Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
HEINER
HEINER ist 53 Jahre alt und kommt aus dem Ruhrgebiet. Er macht eine Lehre als Autolackierer, und stellt dann fest, nachdem er bereits in diesem Beruf arbeitet, daß er aufgrund einer Allergie gegen Farben diesen Beruf nicht weiter ausüben kann. In der Folgezeit arbeitet er bei verschiedenen Firmen als ungelernte Arbeitskraft. 1981 zieht er nach Berlin um, findet hier auch eine Wohnung. Wenig später ist er arbeitslos.
Biografie
Wohnungsbrand
Ich habe eine Wohnung, bin aber in '90 da raus. Da hat eine Bekannte von mir Feuer gelegt. Das heißt, die konnte nicht raus aus der Wohnung, und sie hat Feuer gelegt. Und sie hat was geraucht und war schlimm drauf. Hat Feuer gelegt oder versucht. Das war zu einer Zeit, wo es früh dunkel war, und die Leute gegenüber das sofort sehen konnten: Da ist Feuer! Die haben dann schnell reagiert, die Feuerwehr ist gekommen, jedenfalls hat das einiges Aufsehen gegeben. Möbel sind angesengt, das Bett zum Beispiel, aber weitergehend ist da nichts passiert. Dann bin ich raus, seitdem nicht mehr drin, also ab und zu mal. Ich habe die Wohnung noch, die ist jetzt leer. Und ich habe einen Möbelschein, ich kann in den Möbelkeller gehen und kann mir Möbel aussuchen. Aber das hat jetzt auch noch nicht geklappt, weil es werden viele Möbel geholt und im Moment sind keine geeigneten Möbel oder das, was auf der Liste steht, nicht da. Und ich werde wieder in meine Wohnung fest reingehen, das ist klar. Nur ich habe also die Zeit, das war mir dann auch ein schwummeriges Gefühl. Wenn da was mit Feuer ist, dann sind die Leute ja, unabhängig davon, wie es entstanden ist, erstmal mißtrauisch. Nun ist die Zeit vergangen, und nun kann ich auch wieder reingehen.
Wärmestuben - Theatergruppe
Und die andere Sache ist, ich war ja zu der Zeit dann obdachlos, weil ich dann nicht mehr in die Wohnung gegangen bin. Obwohl ich hätte rein können, aber ich wollte da zu der Zeit nicht rein. Ob ich dazugekommen wäre mit oder ohne Obdachlosigkeit, ich wäre, auch ohne daß ich obdachlos geworden wäre, wie es ja jetzt faktisch ist, da reingekommen in dieses Theaterprojekt.
Es gibt ja Wärmestuben. Das ist eben der Irrtum, es gehen sehr viele in Wärmestuben, die eine Wohnung haben, es sind nicht alle, die obdachlos sind. Es gehen nicht nur Leute hin, die obdachlos sind. Das ist ein Aufenthaltsort, wo man eben für ein paar Stunden sich hinsetzten kann, klönen kann, Karten spielen kann, irgendwas machen kann. Und von daher finde ich auch gut, daß Leute, die eine Wohnung haben, da auch reingehen. Daß der Alkoholismus da weit verbreitet oder, noch mehr verbreitet ist als normal schon, ist klar, weil die Leute gar nichts mehr haben, die haben nichts mehr.
Glad - Röppke - Wind
Der Regisseur hat damals eine Menge versprochen, und das ging los mit Glad, die waren Dezember '90 da. Und dann hatte Röppke[1] die Idee gefallen, der wollte in Berlin-Mitte so was machen, aber eben unter den ungünstigsten Voraussetzungen, die es nur für ein Projekt geben kann. Röppke hatte null Ahnung, wie so was gemacht wird. Und dann kam der Vorschlag von Röppke und das Interesse von Wind aus, also, daß der das machen will. Das war nur ein mittelmäßiger Regisseur, der mit Leuten, die zumindest, die obdachlos sind, nicht umgehen konnte, insofern nicht umgehen konnte, als er nicht verstanden hat, was auf der Straße abgeht. In anderer Hinsicht ja, aber das hat er nicht kapiert. Ich habe mir das vom Regisseur erzählen lassen, was er vorhat. Ich habe mir den Inhalt erzählen lassen, wie er das realisieren will. Und er hat mir eine ganz andere Geschichte erzählt, als das, was dann auf die Bühne gekommen ist. Hätte er das vorher gesagt, so und so will er das realisieren, mit diesem ganzen ästhetischen Quatsch, den Stadttheaterquatsch, den er da mit produziert hat, dann hätte ich gesagt, da mache ich nicht mit. Dann hätte ich das sofort abgelehnt, dann hätte sich das erübrigt. Wie er sich das vorgestellt hat, sollte das ein Stück werden, was Obdachlosigkeit aufzeigt, die Ursachen aufzeigt, auch Folgen aufzeigt, und in eine kritische Richtung geht. Und das hat er nachher dann wieder vergessen. Das ist nicht dazu gekommen.
