Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

JENS

Interpretation

"Ich bin nicht aufgerüttelt worden, ich bin auch nicht angeküßt worden von jemandem, sondern ich habe mir persönlich gesagt: 'Nein, so geht's nicht weiter!'" Diese Aussage ist der Schlüssel zum Verständnis von JENS' biografischer Entwicklung. Schon frühzeitig differenziert JENS seine Interessen, in Jugendgruppen eines Jugendfreizeitheims entwickelt er eine kritische, "linksorientierte" Einstellung zur Gesellschaft, die er aber nicht grundsätzlich ablehnt. In seiner Entscheidung, nach Berlin zu kommen, folgt er dem bewußten Anti-Motiv, damit dem drohenden Wehrdienst zu entgehen und keinen Zivildienst ableisten zu müssen. Er antizipiert die Offenheit dieser Entscheidung - keine Unterkunft, keine Bekannten - und traut sich das trotzdem zu. Sein bisher erreichter Grad an Selbständigkeit beinhaltet die Fähigkeit, die in den Bedingungen seiner Lebenslage enthaltenen Möglichkeiten, Chancen und Auswege für sich nutzbar zu machen. In einer zunächst weitgehend offenen Orientierung ist er dabei mit Enttäuschungen (Beziehung zum Vater) und Provisorien (Pensionsunterbringung) kon frontiert, teils aus diesem Frust, teils aus Neugier läßt er sich auf bisweilen unüberschaubare Beziehungen ein - "Kumpels", "Bahnhofsstrich", "lockere Abenteuerbeziehungen", "Halli-Galli-Stories" -, auch um sich darin auszuleben und seinen Erfahrungsbereich zu erweitern.

Durch das bewußte Sich-Einlassen und Sammeln von Erfahrungen konkretisiert er die darin zum Ausdruck kommenden Bedürfnisse zu Motiven und entwickelt in den folgenden Jahren zunehmend eigene Lebensvorstellungen. Die Reflexion seiner Lebenslage - "Da hat man sich Gedanken drüber gemacht" - bilanziert er mit der Erkenntnis, daß er "nicht so weiterleben möchte". Positiv verbindet er damit konkrete Ziele nach einem eigenständigen Wohnen, stabilen Beziehungen - "Mit wem werde ich alt?" - und der bewußten Weiterführung der Auseinandersetzung mit sich selbst. Zur Verwirklichung dieser Ziele muß er tätig werden, langfristig planen, mit vielen Schwierigkeiten umgehen, häufig spekulieren und ist darauf angewiesen, Glück zu haben. Insbesondere in der pädagogischen Ausbildung sieht er den Sinn, die Auseinandersetzung mit seiner Identität, seinen Bedürfnissen und Problemen anzugehen und voranzutreiben. Im Verlauf des Fachstudiums erweitert er das persönliche Interesse zu einer Berufsperspektive. Er will die im Verlauf der Ausbildung angeeigneten Fähigkeiten und Qualifikationen im Beruf produktiv umsetzen. Damit beabsichtigt er die Integration der Bedürfnisse nach eigener und gesellschaftlicher "Bewußt-Arbeit" auf erweiterter Ebene in sozialer Tätigkeit: Er hat sich für einen Beruf entschieden, der in hoher Übereinstimmung zu seinen Motiven steht. Er verlagert den Identitätsfindungsprozeß nach außen in die berufliche soziale Tätigkeit.

