Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

FRANK

FRANK ist 30 Jahre alt und kommt aus dem Bezirk Berlin - Mitte im Ostteil der Stadt.

Biografie

Eltern

Ich habe früher als Kind mal viel Scheiße gebaut und so. Weil ich dann 18 war, bin ich von zu Hause abhauen, und habe mir gesagt, ich habe keinen Bock mehr auf zu Hause. Mit meinem Vater habe ich Stoff. Meine Mutter ist genauso. Die saufen beide, und damals als ich 18 war, also ich konnte das einfach nicht mehr mit ansehen, das war eigentlich für mich das Schlimmste, die ganze Sauferei und daß es jeden Abend Theater gab. Und als ich dann 18 war, habe ich gesagt: "Nee, ich habe die Schnauze voll, ich hau ab!" Ja, und das habe ich eigentlich gut geschafft damals. Da habe ich dann eine Wohnung besorgt, und habe gesagt: "Alles, was ich will, ist ein ganz normales Leben führen!" und wollte nie sowas wie mein Vater.

Wohnung

Ich bin gelernter Elekriker. Das habe ich gelernt. Habe auch gearbeitet in diesem Beruf. Und später habe ich meine Verlobte kennengelernt. Dann sind wir zusammengezogen, und ich habe ziemlich viel Miete zahlen müssen. Ich war bei 1200 Mark schon. Das war reichlich, aber das war auch eine schicke Wohnung. Die sind so teuer geworden damals, als die Grenze aufgegangen ist. Und dann hat das ein Wessi übernommen, der hat das ganze Ding neu renoviert, echt schick gemacht, sah gut aus, mit offenem Kamin und allem möglichen. Und der hat dann die Preise dementsprechend auch nach dem Westen raufgezogen. Ganz am Anfang habe ich auch weniger bezahlt. 40 Mark habe ich bezahlt. Und dann hat der Wessi dann übernommen da, hat all das ganze Ding neu renoviert, und dann waren es erst 500 Mark, und dann ging es immer weiter in die Höhe. Dann lag es schon bei 1200 Mark, so, und dann habe ich mir auch schon überlegt, wenn das jetzt weiter so geht, dann kannst du die Wohnung auch nicht mehr halten. Gut, in der Wohnung, die ich zuerst hatte, wo ich allein drin war, die war wirklich super. Also warmes fließendes Wasser haben wir gehabt, Zentralheizung, du brauchtest dich um gar nichts mehr zu kümmern, du bist reingekommen und die Bude war warm. Das war schon Luxus, war schön, aber dementsprechend war auch nachher der Preis. Und da hat mein werdender Schwiegervater damals gesagt: "Hier brauchst du nur 60 Mark bezahlen." Das war natürlich ein Angebot, wo ich gesagt habe: "Jederzeit!" Die Wohnung, die wir billiger gekriegt haben, war zwar nicht so schick, und dann mußten wir noch mit Kohle heizen, ich kannte das ja von früher auch her. Das war mir so scheißegal, ich habe gesagt: "Hauptsache ein Dach über dem Kopf und wir fühlen uns wohl!" Das ist eigentlich das Wichtigste überhaupt so im Leben. Und vor allen Dingen, ich kam mit meiner Verlobten unwahrscheinlich gut aus.

Die Wende

Als dann im Herbst 1989 die Mauer offen war, bin ich dann natürlich auch rübergekommen nach West-Berlin, um mir das alles anzuschauen mal. Ich habe mir das so gedacht, am Anfang war ja schon die Rede von Wiedervereinigung, und da habe ich mir gesagt, wenn die jetzt wiedervereinigen, können wir unseren Laden hier sowieso dicht machen. Weil ich habe die ersten paar Tage, wo ich hier rumgelaufen bin, nur Bausteine gestaunt. Ich dachte, das gibt es doch gar nicht. Wenn sie das bei uns alles machen, dann kommt bei uns überhaupt keiner mehr zurecht. Und dann habe ich direkt eine Umschulung gemacht. Da habe ich hier bei der OVB, das war bei uns in der Zeitung drin: "Wir bilden sie aus zum Finanzkaufmann!" Drüben habe ich ja Elektriker gelernt. Ich habe mich hier umschulen lassen als Finanzkaufmann, nach der Öffnung.

