01.06.2000 - Scheinschlag - Falko Hennig: Pfui Pfarrer Pfliege
Pfui Pfarrer Pfliege
Karsten Krampitz von der strassenzeitung hat den Schlüsselroman über die Berliner Obdachlosenzeitungsszene geschrieben.
Ende Juli war es im letzten Jahr und im Fernsehen auf Pro 7 lief gerade ein Krimi über Frauenmassenmörder. Da tauchte Karsten Krampitz auf, setzte sich auf mein Sofa und trank mein Bier. Ich war auf gute Kontakte zur Presse aus, jede Rezension in jedem noch so abgelegenen Blatt hielt ich für wichtig, um meinem ersten Roman Käufer zuzuführen. Die "strassenzeitung" hieß die, für die Krampitz arbeitete, ein bemerkenswerter Name für eine Zeitung, sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtschreibung falsch geschrieben.
Ich erinnerte mich, an die Zeit, als nicht nur ich das Gefühl hatte, in Berlin gäbe es deutlich mehr Obdachlosenzeitungen als Obdachlose. Das war Wasser auf Krampitz« Mühlen, es sprudelte aus ihm heraus, unmöglich war es mir, ihm bei dem Kurzabriss über die Obdachlosenzeitungen zu folgen: Der Looser kam vom Wohnungsloser, Haz und Mob vereinigten sich zur Motz, strassenfeger wurde gegründet um Die Platte fertig zu machen. Zeitdruck gebe es immer noch. Auf den Zeitungsmessen frage er immer die verschiedenen Kollegen: "Und bei welcher Zeitung sind wir dieses Jahr?" Auch bei der Aufzählung der verschiedenen Feindschaften konnte ich ihm nicht richtig folgen, fragte aber dann: "Kann es sein, dass diese unübersehbare Fülle von Obdachlosenzeitungen von vier, fünf Personen betrieben wurde?" Krampitz lachte sich halbtot, aber genauso wäre es. Als ich ihm dann von meinem Plan zu einem Roman über das Zeitungswesen erzählte, erfuhr ich, dass er sogar schon einen geschrieben hatte. Er wäre in Verhandlungen mit Eichborn und dieser Roman wäre "Motz" ein Schlag in die Fresse. Dann musste er schon weg, ein Punk sei von Faschos vor eine S-Bahn geschubst worden, Arm und Bein ab, Niere auch hin. Er müsse das Interview abschreiben.
Später dann erfuhr ich, dass es mit Eichborn leider nicht geklappt hätte, aber dafür sei jetzt die Buchpräsentation vom Karin Kramer Verlag. Dazu kann man Krampitz beglückwünschen, doch kriegt er bei Kramer wohl ungefähr 10 000 Mark weniger als bei Eichborn, das eine reine Schätzung.
Nun also hatten wir am 29. Mai die Vorstellung des Büchleins, im Kaffee Burger. "Affentöter" heißt das Werk und soll 23 Mark kosten. Das Layout ist bescheiden, ich weiß nicht mit welcher Drucktechnik sie diesen Tintenstrahleffekt hinkriegen. Trotzdem habe ich es an einem Tag verschlungen, seine Durchlaucht Krampitz beherrscht durchaus das Handwerk des Schreibens, dazu sozusagen Journalistenschnurren mit Prominenten wie Jürgen Fliege oder Inge Meysel.
Also an dieser Stelle eine Empfehlung ohne Einschränkung: Wer wenigstens ein bisschen wissen will, was es mit jenen eigenartigen Typen auf sich hat, die in der U-Bahn sagen: "Entschuldigen Sie die Störung, aber ich bin obdachlos, HIV-positiv, eine Mark geht an den Verkäufer!", dann bekommt man im Affentöter etwas Aufklärung.
Aber auch nicht zuviel, Asphalt und Crux heißen die Zeitungen im Roman. Und bei Jürgen Fliege muss ich hier verkünden, was ich da neulich gehört habe. Der geschätzte Kollege Hinnark Husen vom echten "Salbader" war es, der genau wusste, dass der unsympathische Fernsehpfarrer mit einem großen Korb voller gehäkelter Topflappen in seinem Büro aufgetaucht sei mit den Worten: "Das passiert, wenn Frauen ab 40 nicht mehr gefickt werden." Pfui Pfarrer Pfliege!
