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OTTO
Lebenslage
Das ist das erste Mal, daß ich wirklich wohnungslos bin in meinem
Leben. Sonst hatte ich immer meine Wohnung gehabt und halten können.
Bauwagen
Letztes Jahr hatte ich mir noch draußen in der Genshagener Heide
ein Grundstück gepachtet, damit ich mein Sommerquartier da draußen
hatte, 40 Kilometer von Berlin. Als die Mauer gefallen ist, habe ich mir
gesagt, warum soll ich in der öden Stadt leben im Sommer, groß
verreisen kann ich nicht, weil ich mir das nicht leisten kann, so sitze
ich mitten im Grünen, kann da meine Sachen machen. Habe mir einen
Bauwagen hingestellt, habe mir's schön gemütlich gemacht. Den
Bauwagen habe ich mir damals von der Treuhand organisiert, da habe ich
noch einen Freund angerufen, der hat einen großen 7,5-Tonner, hinten
in die Kupplung rein, dem war es egal, ob das Ding angemeldet ist oder
nicht, waren ja nur fünf Kilometer zu ziehen, da war die Sache erledigt
gewesen. Das ist ein schöner Sommersitz gewesen.
Bauwagenromantik in Berlin. OTTO: "Zwangsläufig
als Notquartier"
Also momentan sieht es ziemlich bescheiden aus. Zwangsläufig muß
ich jetzt im Winter da draußen bleiben als Notquartier, was mir gesundheitlich
nicht sehr zuträglich ist. 20 Quadratmeter. Acht Meter 50 mal zwei
Meter 30, man kann drin leben. Nur ist es ein bißchen kühl,
wenn man nicht gerade heizt. Mit der Wasserversorgung sieht es schlecht
aus, ich muß immer fünf Kilometer bis zur Tankstelle laufen,
weil da kein Auto hinfährt. Das Wasser, was auf dem Gelände ist,
das kann man nicht trinken. Ich habe einen Kanister hängen, habe immer
100 Liter da, das reicht für drei Tage. Normalerweise, wenn ich genug
Bares habe, dann gehe ich mit Fahrrad einkaufen da in der Nähe. Aber
momentan habe ich so gut wie kein Geld, von daher muß ich sehen,
wo ich bleibe. Und dann habe ich ja noch im Keller von meinen Eltern Kohlen.
Dann hole ich mir ab und zu mal, für zwei Tage reicht so ein Kanister
da mit Kohlen. Das sind immerhin 100 Kilometer immerhin jeden Tag zu fahren,
und das ist immer das Problem, weil ich keinen Führerschein mehr machen
darf. Durch die Hirnhautentzündung oder durch den Hiff kriege ich
keine Fahrerlaubnis mehr. Das Schlimmste ist bloß, daß der
Bus alle zwei Stunden fährt, und um dreiviertel sieben ist Feierabend.
Oder ich könnte mit der S-Bahn fahren, mit dem Vorstadtzug bin ich
vier Stunden unterwegs. So bin ich zwei Stunden unterwegs. Das ist ein
ganz schöner Aufwand, das ist blöde momentan. Weil ich finanziell
so ausgebeutelt bin.
50 Mark im Monat habe ich bezahlt. Seitdem der Rechtsstreit am Laufen
ist, zahle ich überhaupt nichts mehr. Die Frau hatte uns das Grundstück
angeboten zur Pacht. Es gehört ihr gar nicht, die wollte da ein bißchen
Kohle abzwacken. Da haben wir gesagt, sie kriegt keine Kohle, bevor sie
uns nicht schriftlich bestätigt, daß es ihr Eigentum ist. Das
macht sie nicht, und dann sieht sie auch kein Geld. Jetzt werden wir sie
verklagen, das Ding ist so gut wie narrensicher, aber das nützt mir
auch nicht weiter, weil ich keine Bleibe habe. Ich habe eine einstweilige
Verfügung erlassen jetzt, daß ich da erstmal bleiben kann, weil
die Eigentumsrechte jetzt nicht geklärt sind. Erst hieß es,
das Ding gehört der LPG, und jetzt ist die Baronesse von Großbeeren
da mit am Wickel, also Altansprüche. Alles sehr kompliziert, große
Lust auf prozessieren habe ich eigentlich gar nicht, weil ich mir das finanziell
nicht leisten kann. Aber ich will das der Frau auch nicht so durchgehen
lassen, denn ich finde das eine ganz schöne Schweinerei.
Das ist ein schöner Sommersitz gewesen, ich habe mich eigentlich
sauwohl gefühlt im Sommer, konnte schön mit meinem Computer arbeiten,
meine Elektronik machen so nebenbei, das ist mein Hobby, seitdem ich aufgehört
habe zu arbeiten, daß ich viel mit dem Computer mache, ab und zu
Spiele an Zeitschriften verkaufe für den C64er. Und was mein privates
Hobby ist, was ich eigentlich nur für mich mache, daß ich mir
einen Laser gebaut habe und mit dem Laser experimentiere. Das ist kein
Problem für mich, daß ich im Moment keine Arbeit habe, daß
ich mich nicht beschäftigen kann. Ich bin mehr oder weniger zum Einzelgänger
geworden, mit meiner Freundin noch ein bißchen Kontakt, und meine
zwei Freunde, die ich ich noch habe, das ist mein Freundeskreis, und mehr
habe ich nicht, und den Kreis habe ich auch sicher, und mehr interessiert
mich nicht. Ich habe mein Hobby, hatte meine Wohnung, und war eigentlich
vollkommen zufrieden gewesen. - Und jetzt hat sich die ganze Sache wieder
geändert, jetzt bin ich wieder am Kämpfen ums Überleben.
