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SIEGFRIED
SIEGFRIED ist 46 Jahre alt, kommt aus Hoyerswerder in der ehemaligen
DDR. Dort hat er Kraftfahrer gelernt. Mit 18 wird er aufgrund eines Fluchtversuchs
zehn Jahre in Bautzen inhaftiert. Danach kommt er nach Westberlin, wohnt
in Moabit, heiratet, arbeitet zwölf Jahre lang bei einer Spedition
als Fernfahrer. Seine Frau stirbt 1989. Nach ihrem Tod braucht er seine
Ersparnisse in Höhe von 35.000 DM bald auf.
Biografie
Ich war ein Mensch, ich habe auch rausgeschmissen. Ich habe mit dem
Geld rumgeschmissen wie eine Sau. Wenn ich mal nach Norwegen gefahren bin,
oder in die Türkei runter gefahren bin, ich habe nur von den Spesen
gelebt. Meine Frau hat über 3000 Mark verdient bei Siemens. Ich knapp
fünf. Und mit den Spesen, das kommt darauf an, wo du bist. Wenn du
fährst von hier nach Duisburg und bringst Ladung zurück, also
320 Mark hast du auf jeden Fall Spesen. Ich brauchte kein Geld ausgeben,
brauchte ich nicht. Ich habe alles auf Konto.
Als ich noch Fernfahrer war, gab es keinen Alkohol bei mir, absolut
nicht. Und ich habe zu meinem Chef gesagt: "Herrmann, ich muß
Pause machen dann, wegen meiner Frau!" - "Ist gut", sagt
der, "ist in Ordnung, du kannst jederzeit bei mir wieder anfangen."
Ich habe ihn jetzt am Ku-Damm mal getroffen, der hat mich gesehen: "Was
ist mit dir los?", sagt der, "Du warst gut, warst ehrlich."
Ich sage: "Ich kann momentan nicht!" Würde ich gar nicht
mehr durchstehen. Würde ich nicht mehr schaffen! Der Druck ist zu
groß, wenn du auf der Straße bist, und der ganze Streß.
Ich würd's nicht mehr schaffen. Zwölf Jahre habe ich gemacht.
Nie ein Unfall, immer ehrlich gewesen. Ich habe auch mal ein paar Jungs
von derStraße mitgenommen, die sind so rumgelaufen wie ich heute.
Ich dachte mir: "Mein Gott, was sind das für welche?" Ich
konnte mir's nie vorstellen, ich dachte, das ist Abschaum. Und jetzt bin
ich selber so. Aber ich betrachte mich so: Nicht als Penner, ich bin Berber
geworden, und dazwischen ist ein himmelweiter Unterschied. Ein Penner schmeißt
sich hier irgendwo hin, pennt da und fertig. Zum Beispiel die vom Zoo.
Das sind Ratten. Ich bin Berber, er ist Berber. Das sind Penner. Die beklauen
sich gegenseitig! Mit denen will ich gar nichts zu tun haben. "Guten
Tag, guten Weg!", okay. Wenn die hier kommen, dann weg, tschüß,
fertig!
Ich versuche mein Geld noch zu machen. Das ist der Unterschied. Und
ich kann mein Herz zeigen, ich habe noch Herz. Ich wünsche es dir
nicht, daß du so landest. Das ist schwer. Ich war ja vorher auch
schon auf der Straße, gut, da habe ich was unterm Arsch gehabt, habe
meine Koje gehabt. Aber das Straßenleben, wenn du überall rumgekommen
bist, das formt irgendwie. Da darfst du keine Angst haben und Angst zeigen
sowieso nicht. Wenn du Angst zeigst, ist aus!
Ich habe gute Kumpels unter den Zuhältern und zu den Bordellkönigen.
Wenn ich hinkomme, ich sage: "Wie sieht's aus, du siehst, wie ich
rumlaufe, wie eine Karre Mist!" - "Komm, setz dich hin, Junge,
hier hast du 100 Mark!", in Ordnung. Früher war ich ja mal ganz
gut drauf. Ich habe viel mitgenommen für die Jungs, harte Drogen,
wie ich gefahren bin. Wenn sie mich da erwischt hätten, wäre
natürlich aus. Habe ich gemacht, und das zahlt sich immer wieder aus,
immer wieder. Der Name D.H., den mußt du dir mal merken, das ist
einer der größten, der hier rumläuft. Genau wie ich jetzt
im Knast war, wegen dem Totschlag, ich treffe den: "Siegfried, was
ist los, mein Junge?" Sage ich: "Zwei Tage vor meinem Geburtstag
hänge ich in der Scheiße!" - "Kein Problem",
sagt der, "was willst du trinken, Whisky oder was?" Hat alles
gehabt im Knast.
