Mit dem strassenfeger beim Gipfel/AlternativGipfel

Bereits im April setzte sich der strassenfeger in einer thematischen Ausgabe mit dem Titel Keine Macht dem G8 ausführlich mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm auseinander. Um nicht in der allgemeinen Berichterstattung unterzugehen, hat die Redaktion überlegt, früher als andere dieses Thema zu bearbeiten. Aus den Diskussionen dieser Zeit reifte die Überzeugung, dass wir uns selbst einbringen wollten – friedlich und gewaltfrei. Die Proteste zum Gipfel würden ein Forum vieler Kritiker und alternativ denkender Menschen, Gruppen und Initiativen sein, und es wäre wichtig, das Thema Wohnungsnot und Armut zu thematisieren.

Belagerter Zaun vor Heiligendamm mit Wasserwerfern am 07.06.2007. Foto: Dan Ghattas

Gefördert durch den Katholischen Fonds und den Paritätischen Wohlfahrtsverband machte sich eine Gruppe von acht Menschen aus der Redaktion, darunter auch Verkaufende vom strassenfeger mit einem Leihwagen auf dem Weg, um sich von Mittwoch bis Freitag am Alternativ-Gipfel zu beteiligen. Die Polizeipräsenz am Ankunftstag der Regierungschefs war – ab Rostock-Laage, dem Flughafen - unglaublich, Spähpanzer waren auf allen Brücken, und dass die Gruppe ohne Kontrollen bis zur Unterkunft in Wilsen durchkam, lag wohl am ehesten an der sehr frühen Abreise aus Berlin.

 Die Gruppe konnte in der Scheune eines alternativen Wohnprojektes unterkommen, mit Decke und Schlafsack. Für den Nachmittag war auf der MS Stubnitz, einem Kultur- und Wohn- und Kneipen- und Veranstaltungsschiff im Rostocker Hafen, ein Workshop zusammen mit der Habitat International Coalition angesagt. Hier war auch das Zentrum des ansonsten dezentral organisierten Gegengipfels

Die Diskussion mit Vertreterinnen von Projekten und Initiativen aus Indien, Frankreich, England, Chile, der Schweiz zeige vergleichbare Erfahrungen im Bemühen, Wohnformen für Wohnungslose und Arme zu sichern. Sei es in Form von Selbsthilfeprojekten, Landkommunen, Hausbesetzungen, Lobbyarbeit oder politischen Initiativen.

Ein spontaner Besuch am Abend im Camp Rostock der Alternativ-Gipfel-Teilnehmer zeigte: Es ist noch sehr viel mehr zu tun, als nur eine Verständigung in Workshops zu suchen. Es ist notwendig, die Kritik auch sichtbar zu machen. Zahlreiche friedliche Straßenblockaden auf dem Weg nach Heiligendamm waren parallel organisiert worden. Aus diesem Grund fuhr die Gruppe am nächsten Tag in das Camp nach Reddelich, um Unterstützung anzubieten. Beeindruckend war der hohe Organisationsgrad – Presse- und Informationszentrum, Kulturzelt, Feldküchen, Werkzeugausgabestellen, an alles, was eine vieltausendköpfige Gruppe braucht, war gedacht. Beeindruckend war die Geschäftigkeit, die friedliche Stimmung.

 

Unterstützung wurde gebraucht bei einem Protest am Westtor des Heiligendamm-Zauns. Tausende von Menschen waren seit Stunden unterwegs und harrten in der brüllenden Mittagshitze am Zaun aus. Wir boten an, Wasser in Tanks und Stullen für die erschöpften Protestierenden zu liefern. Zur Überraschung der Gruppe gewährte die Polizei dem kleinen Konvoi freie Fahrt bis nahe ans Geschehen, sodass die Fässer nur noch einen Kilometer durch Wald und Feld geschleppt werden mussten. Die Protestierenden zeigten sich dankbar, die Polizei flog mit Hubschraubern neue Einsatzkräfte ein, Wasserwerfer gingen in Position, ständig kamen und gingen neue Menschen, Reporter und Journalisten waren überall, viele Berichte, die die tatsächliche Situation schildern, sind bei Indymedia zu finden.

