Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

HEINER

Lebenslage

Weihnachtsgeschichte

Wir haben ja jetzt ein Stück gemacht entlang der Weihnachtsgeschichte. Das Stück ist so spielbar, und das Stück sagt auch einiges. Aber das Stück ist mir auch nicht kritisch genug und zu unausgegoren. Die lange Diskussionszeit, bis das Stück erstmal im Konzept realisiert war, hat viel von der Probenzeit genommen. Aber die lange Diskussionszeit hat die Probenzeit erleichtert. also, praktisch verkürzt. Je besser das läuft, desto besser wird so eine Geschichte dann auch ausgebaut. Trotzdem hätten wir viel länger Proben müssen. Ich kann doch nicht sagen, daß das Stück soweit was in Bewegung gesetzt hat, daß es mehr erreicht hat als diese Begeisterung, und daß Geld locker gemacht worden ist, oder zum Beispiel Spenden, Gebäckspenden, und so. Das kann ich doch nicht als Erfolg buchen. Wenn Stadtrat gleichzeitig gegen Wohnungslosigkeit aber nichts unternimmt, wenn er sich da ruhig verhält. In welchem Verhältnis steht das denn? Zumal noch bei einem Stadtrat, der nichts mehr zu verlieren hat, weil er nicht mehr wiedergewählt wird. Woran will ich denn den Erfolg messen? In Reinickendorf war ja nicht nur der Stadtrat, sondern auch mehrere 100 Betroffene, und bei denen hat es keinen Erfolg gehabt. Da ist keiner gekommen und hat gesagt: Was ihr hier macht, ist gut, kann man da mitmachen? Da ist keiner gekommen. Niederlage kann ich nicht sagen, weil ich habe auch nicht erwartet, daß da sich jetzt Scharen bei uns melden werden. Aber von Erfolg zu reden, das ist wirklich vollmundig.

Niveau der Vereinsarbeit

Es ist auch schwierig im Verein, inhaltlich die Geschichten auf einen Punkt zu bringen. Das ist ja nicht nur die soziale Verwahrlosung, die bei jedem Menschen, der obdachlos ist, im Laufe der Jahre entsteht, es ist die geistige Verwahrlosung, und damit ist der Mensch praktisch dadurch schon kaputtgemacht. Dadurch hat er wenig Möglichkeiten, da rauszukommen. Deshalb sage ich, ein Verein, der nicht von den Leuten, die im Verein das Sagen haben, die nicht darauf lenken und dahin eine Linie reinbringen oder ein Konzept reinbringen, wo jeder dann an dieses Konzept herangeführt wird. Wenn er das will, wird er bleiben, wenn er das nicht will, wird er gehen. Vielleicht kommt er auch dann mal wieder, aber das muß man eben mit einbeziehen. Ich kann nicht opportunistisch sagen: "Ich laß mich auf das niedrigste Niveau ein, dann kann ich alle halten!" Das ist ein Fehler. Auch dann kann man nicht alle halten, weil dann einige weggehen werden, denen das zu wenig ist. Sich aufs niedrigste Niveau einzulassen, hemmt die Arbeit, man muß sich auf ein Niveau einlassen, was mindestens mal dem Niveau der Hausbesetzer entspricht. Das Niveau der Hausbesetzer ist, daß sie nicht nur eine Bude besetzen, sondern daß sie auch wissen, warum sie die Bude besetzen. Nicht nur, weil sie keine Wohnung haben, sondern weil da auch mehr dahinter stehen soll. Das muß der Maßstab sein. Ich habe die Hoffnung, daß die irgendwann mal kommen werden. Entweder sie kommen wieder oder sie kommen neu dazu, gerade weil dieses Niveau da ist. Da gebe ich nicht auf, aber ich werde sie dann erstmal ziehen lassen. Ich werde dadurch auch nicht stehen bleiben und sagen: Jetzt müssen wir erstmal gucken! Sondern ich werde den Weg weitergehen, mit denen, die das dann auch noch wollen. Wenn einer keine Wohnung hat, und über Jahre schon, muß dieser Umstand ausreichen, um zu kapieren, um was es geht. Aus der Not entsteht ein Bewußtsein, das ist doch klar. Durch die Not entsteht das Bewußtsein, daß die Leute in Not und Elend gestürzt werden, und daß man sich nicht mehr drum kümmert. Das Bewußtsein entsteht. Nun müßte also, es muß ein Niveau gehalten werden, also mindestens das Niveau, das den Leuten bewußt wird, sie können nur was erreichen, wenn sie auch dafür kämpfen! Nur dann können sie was erreichen. Das Bewußtsein, das muß da sein. Wenn das nicht vorhanden ist, dann kann den Verein nicht mehr als Obdachlosenverein verkaufen, sondern dann ist es eine Mogelpackung. Dann ist nicht das drin, was drauf steht. Ich kann nicht mit einer Weihnachtsgeschichte, weil gerade für Weihnachten eine Organisation oder eine kirchliche Einrichtung anfragt, könnt ihr bei uns ein Weihnachtsstück machen, daß dann gesagt wird: Jetzt machen wir ein Weihnachtsstück. Das kann nicht sein. Das kann nicht gehen. Da hatte ich schon Schwierigkeiten, das habe ich auch immer wieder sehr scharf kritisiert.

