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FRANK
FRANK ist 30 Jahre alt und kommt aus dem Bezirk Berlin - Mitte im Ostteil
der Stadt.
Biografie
Eltern
Ich habe früher als Kind mal viel Scheiße gebaut und so.
Weil ich dann 18 war, bin ich von zu Hause abhauen, und habe mir gesagt,
ich habe keinen Bock mehr auf zu Hause. Mit meinem Vater habe ich Stoff.
Meine Mutter ist genauso. Die saufen beide, und damals als ich 18 war,
also ich konnte das einfach nicht mehr mit ansehen, das war eigentlich
für mich das Schlimmste, die ganze Sauferei und daß es jeden
Abend Theater gab. Und als ich dann 18 war, habe ich gesagt: "Nee,
ich habe die Schnauze voll, ich hau ab!" Ja, und das habe ich eigentlich
gut geschafft damals. Da habe ich dann eine Wohnung besorgt, und habe gesagt:
"Alles, was ich will, ist ein ganz normales Leben führen!"
und wollte nie sowas wie mein Vater.
Wohnung
Ich bin gelernter Elekriker. Das habe ich gelernt. Habe auch gearbeitet
in diesem Beruf. Und später habe ich meine Verlobte kennengelernt.
Dann sind wir zusammengezogen, und ich habe ziemlich viel Miete zahlen
müssen. Ich war bei 1200 Mark schon. Das war reichlich, aber das war
auch eine schicke Wohnung. Die sind so teuer geworden damals, als die Grenze
aufgegangen ist. Und dann hat das ein Wessi übernommen, der hat das
ganze Ding neu renoviert, echt schick gemacht, sah gut aus, mit offenem
Kamin und allem möglichen. Und der hat dann die Preise dementsprechend
auch nach dem Westen raufgezogen. Ganz am Anfang habe ich auch weniger
bezahlt. 40 Mark habe ich bezahlt. Und dann hat der Wessi dann übernommen
da, hat all das ganze Ding neu renoviert, und dann waren es erst 500 Mark,
und dann ging es immer weiter in die Höhe. Dann lag es schon bei 1200
Mark, so, und dann habe ich mir auch schon überlegt, wenn das jetzt
weiter so geht, dann kannst du die Wohnung auch nicht mehr halten. Gut,
in der Wohnung, die ich zuerst hatte, wo ich allein drin war, die war wirklich
super. Also warmes fließendes Wasser haben wir gehabt, Zentralheizung,
du brauchtest dich um gar nichts mehr zu kümmern, du bist reingekommen
und die Bude war warm. Das war schon Luxus, war schön, aber dementsprechend
war auch nachher der Preis. Und da hat mein werdender Schwiegervater damals
gesagt: "Hier brauchst du nur 60 Mark bezahlen." Das war natürlich
ein Angebot, wo ich gesagt habe: "Jederzeit!" Die Wohnung, die
wir billiger gekriegt haben, war zwar nicht so schick, und dann mußten
wir noch mit Kohle heizen, ich kannte das ja von früher auch her.
Das war mir so scheißegal, ich habe gesagt: "Hauptsache ein
Dach über dem Kopf und wir fühlen uns wohl!" Das ist eigentlich
das Wichtigste überhaupt so im Leben. Und vor allen Dingen, ich kam
mit meiner Verlobten unwahrscheinlich gut aus.
Die Wende
Als dann im Herbst 1989 die Mauer offen war, bin ich dann natürlich
auch rübergekommen nach West-Berlin, um mir das alles anzuschauen
mal. Ich habe mir das so gedacht, am Anfang war ja schon die Rede von Wiedervereinigung,
und da habe ich mir gesagt, wenn die jetzt wiedervereinigen, können
wir unseren Laden hier sowieso dicht machen. Weil ich habe die ersten paar
Tage, wo ich hier rumgelaufen bin, nur Bausteine gestaunt. Ich dachte,
das gibt es doch gar nicht. Wenn sie das bei uns alles machen, dann kommt
bei uns überhaupt keiner mehr zurecht. Und dann habe ich direkt eine
Umschulung gemacht. Da habe ich hier bei der OVB, das war bei uns in der
Zeitung drin: "Wir bilden sie aus zum Finanzkaufmann!" Drüben
habe ich ja Elektriker gelernt. Ich habe mich hier umschulen lassen als
Finanzkaufmann, nach der Öffnung.