Aber Elektriker zum Beispiel, da hätte ich heute gar keine Chance mehr. Weil, erstmal die Elektrik, die wir drüben gelernt haben, wir haben, aus Scheiße haben wir was gemacht. So, und wenn ich mir das hier angucke so, wie die Leute hier die Elektrikleitungen legen, welche Bestimmungen die haben, dann müßtest du erstmal ein Jahr wieder lernen, um überhaupt wieder in den Beruf reinzukommen, um das zu lernen, mit was die arbeiten. Meine Arbeit als Elektriker habe ich noch so lange laufen lassen, bis ich meine Umschulung fertig hatte. Weil während der Umschulung habe ich nichts verdient. Und da habe ich gedacht, solange ich nichts verdiene, behalte ich meinen Job. Ich habe dann abends die Schulungen mitgemacht, das war sowieso total kompliziert. Gold kaufen, Aktien, da mußte ich ja erstmal überall rein. Das war ja ein total neues Gebiet, das kannten wir ja gar nicht so. Gold kaufen überhaupt nicht. Das dauerte, bis ich das einigermaßen drauf hatte und dann habe ich da angefangen. Und dann habe ich auch drüben im Osten angefangen, weil einige Sachen, die wir auf Lager hatten, fand ich echt total gut. Auch mit Geldanlagen und so, da habe ich einigen noch geraten - weil darin sind wir auch geschult worden - jetzt alles zu umzutauschen, was sie haben, wo noch der Kurs 1:1 war und hier in Westberlin ein Konto aufmachen. Wumm. Und so hat das einigen doch noch gebracht, daß nicht die ganzen Ersparnisse zum Teil flöten gehen.

Arbeits- und Wohnungsverlust

Damals, als die DDR noch auf war, hat der Vater meine Verlobte gezwungen, die Lehre als Kauffrau bei Konsum zu machen. Und die wollte die Lehre nie machen, weil sie überhaupt keinen Spaß an der Arbeit hatte und mit der Arbeit auch nicht klargekommen ist. Daraufhin hat sie dann gesagt, wo ich dann den Job bei der OVB hatte, sie kündigt da, und fängt eine neue Lehre an, bei der OVB auch. Damit war der Vater also absolut nicht einverstanden. Irgendwann hat es dann mal Stoff gegeben, weil die Kleine ihre Lehre abgebrochen hat, und der Vater hat gedacht, ich wäre Schuld da dran. Der hat dann ein Riesentheater gemacht, hat sie geschlagen, hat mich bedroht, er würde mich umbringen und so weiter. Dann hat er mich aus der Wohnung rausgeworfen und hat dafür gesorgt, daß ich meine Arbeit loswerde.

Er hat dann meine ganzen Kunden vermiest. Daraufhin hat die OVB dann gesagt, ich wäre nicht mehr tragbar, aufgrund dessen, daß ich Ärger mit den Leuten hätte, weil auch viele Aufträge zurückgegangen sind, und ich möchte mich doch bitte bemühen, eine andere Arbeit zu suchen. Also mir ist ans Herz gelegt worden, die Arbeit niederzulegen. Ich habe praktisch selber gekündigt, aber mehr auf Druck. Damit hat sich das Thema dann erledigt gehabt. Dann blieb natürlich das Geld aus. In der gleichen Woche hat der Vater dafür gesorgt, daß die C., meine Verlobte, erstmal da wieder aufhört, also er hat C. unter Druck gesetzt, und dann hat er sie wieder zurück nach Hause geholt und hat mich rausgeworfen. So bin ich auf der Straße gelandet.

