Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

FRANK

Lebenslage

Wenn du einmal auf der Straße lebst, dann bist du abgestempelt, egal, was du eigentlich machst. Ich habe zum Beispiel gestern meinen Chef angerufen und versucht, da noch mal Kontakt aufzunehmen und zu sagen: "Wie sieht's aus? Krieg ich noch mal eine Chance?" Da sagt er: "Nee, ihr Vater macht uns heut noch die Hölle heiß. Wir können dich echt nicht aufnehmen." Also ihr Vater. Das ist also ein absolutes Schwein. Und das schlimme ist, der hat soviel Freunde und soviel Macht, du kommst an den überhaupt nicht ran.

Hilfesystem

In die Bahnhofsmission geh ich meistens einen Kaffee holen. Anfangs hast du hier am Bahnhof Zoo noch Essen können, das haben sie auch eingestellt. Jetzt kriegst du nur noch Kaffee und ein Brot. Heute gab's einen Becher Salat, das war ganz gut. Und gleich wollen wir zwei - ich habe den Namen schon wieder vergessen[6] - irgendwo hingehen, da gibt es ein warmes Essen. Heute Abend wollen wir gucken, daß wir irgendwo unterkommen. Aber das Problem ist, du darfst nur drei Tage im Monat dableiben, dann bist du wieder auf der Straße. Also versuchst du das eigentlich immer solange rauszuziehen, bis du echt nicht mehr kannst, und dann gehst du halt für drei Tage hin, um dich wieder ein bißchen aufzubauen, und dann geht's weiter.

Schlafplätze

Um erstmal einen Schlafsack zu kriegen, dafür brauchst du Geld, das ist echt schwer. Eine Decke zum Beispiel, okay, habe ich jetzt wieder. Nur, wenn ich mich hier irgendwo in einen Hausflur - das habe ich ein paar mal gemacht - reinsetze, wo es schön warm ist, der erstbeste, der vom Haus vorbeikommt, und irgendeinen Spinner im Haus hast du immer, ruft dann die Bullen, und das gibt immer wieder Theater. Da habe ich mir irgendwann gesagt, ich gehe in keinen Hausflur mehr rein, ich suche mir ein windstilles Eckchen hier. Zum Beispiel da vorne, wo das Ledergeschäft ist, der Inhaber ist total in Ordnung, ein Türke. Und der immer morgens um neun, wenn er kommt, weckt er uns meistens, und sagt: "Paßt auf, jetzt müßt ihr abhauen, jetzt mach ich auf." Der sagt nichts. Und da ist ziemlich windgeschützt. Und wenn du eine Decke hast, dann geht das eigentlich noch. Nur wenn du dich natürlich jetzt hier hinlegen mußt, weil du vor Müdigkeit echt nicht mehr kannst, und dann regnet es auch noch, auf einer Bank draußen kannst du dich auch nicht hinlegen, das ist echt mies. Da bin ich mal eines morgens aufgewacht, da konnte ich meine Knie gar nicht mehr bewegen, die waren total unterkühlt. Am Zoo, zum Beispiel, wir können überhaupt nicht auf den Bahnhof gehen. Überhaupt auf irgendeinen Bahnhof, oder in die U-Bahn, jetzt wo's so kalt ist. Wenn wir uns jetzt hier so ein windstilles Plätzchen aussuchen, dann regt sich eigentlich überhaupt keiner auf. Aber sobald die Bullen vorbeikommen, scheuchen sie uns wieder weg. Wir haben überhaupt keine Möglichkeit, hier mal in Ruhe eine Nacht durchzuschlafen, oder mal auf dem Bahnhof,wo es warm ist. So schläfst du halt zwei Stunden, dann wirst du wieder aufgeweckt von irgendwelchen Polizisten, dann suchst du dir ein neues Plätzchen, dann schläfst du wieder ein paar Stunden, dann wirst du wieder aufgeweckt.

Es gibt viele auch unter uns so, die machen unwahrscheinlich viel Scheiße, die legen sich hierhin und versauen den ganzen Platz. Bierdosen, Kippen, Flaschen kaputtschlagen, hinkotzen und alles mögliche. Das gibt natürlich immer wieder Ärger. Statt daß sie sagen: "Okay, wir räumen die Scheiße wieder weg, daß sich keiner aufregt." Darüber regen die Leute sich ja auf, wenn du das total versaust. Das kriegen sie total nicht auf die Reihe. Die meisten sind so breit, daß sie überhaupt nichts mehr auf die Reihe kriegen. Beklaut wirst du auch noch, zum Beispiel unwahrscheinlich oft von den Junkies. Ich habe jetzt zum Beispiel eine Decke und einen Pullover noch drin für abends, um mich zuzudecken. Wenn du das nicht ständig bei dir hast und festhältst, ist es weg. Dann hast du wieder nichts. Ist also schon passiert, daß ich überhaupt keine Jacke anhatte und habe dann hier nachts rumgestottert wie ein Verrückter. Das Klauen kriegst du ja gar nicht mit, du pennst nachts, wachst morgens auf und hast nichts mehr, nur noch das, was du anhast.

