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WERNER
Lebenslage
Ich habe immer sowas wie Gelegenheitsjobs. Bei der Börse brauchst
du mindestens einen Ausweis, sonst kannst du nicht arbeiten. Ich hänge
ja hier im Prinzip ohne Ausweis, ohne alles.
Ich bin heute nicht allzu gut drauf jetzt. Da habe ich ja gerade zwei
Stunden vorher zwei Stunden gearbeitet, Möbel geschleppt in den fünften
Stock hoch, das hat gereicht gehabt. Wo ich im Warmen Otto war, da kamen
die um zehn ungefähr in den Otto rein, Möbeltransporter, und
sagten, sie brauchten drei kräftige Männer. Na, ich: "Hier!
Wenn es um Geld geht", sage ich, "bin ich da!" Für
zwei Stunden 35 Mark. Also 17 Mark 50 ist ein guter Preis, würde ich
sagen.
Hegelplatz
Das wurde ja direkt geplant, die Besetzung hier, Seeling-Treff, K.H.,
Levetzowstraße, und da bin ich dann auch mit eingestiegen. Zum Anfang
habe ich mir nicht allzu viel davon versprochen. Weil ich wieder anders
gerechnet hatte, im Prinzip sind wir doch hier schon fast in der Bannmeile
vom Reichstag. Da sage ich: "In dem Moment, wo wir uns da versammeln,
räumen uns die Bullen weg!" Ich hatte vorher zu wenig zugehört.
Ich wußte nicht gleichzeitig drei oder vier verschiedene Fernsehstationen
da sind, Radiostationen, und die Presse auch dabei. In dem Moment, wo das
aktuelle Ereignisse sind, die haben ja sogar das live übertragen von
hier, stehen die ja oben unter Druck, da muß der Senat ja reagieren.
Vor allem, wir sind ja nicht mit Gewalt hier reingegangen, wir sind ja
friedlich gekommen. Die mußten ja reagieren, die können uns
hier nicht so einfach rausschmeißen, geht nicht, weil wir zu viel
Wirbel gemacht haben. Dann hatten wir erst den ersten Container hier aufgehabt,
mehr war ja erst nicht. Dann sind die ersten 40 Mann hiergeblieben, die
hier mit 15 Mann in einem Raum geschlafen. Ich habe gesagt: "Ich will
hier keinen Platz wegnehmen, ich fahre nochmal zurück zu meinem Quartier!"
Und dann so peu à peu wurden die nächsten zwei Container aufgemacht.
Das Diakonische Werk hat die Oberhoheit übernommen. Im Prinzip
macht ja meistens K.H. Vertreter für die Sozialarbeiter. Aber im Prinzip
ist hier Selbstverwaltung. Es gibt einen Sprecherrat, das sind drei oder
vier Leute, die mit bei den Verhandlungen dabei sind. Weil die Sozialarbeiter
sind normalerweise mal ein oder zwei Stunden hier. Ansonsten läuft
das alles hier alleine, und verhältnismäßig gut. Wir auch
eine Hausordnung, das war von vorneherein klar. Was verboten ist, sind
Drogen. Sowie hier einer erwischt wird, daß braucht bloß Kiff
sein, wenn ich dabei einen erwische, beziehungsweise, wenn hier einer erwischt
wird, der fliegt sofort raus. Drogen ist total tabu. Wenn da einer erwischt
wird, dann der hat noch eine Viertelstunde Zeit, dann muß er raus
sein, ansonsten wird er rausgeprügelt. Alkohol? Nö, warum? Entschuldige
bitte, jeder trinkt mal. Wir sind hier Selbstverwalter. Aber wir haben
hier drin auch einen Wachdienst, der nachts durchgeht. Eigene Leute, die
laufen in der Nacht durch, falls mal wirklich einer hier voll wie ein Amtmann
kommt und vielleicht auf dem Bett einschlafen sollte. Denn, wenn die Dinger
brennen, kommen wir nicht mehr raus, sind wir tot. Aber normalerweise ist
Rauchverbot hier, weil die Container unheimlich brandgefährdet sind.
