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HEINER
Lebenslage
Weihnachtsgeschichte
Wir haben ja jetzt ein Stück gemacht entlang der Weihnachtsgeschichte.
Das Stück ist so spielbar, und das Stück sagt auch einiges. Aber
das Stück ist mir auch nicht kritisch genug und zu unausgegoren. Die
lange Diskussionszeit, bis das Stück erstmal im Konzept realisiert
war, hat viel von der Probenzeit genommen. Aber die lange Diskussionszeit
hat die Probenzeit erleichtert. also, praktisch verkürzt. Je besser
das läuft, desto besser wird so eine Geschichte dann auch ausgebaut.
Trotzdem hätten wir viel länger Proben müssen. Ich kann
doch nicht sagen, daß das Stück soweit was in Bewegung gesetzt
hat, daß es mehr erreicht hat als diese Begeisterung, und daß
Geld locker gemacht worden ist, oder zum Beispiel Spenden, Gebäckspenden,
und so. Das kann ich doch nicht als Erfolg buchen. Wenn Stadtrat gleichzeitig
gegen Wohnungslosigkeit aber nichts unternimmt, wenn er sich da ruhig verhält.
In welchem Verhältnis steht das denn? Zumal noch bei einem Stadtrat,
der nichts mehr zu verlieren hat, weil er nicht mehr wiedergewählt
wird. Woran will ich denn den Erfolg messen? In Reinickendorf war ja nicht
nur der Stadtrat, sondern auch mehrere 100 Betroffene, und bei denen hat
es keinen Erfolg gehabt. Da ist keiner gekommen und hat gesagt: Was ihr
hier macht, ist gut, kann man da mitmachen? Da ist keiner gekommen. Niederlage
kann ich nicht sagen, weil ich habe auch nicht erwartet, daß da sich
jetzt Scharen bei uns melden werden. Aber von Erfolg zu reden, das ist
wirklich vollmundig.
Niveau der Vereinsarbeit
Es ist auch schwierig im Verein, inhaltlich die Geschichten auf einen
Punkt zu bringen. Das ist ja nicht nur die soziale Verwahrlosung, die bei
jedem Menschen, der obdachlos ist, im Laufe der Jahre entsteht, es ist
die geistige Verwahrlosung, und damit ist der Mensch praktisch dadurch
schon kaputtgemacht. Dadurch hat er wenig Möglichkeiten, da rauszukommen.
Deshalb sage ich, ein Verein, der nicht von den Leuten, die im Verein das
Sagen haben, die nicht darauf lenken und dahin eine Linie reinbringen oder
ein Konzept reinbringen, wo jeder dann an dieses Konzept herangeführt
wird. Wenn er das will, wird er bleiben, wenn er das nicht will, wird er
gehen. Vielleicht kommt er auch dann mal wieder, aber das muß man
eben mit einbeziehen. Ich kann nicht opportunistisch sagen: "Ich laß
mich auf das niedrigste Niveau ein, dann kann ich alle halten!" Das
ist ein Fehler. Auch dann kann man nicht alle halten, weil dann einige
weggehen werden, denen das zu wenig ist. Sich aufs niedrigste Niveau einzulassen,
hemmt die Arbeit, man muß sich auf ein Niveau einlassen, was mindestens
mal dem Niveau der Hausbesetzer entspricht. Das Niveau der Hausbesetzer
ist, daß sie nicht nur eine Bude besetzen, sondern daß sie
auch wissen, warum sie die Bude besetzen. Nicht nur, weil sie keine Wohnung
haben, sondern weil da auch mehr dahinter stehen soll. Das muß der
Maßstab sein. Ich habe die Hoffnung, daß die irgendwann mal
kommen werden. Entweder sie kommen wieder oder sie kommen neu dazu, gerade
weil dieses Niveau da ist. Da gebe ich nicht auf, aber ich werde sie dann
erstmal ziehen lassen. Ich werde dadurch auch nicht stehen bleiben und
sagen: Jetzt müssen wir erstmal gucken! Sondern ich werde den Weg
weitergehen, mit denen, die das dann auch noch wollen. Wenn einer keine
Wohnung hat, und über Jahre schon, muß dieser Umstand ausreichen,
um zu kapieren, um was es geht. Aus der Not entsteht ein Bewußtsein,
das ist doch klar. Durch die Not entsteht das Bewußtsein, daß
die Leute in Not und Elend gestürzt werden, und daß man sich
nicht mehr drum kümmert. Das Bewußtsein entsteht. Nun müßte
also, es muß ein Niveau gehalten werden, also mindestens das Niveau,
das den Leuten bewußt wird, sie können nur was erreichen, wenn
sie auch dafür kämpfen! Nur dann können sie was erreichen.
Das Bewußtsein, das muß da sein. Wenn das nicht vorhanden ist,
dann kann den Verein nicht mehr als Obdachlosenverein verkaufen, sondern
dann ist es eine Mogelpackung. Dann ist nicht das drin, was drauf steht.
Ich kann nicht mit einer Weihnachtsgeschichte, weil gerade für Weihnachten
eine Organisation oder eine kirchliche Einrichtung anfragt, könnt
ihr bei uns ein Weihnachtsstück machen, daß dann gesagt wird:
Jetzt machen wir ein Weihnachtsstück. Das kann nicht sein. Das kann
nicht gehen. Da hatte ich schon Schwierigkeiten, das habe ich auch immer
wieder sehr scharf kritisiert.