Aber Elektriker zum Beispiel, da hätte ich heute gar keine Chance
mehr. Weil, erstmal die Elektrik, die wir drüben gelernt haben, wir
haben, aus Scheiße haben wir was gemacht. So, und wenn ich mir das
hier angucke so, wie die Leute hier die Elektrikleitungen legen, welche
Bestimmungen die haben, dann müßtest du erstmal ein Jahr wieder
lernen, um überhaupt wieder in den Beruf reinzukommen, um das zu lernen,
mit was die arbeiten. Meine Arbeit als Elektriker habe ich noch so lange
laufen lassen, bis ich meine Umschulung fertig hatte. Weil während
der Umschulung habe ich nichts verdient. Und da habe ich gedacht, solange
ich nichts verdiene, behalte ich meinen Job. Ich habe dann abends die Schulungen
mitgemacht, das war sowieso total kompliziert. Gold kaufen, Aktien, da
mußte ich ja erstmal überall rein. Das war ja ein total neues
Gebiet, das kannten wir ja gar nicht so. Gold kaufen überhaupt nicht.
Das dauerte, bis ich das einigermaßen drauf hatte und dann habe ich
da angefangen. Und dann habe ich auch drüben im Osten angefangen,
weil einige Sachen, die wir auf Lager hatten, fand ich echt total gut.
Auch mit Geldanlagen und so, da habe ich einigen noch geraten - weil darin
sind wir auch geschult worden - jetzt alles zu umzutauschen, was sie haben,
wo noch der Kurs 1:1 war und hier in Westberlin ein Konto aufmachen. Wumm.
Und so hat das einigen doch noch gebracht, daß nicht die ganzen Ersparnisse
zum Teil flöten gehen.
Arbeits- und Wohnungsverlust
Damals, als die DDR noch auf war, hat der Vater meine Verlobte gezwungen,
die Lehre als Kauffrau bei Konsum zu machen. Und die wollte die Lehre nie
machen, weil sie überhaupt keinen Spaß an der Arbeit hatte und
mit der Arbeit auch nicht klargekommen ist. Daraufhin hat sie dann gesagt,
wo ich dann den Job bei der OVB hatte, sie kündigt da, und fängt
eine neue Lehre an, bei der OVB auch. Damit war der Vater also absolut
nicht einverstanden. Irgendwann hat es dann mal Stoff gegeben, weil die
Kleine ihre Lehre abgebrochen hat, und der Vater hat gedacht, ich wäre
Schuld da dran. Der hat dann ein Riesentheater gemacht, hat sie geschlagen,
hat mich bedroht, er würde mich umbringen und so weiter. Dann hat
er mich aus der Wohnung rausgeworfen und hat dafür gesorgt, daß
ich meine Arbeit loswerde.
Er hat dann meine ganzen Kunden vermiest. Daraufhin hat die OVB dann
gesagt, ich wäre nicht mehr tragbar, aufgrund dessen, daß ich
Ärger mit den Leuten hätte, weil auch viele Aufträge zurückgegangen
sind, und ich möchte mich doch bitte bemühen, eine andere Arbeit
zu suchen. Also mir ist ans Herz gelegt worden, die Arbeit niederzulegen.
Ich habe praktisch selber gekündigt, aber mehr auf Druck. Damit hat
sich das Thema dann erledigt gehabt. Dann blieb natürlich das Geld
aus. In der gleichen Woche hat der Vater dafür gesorgt, daß
die C., meine Verlobte, erstmal da wieder aufhört, also er hat C.
unter Druck gesetzt, und dann hat er sie wieder zurück nach Hause
geholt und hat mich rausgeworfen. So bin ich auf der Straße gelandet.