Nicht Wohnungslosigkeit, sondern die Erfahrung der Arbeitslosigkeit ist die zentrale Krise in JENS' Biografie. Bereits nach seiner Ausbildung hat JENS "nur Zeitverträge" gehabt. Die Arbeitslosigkeit, die er mit den Stellenstreichungen aufgrund der Einheit erklärt, bedeutet für ihn einen vorläufigen Zusammenbruch seiner Lebensperspektive, er erlebt sie als persönliche Entwertung. Er sieht den Sinn seiner Ausbildung, seiner bisherigen Bemühungen in Frage gestellt. Er resigniert, läßt sich fallen, sieht keinen Weg mehr. "Aus der Not heraus, aus dem Mangelzustand, keine Arbeit zu haben", sucht er die Nähe zu den Angeboten für Wohnungslose. Die umfassende Inanspruchnahme der Angebote und Einrichtungen in Verbindung mit notwendigen Behördengängen erfährt er als tagesfüllende Routine mit arbeitsähnlicher Struktur. Die darin enthaltene Möglichkeit, die Nutzung des Hilfesystems zum Lebensinhalt zu erheben, ist für ihn eine unstimmige Illusion, deren unproduktiver Inhalt ihn letztlich nicht befriedigen kann. Er sieht keinen Sinn in dieser Art hochtourig-passiver Verarbeitung seiner Arbeitslosigkeit, es "kotzt ihn an", in Wärmestuben zu sitzen. Weitere Elemente dieser resignativen Haltung treten hinzu: Er fühlt sich nicht mehr fit, steht spät auf, beginnt zu trinken, zu stinken, hat das Gefühl, nicht mehr die Kurve zu kriegen und fühlt sich von sich selbst angenervt. Er gerät in eine Lage zunehmender innerer Unzufriedenheit, die subjektiven Reaktionen haben für ihn die Funktion von Warnsignalen, die ihn veranlassen, sich auf sich selbst zu besinnen und die Notbremse zu ziehen: "So geht's nicht weiter!" Im Rückgriff auf schon erreichte "Qualitäten an Lebenserfahrung" wird er aus eigenem Entschluß aktiv, verwirklicht das Bedürfnis nach sozialem Engagement durch die Mitarbeit in der Kulturgruppe einer Wärmestube und stellt eine spürbare Verbesserung der eigenen Motivationslage her.

Wohnungsloser Pädagoge zu sein, ist für JENS nur scheinbar ein Widerspruch. Mit seiner pädagogischen Ausbildung, seiner vergleichsweise gesicherten Wohnmöglichkeit eigentlich den SozialarbeiterInnen und PädagogInnen nahestehend, nimmt er bewußt als Wohnungsloser das Hilfesystem in Anspruch. Gegen alle Kritik, sich nur hervortun zu wollen, stellt JENS die Auseinandersetzung mit seiner Wohnungslosigkeit. Angesichts seiner aktuellen, für ihn nicht befriedigenden Wohnsituation in einer Wohngemeinschaft, die für ihn "keine richtige Lösung" ist, versteht JENS sich weiterhin (oder wieder) als Wohnungsloser. Die frühere Zeit in der Pension beinhaltet wichtige und notwendige Lernprozesse, die er nicht missen, aber auch nicht wiederholen möchte. Sie ist für ihn abgeschlossen, er hat sich davon emanzipiert, und sie ist dennoch zentraler Bestandteil seiner Identität und Biografie, die er nicht leugnet. Daraus legitimiert er die Berechtigung, als 'Betroffener' in Kooperation mit anderen BesucherInnen und SozialarbeiterInnen Angebote zu organisieren und bei Aktionen gestaltend mitzuwirken. Als 'Betroffener' kennt er die "Perspektiven und Sehnsüchte dieser Leute", kann sie artikulieren. Er ist der Beweger, der erwachsene Leute zwar nicht zu ihrem Glück zwingen - darin seine pädagogische Beurteilung der Situation - , aber sie durch sein Interesse, seine Vorstellungen "anstupsen" kann. JENS steht parteilich und ohne Berührungsängste auf der Seite der Wohnungslosen, und setzt sich gleichzeitig mit seinem offensiv und streitbar nach außen vertretenen Selbstverständnis, mit seiner pädagogischen Kompetenz und seinem politisches Engagement über einen einfachen BesucherInnenstatus hinweg.