Falko Hennig
04.02.2001 - Tagesspiegel - Tür an Tür mit früheren Obdachlosen
In der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg entsteht ein ungewöhnliches Wohnprojekt / Ein Haus als Spende
Noch sieht das Haus in der Oderberger Straße 12 in Prenzlauer Berg ziemlich trostlos aus. Doch in gut zwei Jahren sollen hier die Mieter und 20 ehemalige Obdachlose in sanierten Räumen wohnen. Der Verein "mob - obdachlose machen mobil" will das Haus mit Hilfe des Landes Berlin und der Muskelarbeit von Obdachlosen sanieren. Das ungewöhnliche Projekt kostet rund 3,8 Millionen Mark: 85 Prozent werden je zur Hälfte als Zuschuss und Darlehen vom Land gezahlt. Die restlichen 700 000 Mark sind in Eigenarbeit zu leisten.
Die Idee stammt von der Spandauerin Marola Lebeck. Beim Lesen einer Obdachlosen-Zeitung blieb ihr Blick an einem Projekt im Odenwald hängen. Dort hatten Obdachlose ein Haus gemietet und in Schuss gebracht. Ob das in Berlin möglich wäre, fragte sie sich und wer bereit sei zu dieser Herausforderung. Sie nahm Kontakt auf zu mob und bot ihr erst im Sommer 1998 rückübertragenes Haus in Prenzlauer Berg an. Trotz anfänglicher Skepsis kam der Stein ins Rollen, berichtet Lebeck. Der Pachtvertrag mit mob ist unterzeichnet und auf 50 Jahre festgeschrieben. Angetrieben wurde Lebeck von dem Wunsch, etwas zu geben "von Mensch zu Mensch in dieser kalten Zeit".
Die Resonanz unter den Obdachlosen auf das Wohnprojekt ist gut, sagt mob-Vorsitzender Stefan Schneider. Fünf Personen beteiligen sich schon jetzt am Räumen des Hofes. Neue Anfragen gebe es jeden Tag. Bleibt auch für ihn die Frage, wie viele durchhalten bis zum April 2003. Denn es gelten klare Regeln auf der Baustelle: kein Alkohol und ein gewisses Maß an Disziplin. Lohnen wird sich die Mühe auf jeden Fall.
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/03.02.2001/ak-be-be-11686.html
20.07.2000 - Tagesspiegel Berlin - Isobel Merchan: Obdachlosenzeitungen. Draußen vor der Tür
Seit Anfang der 90er Jahre gibt es sie, und jeder Stadtmensch kennt sie - Straßenmagazine. 42 gibt es inzwischen bundesweit. Allein 18 Magazine wurden in den letzten drei Jahren gegründet. Zusammen kommen die Straßenmagazine auf eine verkaufte Auflage von rund einer Million Exemplaren pro Monat. Klingt nach viel, doch Straßenmagazine verlieren derzeit drastisch an Auflage. "Die Gesamtauflage ist seit 1998 um zehn bis 15 Prozent gesunken", sagt Angela Strobbe vom "Bundesverband Soziale Straßenzeitungen". Vorerst vorbei sind also die Zeiten der Traumauflagen. "Hinz & Kunzt" aus Hamburg erreichte vor rund vier Jahren noch eine verkaufte Auflage von monatlich 100 000 Exemplaren. Jetzt sind es gerade noch 75 000. Von dieser Entwicklung sind alle Straßenmagazine betroffen, und daran ändert auch der traditionell gute Umsatz zu Weihnachten nichts - zu einer Zeit also, in der Menschen ihre saisonale Spendenbereitschaft entwickeln.
Gründe für schwindende Auflagen sieht Angela Strobbe in der veränderten Medienlandschaft und der Fülle von Zeitungen, die derzeit auf dem Markt sind. Konkurrenz bekommen die Straßenmagazine auch von den Gratiszeitungen, die in Innenstädten und vor den Eingängen der U-Bahnhöfe verteilt werden - da, wo auch Obdachlose ihre Blätter anbieten.
Übersättigung und Desinteresse bei den Lesern macht "Hinz & Kunzt"-Chefredakteurin Birgit Müller aus: "Das Sozialinteresse hat einfach nachgelassen". Vor allem die Verkäufer bekommen das zu spüren. Ihnen und ihrem Produkt schenkt keiner mehr so richtig Aufmerksamkeit. Entsprechend verschwunden ist die Motivation vieler Verkäufer, die Magazine überhaupt noch unter die Leute zu bringen.
Tatsächlich ist Verkäufermangel ein großes Problem für Straßenmagazine. Rund 400 registrierte Verkäufer hatte die Stuttgarter "Trott-War" noch vor zwei Jahren. Jetzt sind es gerade noch hundert, zwei Drittel davon Stammverkäufer.