Kriterien für erfolgreiche Arbeit

Ich kritisiere im Verein seit einiger Zeit immer wieder, welche Antworten haben wir auf die zunehmende Obdachlosigkeit, auf die zunehmende Ausländerfeindlichkeit? Was haben wir dazu zu sagen? Ich sage, das was wir bisher gemacht haben, dieses Theaterstück, zum Teil auch die Texte, sind doch völlig daneben, reichen doch wirklich nicht hin, oder geben nicht mal ansatzweise eine Antwort, oder eine Lösung, oder eine Idee: Wie kann man Obdachlosigkeit wirksam bekämpfen? Das ist nicht der Fall, und das wird auch nicht der Fall sein. Da sind wir wieder an dem Punkt, die Sozialarbeiter dürfen das noch nicht einmal. Ich gehe davon aus, daß die vertraglich gebunden sind, vertraglich ihr Konzept vorgesetzt bekommen, was sie dürfen, und was sie nicht dürfen. Und sie dürfen auf keinen Fall, aber das aus zwei Gründen nicht, sie dürfen auf keinen Fall Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit kritisch aufzeigen. Das dürfen sie nicht, weil das DW vom Senat beziehungsweise vom Staat, Bund oder Ländern, Geld bekommt. Würden sie das machen, dann würden Roß und Reiter genannt, und gleichzeitig erwartet das DW regelmäßig Mittel, und dann auch noch von Jahr zu Jahr erhöhte Mittel. Das geht nicht zusammen. Die andere Sache ist: Sozialarbeiter haben kein Interesse, sich arbeitslos zu machen. Je mehr sie Betroffene selbständig machen, oder selbständiges Handeln zulassen, desto weniger sind die gefragt, und machen sich mit der Zeit überflüssig. Das weiß ja das DW. Und so geschieht das ja im gegenseitigen Einverständnis. Also, sie sind Täter und Opfer zugleich. Sie sind mal mehr Täter, mal mehr Opfer. Aber das gehört zusammen. Und für mich wäre entscheidend, daß es das Dw nicht mehr gibt, daß es keine kirchlichen Träger mehr gibt, sondern daß Sozialarbeiter mit den jeweiligen Projekten einen Vertrag abschließen, einen Dienstleistungsvertrag. Also, jeder Manager, oder jeder andere in einer führenden Stellung, einen Vertrag abschließen, das heißt also, sie bekommen da auch eine Linie, und sie werden am Erfolg gemessen. Das heißt, sie werden nicht nur am Erfolg gemessen, sondern auch am Erfolg beteiligt. Steht das Projekt besser da, und hat das Projekt mehr Mittel zur Verfügung, dann gibt es, unabhängig davon, was die ÖTV da aushandelt, natürlich auch eine Gehaltserhöhung. Das ist ganz klar, das muß sein, das finde ich auch in Ordnung. Den Maßstab setzt jedes Projekt selber. Für unseren Verein wäre der Erfolgsmaßstab: Wie weit gelingt es uns, in der Öffentlichkeit vorzudringen? Gelingt uns das nach einem Jahr immer noch nicht, das zwar in der Presse mal ein paar Artikel drin stehen, auch mal SFB oder RTL kommen, ist das kein Erfolg. Erfolg ist dann gegeben, wenn es gelingt, in die Öffentlichkeit vorzudringen, und beim Senat Konsequenzen zu erwirken durch den öffentlichen Druck.

Ich sehe die einzelnen Projekte nicht als Konkurrenz. Es darf innerhalb der Projekte keine Konkurrenz geben. Wichtig ist der Inhalt, wichtig ist: Was will jedes Projekt erreichen? Was wollen die erreichen? Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit heißt, Wohnungen zu erreichen, und: Wie mache ich das? Revolution geht nicht, das ist zumindest in den nächsten Jahren nicht auf der Tagesordnung. Da kann ich als Obdachlosenverein nicht dahindümpeln und rumwursteln, sondern ich brauche klare Konzepte und klare Linien. Der Verein ist nicht dafür da, daß sich jeder, der dem Verein beitreten will, als Individuum da ist: Der soll sich im Verein wohlfühlen, und wenn er säuft, dann säuft er, und wenn er geht, dann geht er, und wenn er wiederkommt, kommt er wieder.