Kriterien für erfolgreiche Arbeit
Ich kritisiere im Verein seit einiger Zeit immer wieder, welche Antworten
haben wir auf die zunehmende Obdachlosigkeit, auf die zunehmende Ausländerfeindlichkeit?
Was haben wir dazu zu sagen? Ich sage, das was wir bisher gemacht haben,
dieses Theaterstück, zum Teil auch die Texte, sind doch völlig
daneben, reichen doch wirklich nicht hin, oder geben nicht mal ansatzweise
eine Antwort, oder eine Lösung, oder eine Idee: Wie kann man Obdachlosigkeit
wirksam bekämpfen? Das ist nicht der Fall, und das wird auch nicht
der Fall sein. Da sind wir wieder an dem Punkt, die Sozialarbeiter dürfen
das noch nicht einmal. Ich gehe davon aus, daß die vertraglich gebunden
sind, vertraglich ihr Konzept vorgesetzt bekommen, was sie dürfen,
und was sie nicht dürfen. Und sie dürfen auf keinen Fall, aber
das aus zwei Gründen nicht, sie dürfen auf keinen Fall Wohnungslosigkeit,
Obdachlosigkeit kritisch aufzeigen. Das dürfen sie nicht, weil das
DW vom Senat beziehungsweise vom Staat, Bund oder Ländern, Geld bekommt.
Würden sie das machen, dann würden Roß und Reiter genannt,
und gleichzeitig erwartet das DW regelmäßig Mittel, und dann
auch noch von Jahr zu Jahr erhöhte Mittel. Das geht nicht zusammen.
Die andere Sache ist: Sozialarbeiter haben kein Interesse, sich arbeitslos
zu machen. Je mehr sie Betroffene selbständig machen, oder selbständiges
Handeln zulassen, desto weniger sind die gefragt, und machen sich mit der
Zeit überflüssig. Das weiß ja das DW. Und so geschieht
das ja im gegenseitigen Einverständnis. Also, sie sind Täter
und Opfer zugleich. Sie sind mal mehr Täter, mal mehr Opfer. Aber
das gehört zusammen. Und für mich wäre entscheidend, daß
es das Dw nicht mehr gibt, daß es keine kirchlichen Träger mehr
gibt, sondern daß Sozialarbeiter mit den jeweiligen Projekten einen
Vertrag abschließen, einen Dienstleistungsvertrag. Also, jeder Manager,
oder jeder andere in einer führenden Stellung, einen Vertrag abschließen,
das heißt also, sie bekommen da auch eine Linie, und sie werden am
Erfolg gemessen. Das heißt, sie werden nicht nur am Erfolg gemessen,
sondern auch am Erfolg beteiligt. Steht das Projekt besser da, und hat
das Projekt mehr Mittel zur Verfügung, dann gibt es, unabhängig
davon, was die ÖTV da aushandelt, natürlich auch eine Gehaltserhöhung.
Das ist ganz klar, das muß sein, das finde ich auch in Ordnung. Den
Maßstab setzt jedes Projekt selber. Für unseren Verein wäre
der Erfolgsmaßstab: Wie weit gelingt es uns, in der Öffentlichkeit
vorzudringen? Gelingt uns das nach einem Jahr immer noch nicht, das zwar
in der Presse mal ein paar Artikel drin stehen, auch mal SFB oder RTL kommen,
ist das kein Erfolg. Erfolg ist dann gegeben, wenn es gelingt, in die Öffentlichkeit
vorzudringen, und beim Senat Konsequenzen zu erwirken durch den öffentlichen
Druck.
Ich sehe die einzelnen Projekte nicht als Konkurrenz. Es darf innerhalb
der Projekte keine Konkurrenz geben. Wichtig ist der Inhalt, wichtig ist:
Was will jedes Projekt erreichen? Was wollen die erreichen? Wohnungslosigkeit,
Obdachlosigkeit heißt, Wohnungen zu erreichen, und: Wie mache ich
das? Revolution geht nicht, das ist zumindest in den nächsten Jahren
nicht auf der Tagesordnung. Da kann ich als Obdachlosenverein nicht dahindümpeln
und rumwursteln, sondern ich brauche klare Konzepte und klare Linien. Der
Verein ist nicht dafür da, daß sich jeder, der dem Verein beitreten
will, als Individuum da ist: Der soll sich im Verein wohlfühlen, und
wenn er säuft, dann säuft er, und wenn er geht, dann geht er,
und wenn er wiederkommt, kommt er wieder.
"Mindestens mal dem Niveau
der Hausbesetzer entsprechen"
Aber das sind genau diese DW-Konzepte. Wir haben das alles diskutiert.