Nach Ende der Mission war es Zeit, die Wassertanks zurückzubringen, selbst erst mal im Camp Reddelich eine späte Mittagspause einzulegen. Die sichtlich erschöpfte Gruppe beschloss, sich am Abend am Ostseestrand bei Nienhagen eine Erholung zu gönnen. Spätabends traf sich die Gruppe mit Aila von der strassenfger-Kehrseite, die sich wiederum im Rahmen von Inkota, einem ökumenisches Netzwerk von entwicklungspolitischen Basisgruppen, an den Protesten beteiligte. Die Zeit verging mit ersten Einschätzungen und Auswertungen.

Am letzten Tag stand eine Stadtführung der Rockstocker Geschichtswerkstatt durch Rostock auf dem Programm und die Teilnahme an der Abschlusskundgebung. Diese wurde durch ein massives, völlig unnötig großes Polizeiaufgebot gestört, sodass die Gruppe beschloss, sich darauf nicht einzulassen und den Heimweg anzutreten.

Fazit: Protest ist hilfreich und gewaltfreier Widerstand, aber nicht um seiner selbst willen, sondern um eine Vernetzung von unten auf den Weg zu bringen, weil alle Menschen gefordert sind, Verantwortung zu übernehmen für diesen Globus. Verantwortung ist nicht mehr delegierbar. Das war ein wichtiger Ertrag der Rostockfahrt. Der nächste G8-Gipfel findet 2008 in der Stadt Toyako auf der japanischen Insel Hokkaido in Japan statt – der Alternativgipfel dazu auch. Hoffentlich mit Beteiligung vom strassenfeger.

Stefan Schneider

 

weitere G 8-Protest – Impressionen

Hey Jana,

Rostock. Überwältigend. Solidarität. Wir haben Wasser und Brote an die „Front" gefahren, Stefan mit voller Power voran, wir anderen mit voller Power geschoben. Widerstand ist da, Alternativen sind da, Kraft ist da. Im Protestcamp Reddelich Schaltzentrale, fünf Küchen („the revolution is vegan" stand da in einem Protestcamp an exponierter Stelle in roten Lettern auf schwarzem Grund. Natürlich. Das ist Revolutions-Blah-Blah, wer sich damit aufhält, ist jung oder verbohrt oder beides!) Und so’n paar autonome Allesrichtigmacher und trockenmiese Intoleranties gibt’s halt immer auch mal wieder, hat sich im Laufe der Jahre nicht geändert. Aber viel wichtiger: Der Wunsch nach Veränderung, dass wirklich etwas passiert, wird von vielen Millionen auf dieser Welt getragen, die Koordination, alle zusammenführen, am selben Strang in die gleiche Richtung ziehen, das wär’s.

Vor Ort war letztendlich klar, dass die Alternative zum Status quo da ist, nur ’ne gewaltsame Revolution isses mitnichten. Wie gesagt, die Solidarität untereinander war so stark, die war greifbar, ein überwältigendes Körpergefühl. Als klar war, dass wir die Brote vor Ort geschleppt haben und das Wasser hundertliterweise, spürte man diese tiefe Dankbarkeit, diesen Respekt, ein ganz starkes Wir-Gefühl. Ich trau es mir ja gar nicht so richtig zu sagen, aber ich war den Tränen des Glücks mehr als einmal nahe.

Der Ausdruck,  „einmal im Leben etwas Sinnvolles getan zu haben, einmal wirklich gebraucht zu werden", kommt dem sehr nahe, auch wenn es natürlich übertrieben ist. Aber Du weißt sicher, wat ich meine. Oder?

L.D.


Die Leute von „Deine Stimme gegen Armut“ haben zur Pressekonferenz geladen.