"Mindestens mal dem Niveau der Hausbesetzer entsprechen"

Aber das sind genau diese DW-Konzepte. Wir haben das alles diskutiert. Wir haben dieses Konzept gemeinsam erarbeitet, aber wer dreht und wendet das denn? Wer gibt diesen Äußerungen dann erst die richtige Wendung? Und wenn jemand sagt: Das kommt doch alles von uns!, kann ich auf die Barrikaden gehen. Ich kann das im Verein gar nicht diskutieren, dann habe ich sofort 98% gegen mich. Und was auch im Verein gemacht wird, dieses Einzelgängertum, oder dieser negative Individualismus, der ja zu einer negativen Erscheinung geworden ist, diesen Individualismus zu fördern, oder zu bestärken, das heißt also: Wie ihr euch verhaltet, verhaltet ihr Euch richtig. Ohne ein Wort der ernstzunehmenden Kritik. Auf dieser Grundlage kann ich nicht arbeiten. Und genau das ist ja die Linie nicht nur des DWs, auch des Senats, auch von Bonn, der CDU und aller Parteien, den Individualismus in einer Negativform zu fördern, daß sie sich völlig ins Private zurückziehen, und alles andere sein lassen. Nun besteht der Verein aus 20 Mitgliedern, zehn davon sind aktiv, nun kann man sagen: Gut, das sind eben Individualisten, die machen aber im Verein was. Es sind zehn Leute im Verein, im Grunde machen die aber im Verein auch nichts. Das heißt, sie können gar nichts machen, weil ihr Horizont nicht dementsprechend ist, und sie bringen ganz wenig ein, und je weniger sie einbringen, desto mehr bringen die Sozis ein.

Es geht darum, wenn ein Theaterstück erarbeitet wird, daß jeder was dazu beitragen soll, was auch weiterhilft. Aber doch nicht etwas dazu beitragen, was auch wieder individualistisch ist. Gut, dann sage ich, das sind alles Individualisten, und die bringen auch etwas individualistisches ein. Aber daran geht die Zielsetzung kaputt, damit natürlich auch der Verein. Ich kann doch sowas nicht dulden. Das heißt doch, wenn sich Leute zusammentun, müssen sie doch auf eine Linie gebracht werden können. Dann gibt es immer noch Unterschiede, wie kann ich das auf eine Linie bringen? Mache ich das in verschärfter Form? Mache ich das zugespitzt? Wie mache ich das? Darüber kann man diskutieren, aber wenn etwas individualistisches eingebracht wird, läßt sich darüber nicht mehr diskutieren. Dann habe ich keine Grundlage mehr. Wenn ich zum Beispiel sage: Die Familie im Weihnachtsstück bekommt ein Pflaster, um damit die Sprachlosigkeit auszudrücken, dann ist das für mich plakativ. Dann sagt mir das nichts. Dann ist das ein effektiver Gag. Aber was sagt das denn aus? In der Aussage ist es platt. Und da habe ich letztens gesagt bei der Probe: Das können wir doch weglassen, jetzt wird die Familie reden. Daran mache ich auch wieder fest: Von uns wäre dieser Vorschlag nicht gekommen. Und da stehe ich hilflos gegenüber, da weiß ich auch nicht, was ich da machen soll. Wie ich was erreichen kann, daß sich das ändert. Es ist schwierig, es sind genug Sozialarbeiter da, die im Grunde zusammenhalten werden, die im Grunde eine abgesprochene Linie verteidigen werden. Gut, ich kann das differenzieren, aber ich sag's jetzt mal zugespitzt: Das ist dann Gruppendynamik, Profis fühlen sich auch als Profis, wenn sie mit einer Betroffenengruppe was machen, heben sie sich aber von den Betroffenen ab. Da kann mir keiner erzählen, daß sie nicht Momente haben oder in Situationen kommen, wo sie sagen: Ja, wir sind die Profis. Und dann auch zusammenhalten werden. Diese Konsequenz ist bei den Betroffenen nicht da, sondern eher ist es so, daß sie der Profimeinung zustimmen werden, das ist die Praxis. Und damit kann man dann gut klarkommen. Schon mit Kritik und Selbstkritik fängt das an: Es wird keiner der Betroffenen, die Texte geschrieben haben, sich von ihrem Text trennen wollen, oder ihren Text zurückziehen, oder ihren Text verändern wollen. Kritik wird grundsätzlich mit niedermachen gleichgesetzt. Ich mache immer wieder begreiflich über Wochen oder Monate, ich sage: Kritik ist die Voraussetzung, was zu ändern. Wenn ich kritisiere, brauche ich nicht gleichzeitig einen Vorschlag zu haben, wie das denn besser gemacht werden kann. Das muß gar nicht sein. Kritisieren alleine zeigt schon, daß ich mich mit der Sache auseinandergesetzt habe. Wie es anders gemacht werden kann, weiß ich dann selber nicht, aber daß es so nicht bleiben kann, soviel weiß ich.

Sozialarbeiter - Obdachlose

Solange nicht deutlich gemacht wird, daß da ein Gegensatz besteht zwischen Sozialarbeitern und Obdachlosen, solange dieser Gegensatz verwischt wird, ist es überhaupt schwer, eine Zusammenarbeit zu finden. Der Gegensatz besteht darin, daß sie eine andere Herkunft haben, daß sie sozial anders gesichert sind. Sie haben ihre Wohnung, sie haben ihren Job, sie haben einen anderen Freundeskreis, sie haben andere Ausdrucksmöglichkeiten dadurch, daß sie studiert haben, sie sind in jeder Hinsicht überlegen und können sich nicht vorstellen, wie's auf der Straße wirklich ist. Und können auch nicht die Interessen vertreten, die Obdachlose haben. Das ist gar nicht möglich. Dieser Gegensatz ist überwindbar, wenn dieser Gegensatz als Gegensatz zugegeben wird, dann ist er überwindbar. So, wie das jetzt passiert, ist er nicht überwindbar. Das ist eine Kritik an fast alle Sozialarbeiter. Die sind austauschbar, und es wird sich nichts ändern. Weil sie Interessen vertreten wollen, die sie gar nicht vertreten können. Die Gefahr manchmal ist, also, de facto ist es so, daß ein Stellvertreterkrieg geführt wird. Daß anhand der Obdachlosen einzelne Sozialarbeiter oder Gruppen ihre Konzepte durchboxen wollen.