Wir haben dieses Konzept gemeinsam erarbeitet, aber wer dreht und wendet
das denn? Wer gibt diesen Äußerungen dann erst die richtige
Wendung? Und wenn jemand sagt: Das kommt doch alles von uns!, kann ich
auf die Barrikaden gehen. Ich kann das im Verein gar nicht diskutieren,
dann habe ich sofort 98% gegen mich. Und was auch im Verein gemacht wird,
dieses Einzelgängertum, oder dieser negative Individualismus, der
ja zu einer negativen Erscheinung geworden ist, diesen Individualismus
zu fördern, oder zu bestärken, das heißt also: Wie ihr
euch verhaltet, verhaltet ihr Euch richtig. Ohne ein Wort der ernstzunehmenden
Kritik. Auf dieser Grundlage kann ich nicht arbeiten. Und genau das ist
ja die Linie nicht nur des DWs, auch des Senats, auch von Bonn, der CDU
und aller Parteien, den Individualismus in einer Negativform zu fördern,
daß sie sich völlig ins Private zurückziehen, und alles
andere sein lassen. Nun besteht der Verein aus 20 Mitgliedern, zehn davon
sind aktiv, nun kann man sagen: Gut, das sind eben Individualisten, die
machen aber im Verein was. Es sind zehn Leute im Verein, im Grunde machen
die aber im Verein auch nichts. Das heißt, sie können gar nichts
machen, weil ihr Horizont nicht dementsprechend ist, und sie bringen ganz
wenig ein, und je weniger sie einbringen, desto mehr bringen die Sozis
ein.
Es geht darum, wenn ein Theaterstück erarbeitet wird, daß
jeder was dazu beitragen soll, was auch weiterhilft. Aber doch nicht etwas
dazu beitragen, was auch wieder individualistisch ist. Gut, dann sage ich,
das sind alles Individualisten, und die bringen auch etwas individualistisches
ein. Aber daran geht die Zielsetzung kaputt, damit natürlich auch
der Verein. Ich kann doch sowas nicht dulden. Das heißt doch, wenn
sich Leute zusammentun, müssen sie doch auf eine Linie gebracht werden
können. Dann gibt es immer noch Unterschiede, wie kann ich das auf
eine Linie bringen? Mache ich das in verschärfter Form? Mache ich
das zugespitzt? Wie mache ich das? Darüber kann man diskutieren, aber
wenn etwas individualistisches eingebracht wird, läßt sich darüber
nicht mehr diskutieren. Dann habe ich keine Grundlage mehr. Wenn ich zum
Beispiel sage: Die Familie im Weihnachtsstück bekommt ein Pflaster,
um damit die Sprachlosigkeit auszudrücken, dann ist das für mich
plakativ. Dann sagt mir das nichts. Dann ist das ein effektiver Gag. Aber
was sagt das denn aus? In der Aussage ist es platt. Und da habe ich letztens
gesagt bei der Probe: Das können wir doch weglassen, jetzt wird die
Familie reden. Daran mache ich auch wieder fest: Von uns wäre dieser
Vorschlag nicht gekommen. Und da stehe ich hilflos gegenüber, da weiß
ich auch nicht, was ich da machen soll. Wie ich was erreichen kann, daß
sich das ändert. Es ist schwierig, es sind genug Sozialarbeiter da,
die im Grunde zusammenhalten werden, die im Grunde eine abgesprochene Linie
verteidigen werden. Gut, ich kann das differenzieren, aber ich sag's jetzt
mal zugespitzt: Das ist dann Gruppendynamik, Profis fühlen sich auch
als Profis, wenn sie mit einer Betroffenengruppe was machen, heben sie
sich aber von den Betroffenen ab. Da kann mir keiner erzählen, daß
sie nicht Momente haben oder in Situationen kommen, wo sie sagen: Ja, wir
sind die Profis. Und dann auch zusammenhalten werden. Diese Konsequenz
ist bei den Betroffenen nicht da, sondern eher ist es so, daß sie
der Profimeinung zustimmen werden, das ist die Praxis. Und damit kann man
dann gut klarkommen. Schon mit Kritik und Selbstkritik fängt das an:
Es wird keiner der Betroffenen, die Texte geschrieben haben, sich von ihrem
Text trennen wollen, oder ihren Text zurückziehen, oder ihren Text
verändern wollen. Kritik wird grundsätzlich mit niedermachen
gleichgesetzt. Ich mache immer wieder begreiflich über Wochen oder
Monate, ich sage: Kritik ist die Voraussetzung, was zu ändern. Wenn
ich kritisiere, brauche ich nicht gleichzeitig einen Vorschlag zu haben,
wie das denn besser gemacht werden kann. Das muß gar nicht sein.
Kritisieren alleine zeigt schon, daß ich mich mit der Sache auseinandergesetzt
habe. Wie es anders gemacht werden kann, weiß ich dann selber nicht,
aber daß es so nicht bleiben kann, soviel weiß ich.
Sozialarbeiter - Obdachlose
Solange nicht deutlich gemacht wird, daß da ein Gegensatz besteht
zwischen Sozialarbeitern und Obdachlosen, solange dieser Gegensatz verwischt
wird, ist es überhaupt schwer, eine Zusammenarbeit zu finden. Der
Gegensatz besteht darin, daß sie eine andere Herkunft haben, daß
sie sozial anders gesichert sind. Sie haben ihre Wohnung, sie haben ihren
Job, sie haben einen anderen Freundeskreis, sie haben andere Ausdrucksmöglichkeiten
dadurch, daß sie studiert haben, sie sind in jeder Hinsicht überlegen
und können sich nicht vorstellen, wie's auf der Straße wirklich
ist. Und können auch nicht die Interessen vertreten, die Obdachlose
haben. Das ist gar nicht möglich. Dieser Gegensatz ist überwindbar,
wenn dieser Gegensatz als Gegensatz zugegeben wird, dann ist er überwindbar.
