Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

OTTO

Perspektiven

Mein Problem ist eher mehr meine Gesundheit und meine Psyche. Ich wette da, wenn es jetzt so weitergeht: Über kurz oder lang sitze ich wieder im Krankenhaus. Und deswegen ist es für mich wichtig, daß ich ziemlich schnell eine Wohnung kriege. Aber so, wie ich gehört habe, ein bis zwei Jahre warten. Da kann ich mich schon auf was einrichten. Im Endeffekt bin ich ja obdachlos. Die haben mich jetzt auf die Schöneberger Liste mit raufgesetzt, auf den Feuerwehrfonds.[33] Und das ist meine einzige Hoffnung, daß es relativ schnell geht. Wenn alle Stricke reißen, aber das will ich nicht, werde ich mich obdachlos melden und vom Sozi mir einen Bezugsschein für eine Pension holen. Aber da sehe ich für mich, daß ich vor die Hunde gehe. Wenn wirklich alle Stricke reißen, werde ich mit meinen Eltern reden, ob sie mir nicht ein Zimmer abtreten können von ihrer Wohnung. Das ist aber wirklich das allerletzte, was ich mache. Dann müssen wirklich meine sämtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sein. Mein Vater ist 82, meine Mutter wird jetzt 70. Die haben mich versucht zu unterstützen, soweit wie sie konnten. Für einen kurzen Zeitraum geht es gut, aber jetzt wird mir das einfach zuviel.

Und das ist meine Situation, wo ich jetzt stehe. Ich stehe also im nichts. Und mir bleibt eine Möglichkeit noch übrig, auf die Straße zu leben und kriminell zu werden. Ich bin eigentlich ganz schön verbittert über die ganze Gesellschaftsform. Also, was mir so die letzten vier Jahre passiert ist, daß man für Sachen, wo man effektiv nichts für kann, im Nachhinein noch bestraft wird. Und wenn ich dann Sprüche höre von den Politikern, es besteht kein Wohnungsnotstand, da stehen einem die Haare zu Berge. Schon die Hausbesetzer haben damals gesagt, es ist zuwenig billiger Wohnraum da. Es wurde einfach alles untern Tisch geschwiegen. Und jetzt, seitdem die Kappung der Obergrenze der Mieten weg ist, können sie nehmen, was sie wollen.

Wenn ich einen Wohnberechtigungsschein habe, kann ich Druck machen, das kann schnell gehen, kann aber auch ein Jahr dauern. Und Projekte wie hier "Zuhause im Kiez", die haben genausoviele Wohnungen wie alle anderen, gar keine. Die haben eine Warteliste von 170 Leuten. Das Projekt kenn ich schon seit drei Jahren von der politischen Arbeit der Berliner Aids-Hilfe. Jetzt war ich bei der Aids-Beratungsstelle in Wedding, und beim Sozialamt, da bin ich auch angemeldet auf einer Liste, vier Jahre warten, also ich habe alles menschenmögliche, was in meiner Situation möglich ist.

Wenn ich jetzt gesund sein würde, würde mir eine 1-Zimmer-Wohnung vollkommen reichen. Aber jetzt im weiteren, ich muß ja ein bißchen voraussehen, irgendwann bin ich ein Pflegefall, irgendwann ist es soweit, daß ich mal krank werde. Dann muß ich auch eine Möglichkeit haben, um jemand bei mir mal übernachten zu lassen, der für mich da ist. Und deswegen brauche ich schon eine 1 1/2-Zimmer-Wohnung, eine 2-Zimmer-Wohnung ideal.

ENDE

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97