Ein Gegenvorschlag wäre, diesen Gegensatz zwischen Sozialarbeitern - Obdachlosen zuzugeben und nicht zu leugnen. Und nicht von dem Anspruch auszugehen, wir wollen doch alle das Gleiche. Das stimmt eben nicht, das ist so nicht richtig. Es verlangt niemand, daß sich Sozialarbeiter freiwillig in die Obdachlosigkeit begeben. Aber was ich verlange, ist, daß Sozialarbeiter sich mehr mit den Belangen der Obdachlosen auseinandersetzen, mehr nachfragen: Was wollt ihr eigentlich? Das muß überall passieren, wo die Kontakte da sind. Nicht so zu tun, als ob Belange von Obdachlosen vertreten werden, die gar nicht vertreten werden können. Nicht selber obdachlos zu werden, das ist Unsinn. Das würde sie zwangsläufig von der einen Seite auf die andere Seite bringen, damit wäre aber im Bewußtsein nicht nichts passiert. Die wären dann für eine weitere Tätigkeit in einer sozialen Geschichte, da wären sie raus, kämen nicht mehr in Frage, sie könnten da nichts mehr bewirken. Da muß noch viel gelernt werden. Es muß von beiden Seiten gelernt werden, es muß aber vorwiegend auch von Sozialarbeitern gelernt werden. Und dann gibt es Obdachlose, die Führung haben wollen. Und das ist schlimm, daß es unter den Betroffenen Leute gibt, die das wollen. Die dankbar sind, das es Leute gibt, die ihnen das abnehmen, vermeintlich. Die vermeintlich ihnen ihre Interessen abnehmen, aber die die dann nicht so vertreten, wie die Interessen eben von einem Betroffenen vertreten werden können.

§ 72 und die Sozialarbeiter

Aber, wie gesagt, die Einmischung vom DW, oder daß das überhaupt übers DW geht, hat damit zu tun, daß das Sozialhilfegesetz gar keinen anderen Weg zuläßt. Also, wenn ich jetzt hinkomme und sage: Ich will jetzt mit einer Gruppe, Theatergruppe, und will auf § 72 hin, dann heißt es: "Wo sind die Sozialarbeiter?" Und wenn ich sage: "Wir wollen keine!"dann sagen die: "Dann kriegt ihr auch nichts!" Der § 72 muß reformiert werden, man muß diesen Paragraphen im Einzelnen durchgehen. Aber eine Änderung dahingehend, daß einzelne Gruppen Mittel beantragen können. Also einzelne Sozialhilfeempfänger, die in Gruppen kommen, und gemeinsam was machen wollen, daß die auf § 72 zusätzliche Mittel bekommen. Das wäre dann eine wesentliche Änderung, und das halte ich auch für machbar. Es fängt schon an damit, ich komme jetzt nochmal wieder auf das Theaterstück, was wir jetzt hier im Verein gemacht haben, zurück: Daß künstlerische Ideen zum Teil von Sozialarbeitern kommen. Das heißt also, diese Ideen hätte ein Betroffener nie haben können, die hätten von einem Betroffenen nie kommen können. Das heißt also, sich das klar zu machen, was das heißt: Wird ein Stück von Betroffenen gemacht oder wird ein Stück mit Betroffenen gemacht? Da muß man diese Unterschiede machen. Dann muß man sagen, wir sind ein Verein, der Theaterarbeit macht mit Betroffenen. Dann müßten die Sozis Farbe bekennen, dann müßten sie sagen: "Wir haben das Heft in der Hand!" Dann sage ich: Das ist in Ordnung, das ist legitim, damit kann ich mich auseinandersetzen. Mache ich das aber in der Form, daß ich sage: "Wir haben ja alle gemeinsam ein Ziel!", dann kommen die Sozis durch die Hintertür und erreichen, ohne Farbe zu bekennen, genau dasselbe. Aber können immer sagen: "Das ist doch von Euch gekommen!"