So, wie das jetzt passiert, ist er nicht überwindbar. Das ist eine
Kritik an fast alle Sozialarbeiter. Die sind austauschbar, und es wird
sich nichts ändern. Weil sie Interessen vertreten wollen, die sie
gar nicht vertreten können. Die Gefahr manchmal ist, also, de facto
ist es so, daß ein Stellvertreterkrieg geführt wird. Daß
anhand der Obdachlosen einzelne Sozialarbeiter oder Gruppen ihre Konzepte
durchboxen wollen.
Ein Gegenvorschlag wäre, diesen Gegensatz zwischen Sozialarbeitern
- Obdachlosen zuzugeben und nicht zu leugnen. Und nicht von dem Anspruch
auszugehen, wir wollen doch alle das Gleiche. Das stimmt eben nicht, das
ist so nicht richtig. Es verlangt niemand, daß sich Sozialarbeiter
freiwillig in die Obdachlosigkeit begeben. Aber was ich verlange, ist,
daß Sozialarbeiter sich mehr mit den Belangen der Obdachlosen auseinandersetzen,
mehr nachfragen: Was wollt ihr eigentlich? Das muß überall passieren,
wo die Kontakte da sind. Nicht so zu tun, als ob Belange von Obdachlosen
vertreten werden, die gar nicht vertreten werden können. Nicht selber
obdachlos zu werden, das ist Unsinn. Das würde sie zwangsläufig
von der einen Seite auf die andere Seite bringen, damit wäre aber
im Bewußtsein nicht nichts passiert. Die wären dann für
eine weitere Tätigkeit in einer sozialen Geschichte, da wären
sie raus, kämen nicht mehr in Frage, sie könnten da nichts mehr
bewirken. Da muß noch viel gelernt werden. Es muß von beiden
Seiten gelernt werden, es muß aber vorwiegend auch von Sozialarbeitern
gelernt werden. Und dann gibt es Obdachlose, die Führung haben wollen.
Und das ist schlimm, daß es unter den Betroffenen Leute gibt, die
das wollen. Die dankbar sind, das es Leute gibt, die ihnen das abnehmen,
vermeintlich. Die vermeintlich ihnen ihre Interessen abnehmen, aber die
die dann nicht so vertreten, wie die Interessen eben von einem Betroffenen
vertreten werden können.
§ 72 und die Sozialarbeiter
Aber, wie gesagt, die Einmischung vom DW, oder daß das überhaupt
übers DW geht, hat damit zu tun, daß das Sozialhilfegesetz gar
keinen anderen Weg zuläßt. Also, wenn ich jetzt hinkomme und
sage: Ich will jetzt mit einer Gruppe, Theatergruppe, und will auf §
72 hin, dann heißt es: "Wo sind die Sozialarbeiter?" Und
wenn ich sage: "Wir wollen keine!"dann sagen die: "Dann
kriegt ihr auch nichts!" Der § 72 muß reformiert werden,
man muß diesen Paragraphen im Einzelnen durchgehen. Aber eine Änderung
dahingehend, daß einzelne Gruppen Mittel beantragen können.
Also einzelne Sozialhilfeempfänger, die in Gruppen kommen, und gemeinsam
was machen wollen, daß die auf § 72 zusätzliche Mittel
bekommen. Das wäre dann eine wesentliche Änderung, und das halte
ich auch für machbar. Es fängt schon an damit, ich komme jetzt
nochmal wieder auf das Theaterstück, was wir jetzt hier im Verein
gemacht haben, zurück: Daß künstlerische Ideen zum Teil
von Sozialarbeitern kommen. Das heißt also, diese Ideen hätte
ein Betroffener nie haben können, die hätten von einem Betroffenen
nie kommen können. Das heißt also, sich das klar zu machen,
was das heißt: Wird ein Stück von Betroffenen gemacht oder wird
ein Stück mit Betroffenen gemacht? Da muß man diese Unterschiede
machen. Dann muß man sagen, wir sind ein Verein, der Theaterarbeit
macht mit Betroffenen. Dann müßten die Sozis Farbe bekennen,
dann müßten sie sagen: "Wir haben das Heft in der Hand!"
Dann sage ich: Das ist in Ordnung, das ist legitim, damit kann ich mich
auseinandersetzen. Mache ich das aber in der Form, daß ich sage:
"Wir haben ja alle gemeinsam ein Ziel!", dann kommen die Sozis
durch die Hintertür und erreichen, ohne Farbe zu bekennen, genau dasselbe.
Aber können immer sagen: "Das ist doch von Euch gekommen!"
Gesellschaftliche Funktion von Sozialarbeit
Wenn eine Gesellschaft kapitalistisch verfaßt ist, kann sie nur
kapitalistisch handeln. Das heißt also, der Sozialarbeiter ist -
zugespitzt gesagt - ein Vertreter des Kapitals. Das DW ist - zugespitzt
gesagt - ein Vertreter des Kapitals. Nicht Widersprüche zu entschärfen,
sondern Widersprüche zu verschleiern. Wenn Widersprüche entschärft
würden, könnte ich sagen: Okay, auch das eine Position, mit der
ich mich auseinandersetzen könnte. Dann habe ich einen Diskussionsansatz.
