Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
II Problem
1. Ausgangspunkt: Wohnungslos trotz Hilfesystem?
Ausgangspunkt der hier vorgestellten Untersuchung zur Biografie und Lebenslage Wohnungsloser bildet das Phänomen, das mit dem Widerspruch zu benennen ist: "Wohnungslos trotz Hilfesystem": Menschen leben wohnungslos auf der Straße, und das trotz eines Hilfesystems[1] für Wohnungslose - ja, die verschiedenen Einrichtungen, Angebote und Institutionen der Hilfe für Wohnungslose werden gar nicht in Anspruch genommen.
Während in der warmen Jahreszeit die Medien sich für Wohnungslose so gut wie kaum interessieren, wächst sich im Winter und insbesondere in der Vorweihnachtszeit die Berichterstattung zu einer wahren Medienflut aus. Und dann wird wiederholt von Menschen berichtet, die auf der Straße leben, in der U- und S-Bahn, unter Brücken, in Bauwägen, in Abbruch- oder Toilettenhäusern übernachten, an öffentlichen Plätzen und bevölkerten Straßen sitzen, passiv betteln oder Passanten direkt um Geld ansprechen. Gelegentlich dürfen sie auch selber in zwei Sätzen erklären, wieso sie auf der Straße leben, und wie es gekommen ist: "O-Ton Betroffener". Entsprechende Kamerabilder und Fotos dokumentieren das Elend. Dazu häufen sich Meldungen, die von Überfällen, Brand- oder Mordanschlägen auf dermaßen wehrlose, weil wohnungslose Opfer berichten. Und wiederholt werden Wohnungslose nur noch erfroren aufgefunden. Dabei gibt es eine Anzahl von spezifischen Einrichtungen und Angeboten, die für Wohnungslose ambulante Hilfen in der konkreten Notlage anbieten (Tageswohnungen und Tagestreffs, Wärmestuben, Essenausgabestellen, Kleiderkammern usw.), eine Unterkunft sicherstellen (sozialtherapeutische stationäre Einrichtungen, Asyle, Notunterkünfte und Notübernachtungsplätze, angemietete Pensionsunterkünfte, Wohnprojekte usw.) und Hilfen zur Überwindung der Notlage und zur Wiederbeschaffung einer Wohnung geben (Beratungsstellen, Soziale Wohnhilfen usw.) und weiteres mehr.
Deutlich wird hier ein Widerspruch zwischen der Medienberichterstattung und den existierenden Einrichtungen und Angeboten der Wohnungslosenhilfe. Wohnungslose auf der Straße: Eine dramatische Zuspitzung der Medien? Ein marginales Phänomen ohne Aussagewert für die Mehrzahl der Wohnungslosen? Oder charakterisiert diese Darstellung zutreffend die Lebenslage des größten Teils der Wohnungslosen? Wohnungslose auf der Straße: Wie viele sind es überhaupt?
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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97