Gesellschaftliche Funktion von Sozialarbeit

Wenn eine Gesellschaft kapitalistisch verfaßt ist, kann sie nur kapitalistisch handeln. Das heißt also, der Sozialarbeiter ist - zugespitzt gesagt - ein Vertreter des Kapitals. Das DW ist - zugespitzt gesagt - ein Vertreter des Kapitals. Nicht Widersprüche zu entschärfen, sondern Widersprüche zu verschleiern. Wenn Widersprüche entschärft würden, könnte ich sagen: Okay, auch das eine Position, mit der ich mich auseinandersetzen könnte. Dann habe ich einen Diskussionsansatz. Dann sage ich: Warum wollt ihr Widersprüche entschärfen, warum wollt ihr nicht Widersprüche auflösen? Aber wenn ich Widersprüche verschleiern will, dann habe ich damit eine eindeutige Absicht, das ist doch ganz klar: Insofern wäre es besser ohne das Diakonische Werk, weil die Not dann größer wäre und die Widersprüche offener zutage treten würden, und das ist von Vorteil. Was im Grunde gemacht wird vom DW, und von den Leuten, die im DW angestellt werden, das ist Sozialfaschismus. Ich sage das auch zugespitzt. Weil den Leuten erklärt wird, in dieser Gesellschaft kann man leben, und an der Wohnungsnot tragen viele Schuld, aber wer daran nicht die Schuld trägt, ist der Senat. Es wird dann gesagt: Ja, der Senat gibt ja kein Geld. Es wird auf der einen Seite dem Senat die Schuld gegeben, aber auf der anderen Seite die Schuld wieder weggenommen. Auch nicht gesagt, es sind die Grundstücksspekulanten, Mietspekulanten. Ja, die gibt es, die Grundstücksspekulanten und Mietspekulanten, das sind aber nicht alle. Und man muß ja nur die Gesetze ändern, dann gibt es diese Spekulation nicht mehr. Auch das ist ja schon ein Weg auf die falsche Fährte. Und das müßte in einem Theaterstück, oder es müßte im Obdachlosentheater, überhaupt in Projekten müßte das thematisiert werden. Und nichts anderes. Und da merke ich, gibt es eine Front dagegen, da sträuben sich die Sozialarbeiter, sie geben das nicht zu, und machen das so: Laßt den Leuten eine Entwicklung. Ich kann den Leuten keine Entwicklung lassen. Die Revolution in Rußland wäre nie zustande gekommen, wenn ich den Leuten eine Entwicklung gelassen hätte. Das geht nicht. Und die Einheit hat auch gezeigt, und das aber zum Negativen hin, den Leuten in der DDR ist keine Entwicklung gelassen worden vom Sozialismus, wie er real existiert hat, zum Übergang in den Kapitalismus. Die haben im Gegenteil gesagt: Lassen wir den Leuten eine Entwicklungszeit, kann sich das Blatt drehen.

Wirklichkeitsverschiebung

Die rauhe Wirklichkeit erzählt niemand gerne, und die rauhe Wirklichkeit möchte das Gegenüber auch nicht gerne hören. Weil derjenige, der diese rauhe Wirklichkeit erzählt, dem wird das meistens nicht abgenommen, kommt noch hinzu. "Das ist ja unmöglich, das kann ja gar nicht sein!" Und dann sagen sich die Leute: "Ja, wenn das so ist, das wird mir nicht abgenommen, dann gibt es ja auch noch was anderes." Und dann kommt diese Geschichte, die auch einen wahren Hintergrund hat. Oder aus dem Zusammenhang wird dann eben dieses Detail rausgenommen. Und das ist so eine Wechselwirkung. Das heißt zugespitzt: Der Sozialarbeiter will betrogen sein, aber jetzt nicht im negativen Sinn, sondern im positiven Sinn, daß er was positives hört. acht Stunden Müll, acht Stunden Schrott zu hören hält niemand durch. Der ist über jede Geschichte, die einigermaßen sympathisch ist, froh. Und der andere, der Betroffene ist froh, daß er mit dieser Geschichte was erreicht. Ihm ist damit geholfen, aus einer existentiellen Not. Und so haben beide was davon. Das ist ein Entgegenkommen, das geschieht sogar im Einverständnis beider.

Qualifikationskriterien für die Ausbildung von Sozialarbeitern

Es muß klar gemacht werden und begriffen werden, daß jemand, der Sozialarbeit studiert, noch längst nicht die Situation der Betroffenen kennt, und längst nicht in der Lage ist, zu wissen, was für Betroffene gut ist, das muß er wissen. Er muß kein Praktikum machen, das ist Quatsch, das kann durchaus ohne Praktikum gehen, aber er muß bereit sein, von Betroffenen zu lernen. Schon auf der Schule muß gelernt oder muß den Sozialarbeitern beigebracht werden, daß sie eine theoretische Ausbildung bekommen, die mit Abschluß des Examens nicht beendet ist, sondern daß diese theoretische Ausbildung während der Berufsjahre, die sie vor sich haben, weitergeht, weitergehen wird. Weil sie erfahren müssen: Was wollen Betroffene? Und was Betroffene wollen, das muß in den Kopf rein, das müssen sie sich mal aufzeichnen, und müssen sich dann mit ihren Kollegen zusammensetzen und müssen das mal diskutieren. Müssen sagen, so, das haben wir in der Schule gelernt, und diese Situation finden wir jetzt vor. Und das sind typische Beispiele, die wir hier haben, und: Wie können wir da vorgehen? Oder: Was können wir da machen? Welchen Anteil können wir dazu beitragen, daß die Situation geändert wird? Berufsjahre sind Praktikum, das Praktikum ist ja nie zu Ende. Das ist ja eine verkehrte Ausbildung, zu sagen: Jetzt habt ihr auch noch ein Praktikum! Im Gegenteil, das gibt den Leuten eine falsche Sicherheit. Jetzt haben wir auch noch ein Praktikum, Theorie und Praxis, jetzt wissen wir alles. Und genauso arbeiten sie, so gehen sie dann an die Sache ran. Genau mit dieser Haltung. Wenn ein Praktikum gemacht wird, dann ist ein Praktikum zu empfehlen bei Mietspekulanten und Grundstückseignern. Da würde ein Praktikum wirklich auch was bringen, um einen wesentlichen Teil der Ursachen zu erkennen in Bezug auf Wohnungslosigkeit.

