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MARTIN
Perspektiven
Jetzt wo sie die Mauer aufgemacht haben, habe ich mir auch so im Stillen
gedacht: "Also, wenn du jetzt keine Wohnung kriegst!" Drüben
im Osten, in Lichtenberg habe ich einen gefragt, der sagt: "Haha,
hier stehen tausende an Wohnungen frei. Aber du kriegst keine, da brauchst
du dir keine Gedanken machen!" Die sind schon reserviert oder die
werden alle saniert, und die meisten wollen ja wieder zurück, die
geflüchtet sind, die haben eben Ansprüche, und die stehen solange
frei. Und die verfallen so langsam die Häuser. Aber, was soll's? Ein
Leben ist das auch nicht, zufrieden bin ich auch nicht. Bloß, wie
das jetzt wieder zurückholen, was du früher verloren hast? Alkoholiker
haben so eine Eigenschaft, was du früher auf die Schnelle verloren
hast, das mußt du auf die Schnelle wiederkriegen! Das ist ein ganz
gefährliches Ding. Daß sich das über Jahre hinausziehen
kann, das ist schlimm.
Also ich möchte jetzt wieder in die normalen Verhältnisse
eintauchen, aus denen ich damals rausgesprungen bin. Das ist natürlich
in Verbindung mit meiner eigenen Scheiße, was ich mir an eigenen
Steinen in den Weg gelegt habe, schwierig. Und normalerweise mit den Behörden
und das alles, da ist das auch nicht so einfach. Damals habe ich ja mit
den Behörden nichts zu tun gehabt, damals war es mein eigener Entschluß
gewesen: Das machst du und tust du!, und das habe ich gemacht. Das kann
ich jetzt nicht, ich muß jetzt nach gewissen Regeln, wenn ich das
erreichen will oder erreichen möchte, das ist sehr schwierig. Ich
hätte wirklich nichts dagegen, wenn ich das im Laufe von zwei bis
drei Jahren schaffen könnte oder schaffen würde. Im Laufe der
Jahre wird man ja auch ruhiger. Also, jetzt bin ich ja kein Verrückter
mehr wie mit 20 oder mit 30. Zwei oder drei Jahre, das ist wirklich noch
eine minimale Zeitspanne, wenn es nicht noch länger dauert. Also ich
muß da also auch harte Wege noch durchgehen. Nach den leichten Wegen,
wo ich abgesprungen bin, kommt jetzt wieder der Rücklauf, das sind
die harten Wege, das ist ganz klar! Alles, was ich in 20 Jahren durchgemacht
habe, möchte ich bestimmt nicht wieder durchmachen. Wenn du mehr oder
weniger auf der Straße liegst, bist du mehr oder weniger auch eine
heiße Person. Du suchst ja auch ein bißchen Kontakt, ich meine,
du versuchst ja auch ein bißchen mehr oder weniger dich in die Gesellschaft
wieder reinzuschieben. Du willst ja nicht ganz abseits stehen. Also du
versuchst ja auch ein bißchen mit den Leuten in Kontakt zu kommen.
Konsequenzen aus der Therapie
Ich habe daraus eine Lehre gezogen: Wenn ich wirklich eine Therapie
oder eine Langzeit-Therapie machen will, dann muß das wirklich von
mir kommen. Also jetzt nicht, weil die das vorschlagen oder für richtig
halten, sondern wenn ich sage: "Jetzt ist Sense, jetzt machst du das
wirklich und versuchst, wieder Fuß zu fassen!" Und dann würde
ich aber den Entschluß fassen, diese Therapie nicht in Berlin zu
machen, sondern in Westdeutschland. Hier gibt's ja bloß die zwei,
das ist einmal die Ka-Bo-En, und in Spandau. Da läufst du schon erstmal
die Gefahr, daß du da drin Leute, Bekannte und so weiter, triffst.
Du hast ja auch deine Ausgänge, beziehungsweise deinen Wochenendurlaub.
Erstmal bist du dann ohnehin ohne Wohnung, also dann suchst du ohnehin
erstmal einen Anziehungspunkt, wo du hingehen kannst. Du willst ja auch
deine Nüchternheit repräsentieren: "Du armes Schwein säufst
immer noch, und ich bin schön aufgebaut wieder!" Im Grunde genommen,
für deine Arbeit willst du auch was empfangen, genau so, wie du deinen
Lohn kriegst. Deine Nüchternheit ist ja im Grunde genommen gut, du
fühlst dich ja wohler, kannst realistisch durchs Leben gehen. Dann
ist es mitunter schon eine ganz gute Sache. Bloß das muß aus
dir selber, das muß von mir selber kommen.
ENDE |