Die Sache hat sehr viel Geld gekostet, auf 130.000 ist das beziffert worden, also für nichts. Der Regisseur hat 30.000 Mark bekommen, der Bühnenbildner hat 18.000 Mark bekommen, so ist es jedenfalls beziffert worden. Die Schauspieler sind bezahlt worden über die Künstlerförderung, fünf oder sechs professionelle Schauspielerinnen sind bezahlt worden, und wir haben nichts bekommen. Wir haben je einen Antrag bekommen nach § 72, wo aber nicht alle in Frage kamen, wo von vorneherein klar war, die wenigsten können das in Anspruch nehmen. Wir haben praktisch nichts bekommen. Praktisch war da kein Pfennig für uns drin. Mal abgesehen von der Arbeit, die er gemacht hat, die war mittelmäßig bis dilettantisch, indem er nicht erfaßt hat, um was es geht. Wie die Alltagssituationen sind, wie die sich wirklich abspielen, und er ästhetischen Ballast reingebracht hat, hat er dieses Stück an der Realität vorbeigeführt.
Das war ja auch egal in welche Richtung das Stück nun geht, in jedem Fall war das harte Arbeit. Es hat sich am Erfolg gezeigt, es ist bei den Leuten angekommen. Ob sie das begriffen haben? Mit denen wir gesprochen haben, die jedenfalls konnten damit was anfangen. Von allen wissen wir das nicht, und Insider waren es mal zu 80 Prozent jeden Abend. Sozialarbeiter und die, die in den Zweig da reingehören. Das breite Publikum, was hätte kommen müssen, ist nicht gekommen. Es war mehr so ein Insider-Tip gewesen. Wie, weiß ich nicht, aber so was spricht sich rum. Und es waren ja nicht viele Plätze, 100 oder 120 Plätze, das waren nicht viele. Und das 14 Tage lang, es war nicht immer ausverkauft, aber gut besucht. Aber, wie gesagt, die Begleiterscheinungen, er hat uns eine Holland-Tournee versprochen, nach Amsterdam, die hat nicht stattgefunden, die haben das nie definitiv verfolgt. Und ein Haus ist uns versprochen worden, wo wir wohnen können, mit Werkstätten und dergleichen, das ist dann auch nicht eingehalten worden. Da ist eine Wohnung daraus geworden, und auch die müßte einen Träger haben. Auch das ist nicht mehr realisiert worden.
Der Verein
Und so ist das dann zum Verein gekommen, zur Vereinsgründung. Einfach war das nicht, es hieß, wenn wir keinen Verein gründen und ohne Vereinsgrundlage zusammenbleiben, dann geht das nicht, dann kommt keiner. Es war bekannt von den Professionellen, daß da wohl einige mitmachen, es war bekannt von uns, oder ich vermute mal, von uns, daß zwei oder drei Leute mitmachen würden. Und das hat sich nachher rausgestellt, daß die dann auch nicht mitgemacht haben. Aber die noch übrig waren, die Übriggebliebenen, das war ja der überwiegende Teil. Und da waren einige der Ansicht, daß man die Leute nur über einen Verein zusammenhalten kann, und ohne Verein ist das nicht möglich. Also ich war vom Verein gar nicht so sehr begeistert. Gut, einen Verein können wir machen, wir können einen Verein gründen. Aber nicht mit einer Begeisterung, und die ist auch immer mehr weg. Ich bin mittlerweile der Ansicht, daß der Verein uns mehr Fußangeln stellt und mehr hindert, die Arbeit zu machen, die wir machen müssen, als daß er uns nützt. Er hat uns finanziell bis jetzt nichts eingetragen. Alles das, was wir finanziell erreicht haben, hätten wir ohne Vereinsgründung genauso erreicht, ist also nicht vom Verein abhängig. Und insofern bin ich da enttäuscht, auch, daß es über § 72 laufen soll '93. Da wäre ich froh, wenn die das ablehnen würden und sagen würden: "Ihr bekommt nichts!" Denn dann müßten wir uns was anderes einfallen lassen. Und ich bin auch dafür, sowas auf Biegen und Brechen zu machen, entweder die Leute bleiben, oder sie gehen weg. Wenn sie bleiben, kann man was machen, wenn sie weggehen, ist das ein Zeichen dafür, daß eben nur unter bestimmten Voraussetzungen mit Obdachlosen was zu machen ist. Indem man ihnen Anreize materieller Art oder Sicherheiten, egal wie, bietet, sonst geht das nicht. Und dann ist für mich ein Verein daneben. Dann wird das Projekt daneben, dann hat es sowieso keinen Sinn. Wenn die meisten nicht wissen, um was es geht, dann hat es sowieso keinen Sinn mehr.