Das hilft schon, aber die Ausbildung ist verkehrt, wenn die Ausbildung nicht auf das Allgemeine geht, das ist wichtig. Und eine Ausbildung sollte auch dahin noch spezialisiert werden, daß es eine innerhalb der Ausbildung spezialisierte Fächer gibt für Leute, die mit Wohnungslosen arbeiten wollen. Dann kann man Betroffene und Sozialarbeiter aus der Praxis einladen, die setzen sich zusammen, und dann kann das schon innerhalb der Schule vertieft werden. So wie es jetzt praktiziert wird, ist die Ausbildung in erster Linie dazu da, um zu verschleiern, um Pflästerchen aufzulegen, aber nicht, um was zu ändern. Und da ist schon die Schwierigkeit. Und wer diese Ausbildung verinnerlicht, wird es schwer haben, davon wieder wegzukommen. Schon da stecken die Probleme drin. Die Betroffenen sind die Fachleute, aber das wird aber von den Sozialarbeitern nicht zur Kenntnis genommen, sondern umgekehrt ist es. Weil das ja in der Ausbildung nicht vorgesehen ist.

Exkurs: Ursachen der Obdachlosigkeit und Lösungsansätze

Der Streßfaktor ist in jedem Falle das Geld. Egal, ob nun jemand Arbeit hat oder arbeitslos ist oder Sozialhilfe bekommt, in jedem Fall ist er ein Konsummensch. Und wenn jemand, der 8 Stunden arbeitet, nach Hause kommt und Streß hat, dreht es sich in der Regel um Geld, oder um Anschaffungen oder um Reisen oder was auch immer. Auch das ist mit Geld verbunden. Und das ist bei Arbeitslosen auch der Fall. Dann ist das ja nur in der Quantität ein Unterschied, nicht in der Qualität. Und jetzt, durch Mieterhöhungen, durch Preiserhöhungen, vergrößert sich natürlich der Streß. Je geringer das Einkommen, desto größer der Streß. Es ist eine Geldangelegenheit in jedem Fall. Geld regelt alle gesellschaftlichen Verhältnisse. Wer das nicht im Kopf hat, redet an der Sache vorbei. Arbeit ist keine Notwendigkeit, es kommt darauf an, was ich arbeite. Der Sinn des Lebens ist nicht die Arbeit. Der Sinn des Lebens ist: Was mache ich? Wie will ich mein Leben gestalten? Welche Arbeit mache ich? Das gehört ja mit zum Leben, das ist nicht der Sinn, das gehört mit zum Leben. Welche Tätigkeit mache ich? Stelle ich Plastikmüll her? Stelle ich Autos her, die nicht gebraucht werden? Fernseher, die überzählig sind? Und, und, und. Das wird ja von den Unternehmern oder von der CDU eingeredet: Ohne Arbeit verliert das Leben den Sinn. Das ist genau falsch. Das ist ideologisch begründet, damit wird verschleiert, daß der Unternehmer nur dann Profit an sich reißen kann, wenn Leute da sind, die ihm den Dreck auch machen.

Dieser Streß, der täglich entsteht, der wird ja nachher schon zur Routine. Und wenn er plötzlich diesen Streß nicht mehr hat, dann hat er Entzugserscheinungen. Weil er ja den Menschen, der den Streß mitverursacht hat, oder mit dazu beigetragen hat, ist ja dann mit weg. Der Mensch gewöhnt sich ja schnell an Situationen, ob das nun günstige oder ungünstige Situationen sind. Und wenn er aus dem gewohnten Rhythmus gerissen wird, oder aus dem gewohnten Milieu, dann hat das Folgen. Wer viel Geld hat, kann das damit überbrücken, daß er in die Kneipe geht, und da sind wir wieder bei dem Punkt, Geldfrage, wenn er kein Geld oder wenig Geld hat, hat er Streß rund um die Uhr, hat er genügend Geld, hat er zumindest in der Zeit, wo er in der Kneipe ist, kein Streß. Aber jemand, der wohnungslos ist, obdachlos ist, das ist untragbar, weil Wohnen mit zu den Grundbedürfnissen gehört. Das ist ein Grundbedürfnis. Und wer keine Wohnung hat, der ist gestreßt rund um die Uhr. Ob er nun alleine ist, oder ob er in einer Gruppe von zweien oder mehreren ist. Der ist rund um die Uhr gestreßt. Und auch da ist das wieder eine Geldfrage: Hat jemand genug Geld, dann braucht er sich um Obdachlosigkeit keine Sorge machen, er wird heute Obdachlos und hat morgen wieder eine Wohnung. Wir kommen um den Geldfaktor nicht herum.