Gut, heute ist letzter Tag, heute kiekt sowieso keiner mehr danach. Aber
normalerweise, das wurde vorher eingehalten. Da haben sie hier draußen
auf der Treppe geraucht, ist ja auch kein Problem. Kleine Streitereien
gibt es immer mal. Gut, wir hatten auch schon welche bei, die hatten andere
beklaut, gut, bei sowas... Aber schwerwiegende Probleme in dem Prinzip
gab's hier noch nicht. Bis jetzt jedenfalls noch nicht. Das würde
vielleicht welche geben, wenn wir wirklich bis zum März hier drin
geblieben wären.
Der größte Teil ist jung, ich bin mit einer der älteren
hier. Wir haben viele junge aus dem Osten, für die im Prinzip auch
eine halbe Welt zusammengebrochen ist, die kommen nicht klar mit dem Neuen.
Denn die haben ja vorher nie was von Arbeitslosigkeit oder sowas gehört
oder erlebt. In der Ex-DDR, Arbeitslose gab es da nicht, Arbeit hast du
immer gehabt, auch wenn du keine Arbeiten hattest. Die Wohnung, die Arbeit,
das war gesichert zum Beispiel, die Unfall- und Krankenversicherung war
auch gesichert. Man kann die Scheiß-DDR verdammen bis zum geht nicht
mehr, aber ein paar Sachen waren noch gut, und die hätte man vielleicht,
wenn das nicht so schnell gegangen wäre, ausgleichen beziehungsweise
übernehmen können. Mir ging die ganze Wiedervereinigung zu schnell.
Bloß ich verstehe eins nicht, daß alles verdammt wurde, was
ja nun 40 Jahre gelaufen ist. Einiges war gut dabei. Wie ich mir das jetzt
überlege, die Wiedervereinigung hätte vielleicht '93 oder '94
kommen können.
Zum Lachen hatten wir hier die letzten Tage nichts, weil wir damit rechnen
mußten, wir werden geräumt, und wir wußten noch nicht,
wohin? Gut, wir werden geräumt am Sonntag. Aber die haben ein Objekt
gekriegt bis zum 1. Mai in der Rhinstraße. Das ist, kannst du sagen,
fast die Grenze zwischen Lichtenberg und Marzahn. Da ist ein Objekt mit
1- und 2-Mann-Apartments, komplett eingerichtet, also in jeder abgeschlossenen
Wohnung ist dann eine Küche, Bad und so eine kleine Sitzecke. Die
haben die ja angeguckt, das ist ja wunderbar. Heute vormittag war
wieder eine Versammlung gewesen, wir kriegen morgen Busse gestellt und
LKWs, um unsere Sachen, die wir hier drin haben, dahinzubringen. Im Prinzip
brauchen wir ja bloß mitnehmen das Bettzeug, alles andere ist ja
da. Das ist 100%ig gesichert. Der Mietvertrag ist abgeschlossen, da hat
das Diakonische Werk übernommen als Rechtsträger, zahlen tut
hier - der Senat, oder beziehungsweise die Senatsfinanzdirektion. Die zahlt
die Miete beziehungsweise das Grobe, was anfällt. Und wir dürfen
bis zum 1. Mai drinbleiben. Das ist auch wichtig.
Bilanz
Wir haben mehr erreicht, als wir eigentlich erreichen wollten. Wir wollten
eigentlich nur, daß wir hier drinbleiben dürfen, daß wir
über den Winter kommen. Denn als Obdachloser liegst du auf der Straße,
und du weißt ja nicht wohin mit der Zeit. Was habe ich denn vorher
gemacht? Ich bin von einem besetzten Haus zum anderen gezogen. Ich liege
auf der Straße! Ich habe nichts! Gut, manchmal ist dir wirklich so,
da fragt man sich am Tage, komme ich überhaupt noch wieder? Gehst
du wieder auf die Parkbank, beziehungsweise wieder in ein besetztes Haus
rein, und dann ist gut? Bloß, andersrum, wir haben jetzt soviel erreicht,
das kann nur so weitergemacht werden. |