Rauswurf
Der Mietsvertrag lief über den Vater. Und der Vater war damals,
so wie ich gehört habe von seiner Tochter, ein hohes Tier bei der
Stasi. Der hat auch heute noch unwahrscheinlich gute Beziehungen. Und von
dem Tag war es dann - der ist abends mit sieben Mann, mit ihm waren es
acht Mann reingekommen, hat die Bude leergeräumt, hat meine Klamotten
einfach rausgeschmissen. Alles leergeräumt, zugeschlossen, und gesagt:
"Hat sich erledigt, verschwinde!" - Das schlimme ist ja, ich
konnte noch nicht mal was machen, ich habe dann versucht mit der Polizei,
weil er mir auch gedroht hat, wenn ich mich nochmal blicken lasse, schlägt
er mich zusammen. Dann bin zur Polizei gegangen und habe also die Polizei
gebeten, was zu unternehmen. Da sagten die: "Da können wir nichts
unternehmen, der Mietvertrag läuft auf ihn". Die sollten wenigstens
mitkommen, meine Sachen holen. Da wurde ich von der Polizei auch noch behandelt
wie ein Schwerverbrecher. Dann sind sie mit mir hingefahren, haben sich
da so als Schutz rumgestellt, daß ich meine Klamotten auf dem Hof
zusammensuchen konnte, lag ja alles verstreut da. Und dann sagt der Polizist
noch so zu mir: "Nimm nicht so viel mit, alles, was du mitnimmst,
mußt du auch selber tragen. Sobald du alles gepackt hast, fahren
wir wieder los. Unser Befehl lautet nur, solange hierzubleiben, bis sie
ihre Sachen zusammengepackt haben!" Dann waren die wieder weg.
Behörden
Dann stand ich auf der Straße und bin zum Wohnungsamt, habe dann
versucht, was neues zu kriegen. Das Problem ist, das ist wie so ein Scheiß-Kreislauf:
Ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung. Und wenn du zum Wohnungsamt
gehst, sagen sie: "Tut uns leid, alles voll". Jedesmal haben
sie dann gesagt:"Tut uns leid, wir haben nichts!" Da habe ich
gesagt: "Ja, wo soll ich denn schlafen?" - "Ja", haben
sie gesagt, "da können wir auch nichts mehr machen, dann müssen
sie in einem halben Jahr noch mal wiederkommen!" Ich habe zum Beispiel
gesagt: "Ich weiß ein Haus, das steht total leer!" - "Können
wir nicht besetzen, die Eigentumsfrage ist noch nicht geklärt!"
Stattdessen sie uns wenigstens solange da reinlassen würden, daß
wir wenigstens ein Dach überm Kopf haben, das wir langsam wieder aufbauen
können oder so, aber überhaupt keine Chance.
Ich habe alles mögliche probiert, ich bin auch zum Sozialamt gegangen,
verstehst du, ich bin da hingegangen wegen Klamotten: "Wie sieht's
denn aus, kann ich ein bißchen Geld kriegen für Klamotten?"-"Nein!
Können wir nicht geben!" Dann habe ich gesagt: "Ja, wie
sieht's denn überhaupt aus?" Das Sozialamt sagt zu mir: "Wir
können nichts machen, ihr Vater verdient genug Geld!" Und dann
habe ich gesagt: "Das nützt mir nichts, ich kriege von meinem
Vater nichts!" Da haben sie dann gesagt: "Wir könnten es
höchstens so machen, daß wir ihnen das Geld geben, und wir es
von ihrem Vater zurückholen". Das will ich eigentlich nicht,
das vermeide ich. Gut, mein Vater ist alt, hat genug Kohle auf Seite von
seinem Erbe da. Nur, wenn ich die Scheiße machen würde und gehe
zum Sozialamt, die holen sich das von meinem Vater wieder, und der sieht
mich irgendwann auf der Straße, ich glaube, der würde mich kaputtschlagen.
Der würde mich echt kaputtschlagen. Ich meine, ich kann zwar nicht
verstehen, warum er säuft, heute vielleicht kann ich es ein bißchen
verstehen, weil ihn wahrscheinlich auch die ganze Welt ankotzt. Mein Vater
läßt mich auch nicht mehr in die Wohnung rein. Und er sagt mir
natürlich dann: "Du hast damals keinen Bock gehabt, warum hast
du jetzt Bock, wenn es dir schlecht geht?" Also der hat überhaupt
kein Interesse, mich nochmal überhaupt zu sehen. Ich hoffe, daß
irgendwann das Verhältnis zu meinem Vater wieder in Ordnung ist. Ich
versuche, ihn einmal im Monat anzurufen und das Verhältnis irgendwie
wieder in Gang zu kriegen, weil ich habe echt keinen Bock, hier auf der
Straße zu bleiben. Das interessiert ihn aber wenig, genausowenig
wie die Leute das hier interessiert.