Ein Verein soll Sicherheit bieten. Und wenn kein Verein gegründet ist, und nur die Truppe ohne Verein als Theatergruppe zusammenbleibt, funktioniert das nicht, ist die Ansicht einiger Leute. Sage ich, das kann so sein. Das kann, muß nicht so funktionieren, aber das nehme ich aber in Kauf, daß die Leute wegbleiben können oder wegbleiben werden. Dann muß man gucken, wie man Leute zusammenbekommt, die dabeibleiben. Und das ist auch möglich. Also keinen organisatorischen Zusammenhang auf Grundlage bürgerlichen Rechts. Also einen organisatorischen Zusammenhang, wo es keine Zwänge gibt. Also, wo es keine behördlichen, oder wo man keine Zwänge von außen zuläßt. Das ist für mich überhaupt Grundlage der Arbeit.
Uelzen: Kongress der Besitzlosen 19. - 22. Juni 1991 -
"Eine Organisationsform der Obdachlosen wurde nicht erreicht!"Der Uelzener Kongress hat wenig gebracht, es ist gesoffen worden nach wie vor, aber das Erscheinungsbild war, daß sich alle an eine gewisse Ordnung gehalten haben, vor allen Dingen nach außen, daß es da nicht zu negativen Äußerungen oder zu negativen Reaktionen kommt. Damit ist an sich schon was erreicht. Alleine damit schon. Daß das nicht so gesehen wurde, nur als Saufveranstaltung, wo jeder jetzt nun für sich rumsäuft, sondern ab und zu ist ja auch von einigen was gemacht worden. Und eben dann, daß die sich so verstanden haben, daß es ein Kongress war, und nicht jeder, oder die hinfahren, werden sich dann am Ankunfts- oder Tagungsort abseilen und dann das machen, was sie in ihren Heimatorten auch machen. Also ich habe das nicht gesehen, daß sich Leute mit Bettelschildern hingesetzt haben, oder Leute angeschnorrt haben.
"Eine Organisationsform der Obdachlosen wurde nicht erreicht!" Dieser Taz-Überschrift zum Kongress stimme ich auch zu, daß es Ziel hätte sein müssen, eine Organisationsform zu finden. Also das Interesse war nicht sehr groß. Das halte ich in nächster Zukunft nicht für erreichbar. Das halte ich nicht für erreichbar so schnell. Es gibt ja auch in Westdeutschland einige Projekte, aber das Wissen um diese Projekte ist gering. Es ist ja jetzt noch nicht mal ein Informationszusammenschluß erreicht. Also ich halte das in Zukunft für ziemlich unwahrscheinlich. Wenn ich sehe, was in unserem Verein erreicht worden ist. Es wird immer gesagt, es ist viel erreicht worden. Es ist erreicht worden, daß wir Lesungen machen, daß wir unser Stück aufgeführt haben und noch aufführen werden. Noch weitere Lesungen, noch weitere Anfragen. Und daß auch mit einigen Leuten Kontakt geknüpft worden ist, mit Stadträten und so. Aber das ist doch kein inhaltlicher Erfolg, kein Erfolg, der die Sache betrifft. Deswegen ist noch kein Haus besetzt worden von Obdachlosen und und und. Bei den Leuten, auf die es ankommt, ist nichts erreicht worden. Oder für die Leute. Und das ist für mich der Knackpunkt, nicht daß wir hier vor einem Publikum spielen, das exotische Ausflüge machen will und sich sowas gerne ansieht.