Dann sage ich: Warum wollt ihr Widersprüche entschärfen, warum
wollt ihr nicht Widersprüche auflösen? Aber wenn ich Widersprüche
verschleiern will, dann habe ich damit eine eindeutige Absicht, das ist
doch ganz klar: Insofern wäre es besser ohne das Diakonische Werk,
weil die Not dann größer wäre und die Widersprüche
offener zutage treten würden, und das ist von Vorteil. Was im Grunde
gemacht wird vom DW, und von den Leuten, die im DW angestellt werden, das
ist Sozialfaschismus. Ich sage das auch zugespitzt. Weil den Leuten erklärt
wird, in dieser Gesellschaft kann man leben, und an der Wohnungsnot tragen
viele Schuld, aber wer daran nicht die Schuld trägt, ist der Senat.
Es wird dann gesagt: Ja, der Senat gibt ja kein Geld. Es wird auf der einen
Seite dem Senat die Schuld gegeben, aber auf der anderen Seite die Schuld
wieder weggenommen. Auch nicht gesagt, es sind die Grundstücksspekulanten,
Mietspekulanten. Ja, die gibt es, die Grundstücksspekulanten und Mietspekulanten,
das sind aber nicht alle. Und man muß ja nur die Gesetze ändern,
dann gibt es diese Spekulation nicht mehr. Auch das ist ja schon ein Weg
auf die falsche Fährte. Und das müßte in einem Theaterstück,
oder es müßte im Obdachlosentheater, überhaupt in Projekten
müßte das thematisiert werden. Und nichts anderes. Und da merke
ich, gibt es eine Front dagegen, da sträuben sich die Sozialarbeiter,
sie geben das nicht zu, und machen das so: Laßt den Leuten eine Entwicklung.
Ich kann den Leuten keine Entwicklung lassen. Die Revolution in Rußland
wäre nie zustande gekommen, wenn ich den Leuten eine Entwicklung gelassen
hätte. Das geht nicht. Und die Einheit hat auch gezeigt, und das aber
zum Negativen hin, den Leuten in der DDR ist keine Entwicklung gelassen
worden vom Sozialismus, wie er real existiert hat, zum Übergang in
den Kapitalismus. Die haben im Gegenteil gesagt: Lassen wir den Leuten
eine Entwicklungszeit, kann sich das Blatt drehen.
Wirklichkeitsverschiebung
Die rauhe Wirklichkeit erzählt niemand gerne, und die rauhe Wirklichkeit
möchte das Gegenüber auch nicht gerne hören. Weil derjenige,
der diese rauhe Wirklichkeit erzählt, dem wird das meistens nicht
abgenommen, kommt noch hinzu. "Das ist ja unmöglich, das kann
ja gar nicht sein!" Und dann sagen sich die Leute: "Ja, wenn
das so ist, das wird mir nicht abgenommen, dann gibt es ja auch noch was
anderes." Und dann kommt diese Geschichte, die auch einen wahren Hintergrund
hat. Oder aus dem Zusammenhang wird dann eben dieses Detail rausgenommen.
Und das ist so eine Wechselwirkung. Das heißt zugespitzt: Der Sozialarbeiter
will betrogen sein, aber jetzt nicht im negativen Sinn, sondern im positiven
Sinn, daß er was positives hört. acht Stunden Müll, acht
Stunden Schrott zu hören hält niemand durch. Der ist über
jede Geschichte, die einigermaßen sympathisch ist, froh. Und der
andere, der Betroffene ist froh, daß er mit dieser Geschichte was
erreicht. Ihm ist damit geholfen, aus einer existentiellen Not. Und so
haben beide was davon. Das ist ein Entgegenkommen, das geschieht sogar
im Einverständnis beider.
Qualifikationskriterien für die Ausbildung
von Sozialarbeitern
Es muß klar gemacht werden und begriffen werden, daß jemand,
der Sozialarbeit studiert, noch längst nicht die Situation der Betroffenen
kennt, und längst nicht in der Lage ist, zu wissen, was für Betroffene
gut ist, das muß er wissen. Er muß kein Praktikum machen, das
ist Quatsch, das kann durchaus ohne Praktikum gehen, aber er muß
bereit sein, von Betroffenen zu lernen. Schon auf der Schule muß
gelernt oder muß den Sozialarbeitern beigebracht werden, daß
sie eine theoretische Ausbildung bekommen, die mit Abschluß des Examens
nicht beendet ist, sondern daß diese theoretische Ausbildung während
der Berufsjahre, die sie vor sich haben, weitergeht, weitergehen wird.
Weil sie erfahren müssen: Was wollen Betroffene? Und was Betroffene
wollen, das muß in den Kopf rein, das müssen sie sich mal aufzeichnen,
und müssen sich dann mit ihren Kollegen zusammensetzen und müssen
das mal diskutieren. Müssen sagen, so, das haben wir in der Schule
gelernt, und diese Situation finden wir jetzt vor. Und das sind typische
Beispiele, die wir hier haben, und: Wie können wir da vorgehen? Oder:
Was können wir da machen? Welchen Anteil können wir dazu beitragen,
daß die Situation geändert wird? Berufsjahre sind Praktikum,
das Praktikum ist ja nie zu Ende. Das ist ja eine verkehrte Ausbildung,
zu sagen: Jetzt habt ihr auch noch ein Praktikum! Im Gegenteil, das gibt
den Leuten eine falsche Sicherheit. Jetzt haben wir auch noch ein Praktikum,
Theorie und Praxis, jetzt wissen wir alles. Und genauso arbeiten sie, so
gehen sie dann an die Sache ran. Genau mit dieser Haltung. Wenn ein Praktikum
gemacht wird, dann ist ein Praktikum zu empfehlen bei Mietspekulanten und
Grundstückseignern. Da würde ein Praktikum wirklich auch was
bringen, um einen wesentlichen Teil der Ursachen zu erkennen in Bezug auf
Wohnungslosigkeit.