Die Stuhlreihen im vornehmen Pressesaal füllen sich langsam. Fernsehteams bauen ihre Kameras auf. Schweißflecken bedecken ihre Rücken. Schräg vor mir bemerke ich Wim Wenders. Auch anderen ist er aufgefallen. Sie fragen ihn, ob sie ihn fotografieren dürfen. Ein persönliches Bild aufs Handy. Es scheint ihm zu gefallen. Inzwischen sind alle Stühle im Raum besetzt. Plötzlich Stille. Dann bricht das Blitzlichtgewitter los. Und da sitzen sie: Bono, Geldof und Grönemeyer, flankiert rechts und links von Vertretern aus afrikanischen Ländern. Auch Mohammed Yunus, Friedensnobelpreisträger aus Bangladesch ist da. Alle geben ein kurzes Statement ab und appellieren an die Politiker der G8, ihre Zusagen von Gleneagles einzuhalten. „Wenn Du als normaler Bürger einen Vertrag brichst, kannst du deswegen ins Gefängnis kommen. Die Regierungen der G8-Länder aber kommen damit durch“, kritisiert Bono. Kumi Naidoo, Sprecher des „Global Call to Action Against Poverty“ (GCAP) pflichtet ihm bei: „Die reichen Staaten machten sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig“, sagt er, „in Afrika passiere ein „passiver Genozid“.“ Herbert Grönemeyer erklärt die Absicht des Konzerts: „Wir wollen Druck machen. Frau Merkel kann etwas Druck vertragen.“ Und: „Wir sind Trommler. Wir gehen raus und trommeln. Wir trommeln solange, bis es nervt.“ Nochmal Blitzlichtgewitter und Sicherheitsleute, die zur Ordnung mahnen. Dann ist die Veranstaltung beendet.

Zurück bleibt die Frage der Nachhaltigkeit. Man stelle sich vor, die 80 000, die heute zum Konzert kommen, würden ihre Stimme über den Tag hinaus erheben. Jeder auf seine Weise. Für eine gerechtere Welt. Man stelle sich auch vor, die Medienvertreter würden mit derselben Unerbittlichkeit und Hartnäckigkeit, mit der sie berühmte Leute fotografieren, gegen Armut kämpfen! Es gäbe Anlass zur Hoffnung.

J.H.


Hey Henning,

die viel zitierte Vibration war selbst für einen Ungläubigen, Spirituelles verachtenden, praktisch plastisch greifbar. Unsereins (Alt)punkhippiewasauchimmer hat ja irgendwann schon resigniert, aber jezze weiß ich, was muss und dass es dort draußen richtig viele Leut’s gibt, die Leben wollen für alle und och wat tun! Tja, mit 43 die Welt neu entdecken, was es aber auch alles gibt. Übernachtet haben wir auf einem Hippiebauernhof mit Plumpsklo im Hochstand, konnst’e beim Scheißen übers Feld sehn. Genial.  Und die selbst ernannten Chefs dieser Welt outeten sich in Heiligendamm einmal mehr, als das, was sie sind: ein Haufen ferngesteuerter Roboter. Gesteuert von denen, die die Einzigartigkeit des Lebens und der Welt mit Füßen treten und alles den Bach runtergehen lassen. 


Wir wogten gegen die Wellenbrecher aus Fleisch und Blut.

Ich schüttelte den Kopf gegen die nachstellende Verdächtigung klappernder Rüstungen von Rittern der traurigen Gestalt. Das Herz blieb mir stehen, als ich im Fernsehen das Entern eines Blockade brechenden Schlauchbootes sah. Der Außenbordmotor hätte ein Fleischwolf werden können. Ich achtete nicht auf die Flagge der aggressiven Verteidiger der Verbotszone. Dass es eine amerikanische war, machte mir klar: Die Polizei schützte uns vor den Konsequenzen eines Eindringens in die Todeszone, den Nahbereich des Stellvertreters des amerikanischen Volkes. Ein Angriff auf das im Präsidenten zweiäugig verkörperte Volk bedeutete ein Angriff auf die USA, die sich vorherschlagend gegen Beschädigung verteidigt. Wir waren friedlich und fielen nicht auf, aber wir verstärkten den gemeinnützigen Ungehorsam solidarisch. Und auf dem Feindbild erscheinen keine Menschen, sondern Anklagen gegen die gewählten Könige auf Zeit, die die Menschheit dem Völker erwählenden Gott opfern.

H.B. 


Was fehlte: die Innenpolitik!

Das Reden darüber, dass Armut im eigenen Land stattfindet. Denn solange man vergisst, dass Armut an der Nachbarstür beginnt, dass der nette alte Mann, den man mit Hund morgens trifft, wenn man zur Arbeit fährt, nicht weiß, wie er den Monat überlebt, dass Tausende im Jobcenter gedemütigt werden jeden Tag, dann ist man nicht auf der Seite der Realität. Dann bleibt das Mitleid mit den Sterbenden in den sogenannten Entwicklungsländern ein neoimperialistischer Zeitvertreib derer, die noch genug haben in dieser unserer Welt.