Hegelplatz
Ich war von der Vorbereitung an dabei und war bis zum letzten Tag am Hegelplatz. Die Vorbereitung war ganz kurz, das war eine Woche. Sowas kann nicht lange vorbereitet werden, sowas muß organisiert werden und muß besetzt werden. Es ist Zeit für das Notwendigste, aber nicht für eine Vorbereitung über Wochen hin. Das geht nicht, dann zerfällt das wieder. Das geht nicht zu machen. Am Tag der Besetzung haben dann einige Wärmestuben zugehabt. Gut, man kann sagen, das war eine Nötigung, wie auch immer. Es war ein gewisser Zwang, der da ausgeübt worden ist. Das finde ich auch berechtigt. Den Vorschlag hätte ich auch gemacht, wenn es nicht vorher gehießen hätte: "Wir machen zu!" Denn man kann nicht alles von sich aus laufen lassen, und sagen: "Die Leute werden es schon machen! Da wird auch ein großer Zulauf sein!" In dieser Hinsicht sage ich, die Risiken, die bestehen und die zu der Zeit bestanden, muß man, wenn das möglich ist, ausschließen. Muß man sagen: Das Risiko gehe ich nicht ein und da habe ich eine Möglichkeit, dieses Risiko zum umgehen und erreiche mein Ziel damit. Das ist richtig, das gehört auch mit zu einer Kampfform, da stehe ich voll dazu. Das war eine der taktisch guten Entscheidungen. Daß da einige dagegen waren, daß sich viele beschwert haben beim Diakonischen Werk, ist auch klar. Aber das muß man eben mit in Kauf nehmen, daß das nicht von allen getragen wird.
Die Position von Anfang an war, im Container zu bleiben bis Ende April, dann eine andere Lösung zu finden. Aber Container war vorrangig, es waren alle mit einverstanden, es wären ja auch dann die anderen Container geöffnet worden, so daß für jeden ein großer Raum zur Verfügung gewesen wäre. Das war die Position, da nicht rauszugehen. Die hatten erstmal einen Vorschlag gebracht, nachdem wir dem Senat Druck gemacht haben, der Senatsverwaltung, da hat der Staatssekretär gesagt: "Ja, gut, ihr könnt die Container feuerfest machen lassen! Ihr könnt eine Firma bestellen, es ist egal, wie teuer das wird! Wir haben Geld, Geld ist vorhanden, und wenn nicht, werden wir noch Geld besorgen." Darum ging es. Nun sind Kostenvoranschläge eingeholt worden, aber die, ich weiß nicht, inwieweit diese Informationen alle stimmen, es war dann die Rede davon, daß diese Feuerfestmachung 700.000 Mark kosten wird. Und dann lag auch eine Zahl auf dem Tisch von etwas über einer Million, jedenfalls hat die Stahmer[2] dann gesagt: "Das ist zu teuer, das geht nicht. Bis April, für diese kurze Zeit lohnt sich das nicht!" Wobei gesagt werden muß, das Container abreißen auch nicht billig ist. Entsorgen wäre auch sehr teuer, wie groß die Differenz ist zwischen Entsorgen und Feuerfestmachen weiß ich jetzt nicht, aber ich habe der Stahmer dann gesagt, daß das immer noch billiger als Pensionen sei und von daher auf jeden Fall gerechtfertigt. "Wir gucken," sagt sie, "daß wir was anderes für sie finden. Wir sind rund um die Uhr damit beschäftigt, was zu finden." Und dann habe ich ihr auch gesagt, daß wir zusammen wollen, also, daß es nicht darum geht, jetzt hier an verschiedenen Stellen unterzubringen, sondern, damals noch 78 Leute, in einem Haus oder einem Objekt unterzubringen. Sagt sie: "Das wird schwierig sein, aber wir werden versuchen." Und dann kam eben das von der Oberfinanzdirektion.
Da hat die Senatsverwaltung schon bei der ersten oder zweiten Verhandlung... Und da hat das DW[3] , und da muß man sagen, das sind nicht nur die Sozialarbeiter, die da versagt haben, sondern es ist auch das Management. Derjenige, der dafür zuständig ist, kannte ja dieses Haus, diesen Betonbunker. Ich glaube, vom DW kam auch der Vorschlag: "Wir haben da was in Lichtenberg, in der Rhinstraße, und da sollte der Senat, die Verwaltung mal dranbleiben!" Und dann, obwohl er wußte das geht, obwohl er wußte, das ist nicht geeignet, - Warum? Man kann keine Wärmestube einrichten, man kann keine medizinische und rechtliche Betreuung einrichten, das ist alles sehr schwierig, - obwohl er das wußte, hat er zugesagt. Er den Vorschlag gemacht und war auch damit einverstanden. Wahrscheinlich hat er damit gerechnet, die finden noch was anderes, also, die Finanzdirektion wird da abschlagen und wird sagen: "Wir machen das nicht", und die Verwaltung findet von sich aus was. Jedenfalls hat er das dann kurze Zeit später bemerkt, daß es ein Fehler war, daß er da einen großen Fehler gemacht hat. Der war natürlich nicht mehr auszuräumen, das ging nicht mehr umzudrehen.