Das hilft schon, aber die Ausbildung ist verkehrt, wenn die Ausbildung
nicht auf das Allgemeine geht, das ist wichtig. Und eine Ausbildung sollte
auch dahin noch spezialisiert werden, daß es eine innerhalb der Ausbildung
spezialisierte Fächer gibt für Leute, die mit Wohnungslosen arbeiten
wollen. Dann kann man Betroffene und Sozialarbeiter aus der Praxis einladen,
die setzen sich zusammen, und dann kann das schon innerhalb der Schule
vertieft werden. So wie es jetzt praktiziert wird, ist die Ausbildung in
erster Linie dazu da, um zu verschleiern, um Pflästerchen aufzulegen,
aber nicht, um was zu ändern. Und da ist schon die Schwierigkeit.
Und wer diese Ausbildung verinnerlicht, wird es schwer haben, davon wieder
wegzukommen. Schon da stecken die Probleme drin. Die Betroffenen sind die
Fachleute, aber das wird aber von den Sozialarbeitern nicht zur Kenntnis
genommen, sondern umgekehrt ist es. Weil das ja in der Ausbildung nicht
vorgesehen ist.
Exkurs: Ursachen der Obdachlosigkeit und Lösungsansätze
Der Streßfaktor ist in jedem Falle das Geld. Egal, ob nun jemand
Arbeit hat oder arbeitslos ist oder Sozialhilfe bekommt, in jedem Fall
ist er ein Konsummensch. Und wenn jemand, der 8 Stunden arbeitet, nach
Hause kommt und Streß hat, dreht es sich in der Regel um Geld, oder
um Anschaffungen oder um Reisen oder was auch immer. Auch das ist mit Geld
verbunden. Und das ist bei Arbeitslosen auch der Fall. Dann ist das ja
nur in der Quantität ein Unterschied, nicht in der Qualität.
Und jetzt, durch Mieterhöhungen, durch Preiserhöhungen, vergrößert
sich natürlich der Streß. Je geringer das Einkommen, desto größer
der Streß. Es ist eine Geldangelegenheit in jedem Fall. Geld regelt
alle gesellschaftlichen Verhältnisse. Wer das nicht im Kopf hat, redet
an der Sache vorbei. Arbeit ist keine Notwendigkeit, es kommt darauf an,
was ich arbeite. Der Sinn des Lebens ist nicht die Arbeit. Der Sinn des
Lebens ist: Was mache ich? Wie will ich mein Leben gestalten? Welche Arbeit
mache ich? Das gehört ja mit zum Leben, das ist nicht der Sinn, das
gehört mit zum Leben. Welche Tätigkeit mache ich? Stelle ich
Plastikmüll her? Stelle ich Autos her, die nicht gebraucht werden?
Fernseher, die überzählig sind? Und, und, und. Das wird ja von
den Unternehmern oder von der CDU eingeredet: Ohne Arbeit verliert das
Leben den Sinn. Das ist genau falsch. Das ist ideologisch begründet,
damit wird verschleiert, daß der Unternehmer nur dann Profit an sich
reißen kann, wenn Leute da sind, die ihm den Dreck auch machen.
Dieser Streß, der täglich entsteht, der wird ja nachher schon
zur Routine. Und wenn er plötzlich diesen Streß nicht mehr hat,
dann hat er Entzugserscheinungen. Weil er ja den Menschen, der den Streß
mitverursacht hat, oder mit dazu beigetragen hat, ist ja dann mit weg.
Der Mensch gewöhnt sich ja schnell an Situationen, ob das nun günstige
oder ungünstige Situationen sind. Und wenn er aus dem gewohnten Rhythmus
gerissen wird, oder aus dem gewohnten Milieu, dann hat das Folgen. Wer
viel Geld hat, kann das damit überbrücken, daß er in die
Kneipe geht, und da sind wir wieder bei dem Punkt, Geldfrage, wenn er kein
Geld oder wenig Geld hat, hat er Streß rund um die Uhr, hat er genügend
Geld, hat er zumindest in der Zeit, wo er in der Kneipe ist, kein Streß.
Aber jemand, der wohnungslos ist, obdachlos ist, das ist untragbar, weil
Wohnen mit zu den Grundbedürfnissen gehört. Das ist ein Grundbedürfnis.
Und wer keine Wohnung hat, der ist gestreßt rund um die Uhr. Ob er
nun alleine ist, oder ob er in einer Gruppe von zweien oder mehreren ist.
Der ist rund um die Uhr gestreßt. Und auch da ist das wieder eine
Geldfrage: Hat jemand genug Geld, dann braucht er sich um Obdachlosigkeit
keine Sorge machen, er wird heute Obdachlos und hat morgen wieder eine
Wohnung. Wir kommen um den Geldfaktor nicht herum.
