Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

MARTIN

Perspektiven

Jetzt wo sie die Mauer aufgemacht haben, habe ich mir auch so im Stillen gedacht: "Also, wenn du jetzt keine Wohnung kriegst!" Drüben im Osten, in Lichtenberg habe ich einen gefragt, der sagt: "Haha, hier stehen tausende an Wohnungen frei. Aber du kriegst keine, da brauchst du dir keine Gedanken machen!" Die sind schon reserviert oder die werden alle saniert, und die meisten wollen ja wieder zurück, die geflüchtet sind, die haben eben Ansprüche, und die stehen solange frei. Und die verfallen so langsam die Häuser. Aber, was soll's? Ein Leben ist das auch nicht, zufrieden bin ich auch nicht. Bloß, wie das jetzt wieder zurückholen, was du früher verloren hast? Alkoholiker haben so eine Eigenschaft, was du früher auf die Schnelle verloren hast, das mußt du auf die Schnelle wiederkriegen! Das ist ein ganz gefährliches Ding. Daß sich das über Jahre hinausziehen kann, das ist schlimm.

Also ich möchte jetzt wieder in die normalen Verhältnisse eintauchen, aus denen ich damals rausgesprungen bin. Das ist natürlich in Verbindung mit meiner eigenen Scheiße, was ich mir an eigenen Steinen in den Weg gelegt habe, schwierig. Und normalerweise mit den Behörden und das alles, da ist das auch nicht so einfach. Damals habe ich ja mit den Behörden nichts zu tun gehabt, damals war es mein eigener Entschluß gewesen: Das machst du und tust du!, und das habe ich gemacht. Das kann ich jetzt nicht, ich muß jetzt nach gewissen Regeln, wenn ich das erreichen will oder erreichen möchte, das ist sehr schwierig. Ich hätte wirklich nichts dagegen, wenn ich das im Laufe von zwei bis drei Jahren schaffen könnte oder schaffen würde. Im Laufe der Jahre wird man ja auch ruhiger. Also, jetzt bin ich ja kein Verrückter mehr wie mit 20 oder mit 30. Zwei oder drei Jahre, das ist wirklich noch eine minimale Zeitspanne, wenn es nicht noch länger dauert. Also ich muß da also auch harte Wege noch durchgehen. Nach den leichten Wegen, wo ich abgesprungen bin, kommt jetzt wieder der Rücklauf, das sind die harten Wege, das ist ganz klar! Alles, was ich in 20 Jahren durchgemacht habe, möchte ich bestimmt nicht wieder durchmachen. Wenn du mehr oder weniger auf der Straße liegst, bist du mehr oder weniger auch eine heiße Person. Du suchst ja auch ein bißchen Kontakt, ich meine, du versuchst ja auch ein bißchen mehr oder weniger dich in die Gesellschaft wieder reinzuschieben. Du willst ja nicht ganz abseits stehen. Also du versuchst ja auch ein bißchen mit den Leuten in Kontakt zu kommen.

Konsequenzen aus der Therapie

Ich habe daraus eine Lehre gezogen: Wenn ich wirklich eine Therapie oder eine Langzeit-Therapie machen will, dann muß das wirklich von mir kommen. Also jetzt nicht, weil die das vorschlagen oder für richtig halten, sondern wenn ich sage: "Jetzt ist Sense, jetzt machst du das wirklich und versuchst, wieder Fuß zu fassen!" Und dann würde ich aber den Entschluß fassen, diese Therapie nicht in Berlin zu machen, sondern in Westdeutschland. Hier gibt's ja bloß die zwei, das ist einmal die Ka-Bo-En, und in Spandau. Da läufst du schon erstmal die Gefahr, daß du da drin Leute, Bekannte und so weiter, triffst. Du hast ja auch deine Ausgänge, beziehungsweise deinen Wochenendurlaub. Erstmal bist du dann ohnehin ohne Wohnung, also dann suchst du ohnehin erstmal einen Anziehungspunkt, wo du hingehen kannst. Du willst ja auch deine Nüchternheit repräsentieren: "Du armes Schwein säufst immer noch, und ich bin schön aufgebaut wieder!" Im Grunde genommen, für deine Arbeit willst du auch was empfangen, genau so, wie du deinen Lohn kriegst. Deine Nüchternheit ist ja im Grunde genommen gut, du fühlst dich ja wohler, kannst realistisch durchs Leben gehen. Dann ist es mitunter schon eine ganz gute Sache. Bloß das muß aus dir selber, das muß von mir selber kommen.

ENDE

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97