Aber das ist auch wieder, also auch nur bedingt. Das ist auch nur bedingt, weil die vom Diakonischen Werk abhängig sind. Die sind vom Diakonischen Werk abhängig, wie die Rhinstraße auch. Und das ist auch wieder genau der Punkt, um den es geht, daß sowas von Obdachlosen ohne Führung, wo jemand von den Betroffenen sagt: Wir machen das! Wir erklären uns dafür verantwortlich! Und die geben die Richtung an und kämpfen das durch. Das hat viel mehr Wirkung und viel mehr Gewicht, als das, was jetzt passiert, sowohl in Köpenick als auch jetzt am Hegelplatz. Die Einmischung vom Diakonischen Werk, die letztendlich federführend die Verhandlungen geführt haben: Es kann doch nicht angehen, daß hier ein Haus wie in der Rhinstraße akzeptiert wird. Daß die Leute sagen: Ja! Daß jemand hinfährt, mitfährt, das heißt, es sollten Betroffene mitfahren, daß heißt, der Staatssekretär war da, ein Abend vorher, und sagt: "Wir haben für euch ein Haus, guckt euch das an, wir fahren dort morgen hin!" Der Staatssekretär ist mitgefahren, die sind vom Hegelplatz zur Rhinstraße, haben sich das angeguckt. Und ein Betroffener beschreibt, was in dem Haus ist, wie die Wohnungen beschaffen sind, Appartements, möbliert, Dusche, Küche, alles drin. Und er sagte, er war zu Tränen gerührt. Dann sage ich, ich kann doch mit einem Menschen, der zu Tränen gerührt ist, nichts anfangen. Ich muß doch in dieser Frage, wo's um mehr geht als um einen, muß ich doch jemanden hinschicken, muß doch jemand in der Lage sein, eine ordentliche klare und nüchterne Zustandsbeschreibung zu geben. Das und das ist, das und das ist positiv, und hier sind die Nachteile. Und dann auf dieser Grundlage erstmal zu diskutieren. Aber als es dann hieß, 'zu Tränen gerührt', dann war der überwiegende Teil natürlich dafür. Dann hat es auch keine Rolle mehr gespielt. Es ist ein Schreiben verfaßt worden, wo es geheißen hat, das mit der Rhinstraße sollten sich alle erst noch Mal gründlich überlegen, das sollte nochmal diskutiert werden, und nach Alternativen gesucht werden. Nicht so schnell beigeben. Nun haben wir einen Sozialarbeiter im Seeling, der ist kämpferisch, aber daran zeigt sich, daß die anderen sich dadurch haben ins Boxhorn jagen lassen. Es waren mehrere dagegen, da sofort reinzuziehen, gleich klein beizugeben, wenn diese andere Meinung nicht auf den Tisch kommt, und das ist dann im Team da besprochen worden.
Ja, es gab eine Gegenposition, aber die ist erst gar nicht vorgetragen worden. Und zwar haben dann einige gesagt: Ja, wo schon die Meinung dafür war, wo die gesagt haben, wir wollen da rein, da haben wir uns nicht mehr getraut, diese Gegenposition auf den Tisch zu bringen. Die Gegenposition war, das nochmal gründlich zu überlegen, in die Rhinstraße einzuziehen, in diesen Betonklotz, ringsum Industriegelände, Lichtenberg, keine gute Verkehrsverbindung, am Arsch der Welt. Und nicht die Frage zu diskutieren, wir müssen ins Zentrum, um von daher auch weitere Arbeit zu machen. Und diese Gegenposition ist nicht zum Tragen gekommen, beziehungsweise nicht vorgetragen worden. Und nun muß man das Versagen rundum sehen. Es waren ja nun letztendlich auch die Betroffenen am Hegelplatz weitaus in der Überzahl, und die Betroffenen, die es hätten erkennen können oder erkennen müssen, daß die sich dazu nicht geäußert haben. Liegt aber auch daran, daß nur zwei Betroffene das Haus gesehen haben. Die anderen hatten keine Vorstellungen, was das ist. Ein günstiger Verkehrsweg, das ist gar nicht weitab von Mitte, das wurde noch dazugesagt. Und dann kann man natürlich keine Gegenposition mehr aufbauen. Wer das so 'zu Tränen gerührt' schildert, da kann keiner mehr was gegen einwenden.
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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97