Sitzung machen, Rudern und Alternativen

Das erste Mal war gar nicht so schlimm, ich hatte so einen Hunger und so einen Durst, das war mir eigentlich alles scheißegal. Wenn du mal so richtig Hunger und Durst hast, und du bist so richtig durchgefroren, dann ist dir eigentlich scheißegal, wen du anquatscht. Ich habe also auch schon einen Polizisten gefragt, ob er nicht mal fünf Mark da hat. Das zweite Mal war schlimm, da war ich satt. Um fünf Mark zusammenzukriegen, sitzt du meist schon den ganzen Tag. Da sitzt du wirklich schon den ganzen Tag. Und wenn du anfängst rumzubetteln und jeden anhaust, der dir entgegenkommt, dann schaffst du schon mal, daß du zehn Mark am Tag zusammenkriegst. Wenn ich zehn Mark am Tag habe, bin ich absolut zufrieden. Und dann gerade bei so einem Wetter, die Leute sind total mies gelaunt. Wenn du jetzt irgendwo einen fragst, entweder die gehen vorbei und tun so, als ob sie dich gar nicht hören, oder du kriegst irgendeinen dummen Spruch rein: "Such dir Arbeit, dann hast du Geld!". Oder es gibt auch welche, die total aggressiv reagieren und dir Prügel androhen.

Das ist ja das Absurde, wenn ich jetzt jemanden mit Schlips und Kragen fragen würde, ich würd nie einen Pfennig kriegen, nie, habe ich noch nie erlebt, daß ich von so einem was gekriegt habe. Wenn jetzt einer so besoffen ist, da hast du Chancen, was zu kriegen, und dann von manchen Frauen. Also normalerweise, piekfeine Leute, die echt Kohle haben, wo du es auch siehst, da hast du nie eine Chance, auch nur einen Pfennig zu kriegen. Überhaupt nicht. Irgendwann mal, wenn du so ein paar Jahre auf der Straße lebst, da hast du schon mal einen Guten, der gibt dir ein Essen aus, der gibt dir ein paar neue Klamotten. Das habe ich schon gehört, daß es mal welche gegeben hat, die sollen das gemacht haben. Aber ich habe sie noch nicht kennengelernt.

Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer. Irgendwo find ich das eine totale Schweinerei, weißt du. Hier hat einer mal einen Spruch losgelassen, ich könnte ja dann zufrieden sein, ich bräuchte keine Steuern mehr zu zahlen. Ich würde lieber Steuern zahlen, um solchen Leuten zu helfen, aber was machen sie mit unseren Steuern, geben sie in Rüstung und all so einen Scheiß aus. Wenn du jetzt zum Beispiel am Alex[7] gehst, da hast du überhaupt keine Chancen zu überleben. Erstmal ist die Polizei da unwahrscheinlich hart geworden, die räumen alles weg, was überhaupt da ist, und zweitens, die ganzen Ostler sitzen selber in der Scheiße. Die sind froh, wenn sie ihre Miete zahlen können zur Zeit. In Ostberlin ist es wirklich total mies. Die Leute verlieren ihre Arbeit, verlieren ihre Wohnungen selber teilweise, wissen gar nicht, wie sie über die Runden kommen sollen, und wenn du dann noch fragst: "Hast du 'ne Mark!", hast du überhaupt keine Chance. Ich hatte mal einen ganzen Tag gebettelt und überhaupt nichts zusammengekriegt. Da hast du hier im Westen schon etwas mehr Chancen.

Ab und zu hast du auch gar keine Lust mehr. Es hat auch schon Tage gegeben, wo ich gesagt habe - gerade bei so einem Wetter -dann legst du dich irgendwo auf die U-Bahn hin und denkst dir: "Wenn die Bullen kommen, dann machst du so ein Theater, daß sie dich einfach mitnehmen." Ich war schon öfters in Verwahrung gewesen für eine Nacht. Irgendwann hast du die Schnauze so voll, weil überhaupt nichts klappt. Die Leute sind mies gelaunt. Du kriegst keinen Pfennig zusammen. Und dann sagst du: "Jetzt können die Bullen kommen, jetzt ist mir das auch schon scheißegal!"

Polizei

Erstmal kommen sie, dann sagen sie "Räumen sie bitte den Platz". Und wenn du den Platz räumst, ist eigentlich alles in Ordnung. Aber irgendwann hast du dann so einen Frust, dann sagst du: "Ich räume nicht, ich bleib jetzt hier, ich habe keinen Bock!" Dann wirst du erstmal in Handschellen gelegt und kommst auf das Revier: "Wieso sind sie obdachlos?" Ein paar Fragen gestellt, dann wirst du total mies behandelt. Also mir ist das noch nie passiert, daß ich Prügel gekriegt habe, aber ich habe von anderen schon gehört, daß sie Prügel gekriegt haben sollen auf dem Revier. Das ist mir noch nie passiert. Ich habe wohl schon mal so einen Stupser gekriegt. Wenn du in die Zelle rein mußt, da ist eine Pritsche drin, und du kriegst eine Decke, mehr nicht.