Ich habe einen aus der S-Bahn rausgeschmissen. Der hat ein blindes Mädchen
vergewaltigt. Der Termin steht noch aus, ich schätze, fünf bis
sieben Jahre. Und da muß ich leben damit. Weil, ich habe zehn Jahre
Bautzen abgebrummt, und da schaff ich die fünf Jahre hier nun auch
noch. Kein Problem, damals wegen Flucht. Ich war deswegen sechs Wochen
im Knast, die haben mich auf Haftprüfung rausgelassen. Da wirst du
nochmal abgecheckt, und da mußt du dich alle zwei Tage melden bei
den Bullen da irgendwo. Mach ich ja nicht. Mein Anwalt weiß, wo ich
bin, der war gestern erst hier. Der sagt zu mir, ich muß versuchen,
eine Anmeldung für mich zu kriegen. Daß ich mir melden kann,
daß ich weiß, wann der Termin läuft. Sonst muß er
für mich dastehen. Wenn er mich vertreten will, und ich tanze nicht
an, muß er für mich dastehen. Und er fängt dann das Urteil
ein, und sagt: "Junge, jetzt mußt du rein." Aber das ist
ein guter Anwalt, der hat mich schon mal rausgehauen, der weiß, daß
ich hier verkehre. Der könnt auch die Bullen anrufen, macht der nicht.
Hilfesystem
Das ist plus minus null. Ich könnte aufs Sozi gehen, ich gehe nicht
hin. Ich geh nicht hin, laß die ihre Scheiße behalten. Ich
will nicht. Die checken mich durch, weil ich ohne Ausweis bin. Da wird
durchgecheckt: Aha, M., festhalten! Guck mal, ich habe noch zwei Schlüssel
hier, ich kann schlafen in so einem Heim da, ich will nicht. Ich habe meine
Tasche, meine Papiere sind da! Habe ich vom Sozi gekriegt, kann da pennen.
Ich will nicht. Liegt mir nicht. Naja, vier Mann und ich, ist schon Scheiße.
Lieber haue mich irgendwo in die Ecke in meinen Schlafsack rein, meist
hier unten unterm Container oder drüben an der Kirche. Hier habe ich
Freunde gefunden, zufrieden bin ich nicht, aber man schlägt sich so
durch. Ist nicht einfach, es ist hart. Und wer das nicht durchmachen kann,
der soll's bleiben lassen. Gartenbau haben sie mir hier vom Sozi mal gegeben:
Habe ich gesagt: "Ist gut." Habe ich einen Monat gemacht. Denk
ich: Für das stehe ich gar nicht mehr auf. Da kriege ich auf der Straße
mehr. Da habe ich mehr auf der Straße.
Selbsttötungsversuch
Auf eine Art macht es Freude, dieses Scheißleben hier, aber auf
der anderen Seite,... ich habe zweimal vor der U-Bahn gesessen, unten auf
den Gleisen war schon. Ich hab' mich einfach unten hingesetzt: "Laß
ihn reinknallen, der Dampfer ist aus, fertig, hast Ruhe!" Mich haben
sie aber rausgeholt. Einmal soll ich 3000 Mark bezahlen und einmal 1700,
weil ich den Verkehr unterbrochen habe. Da habe ich gesagt: "Ihr könnt
mir am Arsch lecken, ich hab' keinen Ausweis, bin wohnungslos, was wollt
ihr von mir?" Das ist mir alles so scheißegal.
Mitwohngelegenheit
Ist doch egal, wenn ich kaputt gehe. Es muß bloß schnell
gehen, ein Knall, so wie bei Lutz jetzt, der ist von uns gegangen jetzt
mit 33 Jahren. Das war ein guter Junge. Das ist seine Uhr noch, die hat
er mir geschenkt, zwei Tage später macht er den Abgang. Was willst
du dann da machen? In seiner Wohnung haben wir gepennt jetzt, ich und M.
Jetzt ist die Wohnung weg, und nun sind wir wieder draußen. Am Dienstag
ist Beerdigung, der wird eingeäschert. Da bin ich da.
Viele Leute kommen hier an und gucken dich von oben nach unten an! Und
das verstehe ich nicht. Irgendwann, wenn die mal runterfallen, die überleben
nicht, glaub mir's. Siehst du, wie sie schon gucken? Siehst du das? Hier,
wie die uns anguckt, ja? Als ob wir der letzte Müll sind, so guckt
die uns an. Ich muß da durch, wenn's geht. Also, mir ist alles kaputtgegangen! |