Es ist im Grunde eine Verharmlosung der Obdachlosigkeit, wenn ich sage:
Wer eine Wohnung hat, kann genauso obdachlos sein. Das stimmt einfach nicht.
Das kann ich ja nicht als einen poetischen Begriff einführen, dann
hat es eine ganz andere Bedeutung. Aber in dem Sinne, wie ich das verstehe,
ist derjenige, der eine Wohnung hat oder eine Wohnung bekommt, nicht obdachlos.
Denn dann kommt es darauf an, was er aus seiner Wohnung macht. Wenn ich
die Wohnung bewußt ungemütlich lasse, daß ich mich da
nicht aufhalten kann, dann ist in dem Moment, dann kann ich sagen: Ja,
der Mensch ist obdachlos, trotzdem er eine Wohnung hat. Aber dann hat das
andere Ursachen. Dann hat er sich im Grunde selber obdachlos gemacht, oder
will sich selber obdachlos machen. Das hat aber andere Ursachen dann, Gründe,
warum es so ist. Aber, da hat er selber, oder da ist er federführend
dran beteiligt, ohne daß ihm das von außen aufgezwungen wird.
Verallgemeinern nützt da nichts. Das kann viele Gründe haben.
Aber das muß man jeden Einzelnen, bei dem das der Fall ist, fragen,
oder man müßte näheres darüber wissen. Eines darf
jedenfalls nicht angehen, daß man Einsamkeit mit Obdachlosigkeit
verwechselt.
Viele Obdachlose sind einsam, aber die sind mit Wohnung genauso einsam.
Die Einsamkeit ist ein zentrales Problem, das bleibt es auch. Aber die
Einsamkeit ist ja nicht nur für Obdachlose ein zentrales Problem,
sondern für den überwiegenden Teil, die noch eine Wohnung haben,
auch ein Problem. Das sind ja nicht nur die Obdachlosen. Die Einsamkeit
entsteht erst durch den Alkoholismus. Dadurch gehen Beziehungen kaputt,
dadurch gehen Ehen kaputt, und dann führt das auf längere Sicht
oder auf kurze Zeit hin zur Einsamkeit. Und dann kann das auch zur Obdachlosigkeit
führen. Kann, muß nicht. Aber kann. Und was in einigen Fällen
auch so der Punkt ist. Eine Ursache für Obdachlosigkeit. Alkoholismus
ist zweifellos eine Krankheit. Jemand, der Alkohol braucht und vom Alkohol
nicht weg kommt, ist krank. Das ist aber nur aus einem Grund gefördert,
weil es Steuern einbringt, sehr viel Steuern. Das hat den Grund, daß
das ein wesentlicher Teil der Steueraufkommen ist, gerade aus Alkohol und
auch Zigaretten auch. Das ist ja auch ein politischer Grund, Steuereinnahmen
zu haben, aber es hat keinen anderen Grund, um die Leute jetzt nun bewußtlos
zu machen. Da sind ganz andere Dinge da, um das zu erreichen. Dazu braucht
es keinen Alkohol. Das Gehirn zu vernebeln, dazu braucht es keinen Alkohol.
Es kann ja keiner den Alkohol fördern, um die Köpfe zu vernebeln.
Wenn nämlich aus diesem Grund der Alkohol gefördert würde,
dann müßte der Alkohol billiger sein. Und zum Zweiten wird damit
ja erreicht, daß das gesellschaftliche Gefüge auseinanderbricht,
wenn Alkohol gefördert wird. Das kann nicht in der Absicht der finstersten
CDU liegen, oder welcher Partei auch immer. Der Alkohol in Skandinavien
ist deshalb so teuer, weil der Alkoholkonsum unterbunden werden soll. Die
wollen genau das Gegenteil erreichen, die wollen, daß die Leute nicht
mehr so viel saufen. Und hier hält sich das an der Grenze. Hier ist
der Alkohol für jeden wohlfeil zu erwerben. Vom Hansapils bei Aldi
angefangen ist für jeden was dabei.
Und viele Menschen, kann man sagen, machen sich obdachlos, indem sie
aus ihrer Wohnung nichts machen. Die machen sich dann selber obdachlos.
Aber jetzt bekommt ein Obdachloser eine Wohnung oder ein Zimmer, und dann:
Wo wird er sich aufhalten? Am Bahnhof Zoo. Da ist er nun, die Leute kennt
er, damit war er nun jahrelang zusammen, und er wird wieder zum Bahnhof
Zoo gehen. Das heißt aber, wenn er zum Bahnhof Zoo geht, dann geht
er auch wieder zurück. Wohin denn? In seine Wohnung. Er geht zum Bahnhof
Zoo, weil er zu Hause sich einsam fühlt, die Decke ihm auf den Kopf
fällt. So, und deshalb geht er zum Bahnhof Zoo und wird da mit seinen
Kollegen saufen. Aber dann weiß er, wo er hin geht, mit der letzten
U-Bahn oder mit dem Nachtbus wieder nach Hause. Das ist doch ein Unterschied.
Ein Mittel gegen Einsamkeit ist, sich nicht in diese Einsamkeit hineinzusteigern.