Die Euphorie der Anfangszeit ist vorbei
Erklärungsversuche für den Verkäufermangel gibt es viele. "Die Euphorie der Anfangszeit ist vorbei, viele Obdachlose sind resigniert", sagt Birgit Müller. Denn "die Hoffnungen, die man anfangs mit den Straßenmagazinen verband, haben sich nicht erfüllt." Als Ende 1993 die ersten Straßenmagazine in Deutschland starteten, löste das einen regelrechten Gründungsboom aus. Es entstand eine Bewegung, von der viele Obdachlose hofften, sie könne die Gesellschaft auf Armut und Obdachlosigkeit aufmerksam machen und Diskussionen in Gang bringen, an deren Ende gar Lösungsansätze für diese Problem stehen könnten. Zwar haben viele Verkäufer der Anfangszeit über die Straßenmagazine Wohnungen bekommen und über den Verkauf den Einstieg in andere Jobs geschafft. Mehr aber auch nicht.
Dass die fehlende Attraktivität hausgemacht sei, glaubt dagegen Hildegard Denninger, Geschäftsführerin von "Biss", dem laut Denninger bundesweit einzigen Straßenmagazin, das nicht an Auflage und Verkäufern verliert. Das liege an der guten Verkäuferpflege von "Biss", glaubt sie. "Die meisten Straßenmagazine verwenden zu wenig Geld für die Verkäufer und die konkrete Einzelfallhilfe", ist ihr Vorwurf.
Wichtig sei es, den Verkäufern Perspektiven zu bieten, die über das reine Geldverdienen hinausgehen. Seit 1998 stellt "Biss" Verkäufer fest ein, zwölf haben inzwischen einen festen Vertrag. Durch den Verkauf von monatlich rund 1200 Zeitungen verdienen die "Biss"-Verkäufer 80 Prozent ihres Gehalts (1600 Mark). Die Differenz zwischen Verkaufserlös und Gehalt zahlt das Magazin. Zur finanziellen Entlastung sucht "Biss" nun Paten, die die Differenz tragen. Mit Rudolph Moshammer hat Denninger bereits einen Paten gefunden.
Hausgemachte Probleme
Kritik übt Denninger auch an den ihrer Meinung nach nicht veröffentlichten Bilanzen vieler Straßenmagazine. Diese fehlende Transparenz sorge für Vertrauensverlust bei Verkäufern und Käufern. "Wir veröffentlichen unsere Bilanzen", kontert Dieter Redenz, Vorstand des "Bundesverbandes Soziale Straßenzeitungen" und Vertriebschef von "Hinz & Kunzt". Für Redenz ist das Problem die Motivationslosigkeit der neuen Verkäufergeneration. "Unter den Verkäufern sind heute viele, denen es reicht, ein paar Zeitungen zu verkaufen und schnell an Geld zu kommen." Ihm pflichtet Ulrich Rennpferdt von der Celler Lokalredaktion des "Asphalt-Magazin" aus Hannover bei. Er attestiert den Verkäufern von heute "wenig Durchhaltevermögen".
Das dürfte allerdings auch an den schwierigen Verkaufsmöglichkeiten in den einzelnen Städten liegen. "Durch die Expo und die starke Polizeipräsenz in der Stadt hat sich der Pool unserer Verkäufer deutlich verringert", stellt Michael Prössel vom "Asphalt-Magazin" fest. Der für die Expo umgebaute Hauptbahnhof von Hannover ist inzwischen für die Verkäufer verbotenes Terrain.
In anderen Städten ist der Nahverkehr für die Verkäufer schon längst tabu. Ihnen bleiben nur die Innenstädte, und auch dort wird es immer schwieriger, die Zeitungen loszuwerden. Unlängst schlossen sich Hamburger Kaufleute zusammen, um vermeintliche Bettler aus der City zu vertreiben. Auf Betreiben von "Hinz & Kunzt" wurde eine Regelung gefunden, die Verkäufer dürfen das Blatt weiter in der City feilbieten.