Rauswurf

Der Mietsvertrag lief über den Vater. Und der Vater war damals, so wie ich gehört habe von seiner Tochter, ein hohes Tier bei der Stasi. Der hat auch heute noch unwahrscheinlich gute Beziehungen. Und von dem Tag war es dann - der ist abends mit sieben Mann, mit ihm waren es acht Mann reingekommen, hat die Bude leergeräumt, hat meine Klamotten einfach rausgeschmissen. Alles leergeräumt, zugeschlossen, und gesagt: "Hat sich erledigt, verschwinde!" - Das schlimme ist ja, ich konnte noch nicht mal was machen, ich habe dann versucht mit der Polizei, weil er mir auch gedroht hat, wenn ich mich nochmal blicken lasse, schlägt er mich zusammen. Dann bin zur Polizei gegangen und habe also die Polizei gebeten, was zu unternehmen. Da sagten die: "Da können wir nichts unternehmen, der Mietvertrag läuft auf ihn". Die sollten wenigstens mitkommen, meine Sachen holen. Da wurde ich von der Polizei auch noch behandelt wie ein Schwerverbrecher. Dann sind sie mit mir hingefahren, haben sich da so als Schutz rumgestellt, daß ich meine Klamotten auf dem Hof zusammensuchen konnte, lag ja alles verstreut da. Und dann sagt der Polizist noch so zu mir: "Nimm nicht so viel mit, alles, was du mitnimmst, mußt du auch selber tragen. Sobald du alles gepackt hast, fahren wir wieder los. Unser Befehl lautet nur, solange hierzubleiben, bis sie ihre Sachen zusammengepackt haben!" Dann waren die wieder weg.

Behörden

Dann stand ich auf der Straße und bin zum Wohnungsamt, habe dann versucht, was neues zu kriegen. Das Problem ist, das ist wie so ein Scheiß-Kreislauf: Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung. Und wenn du zum Wohnungsamt gehst, sagen sie: "Tut uns leid, alles voll". Jedesmal haben sie dann gesagt:"Tut uns leid, wir haben nichts!" Da habe ich gesagt: "Ja, wo soll ich denn schlafen?" - "Ja", haben sie gesagt, "da können wir auch nichts mehr machen, dann müssen sie in einem halben Jahr noch mal wiederkommen!" Ich habe zum Beispiel gesagt: "Ich weiß ein Haus, das steht total leer!" - "Können wir nicht besetzen, die Eigentumsfrage ist noch nicht geklärt!" Stattdessen sie uns wenigstens solange da reinlassen würden, daß wir wenigstens ein Dach überm Kopf haben, das wir langsam wieder aufbauen können oder so, aber überhaupt keine Chance.

Ich habe alles mögliche probiert, ich bin auch zum Sozialamt gegangen, verstehst du, ich bin da hingegangen wegen Klamotten: "Wie sieht's denn aus, kann ich ein bißchen Geld kriegen für Klamotten?"-"Nein! Können wir nicht geben!" Dann habe ich gesagt: "Ja, wie sieht's denn überhaupt aus?" Das Sozialamt sagt zu mir: "Wir können nichts machen, ihr Vater verdient genug Geld!" Und dann habe ich gesagt: "Das nützt mir nichts, ich kriege von meinem Vater nichts!" Da haben sie dann gesagt: "Wir könnten es höchstens so machen, daß wir ihnen das Geld geben, und wir es von ihrem Vater zurückholen". Das will ich eigentlich nicht, das vermeide ich. Gut, mein Vater ist alt, hat genug Kohle auf Seite von seinem Erbe da. Nur, wenn ich die Scheiße machen würde und gehe zum Sozialamt, die holen sich das von meinem Vater wieder, und der sieht mich irgendwann auf der Straße, ich glaube, der würde mich kaputtschlagen. Der würde mich echt kaputtschlagen. Ich meine, ich kann zwar nicht verstehen, warum er säuft, heute vielleicht kann ich es ein bißchen verstehen, weil ihn wahrscheinlich auch die ganze Welt ankotzt. Mein Vater läßt mich auch nicht mehr in die Wohnung rein. Und er sagt mir natürlich dann: "Du hast damals keinen Bock gehabt, warum hast du jetzt Bock, wenn es dir schlecht geht?" Also der hat überhaupt kein Interesse, mich nochmal überhaupt zu sehen. Ich hoffe, daß irgendwann das Verhältnis zu meinem Vater wieder in Ordnung ist. Ich versuche, ihn einmal im Monat anzurufen und das Verhältnis irgendwie wieder in Gang zu kriegen, weil ich habe echt keinen Bock, hier auf der Straße zu bleiben. Das interessiert ihn aber wenig, genausowenig wie die Leute das hier interessiert.