Manche Menschen haben das Talent, und reden sich 24 Stunden lang ein und
sagen, sie sind einsam. Und glauben dann, wenn sie sich das 24 Stunden
am Tag einreden, daß sich dadurch der Zustand ändert. Der Zustand
ändert sich dadurch, das ist klar, aber zum Schlimmeren hin, nicht
zum Besseren. Da muß jeder gucken, und deshalb auch der Zusammenhang,
da muß jeder gucken, wie er aus der Obdachlosigkeit raus kommt, heißt
eben, sich zusammentun. Und dafür kämpfen, daß die Obdachlosigkeit
beseitigt wird. Aus der Einsamkeit herauszukommen heißt, was dagegen
zu tun, aus der Einsamkeit herauszukommen. Mal Möglichkeiten zu suchen:
Wie gelingt es mir, die Einsamkeit zu überwinden? Und beides ist möglich.
Ich kann jetzt nicht in die Kneipe gehen und kann sagen: Jetzt gehst du
in die Kneipe, und dann bist du deine Einsamkeit los, und jetzt mußt
du mal gucken, daß du eine Frau findest, dann bist du nicht mehr
einsam. Das ist schon von vorneherein verkehrt, das erste ist ja mal: Jetzt
bin ich in einer Kneipe, jetzt muß ich mir erstmal einen ansaufen,
und dann werde ich mal gucken, ob ich eine Frau finde? Aber in dem Zustand,
wo er angesoffen ist, wird ihm das dann schon nicht mehr gelingen.
Das geht nicht, sich in Wärmestuben setzen und sagen: Ich bin einsam.
Jeden Tag in alle Wärmestuben, und dann sagen, ich bin einsam, das
geht nicht. In Wärmestuben kommen wenig Frauen hin, und wenn, dann
stürzen sich sofort alle drauf. Da ist schon mal nichts zu finden.
Für einen Obdachlosen ist es wirklich schwer, aus der Einsamkeit rauszukommen.
Der hat keine Wohnung. Das heißt also, er kann die Frau nicht einladen:
Komm zu mir! Die wird die Frage stellen: Ja, wo wohnst du denn? Aber die
Regel ist dann, daß dann ein Vorurteil aufkommt, wenn es heißt:
Er hat keine Wohnung. Ab dann wird es natürlich schwierig. Deswegen
sage ich auch: Jemand, der wohnungslos ist hat es viel schwerer, aus der
Einsamkeit rauszukommen als jemand, der eine Wohnung hat. Der hat immerhin
noch eine Wohnung, das ist das mindeste, was er zu bieten hat, das ist
das mindeste, was jeder Mensch haben muß, die Mindestvoraussetzung.
Und ich kann die Frau verstehen, die dann Abstand nimmt. Es gibt ja viele,
nicht nur in Berlin, in Westdeutschland, die dieses Ausmaß der Obdachlosigkeit
nicht kennen. Die sich keine Vorstellungen machen können, was das
heißt. Oder die das allgemein kennen und sagen: Wohnungslosigkeit
ist schlimm. Lernen sie das jetzt im besonderen Fall kennen, dann aber
sagen: Nein, der hat aber keine Wohnung! Das heißt noch mal: Wie
das allgemein akzeptiert wird, und wie das im Besonderen akzeptiert wird,
sind zwei Dinge. Dieser Widerspruch wird immer bleiben. Das ist ja auch
das Mißverständnis, was es bei vielen Menschen gibt: Vom Besonderen
aufs Allgemeine zu schließen ist gefährlich, weil das nicht
stimmt. Ich darf nicht vom Besonderen aufs Allgemeine schließen,
ich muß vom Allgemeinen aufs Besondere schließen. Wenn ich
vom Besonderen aufs Allgemeine schließe, kann ich dem Irrtum erliegen,
wenn ich jetzt in einem Haus wohne, denen es allen wirtschaftlich gut geht,
dann sage ich: Den Leuten geht es allen wirtschaftlich gut, warum geht
es mir nicht gut, wir sind doch ein reiches Land? Dann erliege ich einem
Irrtum. Wenn ich jetzt sehe, daß es drei oder jetzt vier Millionen
Arbeitslose gibt, und Millionen Sozialhilfeempfänger, Wohnungslose,
und treffe dann einen Wohnungslosen, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger,
dann wird mir das klar, dann wird mir vom Allgemeinen der Beweis auf das
Besondere gegeben. Mache ich nun auf dieser Grundlage - vom Besonderen
aufs Allgemeine - dann Theater oder Aktionen, dann habe ich, bevor ich
das Stück herausgebracht habe, bevor das überhaupt aufgeführt
wird, schon etwas ganz verkehrtes produziert, womit ich gar nicht an die
Öffentlichkeit gehen kann. Wenn ich überwiegend kritische Zuschauer
habe, die werden mir das zerrupfen, und mit Recht. Und was sage ich dann?
Dann sage ich: Ich habe einige Bekannte, die sind in dieser Situation,
die haben genau das erlebt, was ich hier im Stück produziert habe.
Dann sagen die: "Schön und gut, aber, was geht mich das an?"
Wenn ich aber vom Allgemeinen ausgehe und das aufs Besondere bringe, dann
habe ich eine Schlagkraft damit, dann kann ich sagen: Das sind die Fakten!
Und dann kommt das anders rüber. |