Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
ERNST
Lebenslage
Sozialamt
Na, da kriege ich da vom Sozialamt all mein Geld da. Sozialhilfe. Alle 14 Tage. Auf dem Sozialamt, nehme ich die Nummer, kriege ich mein Geld. Sozialhilfe ist auch nicht viel, nur ein bißchen. Meine Frau kriegt auch sein Geld. Meine Frau hat eine Kriegsversehrtenrente, weil sie vom Russen angeschossen wurde. Die bekam eine Kugel in die Hand, eine ins Bein. Da kam einer an und haute ihr einen Knüppel auf den Kopf von den Soldaten. - Die ist selbständig, 61 ist sie. Geht nach Schöneberg auch, am Rathaus, da geht sie. Möchte ich nicht. Für Frauen ist das ein Cafe da, oder was da ist. Und so in den Otto kommt sie nicht. Und ich gehe dann hier auch um die Runde, in die Markthalle mal, dann U-Bahn auch, wenn's kalt ist.
Alltag - Warmer Otto - andere Wohnungslose
Immer gucken im Fernseher und so, ist auch nichts. Was soll das? Die besten Filme kommen abends um eins, und elf. Und um zehn kommt ein Film auch.
In den Warmen Otto, da gehe ich schon eine Zeit. Ein bißchen manchmal Tee trinken so, an Kleidung was holen da, Hose, eine Jacke so. Eine Jacke habe ich auch von da, und neue Schuhe. Dann gehe ich mal am Sonntag ein bißchen Kaffee trinken, und nachher gehe ich noch...
Der Otto, mir gefällt das. Das eine finde ich, daß manchmal so Besoffene reinkommen. Einen Tag auch, den einen Besoffenen, den wurden sie nicht los, da haben sie geschlossen, ja. Alle raus, dann haben sie zugemacht. Wegen einem Besoffenen war das. Am Besten, man geht dann in die U-Bahn runter. Ja, die kommen, trinken Kaffee, und gießen Schnaps rein, trinken! Denken, das sieht keiner, oder sie gießen sich in den Tee rein und trinken. Und noch der H.[8] und manche, H. paßt auf: "Der nimmt Tee und gießt Schnaps rein!" - "Nee!", sagt der. "Guck, paß auf, hier riecht doch." Hatte er! Gleich dann ausgegossen und rausgegangen. Jetzt hat er gut gemacht. Aber H. ist weg jetzt.
Da kommen auch solche, wo schlafen in Toiletten, im Volkspark. Einer schläft da in der Kirche, schläft einer hier. Dann schlafen im Keller Leute. Frieren, das ist kalt. Ich habe viel auch mit denen gesprochen. Ich weiß, wo sie schlafen, auch wie sie schlafen. Bedeckt mit Decken, wird nicht warm, und dann frieren sie. Ich habe einmal einen mitgenommen, einen. Dann sage ich: "Viel zu kalt, komm zu mir, ein bißchen!" Am nächsten Tag dann bekam ich Kleiderläuse von ihm. Habe ich geguckt, der kratzt sich, schruppt sich. Da habe ich gesagt: "Nee, bei mir ist verlaust, ab!" Da kannst dich anstecken von, wirst nicht gesund, hast Kleiderläuse. Sowas kann man nicht aufnehmen. Ich habe nur ein Zimmer vorne raus, ein kleines Zimmer, Stube, Küche und so, ich habe keinen Platz. Wenn ich mehr Platz hätte, dann möchte ich gerne. Dann möchte ich gerne.
Ernüchterung
Das war '89. Da habe ich da mit einem gesessen, hier vorne gleich. Hat Bier gehabt, Schnaps auch, und da tranken wir. Zum Schluß habe ich nichts mehr gewußt. So am Nachmittag war das. Die Polizei, Kruppstraße, und dann haben sie uns gebracht. Nächsten Tag haben sie rausgelassen, morgens gleich, das wird um acht so gewesen sein. Ausweiskontrolle und alles. Und dann so 14 Tage später auch, zwei Wochen bald, mit Rechnung. Sollte ich zahlen 120 Mark. Auf die Post gegangen hier, und bezahlt gleich. Mußt dir denken, 120 Mark für das. Möchte ich nicht mehr machen, seitdem da. Saufen bringt ja nichts, mußt gleich 120 Mark zahlen. Ist viel Geld auch.
Auf der Straße
Das gab's mal ein bißchen, meine Frau immer mal verreist ein paar Tage, nicht. Und einmal hat die, hat sie auf Besuch gehabt, da hat sie zugeschlossen, da mußte ich draußen schlafen ein paar Tage. Wo sollst du gehen? Das war ein paar Tage im Sommer. Das war warm, und da schlief ich da draußen.
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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97