Es ist im Grunde eine Verharmlosung der Obdachlosigkeit, wenn ich sage: Wer eine Wohnung hat, kann genauso obdachlos sein. Das stimmt einfach nicht. Das kann ich ja nicht als einen poetischen Begriff einführen, dann hat es eine ganz andere Bedeutung. Aber in dem Sinne, wie ich das verstehe, ist derjenige, der eine Wohnung hat oder eine Wohnung bekommt, nicht obdachlos. Denn dann kommt es darauf an, was er aus seiner Wohnung macht. Wenn ich die Wohnung bewußt ungemütlich lasse, daß ich mich da nicht aufhalten kann, dann ist in dem Moment, dann kann ich sagen: Ja, der Mensch ist obdachlos, trotzdem er eine Wohnung hat. Aber dann hat das andere Ursachen. Dann hat er sich im Grunde selber obdachlos gemacht, oder will sich selber obdachlos machen. Das hat aber andere Ursachen dann, Gründe, warum es so ist. Aber, da hat er selber, oder da ist er federführend dran beteiligt, ohne daß ihm das von außen aufgezwungen wird. Verallgemeinern nützt da nichts. Das kann viele Gründe haben. Aber das muß man jeden Einzelnen, bei dem das der Fall ist, fragen, oder man müßte näheres darüber wissen. Eines darf jedenfalls nicht angehen, daß man Einsamkeit mit Obdachlosigkeit verwechselt.

Viele Obdachlose sind einsam, aber die sind mit Wohnung genauso einsam. Die Einsamkeit ist ein zentrales Problem, das bleibt es auch. Aber die Einsamkeit ist ja nicht nur für Obdachlose ein zentrales Problem, sondern für den überwiegenden Teil, die noch eine Wohnung haben, auch ein Problem. Das sind ja nicht nur die Obdachlosen. Die Einsamkeit entsteht erst durch den Alkoholismus. Dadurch gehen Beziehungen kaputt, dadurch gehen Ehen kaputt, und dann führt das auf längere Sicht oder auf kurze Zeit hin zur Einsamkeit. Und dann kann das auch zur Obdachlosigkeit führen. Kann, muß nicht. Aber kann. Und was in einigen Fällen auch so der Punkt ist. Eine Ursache für Obdachlosigkeit. Alkoholismus ist zweifellos eine Krankheit. Jemand, der Alkohol braucht und vom Alkohol nicht weg kommt, ist krank. Das ist aber nur aus einem Grund gefördert, weil es Steuern einbringt, sehr viel Steuern. Das hat den Grund, daß das ein wesentlicher Teil der Steueraufkommen ist, gerade aus Alkohol und auch Zigaretten auch. Das ist ja auch ein politischer Grund, Steuereinnahmen zu haben, aber es hat keinen anderen Grund, um die Leute jetzt nun bewußtlos zu machen. Da sind ganz andere Dinge da, um das zu erreichen. Dazu braucht es keinen Alkohol. Das Gehirn zu vernebeln, dazu braucht es keinen Alkohol. Es kann ja keiner den Alkohol fördern, um die Köpfe zu vernebeln. Wenn nämlich aus diesem Grund der Alkohol gefördert würde, dann müßte der Alkohol billiger sein. Und zum Zweiten wird damit ja erreicht, daß das gesellschaftliche Gefüge auseinanderbricht, wenn Alkohol gefördert wird. Das kann nicht in der Absicht der finstersten CDU liegen, oder welcher Partei auch immer. Der Alkohol in Skandinavien ist deshalb so teuer, weil der Alkoholkonsum unterbunden werden soll. Die wollen genau das Gegenteil erreichen, die wollen, daß die Leute nicht mehr so viel saufen. Und hier hält sich das an der Grenze. Hier ist der Alkohol für jeden wohlfeil zu erwerben. Vom Hansapils bei Aldi angefangen ist für jeden was dabei.

