Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
GERHARD
GERHARD ist 56 Jahre alt, ledig, kommt aus Ost-Berlin, Berlin - Hohenschönhausen.
Biografie
Da war ich zehn Jahre, als der Krieg zuende war. Und ich war auch zufrieden, daß ich da zehn Jahre war, das war ja keine Zeit, das kann man ja nicht als Zeit rechnen. Und das darf ja nie wieder sich wiederholen. Krieg darf ja auch nie wieder kommen. Möcht ja keiner keiner haben. Jeder Mensch, der auf der Welt lebt, egal wo er her sei oder her ist, ja, der liebt ja den Frieden. Und die Ruhe und die Ehrlichkeit, vor allem die Ehrlichkeit braucht der Mensch. Aber nicht nur von sich selbst, sondern vom andern muß er sie erwarten können. Vertrauen, ja, und Vertrauen ist manchmal schwer.
Naja, da habe ich damals gut gelebt im Osten. Ich habe gearbeitet in einer Großküche, ich habe so bloß gearbeitet, ich habe immer gearbeitet. Eine Berufsausbildung habe ich nicht, aber ich habe immer so mein Geld verdient über 33 Jahre.
Einmischung - Haft
Ich hatte eine Wohnung, und dann kam ich in Haft. Naja, und meine Stiefmutter hat mich dann wieder aufgenommen, und demzufolge bin ich dann auf die Straße gegangen. Wobei ich auch immer ein guter Mensch gewesen war, und die hat mich auch nicht verstanden, und die hat in mir nur einen Verbrecher gesehen. Wobei ich gar kein Verbrecher war, im Gegenteil, ich hatte Leuten geholfen, denen ich wirklich beigestanden habe, die körperlich schwach waren, und ich nicht hinsehen konnte, und da hab' ich mich halt manggemischt. Und ich meine, ich hab' mich da nicht geschämt, realistisch mal zu sein, und einem Menschen zu helfen.
Ich hatte aber keinen Mord gemacht, ich hatte auch keinen Totschlag gehabt, sondern Körperverletzung hatte ich da, und dann Haft, nicht wahr. Einen Kieferbruch hat der eine gehabt. Weil ich mit meinem Kumpel mich eingemischt habe, weil da zwei Frauen und drei Männer von anderen verdroschen wurden, nicht wahr, an den Haaren gezogen und so weiter. Wir hatten auch einen kleinen dringehabt, nicht sehr viel, vielleicht 1,8 Promille. Naja, und da ergab sich das, daß man als Mensch dem anderen Menschen beisteht, und da habe ich mir nichts bei gedacht. Und ich habe damals[8], da war ich auch noch jünger, nicht daran gedacht, wer ich war, weil ich ja gar nicht wußte, wer ich war. Denn sich selbst erkennen ist das schwerste vom Erkennen. Wenn man erkennt, dann weiß man, was ist.
Ich hatte natürlich zwei Jahre, und die habe ich dann auch abgesessen, nicht wahr, also zwei Jahre bekam ich, durch gute Führung hat man mir sieben Monate geschenkt, warum weiß ich nicht. Ich dachte mir auch gar nicht, daß das passieren kann, auf jeden Fall haben sie mir erzählt auf Gericht, das haben sie auch hingeschrieben, ich soll sehr fleißig gewesen sein. Bis 130 und 135 Prozent habe ich die Tagesnorm erfüllt, nicht, und die anderen hatten halt bloß 110, 111, und ich hatte 135 bis 150, manchmal. Und das fanden sie bei mir so gut, weil ich an andere auch gedacht habe, und wenn einer nicht so schnell war, ich hatte noch ein bißchen Zeit in der Pause, dann habe ich denen noch geholfen, so bin ich nun mal.
Schwierigkeiten
Schwierigkeiten bekam ich, dann hat man mich verleumdet. Auch hatte da im Haus welche, die ich nicht mochte. Es gibt ja Wellen bei der menschlichen Ausstrahlung, die strahlen also Wellen aus vom Menschen, Antipathie und Sympathie, und das ist eine logische Folge, das ist ganz logisch, noch nicht mal erfunden, oder was. Ich erfinde nichts, ich bin ja kein Märchenerzähler. Naja, und da, auch meine zweite Mutter manchmal, mein Vater ist ja schon tot, meine zweite Mutter ist jetzt 80 Jahre, naja, ich meine, und ich kam da nicht hin. Und nicht nur die, sondern die anderen auch, die auf mich gehetzt haben. Sie hat mir gesagt, ich soll ziehen, dann bin ich gegangen voriges Jahr. Also, ich wurde gegangen, kann man auch bald sagen. Ich wurde gegangen. Das versteht man. Der Druck wars... - Naja, dann bin ich eben da abgehauen, habe mir was mitgenommen, nicht wahr, was mir gehört hat, habe mir auch mein Geld damals noch mitgenommen, nicht wahr, 2000 Mark. Ja, und die sind ja zur Zeit allegegangen, naja, und dann, so kam das dann. Das ist die glatte Wahrheit, und mehr kann ich da nicht bieten.
