Hübner, sind nicht erschienen. "Wir haben eine Menge Arbeit in dieses Projekt gesteckt und keine Resonanz bekommen", erklärt Heinz Czaplewski Vorstand der Initiative. Für den Obdachlosen Hans Peter Raschke ist die Sache klar: "Eine Vertreibungspolitik des Senats ist das und eine Säuberungsaktion für die Bonner. Das ist unmenschlich."
(c) DIE WELT, 1.4.1999
26.01.1999 - Berliner Kurier - kah - Bahn AG verklagte Zeitungsverkäufer
Bahn AG verklagte Zeitungsverkäufer
TIERGARTEN - "Ich verkaufe hier die Straßenzeitung..." Welchem Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel begegnet nicht täglich mindestens einer der bis zu 150 Obdachlosen, die so ihren Lebensunterhalt aufbessern. Doch wenn es nach der Bahn AG geht, soll damit Schluß sein: Sie erstattete gegen einen der Verkäufer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Gestern stand er vor dem Amtsrichter.
Vor zwei Jahren hatte Konrad G. (41) an den Fernbahnsteigen des Bahnhofs Zoo mit dem Verkauf des "Straßenfegers" begonnen. Hausherr und Wachschützer tolerierten den Verstoß gegen die Hausordnung. G., weder Alkoholiker noch Junkie: "Ich habe mich immer korrekt verhalten." Doch im Mai '97 bekam er plötzlich Bahnhofsverbot. Er ließ sich nicht vertreiben, "sammelte" 49 Anzeigen.
"Fahrgäste hatten sich beschwert, sie fühlten sich genötigt", führte Wachschützer Michael B. (36) ins Feld. G. habe "herumgelungert", ohne Reiseabsichten. Der Richter unterbrach auf Wunsch der Verteidigung den Prozeß. Die will bis Montag die Bahn dazu bewegen, die Anzeigen zurückzuziehen.
Bahn-Sprecherin Marlene Schwarz: "Fliegender Handel - womit auch immer - ist bei uns nicht gestattet." Trotzdem sei man immer gesprächsbereit. kah
Ein Service von Berliner Zeitung, TIP BerlinMagazin, Berliner Kurier und Berliner Abendblatt. © G+J BerlinOnline GmbH, 26.01.1999
23.01.1999 - taz - Uwe Rada: Und morgen? (Prozeß gegen einen Verkäufer der Strassenzeitung)
Und morgen?
Zum Prozeß gegen einen Verkäufer der "Strassenzeitung"
Man könnte jetzt, politisch korrekt, etwas schreiben über die Privatisierung und damit die Säuberung des öffentlichen Raums, über das SSS-Konzept der BahnAG (Service, Sicher-heit, Sauberkeit) oder den Versuch, die Bahnhöfe zu "Visitenkarten" der Stadt zu machen, zu Kaufhäusern mit Gleisanschluß und so weiter und so fort. Doch was hat das, wird sich Konrad G. fragen, mit mir zu tun?
Auf den ersten Blick wenig. Bislang galt der Säuberungswahn der BahnAG und der BVG vor allem Obdachlosen und Junkies. Die zahlreichen Verkäufer der Obdachlosenzeitungen blieben zumeist unbehelligt. Kein Wunder eigentlich, bestand doch die einzige Belästigung der Fahrgäste zumeist darin, mit ihrem schlechten Gewissen konfrontiert zu werden.
Daß nun die BahnAG einem dieser Verkäufer den Prozeß macht, macht wütend. Und es macht hilflos. Wütend, weil ein derartiger Mißgriff in die Verhältnismäßigkeit der Mittel die Frage aufwirft, ob nicht eher der Bahn der Prozeß gemacht werden müßte, und zwar wegen anhaltender Kundenbelästigung durch Preiserhöhungen und Verspätungen. Hilflos, weil es hier einen treffen soll, der eben nicht in den Bahnhofshallen rumhängt und Fahrgäste belästigt, sondern durch Eigeninitiative genau diesem Los entkommen will. Warum, so könnte man fragen, zeigt die BVG nicht jeden x-beliebigen Zug mit Hertha-Fans an? Eine nachhalti-gere Belästigung von Fahrgästen kann man sich gar nicht vorstellen.