D.G.


GroßpuppenGo. Stop. Run. – Großpuppen für Heiligendamm!

Rückblick auf Workshops zum G8-Gipfel

Ein kleines Ostseestädtchen nahe Rostock stand für einige Tage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit – die Rede ist von Heiligendamm, Ort des G8-Gipfels.

Bereits im Vorfeld haben verschiedene Workshops zur Vorbereitung der Proteste gegen das Treffen der Acht stattgefunden, so konnte man zum Beispiel im Görlitzer Park in einer Blockade-Übung den Ernstfall proben oder an Workshops zum Bau von Großpuppen für die Demonstrationen in Rostock teilnehmen.

Großpuppen haben sich bereits in Nord- und Südamerika als eindrucksvolles und aufmerksamkeitsförderndes Mittel herausgestellt und werden nun auch immer mehr in Deutschland etabliert (kehrseite berichtete in der sf-Ausgabe 6 „Arsch hoch, Hut ab“, März/2007 auf Seite 16). Allein zum G8-Gipfel sorgten an die 100 Großpuppen bei den Demonstrationen in und um Rostock für Beachtung und Interesse.

Großpuppen

Meine erste Begegnung mit den Großpuppen fand in einem Workshop in Berlin statt. Nicht nur, dass ich zur damaligen Zeit kaum etwas über die Hintergründe des G8-Gipfels wusste, nein, mir war auch nicht ganz klar, was mit den vielen Materialien, zu denen Dinge wie Fahrradschläuche und Hasendraht gehörten, geschehen soll. Auch war mir nicht bewusst, in welchen Dimensionen man beim Bau solcher Puppen denken muss.

Die Einführung blieb recht knapp. Es wurden nur einige, grundlegende Techniken vermittelt. Wichtiger war es den Veranstaltern einen Input zur politischen Relevanz des G8-Gipfels zu liefern und dass die Figuren, die in diesen Workshops entstehen sollten, eine leicht verständliche Aussage transportieren sollten. Daher wurde auf die Entwicklung der Ideen enorm viel Wert gelegt.

Die Puppen an sich wurden in Teamwork realisiert; zumeist arbeiteten zwei bis drei Leute an der technischen Umsetzung einer Idee. Zwei Tage waren dafür angedacht, was in den meisten Fällen etwas zu knapp bemessen war. Dennoch: Die Ergebnisse waren für die kurze Vorbereitungs- und Umsetzungszeit enorm, wie man auf dem Foto erahnen kann. Zusammen mit meinem kehrseiten-Kollegen Marcel habe ich einen Phönix kreiert. Unser Phönix steht für die landlosen Kleinbauern, die sich gegen die Ungerechtigkeit der Politik des G8-Gipfels auflehnen.

Kritisch anzumerken ist, dass die Organisationen, die am Berliner Workshop teilnahmen, sehr unter sich blieben. Mein zweiter Workshop in Rostock, der von INKOTA2) organisiert wurde, war dagegen schon viel kommunikativer, weil wir stets gemeinsam aßen und teilweise zur Übernachtung in den gleichen Unterkünften untergebracht waren.

Die Workshops hielten sich stets die Waage zwischen ernsthafter Arbeit für die Demonstrationen gegen G8 und Spaß an der Arbeit gemeinsam mit anderen Engagierten. Mein Fazit aus den Workshops ist: Kreativer Straßenprotest – Straßentheater, Kunstaktionen und insbesondere Großpuppen - sollte als Möglichkeit neben den gängigen Protestarten stärker etabliert werden, um auch weniger politisch Interessierte für die Themen des Treffens der Acht zu gewinnen.  
Mandy

1) Für weitere Informationen empfiehlt die kehrseite: Go.Stop.Act! Die Kunst des kreativen Straßenprotestes. von Marc Amann. Trotzdem-Verlag 2004
2) ökumenisches Netzwerk von entwicklungspolitischen Basisgruppen, Weltläden, Kirchengemeinden und Einzelengagierten

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