Und viele Menschen, kann man sagen, machen sich obdachlos, indem sie aus ihrer Wohnung nichts machen. Die machen sich dann selber obdachlos. Aber jetzt bekommt ein Obdachloser eine Wohnung oder ein Zimmer, und dann: Wo wird er sich aufhalten? Am Bahnhof Zoo. Da ist er nun, die Leute kennt er, damit war er nun jahrelang zusammen, und er wird wieder zum Bahnhof Zoo gehen. Das heißt aber, wenn er zum Bahnhof Zoo geht, dann geht er auch wieder zurück. Wohin denn? In seine Wohnung. Er geht zum Bahnhof Zoo, weil er zu Hause sich einsam fühlt, die Decke ihm auf den Kopf fällt. So, und deshalb geht er zum Bahnhof Zoo und wird da mit seinen Kollegen saufen. Aber dann weiß er, wo er hin geht, mit der letzten U-Bahn oder mit dem Nachtbus wieder nach Hause. Das ist doch ein Unterschied. Ein Mittel gegen Einsamkeit ist, sich nicht in diese Einsamkeit hineinzusteigern. Manche Menschen haben das Talent, und reden sich 24 Stunden lang ein und sagen, sie sind einsam. Und glauben dann, wenn sie sich das 24 Stunden am Tag einreden, daß sich dadurch der Zustand ändert. Der Zustand ändert sich dadurch, das ist klar, aber zum Schlimmeren hin, nicht zum Besseren. Da muß jeder gucken, und deshalb auch der Zusammenhang, da muß jeder gucken, wie er aus der Obdachlosigkeit raus kommt, heißt eben, sich zusammentun. Und dafür kämpfen, daß die Obdachlosigkeit beseitigt wird. Aus der Einsamkeit herauszukommen heißt, was dagegen zu tun, aus der Einsamkeit herauszukommen. Mal Möglichkeiten zu suchen: Wie gelingt es mir, die Einsamkeit zu überwinden? Und beides ist möglich. Ich kann jetzt nicht in die Kneipe gehen und kann sagen: Jetzt gehst du in die Kneipe, und dann bist du deine Einsamkeit los, und jetzt mußt du mal gucken, daß du eine Frau findest, dann bist du nicht mehr einsam. Das ist schon von vorneherein verkehrt, das erste ist ja mal: Jetzt bin ich in einer Kneipe, jetzt muß ich mir erstmal einen ansaufen, und dann werde ich mal gucken, ob ich eine Frau finde? Aber in dem Zustand, wo er angesoffen ist, wird ihm das dann schon nicht mehr gelingen.

Das geht nicht, sich in Wärmestuben setzen und sagen: Ich bin einsam. Jeden Tag in alle Wärmestuben, und dann sagen, ich bin einsam, das geht nicht. In Wärmestuben kommen wenig Frauen hin, und wenn, dann stürzen sich sofort alle drauf. Da ist schon mal nichts zu finden. Für einen Obdachlosen ist es wirklich schwer, aus der Einsamkeit rauszukommen. Der hat keine Wohnung. Das heißt also, er kann die Frau nicht einladen: Komm zu mir! Die wird die Frage stellen: Ja, wo wohnst du denn? Aber die Regel ist dann, daß dann ein Vorurteil aufkommt, wenn es heißt: Er hat keine Wohnung. Ab dann wird es natürlich schwierig. Deswegen sage ich auch: Jemand, der wohnungslos ist hat es viel schwerer, aus der Einsamkeit rauszukommen als jemand, der eine Wohnung hat. Der hat immerhin noch eine Wohnung, das ist das mindeste, was er zu bieten hat, das ist das mindeste, was jeder Mensch haben muß, die Mindestvoraussetzung. Und ich kann die Frau verstehen, die dann Abstand nimmt. Es gibt ja viele, nicht nur in Berlin, in Westdeutschland, die dieses Ausmaß der Obdachlosigkeit nicht kennen. Die sich keine Vorstellungen machen können, was das heißt. Oder die das allgemein kennen und sagen: Wohnungslosigkeit ist schlimm. Lernen sie das jetzt im besonderen Fall kennen, dann aber sagen: Nein, der hat aber keine Wohnung! Das heißt noch mal: Wie das allgemein akzeptiert wird, und wie das im Besonderen akzeptiert wird, sind zwei Dinge. Dieser Widerspruch wird immer bleiben. Das ist ja auch das Mißverständnis, was es bei vielen Menschen gibt: Vom Besonderen aufs Allgemeine zu schließen ist gefährlich, weil das nicht stimmt. Ich darf nicht vom Besonderen aufs Allgemeine schließen, ich muß vom Allgemeinen aufs Besondere schließen. Wenn ich vom Besonderen aufs Allgemeine schließe, kann ich dem Irrtum erliegen, wenn ich jetzt in einem Haus wohne, denen es allen wirtschaftlich gut geht, dann sage ich: Den Leuten geht es allen wirtschaftlich gut, warum geht es mir nicht gut, wir sind doch ein reiches Land? Dann erliege ich einem Irrtum. Wenn ich jetzt sehe, daß es drei oder jetzt vier Millionen Arbeitslose gibt, und Millionen Sozialhilfeempfänger, Wohnungslose, und treffe dann einen Wohnungslosen, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, dann wird mir das klar, dann wird mir vom Allgemeinen der Beweis auf das Besondere gegeben. Mache ich nun auf dieser Grundlage - vom Besonderen aufs Allgemeine - dann Theater oder Aktionen, dann habe ich, bevor ich das Stück herausgebracht habe, bevor das überhaupt aufgeführt wird, schon etwas ganz verkehrtes produziert, womit ich gar nicht an die Öffentlichkeit gehen kann. Wenn ich überwiegend kritische Zuschauer habe, die werden mir das zerrupfen, und mit Recht. Und was sage ich dann? Dann sage ich: Ich habe einige Bekannte, die sind in dieser Situation, die haben genau das erlebt, was ich hier im Stück produziert habe. Dann sagen die: "Schön und gut, aber, was geht mich das an?" Wenn ich aber vom Allgemeinen ausgehe und das aufs Besondere bringe, dann habe ich eine Schlagkraft damit, dann kann ich sagen: Das sind die Fakten! Und dann kommt das anders rüber.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97