Gegen den Einbruch der Arbeitslosigkeit wird so das Engagement mit anderen Wohnungslosen in Einrichtungen der Hilfe für JENS zu einer zentralen und bewußten Tätigkeit, gegen die erzwungene Sinnkrise setzt er einen Aufbau sinnvoller Lebensbezüge in Gang. Dabei gibt er sich keineswegs mit dem Status quo - der bloßen Mitarbeit in bestehenden Strukturen - zufrieden, sondern sucht bewußt Gelegenheiten zur Überschreitung des erreichten Handlungsniveaus. In der geplanten Hegelplatzbesetzung sieht und ergreift der die "Chance" zu einem "bewußten Abenteuer". Das Engagement bei dieser Aktion hat für JENS die Bedeutung einer 'Tätigkeit in der Zone der nächsten Entwicklung' (VYGOTSKIJ), in der er über sich selbst hinauswächst. Er wird zu einer treibenden Kraft in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um Wohnungslosigkeit, die, durch Sozialarbeit angestiftet, in der Hegelplatzaktion exemplarisch betrieben wird. Die existentielle Bedeutung seiner Entscheidung zu diesem umfassenden Engagement für seine weitere Persönlichkeitsentwicklung liegt ihm dabei - rückblickend - bewußt vor Augen: "Wären die Sachen alle negativ gelaufen, dann wäre ich auch am Ende gewesen." Postiv gesagt: "Das hat mich so stark motiviert, daß ich jetzt weitermachen möchte." Auch in einer zweiten Hinsicht gestaltet er die erfahrene Ausgrenzung um. Die erreichte neue Qualität seiner Tätigkeit beinhaltet eine Emanzipation von gegebenen Arbeitsangeboten: "Wenn man mir keinen Zugang in der gesellschaftlichen Arbeit gibt, dann werde ich da etwas aufbauen."

Die Wirkungen seiner katalytischen Tätigkeit erfassen in ihrer Dynamik nicht nur seine eigene Persönlichkeitsentwicklung, sondern den ganzen Handlungsprozeß der daran Beteiligten. Mit den Erfahrungen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Qualifikationen, die JENS einbringt, forciert er die interne Auseinandersetzung während der Vorbereitung. Doch erst das "wirkliche Engagement" bringt ihm gegenüber den anderen Wohnungslosen Anerkennung. Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit stellt sich JENS in den Handlungsraum von Aktion, Medien und Öffentlichkeit. Er erhebt das Anliegen der Besetzung zu seinem persönlichen und integriert es mit seinem Bedürfnis nach Artikulation. Die in der Aktion neu geschaffene Realität zwingt ihn im Diskurs mit den Medien zur Entwicklung neuer Begrifflichkeiten, mit der er neue Dimensionen des öffentlichen Dialogs eröffnen und eine erweiterte Ebene der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Wohnungslosigkeit herstellen will. Indem er sich dieser Notwendigkeit zur Ausbildung adäquater Artikulationsformen - vor allem: sprachlicher Handlungen - bewußt stellt, erfährt er subjektiv, in dem Maße, wie er darin souverän wird, Routine gewinnt, und sich sich selbst als Persönlichkeit zur Geltung bringen kann, diesen Prozeß als Befreiung. Zur anderen Seite hin entdeckt er in der Aneignung von Kompetenzen im Umgang mit den Medien die darin immanente Machtstruktur, die er zur Beförderung der Anliegen der Aktion instrumentalisiert. Ganz deutlich offenbart sich hier die 'dynamische Qualität' (PIRSIG) von Tätigkeit in ihrer wechselseitigen Mittlerfunktion von Subjektentwicklung und Gestaltung gesellschaftlicher, objektiver Realität.