Es ist immer unterschiedlich, je nach dem, wo sie dich aufgreifen. Manchmal bin ich widerspenstig und will auch nicht aufstehen, weil ich so kaputt bin und es draußen kalt ist, und sobald sie mich verhaften, bin ich wieder stinkfreundlich. Und da passiert eigentlich auch nichts. Ich sag mir das immer so, die tun auch nur ihren Job, so habe ich das erlebt, solange du zu den Bullen korrekt bist, sind die auch zu dir korrekt. Wenn du natürlich Theater darum machst, du schnauzt sie an und beleidigst sie, dann werden die sauer, das ist klar.

Es gibt echt sympathische Polizisten, das sind also echt nicht alles Schweine, so wie das gesagt wird. Das ist Quatsch. Es gibt also welche, die lassen dich auch mal pennen und so. Ich habe auch schon mal einen kennengelernt, der hat gesagt: "Ich geb dir einen Kaffee aus!" Aber die richtigen Schweine hier von den Polizisten, die suchen immer nur da, wo windgeschützt ist - hier zum Beispiel die kleinen Ecken oder da die Treppe rauf - und scheuchen dich immer weg. Wenn du jetzt dich hier hinlegst, mitten im Wind, macht keine Sau was. Aber sobald du ein warmes Plätzchen gefunden hast, das ist meistens so, dann kommt irgendeiner vorbei und weckt dich: "Räumen sie bitte den Platz".

Zusammenhalt auf der Straße

Hier herrscht kein Zusammenhalt. Auch unter uns nicht. Wenn wir alle zusammenhalten würden, und würden dann wirklich mal Theater schlagen, okay, jetzt machen wir mal eine Demo oder besetzen jetzt einfach mal ein Haus und bleiben da einfach drin. Daß es mal richtig in die Presse kommt. Aber es passiert ja nichts, überhaupt nichts. Jeder ist froh, wenn er seine Ruhe hat, Hauptsache, er hat sein warmes Essen, und dann ist er schon zufrieden.

 

 

Bei uns gibt es ja mehrere Gruppen. Es gibt erstmal die Obdachlosen, die sind weder Alkis, noch sind sie Junkies oder sonst irgendwie tablettenabhängig, die sind halt irgendwann rausgeflogen aus ihrer Bude und leben auf der Straße. Dann gibt es die Alkis, die sind eigentlich auch noch so ziemlich in Ordnung. Wenn du mal nichts hast kannst du hingehen und sagen: "Hast du mal einen Schluck da?" Und dann gibt es die Junkies. Die sind absolut mies drauf, die beklauen sich untereinander. Wenn du deine Decke nicht festhälst, dann klauen sie dir die, wenn du am Pennen bist. Die sind absolut finster drauf. Aber Junkies sind sind eigentlich keine Obdachlosen, also ein Teil ja, ein Teil lebt in irgendwelchen besetzten Häusern oder bei Kumpels. Die wollen breit sein, alles andere interessiert nicht.

Drogen und Verheißungen

Am Anfang habe ich immer gedacht, egal wie tief ich sinke, Alk und Tabletten kommen für mich nicht in Frage, ich will nicht abhängig werden. Aber mittlerweile bin ich so, wenn du morgens aufstehst und zitterst am ganzen Körper und kannst noch nicht mal mehr anständig gehen, so bist du am Zittern und dir bietet irgendeiner eine Tablette an, die haust du dir sofort rein, ohne nachzudenken. Heute bin ich echt froh, wenn ich abends, wenn es so kalt ist, wenn irgendwo einer eine Flasche Korn hat und ich kann mal einen Schluck trinken. Dann bin ich schon echt zufrieden. Manchmal will ich echt einfach abschalten, dann würde ich am liebsten so breit sein, daß ich gar nichts mehr mitkriege. Meistens ist es einfach um warm zu werden. Ich habe zum Beispiel zwei Pullover und zwei Jacken an. Und trotzdem, du frierst total durch.

Es gibt viel zu erzählen, was du auf der Straße erlebst, aber im Endeffekt interessieren tut es keine Sau. Du hörst auch viel Scheiße hier. Wenn sie erzählen, was sie alles gemacht haben, zum größten Teil ist es erfunden. Wenn einer ehrlich ist, dann muß er nämlich zugeben, daß er auf der Straße nur Scheiße erlebt.

Hier vorne sind viele Christen, die machen Reklame. Da habe ich mich mit einem unterhalten, der sagt: "Du mußt zu Gott beten, dann wird alles wieder besser!" Ich sage: "Ja, zu Gott beten mag ja schön gut möglich sein, nur eine Wohnung habe ich trotzdem nicht, eine Arbeit auch nicht!" Da sagt er: "Wenn du an ihn glaubst, dann hilft er dir auch." Ich sage: "Wie will er mir denn helfen, will er mir ein Haus hierherstellen oder was?"

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97