Nur wenn du Durchsetzungsvermögen hast, dann schaffst du das vielleicht auf dem Sozialamt. Aber ich bin nun mal so ein Typ, ich habe echt keine Lust auf Ärger. Streiten, Ärger, das liegt mir alles nicht so. Ich frage, und wenn sie "Nein" sagen, sag ich: "Dann halt nicht!" Es gibt natürlich auch welche, die haben sich im Sozialamt hingelegt und haben gesagt: "Wenn ihr mir keine Wohnung gebt, penn ich hier!" Aber die haben auch nichts erreicht.

Ganz harte Sachen

Meine Verlobte wollte schon versuchen, mir zu helfen. Das Problem ist nur, ich komm an die nicht mehr ran. Der Vater hat die also total isoliert, obwohl er die eigentlich gar nicht zu Hause halten könnte, die ist 19 Jahre alt. Überhaupt keine Chance. Die hat so einen Schiß. Wo wir dann die Wohnung hatten, hat sie gesagt: "Ich bin froh, daß ich von zu Hause weg bin. Endlich keine Angst mehr zu haben!" Wir haben eigentlich ein schönes, glückliches Leben geführt. Wir haben zwar nicht viel gehabt, aber das, was wir gehabt haben, das hat uns echt gereicht. Wir waren sogar in der Lage, uns noch einen Hund anzuschaffen. Und sie war schwanger, und der Vater hat sie auch gezwungen, abtreiben zu lassen. Das waren natürlich echt ganz harte Sachen. Dann bin ich ja sowieso erst noch in die Psychiatrie gekommen, weil ich mir das Leben nehmen wollte. Da habe ich Schlaftabletten genommen, da haben sie mich hier auf der Straße aufgegabelt, den Magen ausgepumpt, und dann bin ich in die Psychiatrie gekommen. Und dann bin ich von da aus entlassen worden, und da habe ich direkt wieder den nächsten Selbstmordversuch gemacht. Dann bin ich wieder in die Psychiatrie gekommen, wieder entlassen worden. Also dreimal habe ich versucht mir das Leben zu nehmen. Und irgendwann habe ich dann gesagt: "Das Leben zu nehmen hat keinen Sinn mehr, versuche dich durchzuschlagen!" Ich hoffe, daß ich irgendwann wieder mit ihr zusammenkomme, weil ich habe die unwahrscheinlich lieb. - Also, ich habe mir eine Pumpe gekauft für eine Mark, die kannst du im Automaten ziehen, die habe ich für die Notreserve gekauft, und habe gesagt, wenn ich echt irgendwann nicht mehr weiter kann, drücke ich mir Luft hinein und dann kann dir eh keiner mehr helfen.

Ich habe zum Beispiel versucht, im Krankenhaus unterzukommen. Einen Abend habe ich mal zuviel gesoffen, natürlich bin ich dann die Treppe runtergeflogen, und dann lag ich da. Habe ich das Schienbein gebrochen. Da wollten sie mir erst einen Gips anlegen. Und da habe ich gesagt: "Einen Gips will ich eigentlich nicht haben, dann bin ich ja total aufgeschmissen!" Da haben sie mir so Drahtgestelle verpaßt, daß ich laufen kann, das entlastet den Knochen. Also ich laufe jetzt praktisch nur auf diesem Gestell hier. Und da habe ich gesagt: "Kann ich nicht hierbleiben?" Und da sagten sie: "Wir haben keinen Platz frei". Dann bin ich zu einem anderen Krankenhaus, auch kein Platz frei und so. Im Krankenhaus wirst du auch genau behandelt wie der letzte Asi.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97