Aufgrund seiner unabhängigen Situation ist es JENS möglich, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit Positionen zu vertreten, die SozialarbeiterInnen mit Rücksicht auf berufliches Selbstinteresse oder wegen ihrer eigenen Perspektivlosigkeit nicht einnehmen wollen oder können, nämlich durch eine mehr oder weniger offene Konfrontation gegenüber politischen Instanzen und TrägerInnen sozialer Arbeit diese zum Handeln zu zwingen. Er übt damit beißende Kritik gegenüber einem am eigenen Leibe erfahrenen Verständnis von Sozialarbeit, das über den üblichen Rahmen des "Suppeverteilens" und "Sozialscheine-Ausfüllens" nicht hinausgeht, ohne den anderen, die sich wirklich engagieren, seine Anerkennung zu versagen. Aus den eigenen Erfahrungen und seiner Analyse des Problems - Wohnungslosigkeit ist ein gesellschaftliches Produkt der ungerechten Verteilung von Reichtum und Armut, Wohnungslos-Sein hat den Rang einer gesellschaftlichen Behinderung - ersichließt er sich einen kritischen Begriff von der gesellschaftlichen Bedeutung sozialer Arbeit für Wohnungslose: In der Funktion der Bearbeitung eines Ausgrenzungs- und Verteilungsproblems zieht sie aus der notdürftigen Beruhigung und Abfederung des eskalieren Widerspruchs ihre Legimitation und findet in der Ruhigstellung der Armen durch Verteilung von "Süppchen und Söckchen" ihren Inhalt. Dennoch gibt es für JENS innerhalb dieser Funktionsbestimmung einen Handlungsspielraum, der in seinen Zielvorstellungen zum Ausdruck kommt. Gegen die erlebte und praktizierte Konkurrenz fordert er Solidarität, gegen die gesellschaftliche Isolation stellt er Selbstbewußtsein - "Wir haben Berufe gelernt!" -, und gegen die erlebte Ausgrenzung will er die politische Analyse der sozialen Folgen der Einheit setzen. Langfristig sieht er zu dem mit der Armut wachsenden gesellschaftlichen Sprengstoff als einzige Alternative einen umfassenden Umbau der Gesellschaft, der weitere Aktionen und ein Bündnis aller Leute, "die wirklich unter Druck stehen", erfordert. JENS' gedankliche Durchdringung des Problems Wohnungslosigkeit ist auch Voraussetzung seiner selbstkritischen Reflexion und Bilanzierung der Hegelplatzaktion, die für ihn zusammenfassend aus zwei Seiten besteht: Trotz aller Erfolge muß er eingestehen, wie die meisten anderen in seiner Euphorie zunächst nicht wahrgenommen zu haben, daß mit der ausgehandelten Unterbringung in der Rhinstraße die Aktion ins Abseits manöveriert wurde. Dennoch eröffnen die Erfahrungen der Hegelplatzaktion Wege und Hoffnungen für ein weiteres Engagement.

JENS steht beispielhaft für einen neuen Typ von Wohnungslosen: Seine Bildungsbiografie verweist - trotz einer Reihe von Besonderheiten seines Falls - auf die gesellschaftliche Verallgemeinerung des Risikos, wohnungslos zu werden, ein Risiko, das zunehmend auch Berufsgruppen erreicht, die bislang mit diesem Problem nicht oder nur selten konfrontiert waren.[10] Wie JENS' Beispiel zeigt, sind es nicht allein die Akteure der sozialen Arbeit, sondern auch Teile der Wohnungslosen selbst, die zunehmend eine Akzeptanz als Subjekte ihrer Lebenslage und einen entsprechenden partnerschaftlichen Umgang einfordern. Das Hilfesystem steht mit diesem Prozeß der wachsenden Subjektorientierung zukünftig vor einer Situation, in der sich die Grenzen zwischen HelferInnen und Klientel mehr und mehr verschieben und verwischen. In einem zukünftigen Szenario werden die Angebote der Hilfe damit auch, überspitzt gesagt, zu einer Stätte der Begegnung von wohnungslosen SozialarbeiterInnen mit sozialarbeitenden Wohnungslosen. Oder, weiter verallgemeinert: Die SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen in den Einrichtungen der Hilfe sind in einem solchen Szenario ihrer Klientel nicht notwendig hinsichtlich der Bildung und Berufsqualifikation überlegen, sie sind von ihr bestenfalls noch unterschieden durch die Tatsache, eine Arbeit und - vielleicht - eine Wohnung zu haben. Der oder die Wohnungslose ist - angesichts einer verschärften Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt - dann nicht mehr nur Hilfesuchende/r, sondern ein/e potentielle/r KonkurrentIn. Damit verändert sich die Motivsituation für die 'Helfenden' in entscheidendem Maße. Gleichzeitig beinhaltet die zunehmende 'Qualifikation auf der Straße' ersteinmal die Chance einer neuen Qualität von Betroffenen(selbst)organisation und Kooperation mit den Akteuren sozialer Arbeit und weiterer Personengruppen aus Politik, Kultur, Kunst, Wirtschaft, Kiez, Szene und Nachbarschaft. JENS deutet diese Perspektive in seinen Zukunftsabsichten an. Gleichwohl darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden: Gerade JENS forciert - trotz aller positiven Effekte seines Engagements - eine Polarisierung und Differenzierung innerhalb der Wohnungslosen und konterkariert damit seine Kritik an der auch unter den Wohnungslosen bestehenden Konkurrenz. Offenbar nur in der Abgrenzung zu "bestimmte(n) Persönlichkeiten, die immer noch soviel saufen müssen, die das vielleicht kaputt machen", sind innovative Aktionen wie die der Hegelplatzbesetzung überhaupt (erfolgreich) durchführbar.