Tja, warum. Konrad G. wird in der nächsten Strassenzeitung schreiben, daß er als von Obdachlosigkeit Betroffener auf den Verkauf der Zeitung angewiesen ist. Die Bahn wird es nicht scheren, obwohl auch sie, als potentiell von Pleite Betroffene, auf die Gunst ihrer Kunden angewiesen ist. Statt dessen werden die Verantwortlichen weiter an SSS-Konzepten feilen und munter Anzeigen schreiben gegen die, die man zum Problem macht, weil sie ein Pro-blem haben. Das waren zuerst die Junkies, jetzt sind es die Zeitungsverkäufer. Und morgen?
Ach ja, morgen, fast hätte man es vergessen. Morgen, das heißt in Zukunft, werden wir ja Metropole. Und übermorgen beginnt der Prozeß gegen Konrad. Na denn!
Uwe Rada
taz Berlin lokal Nr. 5743 vom 23.1.1999 Seite 23 69 Zeilen Kommentar
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30.12.1998 - Berliner Zeitung - eik - Strassenfeger heißt jetzt Strassenzeitung
Obdachlosenblatt erscheint ab Dezember überregional
Von eik.
Die 1995 gegründete Obdachlosenzeitung "Strassenfeger" heißt jetzt "Strassenzeitung". Fünf Obdachlosenzeitungen aus Berlin, Essen, Frankfurt am Main, Tübingen und Bremen haben sich in dem neuen Blatt zusammengeschlossen. Es wird seit Dezember in den Räumen des Strassenfegers in der Kopernikusstraße in Friedrichshain produziert. Die überregionale Zeitung soll alle vier Wochen zu Beginn des Monats erscheinen. Jeweils zur Monatsmitte gibt es speziell für Berlin eine Ausgabe, die sich auf lokale Themen konzentriert.
Die Auflage der Strassenzeitung beträgt 60.000 Exemplare. Das ist dieselbe Anzahl, die der Strassenfeger nach Angaben der Redaktion bisher allein in Berlin verkauft hat. "Jetzt werden wir in Berlin weniger verkaufen. So halten wir die Auflage", sagte dazu am Freitag Stefan Schneider von "mob" (Obdachlose machen mobil), dem Trägerverein der Strassenzeitung.
Auch am Preis ändert sich nichts: Die Zeitung soll nach wie vor zwei Mark kosten, wobei eine Mark dem Verkäufer zugute kommt. Schneider erhofft sich von dem Zusammenschluß, daß Obdachlose bundesweit mehr Gewicht in der politischen Diskussion bekommen. Er sieht die Zeitung als "eine überregionale Plattform für Menschen, die auf der Straße leben".
Die technische Ausstattung der Redaktionen hat sich indes nicht verbessert. An ein modernes "Intranet", mit dem die Artikel hin- und hergeschickt werden, ist bei dem Low-budget-Unternehmen nicht zu denken. Einige Texte müssen gefaxt und dann abgetippt werden. Ein Umzug der Redaktion kommt aus finanziellen Gründen derzeit nicht in Frage. Einen richtigen Vertrieb gibt es nicht. Wenn eine neue Ausgabe fertig ist, fährt ein Fahrer durchs ganze Bundesgebiet, um die Zeitung den rund 100 Verkäufern zu bringen. "Das dauert fast eine Woche, aber wir können es uns erlauben, nicht immer tagesaktuell zu sein", sagt Schneider.
Eines allerdings hat sich geändert: Das Layout ist moderner und übersichtlicher geworden. (eik.)
Berliner Zeitung
© G+J BerlinOnline GmbH, 30.12.1998