Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

ERNST

Biografie

Krieg - Flucht - Verschleppung

Ich bin 59. Ich bin in Ostpreußen geboren, M.Dorf, Kreis S.Stadt. Da bin ich geboren. Dann kam der Krieg da nachdem. Da fuhren wir auch. Sind wir auch geflüchtet, ja, Allenstein bis raus Richtung Königsberg. Mit Pferden, mit Leiterwagen. Eingeschneit worden. Ja, wir kamen zurück. - Schlimm, sehr schlimme Jahre. Die Russen und alles. Die Russen ließen nichts. Nur der Schweinestall blieb stehen. In der Stube war unser großer Hund. Den haben sie gleich losgejagt, haben sie erstmal ein Feuer gemacht, Holz haben sie aus dem Stall geholt, dann ein Feuer gemacht, erstmal ein bißchen aufgewärmt, ja.

Nach dem Krieg, meine Schwester wurde von den Russen verschleppt. Meine Schwester von 21 Jahren, die haben die Russen verschleppt nach... - Da mußten sie laufen 24 Kilometer zu Fuß bis zum anderen Bahnhof, da ging der Güterzug nach Sibirien weg. Unterwegs ist sie gestorben. - Meine Mutter starb '61, Vater starb '77, da blieben noch zwei Geschwister. Eine ist in Posen jetzt, eine hier in der DDR.

Polen

Durch den Krieg bin ich auf die polnische Schule gegangen noch zwei Jahre. Erst war's sehr viel deutsch, dann alles polnisch. Ich kann noch polnisch jetzt. Gingst einkaufen, alles polnisch. Die Heimatsprache nicht vergessen. Auf dem Gut waren alles nur Polen, da sprach keiner deutsch, nur polnisch. Da waren auch Deutsche, mit den haben wir uns deutsch unterhalten, alles deutsch dann, mit den Polen mußte man polnisch.

Da habe ich bald nach '45 gearbeitet. Ich habe so da auf dem Gut gearbeitet. Ein bißchen hatten wir da, es war ein großes Gut, nicht, das war da mit Landwirtschaft, ich habe auch Zuckerrüben gesät da, Kartoffel gepflanzt da. Da hatten wir 1000 Milchkühe gehabt auf unserm Gut. Wir haben viel mit Pferden gemacht. Gras gemäht mit Maschine, von Pferden gezogen. Und in der Ernte dann auch mit Mähmaschine. Mußte man noch selbst binden die Garben, Hocken aufstellen und alles. Später dann mit Trecker. Ich habe viel mit Pferden gearbeitet.

Ich habe '64 geheiratet, eine Deutsche. zwei Jungs, ein Mädchen. Hatten wir ja, hatten wir eine 2-Zimmer-Wohnung im Haus, ja. Da habe ich meinen Hund gehabt, Geflügel gehabt, Schweine gehalten, war gut da. Was hast du verdient? 3.500 Zloty, das war wenig. Und dann noch das Haus, Holz und Kohlen. Dann hast genau für 40 Zloty Strom noch bezahlt, das Wohnen war umsonst. Ich habe noch einen Stall gehabt Da hielten wir uns zwei Schweine, eine Kuh und Hühner, und Kaninchen 40 Stück. So am Sonntag mal geschlachtet eins, und dann hatten wir. Oder wenn mir mal Ente wollten, haben wir gekauft bei Nachbarn.

Hier sind ja auch Seen, aber weiter. Und wir hatten damals über die Straße den See gehabt. Gleich unter'm Gut. Da bin ich oft raus mit der Angel, im Schilf, schön flach. Zwölf Pfund im Eimer gehabt in zwei Stunden. Schlei, auch Barsch und alles. Und Krebse, auch auf Krebse sind wir gegangen.

Aussiedlung - Familie, Kinder

Da hat mein Patenonkel, mein Patenonkel, der wohnt F.Straße in Krefeld, ja, der war einmal auf Besuch, hat er auch ein paar Gläser mitgenommen, Papiere gemacht, und der hat uns rausgekriegt. Viele haben ins Reich gekriegt damals die Papiere. Wir haben erstmal vermißt die Seen, die Wälder alle. Haben wir über der Straße einen See gehabt, und da bin ich oft nach Fische gegangen, am Sonntag so. Wir hatten da über der Straße, über die Straße rüber, ein Haus vor dem See gehabt. Hier wohnte ich, und dann unten war der See. Fein, und unser See und die Wälder. Bloß hier sieht man sowas nicht. So viele Flüsse, Blaubeeren, Erdbeeren. Und hier in Berlin ist das so schmutzig, da haben wir schon Osten. Gehst hier zur Seite hin, da steht einer, gehst da hin, steht der zweite da. Hier ist keine Ordnung, nichts. Jeder macht, wie er will!

Rübergekommen bin ich '77 dann mit der Frau und Kindern. Die Kinder, die sind in Bayern. Die haben da, die sagen dann, sie lernen da gut. Die eine, das Mädchen, lernt da Schneiderin, der Junge ist in einer Maschinenfabrik so, der Zweite hat für Gartenbau gekriegt. Der Älteste ist 26, der Älteste. Denen geht's gut, die kommen mal besuchen hier. Die kommen jetzt zu Weihnachten hier. Dann kommt die Tochter und die zwei Brüder.

In Bayern! Die wollten mal, die wollten, wie wir kamen da vorhin, über Friedland gefahren, als Aussiedler. Und dann: "Ach, wir fahren mal nach Bayern rein!" Und da gefiel ihnen das, und da blieben sie. Das war gleich '77 schon. Und ich bin wieder aus Bayern zurück. Denen gefiel das und die Wohnungen fein alles, schön gemacht.

Berlin

Ich habe eine Wohnung, ja. Hier, M.Straße, M.Straße gleich. Zentralheizung. Und die Wohnung in Moabit ist die erste in Berlin. Erst waren wir im Lager Alt-Mariendorf, Marienfelde da im Lager, und dann bekamen wir die Wohnung hier. Dann ein bißchen gearbeitet auch, war in der Gärtnerei. Hier in Berlin habe ich in der Gärtnerei gearbeitet, in Alt-Mariendorf. Beim S., ich habe beim S. gearbeitet eine Zeit da.

Unfall

Ich habe im Dezember Unfall gehabt. Ich habe mir das Bein gebrochen hier. Hier in Deutschland, da war ich schon in Berlin. Das ist sechs Jahre her. Das ist mir passiert hier. Da ist mir das Unglück passiert hier, hier an der Turmstraße gleich, an der Kneipe war das. Die Ampel war grün, da ging ich rüber, da kam ein Auto so mir gegen, so gegen das Bein, der fuhr bald 20 Meter bis zum Strauch hin. Ich lag für drei Monate im Krankenhaus im Gips. Drei Monate im Gips lag ich. Konnte in den Schienen nicht schlafen, nicht so und nicht so. - Jetzt habe ich noch von hier bis hier einen Nagel drin im Bein. Wenn es kalt ist, habe ich viel Schmerzen drin. Die wollten auch, der Arzt sagte, der Nagel müßte raus, die wissen auch nicht. Das Knie ist hin. Der ist noch nicht zugeheilt der Knochen. Wenn der Nagel möchte rauskommen, ja, dann möchte man wenigstens sagen können, ist zu Ende, ja. Ich habe den Nagel schon vier Jahre drin. Und ab der Zeit da geht's mit Arbeit nichts.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97