Die große Frage bei den Straßenmagazinen lautet derzeit schlicht: Was tun? "Trott-War" will mit einer Kampagne neue Verkäufer werben. Informationsmaterial über den Verkaufsjob wird gerade an Wohnprojekte und soziale Einrichtungen verteilt. "Außerdem machen wir Veranstaltungen, um Leute zum Beispiel über die Zuverdienstmöglichkeiten zu informieren", sagt Geschäftsführer Uwe Hopf. Einen anderen Weg schlägt "Hinz & Kunzt" ein. Das Blatt hat gerade einen Relaunch hinter sich, will attraktiver werden für die Leser. Das Rezept: Farbdruck, mehr Seiten und eine veränderte thematische Gliederung. Seither hat das Magazin rund 6000 Exemplare mehr verkauft. Ein neuer Trend ist auch die Internet-Präsenz vieler Magazine. Ob das die Magazine aus ihrem derzeitigen Tief herausbringt, wird sich zeigen.
http://www.tagesspiegel.de/magazin/medien/Medien;art290,2144134
01.04.2000 - junge Welt - Karsten Krampitz: Obdachlose stürmten Berliner Nobelhotel
Von Karsten Krampitz
»Aber natürlich können Sie sich bei uns bewerben. Im Küchenbereich suchen wir sogar Hilfskräfte, dringend!« Manfred Nissen, Geschäftsführer des Kempinski, wirkt sichtlich irritiert. Gerade eben ist sein Etablissement von 50 Leuten gestürmt worden, darunter 30 Obdachlose. Zwei von ihnen nutzen im Chaos die Gelegenheit zum Bewerbungsgespräch. Nissen, anfänglich eher ungehalten, zeigt Contenance. »Herrschaften, ich bitte Sie. Wir sind doch keine Kirche.«
Unter dem Motto »Es sind noch Betten frei!« hatte das Obdachlosenmagazin strassenzeitung in Berlin für Freitag vormittag zur Besetzung des Kempinski aufgerufen. Die parteiunabhängigen Jungdemokraten und die libertäre Gewerkschaft FAU-IAA schlossen sich an. Grund des Aufruhrs: das alljährliche Ende der sogenannten Kältehilfe. Mit dem 31. März schlossen in der Hauptstadt elf der 21 kirchlichen Notübernachtungen, die ohne Ausnahme von den Bezirksämtern finanziert werden. Standen bis dato für - nach Senatsschätzungen - 2 000 bis 4 000 »auf der Straße lebende Menschen« wenigstens 347 Betten bereit, so sind es mit dem 1. April nur noch 162 Plätze. Ende diesen Monats werden auch die übrigen Einrichtungen der Vergangenheit angehören. Nicht unerwähnt bleiben sollen die sogenannten Nachtcafés, von deren 20 gleichfalls zehn ihren Betrieb einstellen. Nur dem Namen nach erinnern sie an gepflegtes Ambiente. In der Regel schlafen die Unbedachten dort auf Iso-Matten. Und das auch nur einmal pro Woche, weil sich die das Projekt tragenden Kirchen abwechseln.
»In Notunterkünften sind Obdachlose nicht nur vor Kälte, sondern auch vor den Repressalien privater Sicherheitsdienste und der Gewalt von Neonazis geschützt«, so Marek Voigt, Landesvorsitzender der JungdemokratInnen/Junge Linke. »Mit der Aktion wollen wir auf die zunehmende Ausgrenzung Obdachloser aufmerksam machen und mehr Unterstützung für selbstverwaltete Notübernachtungen fordern.«
Mittlerweile sind Hotel-Happenings bei der strassenzeitung (deren Notübernachtung nicht einen Pfennig staatlicher Zuschüsse erhält und trotzdem geöffnet bleibt) ein lieb gewordener Brauch. Aus gleichem Anlaß haben die Akteure im vergangenen Jahr das Adlon-Hotel besucht. Für immerhin 15 Minuten hielten sie medienwirksam das Foyer besetzt. Gestern war die Polizei zwar schneller vor Ort, doch erst nach 20 Minuten konnte sie die Störer aus der Halle drängen. Besondere Verdienste erwarb sich dabei der Portier. Der Mann erstattete erst Anzeige wegen Beleidung - er sei »Penner« gerufen worden - und eine halbe Stunde darauf, die Besetzung war längst beendet, glaubte er sich an Gewalttätigkeiten zu erinnern. Der Beschuldigte, namentlich Oliver Liga (obdachlos, Gewichtsklasse unter fünfzig Kilo), kam umgehend in staatliche Obhut und erst zum späten Nachmittag frei. Alles in allem gab es drei Anzeigen (Hausfriedensbruch etc.) und zwei Festnahmen. Wie eingangs erwähnt, haben aber tatsächlich zwei Wohnungslose eventuell einen Job gefunden. Was für ein Tag!