Wiederbeschaffung einer Wohnung
Für mich ist es eine ganz neue Lebenssituation, weil ich jetzt
das erste Mal wirklich ohne Wohnung dastehe und ohne eigene Schuld. Nur
durch die finanziellen Geschichten. Und ich bin jetzt ganz schön am
Wirbeln, ich habe jetzt alles in die Wege geleitet, was ich in die Wege
leiten kann für in puncto Wohnung. Wohnberechtigungsschein für
zwei Zimmer beantragt, mich hier gemeldet. Jetzt habe ich meine privaten
Kontakte zu Hausbesitzern spielen lassen, für die ich damals so nebenbei
gearbeitet habe. Ist alles nichts zu löten. Entweder sind die Wohnungen
zu teuer, oder ich brauche einen Wohnberechtigungsschein.
Ich habe jahrelang gebraucht, um mich durch den Sozialwulst, was ich
für Ansprüche habe, was ich für Rechte habe, durchzubeißen.
Das habe ich so drin, und deshalb bin ich nicht so gerne gesehen auf dem
Sozialamt. Die Gesetzgebung ist brutal eigentlich beim Bundessozialhilfegesetz,
das sind für mich Gummiparagraphen. Das liegt immer im Ermessen des
Bearbeiters, und wenn dem deine Nase nicht gefällt, bist du angeschissen.
In die Anträge schreibe ich lieber Laube rein, das hört
sich besser an als Bauwagen. Denn die Ämter haben ja hier momentan
so einen Haß auf Bauwagen, Bauwagen sind ja auch Berlin-Mitte zum
Beispiel am Potsdamer Platz.
Gesundheit
So sieht meine Situation momentan aus, daß ich wirklich am Rudern
bin und daß ich jetzt totale Panik kriege, daß ich wieder,
durch diesen ganzen Streß, der mir wirklich an die Nieren geht, ganz
schnell im Krankenhaus wieder lande. Über meinen Tod denke ich nicht
nach. Wenn ich darüber nachdenken würde, würde ich verrückt
werden. Ich habe das zwar eine Zeit lang gemacht, aber da habe ich gemerkt,
daß es mich runterzieht und es mir immer beschissener geht. Und ich
denk darüber einfach nicht nach, ich sage mir, jeder Mensch muß
irgendwann sterben, und wenn es soweit ist, werde ich es merken. Nur daß
ich aufpassen muß mit meiner Gesundheit. Ich muß aufpassen,
daß ich mir nicht eine Infektion einfange, also grobe Sachen wie
ein Grippevirus, das könnte mich töten, weil mein Immunsystem
nicht so stark ist: Oder, sagen wir es mal so, es könnte mich so weit
runterbringen, daß ich mich davon nicht mehr erhole. Also ich passe
auf, daß mir so etwas nicht passiert, also ich achte ein bißchen
drarauf, wie ich mich kleide, wie ich lebe und wie ich mich ernähre.
Das macht ja schon viel aus, daß man sich nicht unnütz der Gefahr
aussetzt wie früher, wenn ich auf dem Bau ohne Regenjacke gearbeitet
habe oder im Regen spazieren gegangen bin, solche Sachen mache ich nicht
mehr. Nur muß ich zusehen, daß ich eine warme Bude habe. Daß
ich nicht so fahrlässig mit mir umgehe. Bei mir könnte jede Infektion
gefährlich werden. Den Anfang von Hautkrebs habe ich schon, und mein
Immunsystem ist momentan auch nicht das dollste, also bin ich wieder auf
Hab'-Acht-Stellung. Es ist eine große Unterstützung, wenn es
dir psychisch gut geht, aber es ist auch nicht alles. Du kannst zwar über
die Psyche dein Immunsystem gut beeinflussen, aber wenn es jetzt wirklich
zu hart kommt, dann nützt die beste psychologische Grundausstattung
nichts, dann bist du fällig. Das sind Sachen, die ineinanderspielen.
Über das Immunsystem wissen sie nicht viel, die lieben Ärzte,
und ich habe für mich persönlich festgestellt, daß ich
besser lebe ohne Medikamente. Alle Medikamente habe ich abgesetzt, auch
das Retrovir. Retrovir ist AZT. AZT ist ein Wirkstoff, der die Ausbreitung
des Aids-Virus hemmt. drei, vier oder sechs Monate hast du gute Erfolge
damit, aber danach ist Banane. Danach, das ist meine Erfahrung, hilft es
nicht mehr, aber die Nebenwirkungen sind tierisch, das ist eine chemische
Keule. Teilweise wollten sie jetzt bei mir, seitdem ich den Hautkrebs habe,
Interferon und Retrovir wieder ansetzen, aber ich will nicht herumlaufen
wie eine Leiche. Und dann psychische Störungen kriegt man dadurch,
alles solche netten Sachen. Das sagen die Ärzte ja auch, also bei
dem AZT oder Retrovir ist der Verkaufsname, haben sie zwar gute Erfolge
gehabt mit geringen Dosierungen, aber über längere Sicht ist
es das gleiche, als wenn man gar nichts nimmt. Und ich bin auf den Standpunkt
gekommen, daß ich keine Medikamente mehr nehme, die mir nicht absolut
helfen. Was ich höchstens noch nehme, sind Antibiotika. Und das dann
aber auch sachte. Und seitdem lebe ich besser, seitdem ich mich nicht alle
zwölf Stunden, wo ich so ein Ding einpiepen mußte, immer daran
erinnert werde. |