Trebe
Ich bin jetzt seit einem Jahr erst auf Trebe. Das ergab sich nicht durch den Knast oder was. Ich sagte ja, ich bin ja kein Großverbrecher. Das hat man mir nicht übel genommen. Das hat mir aber auch keiner vorgehalten. Im Gegenteil, man hat mir sogar noch gratuliert, manche Leute. Haben mir gesagt, war ja richtig, daß du den Frauen, den Schwächeren... beistehst. War ja normal, was ich getan habe, brauche mich doch nicht zu schämen vor mir selber. War doch ein ehrlicher Mensch. - Naja, und dann, wie gesagt, wie es läuft, ich wollte nicht nochmal in den Knast gehen, und deswegen bin ich jetzt obdachlos. Lieber obdachlos sein, bevor ich vielleicht noch wegen Mord oder sonstwie, oder Totschlag beispielsweise in den Knast gehen würde. Das möchte ich ja nun nicht mehr. Dann bleibe ich lieber ehrlich.
Ich bin dann erstmal spazierengegangen, habe mir erstmal einen angetrunken, naja, und dann habe ich meinem Kumpel das erzählt, dann bin ich da gewesen. Ich habe noch nie auf der Straße gelegen, auf der Treppe gepennt oder sonst dergleichen, das habe ich noch nicht gemacht. Wenn ich mal in der S-Bahn schlafe oder irgendetwas mir suche, aber da ist es denn immer da, wo mich niemand sieht. Und jetzt sind die Verbrechen so stark geworden, daß ich mich nicht in die Bahn hinsetze, wenn der Zug hält in Erkner oben, da würde ich nie eine Stunde schlafen, weil da Verbrecher sind. In Erkner habe ich mal früher geschlafen, jetzt aber nicht mehr. Ab und zu gehe ich mal rüber in den Osten, da schlaf ich bei Kollegen, nicht wahr, ehemalige Arbeitskollegen, wenn ich zu abgespannt bin und erschöpft bin. Die haben mir gesagt, da kann ich mal kommen und mich ausschlafen. Und die Leute, die mich aufnehmen, die haben mir auch schon viel geholfen, und werden mir auch helfen. Die haben auch wieder Leute und Kollegen, und die haben wieder welche. Ich werde immer da hingehen, wo man mir nicht viel anhaben kann. Hauptsächlich nicht hier, ich verstecke mich drüben im Osten, ich werde dort nicht gesucht, hier auch nicht, also polizeilich auf keinen Fall, das kann ich laut, kann ich auf dem Tonband auch sagen, da bin ich ganz offen und ganz generell, was Sie auch glauben dürfen, und das ist auch ganz konkret. Ich habe niemanden bestohlen und werde auch von der Polizei nicht gesucht, das kann ich laut und deutlich erklären, weil ich das weiß. Bin ich mir sicher.
Selbstmord: "Weil es sinnlos war!"
Das war in diesem Jahr, so im späten Frühjahr, möchte ich sagen. Ich hatte sogar schon den Strick halb in der Tasche, bin nach Grunewald gefahren, hatte alles vorbereitet, aber nun hatte ich den Fehler nun leider gemacht, oder Gott sei Dank, wie man's nun auffaßt, da hatte ich zuviel Alkohol getrunken, weil ich ja sonst zu feige wäre - ich war voll wie eine Kuh, möchte ich bald sagen, also, voller noch, wie ein Eimer voll ist, zum überlaufen - und demzufolge hatte ich nicht die Kraft und nicht mehr die Intelligenz dazu, mich richtig aufzuhängen, bin wieder runter gefallen, der Strick war mir noch am Hals, die Leute haben mir geholfen, haben mich ins Krankenhaus gefahren und haben mich wieder zum Leben gebracht.
Das kam durch mein Leben. Ich wollte nicht mehr. Weil es sinnlos war. Und das ist ja auch sinnlos. Wenn ich jetzt wirklich keine Wohnung kriegen würde, ich meine, spreche ich nicht darüber, darüber spricht man ja sowieso nicht, bloß den Versuch, den kann man ja erzählen, ich hab's ja versucht, aber wenn ich mir jetzt wirklich das Leben nehmen wollte, angenommen, dann spricht man ja nicht drüber. Denn die darüber sprechen, die tun's ja nicht. - Ist richtig, ja? - Die erzählen Stories. In Wirklichkeit ist alles nur erlogen, was die Leute erzählen, und das ist ganz normal, nicht, denn die Welt ist verlogen.
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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97