Gleichzeitig verdeutlicht JENS' Beispiel eine neue, bislang nur unzureichend diskutierte, 'ungewollt-helfende' Funktion der Angebote für Wohnunglose als 'Vehikel zur Selbsttherapie': Nicht, um sich im konventionellen Sinne helfen zu lassen, nimmt er die Angebote in Anspruch, er begreift sie vielmehr in seiner anfangs krisenhaften Lebenslage als die ihm zur Verfügung stehenden Mittel, die er in einem Akt der Selbstbefreiung - auch, aber nicht nur - zu seinen Zwecken instrumentalisiert. Ein mögliches, sinnvolles Ziel in diesem Zusammenhang ist seine Option auf eine mögliche ABM-Stelle in einer ambulanten Einrichtung. Er könnte damit einerseits sein bisheriges Engagement auf eine erweiterte Basis stellen und fortführen, und hätte sich damit andererseits eine Chance zur Rückkehr in die Welt beruflicher Tätigkeit erschlossen. Wie seine artikulierte Orientierung auf Kultur- und Bewußt-Arbeit, künstlerischer Tätigkeit, politischem Handeln jedoch zeigt, gehen seine Bedürfnisse noch weit über das angestrebte und bisher erreichte Maß an "Wohnungslosenarbeit" hinaus. Bewußt hält er sich andere Möglichkeiten, beispielsweise die Rückkehr in den gelernten pädagogischen Beruf der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen oder ein Studium an einer Kunsthochschule offen. Anders gesagt: Gerade die Tatsache, daß JENS mit seinen Motiven und in seinen Tätigkeiten in vielschichtigen Beziehungen zur gesellschaftlichen Realität steht, damit über einen umfangreichen Fundus an Handlungsmöglichkeiten und -alternativen verfügt, gibt ihm alle Freiheit zu dieser besonderen Intensität der Auseinandersetzung, Befassung und Nähe zum Hilfesystem, ihren Akteuren und vor allem den Wohnungslosen. Gerade weil seine Orientierung nicht auschließlich darauf fixiert, sondern, bei aller Kritik und Veränderungswillen, vielmehr auf die Aneignung immer weiterer Qualitäten des gesellschaftlichen Lebensprozesses gerichtet ist, kann er derart souverän auftreten und damit umgehen. "Wohnungslosenarbeit" hat für ihn den Rang eines bewußten Ziels, er wird darin weitermachen, solange dieses Ziel für ihn Sinn macht innerhalb seiner weiteren Entwicklung. Sie ist schon jetzt bewußter Teil seiner Biografie und Identität.

Und trotzdem, auch wenn eine Prognose von JENS' weiterer Entwicklung in erster Linie optimistisch ausfallen muß, nicht zuletzt genährt durch die engagierte Emotionalität seines Handelns, die selbst in der schriftlichen Wiedergabe seiner Aussagen über weite Passagen hinweg sehr deutlich präsent ist: Es wäre sträflich zu übersehen, daß auch JENS nicht vor der Gefahr eines massiven krisenhaften Einbruches gefeit ist, weil gerade angesichts seiner weitreichend und anspruchsvoll gestalteten Handlungsperspektive die Erfahrung des Scheiterns an unüberwindbaren objektiven Widerständen umso härter, der Zusammenbruch umso katastrophaler erlebt wird. Eine ursprünglich positive Dynamik, so nicht mehr weiterleben zu wollen, verkehrt sich in ihr Gegenteil, die Realität hält nicht mehr Schritt mit den überspannten Erwartungen, eine Haltung, die beispielsweise auch, es mag paradox klingen, durch die zur Legende gewordene Hegelplatzaktion genährt wird. Die Gefahr, daß derartiger Enthusiasmus nicht mehr auf die Resonanz trifft, die JENS erwartet, und zudem auch noch alle daran beteiligten Personen und Institutionen überfordert, kann nur in der praktischen Fortsetzung und Fortentwicklung erreichter kollektiver Handlungszusammenhänge aufgehoben werden kann. Die von JENS benannte Idee einer themenübergreifenden Aktionswoche zur Wohnungs- und Asylfrage könnte ein richtungsweisendes Beispiel dafür sein.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97