Nur wenn du Durchsetzungsvermögen hast, dann schaffst du das vielleicht
auf dem Sozialamt. Aber ich bin nun mal so ein Typ, ich habe echt keine
Lust auf Ärger. Streiten, Ärger, das liegt mir alles nicht so.
Ich frage, und wenn sie "Nein" sagen, sag ich: "Dann halt
nicht!" Es gibt natürlich auch welche, die haben sich im Sozialamt
hingelegt und haben gesagt: "Wenn ihr mir keine Wohnung gebt, penn
ich hier!" Aber die haben auch nichts erreicht.
Ganz harte Sachen
Meine Verlobte wollte schon versuchen, mir zu helfen. Das Problem ist
nur, ich komm an die nicht mehr ran. Der Vater hat die also total isoliert,
obwohl er die eigentlich gar nicht zu Hause halten könnte, die ist
19 Jahre alt. Überhaupt keine Chance. Die hat so einen Schiß.
Wo wir dann die Wohnung hatten, hat sie gesagt: "Ich bin froh, daß
ich von zu Hause weg bin. Endlich keine Angst mehr zu haben!" Wir
haben eigentlich ein schönes, glückliches Leben geführt.
Wir haben zwar nicht viel gehabt, aber das, was wir gehabt haben, das hat
uns echt gereicht. Wir waren sogar in der Lage, uns noch einen Hund anzuschaffen.
Und sie war schwanger, und der Vater hat sie auch gezwungen, abtreiben
zu lassen. Das waren natürlich echt ganz harte Sachen. Dann bin ich
ja sowieso erst noch in die Psychiatrie gekommen, weil ich mir das Leben
nehmen wollte. Da habe ich Schlaftabletten genommen, da haben sie mich
hier auf der Straße aufgegabelt, den Magen ausgepumpt, und dann bin
ich in die Psychiatrie gekommen. Und dann bin ich von da aus entlassen
worden, und da habe ich direkt wieder den nächsten Selbstmordversuch
gemacht. Dann bin ich wieder in die Psychiatrie gekommen, wieder entlassen
worden. Also dreimal habe ich versucht mir das Leben zu nehmen. Und irgendwann
habe ich dann gesagt: "Das Leben zu nehmen hat keinen Sinn mehr, versuche
dich durchzuschlagen!" Ich hoffe, daß ich irgendwann wieder
mit ihr zusammenkomme, weil ich habe die unwahrscheinlich lieb. - Also,
ich habe mir eine Pumpe gekauft für eine Mark, die kannst du im Automaten
ziehen, die habe ich für die Notreserve gekauft, und habe gesagt,
wenn ich echt irgendwann nicht mehr weiter kann, drücke ich mir Luft
hinein und dann kann dir eh keiner mehr helfen.
Ich habe zum Beispiel versucht, im Krankenhaus unterzukommen. Einen
Abend habe ich mal zuviel gesoffen, natürlich bin ich dann die Treppe
runtergeflogen, und dann lag ich da. Habe ich das Schienbein gebrochen.
Da wollten sie mir erst einen Gips anlegen. Und da habe ich gesagt: "Einen
Gips will ich eigentlich nicht haben, dann bin ich ja total aufgeschmissen!"
Da haben sie mir so Drahtgestelle verpaßt, daß ich laufen kann,
das entlastet den Knochen. Also ich laufe jetzt praktisch nur auf diesem
Gestell hier. Und da habe ich gesagt: "Kann ich nicht hierbleiben?"
Und da sagten sie: "Wir haben keinen Platz frei". Dann bin ich
zu einem anderen Krankenhaus, auch kein Platz frei und so. Im Krankenhaus
wirst du auch genau behandelt wie der letzte Asi. |