Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung
 

MARTIN

MARTIN ist 40 Jahre alt und West-Berliner.


Biografie

"Das ganz Stinknormale"

Mein Elternhaus war intakt gewesen. Ich selbst hatte bis zu 21, 22 Jahren eine starke Leistungsfähigkeit als Maler und Lackierer. Ich hatte eine gute Anstellung, habe auch selber ganz gutes Geld verdient und war sogar in der Lage, bis zu diesem Alter mir alles zusammenzuschaffen, das sollte eine ganz gewisse Art von Lebensstandard sein. Eigene Wohnung, Freundin, Auto, Reisen und, ja, also das ganz Stinknormale. Aber mittlerweile, ich weiß nicht, das war die ganze Arbeit. Ich habe nur gearbeitet, gearbeitet und gearbeitet, naja, und da war schon im Hinterstübchen so'n Gedanke: Mensch mein Gott, das kann doch nicht alles sein! Du verdienst einen Haufen Geld, du hast alles, du müßtest normalerweise zufrieden sein! Aber wenn du dir so andere Leute anschaust oder was, die haben auch einen gewissen - Freiraum an Leben, Freizeit, die sagen: "Heute mach' ich das, heute mach' ich das!" Das konnt ich mir in der Zeit nicht leisten. Leisten schon, aber wieder die Verantwortung und das Pflichtbewußtsein, was du jetzt machen mußt. Ich dachte, Mensch, verdammt nochmal, das kann doch nicht alles sein! Und dann so peu à peu fing ich an, mich mit den Gedanken zu beschäftigen, also was man heute so denkt, also Aussteiger. Mit dem Hintergedanken. Und dann gab es Löhnung, und dann legst du dir ein bißchen Geld zurück auf die eigene Kante so und so, und denn versuchst du mal einfach: Raus! Einfach nur auszupreschen. Gar nicht mal mit dem Gedanken, alles stehen und liegen zu lassen, das gar nicht mal. Bloß das ist das monotone Leben, ja, also jetzt nur arbeiten gehen und denn abends nach Hause kommen und essen, fernsehen, schlafen, das bißchen Sexuelle noch dazwischen, ja, das war mir alles nicht so. Ich wollte auch mal - wenn ich so Fernsehen gesehen habe oder irgendwie einen Bericht gehört oder Zeitung gelesen habe - andere Mentalitäten von Leuten kennenlernen, einfach raus mal irgendwie. Einen anderen Freundeskreis suchen oder nicht immer dasselbe, nicht mit Freunden und soundso - angekettet sein, Spießbürgerleben.

Freie Tage

Aber alleine schon in der Arbeitszeit, da fing es schon an mit der Trinkerei, dann mußt du mehr oder weniger mitziehen. Und das hat sich mehr oder weniger gesteigert. Dann hast du mal einen oder zwei Tage die Arbeit geschwänzt ohne einen wichtigen Grund, denn du wolltest auch mal einen freien Tag so für einkaufen oder ganz alleine für dich sein, abgesehen von der Freundin, und da habe ich am Anfang Gefallen dran gefunden, eine gewisse Freiheit für mich alleine. Ich hatte ja nun, verheiratet war ich nicht, also hatte ich im Grunde genommen auch gar keine Verpflichtungen. In dem Zeitraum, wo ich mir so die freien Tage genommen habe, habe ich das auch genutzt, meinen alten Bekanntenkreis von früher wieder zu treffen. Zu der Zeit haben die schon mehr oder weniger einen anderen Lebenswandel gehabt mit Vorstrafen, und die waren schon mehr oder weniger auch nicht an Arbeit interessiert, die haben mehr oder weniger schon so in den Tag hinein gelebt, also ganz anders drauf. Und ich war ja in der Zeit, also wenn jetzt irgendwie Not am Mann war, war das für mich keine Schwierigkeit mit dem Auto jetzt noch irgendwo zu einer Bank hinzufahren und da ein paar Scheine abzugrieben, oder ich bin schnell bei Mutter ins Geschäft gelaufen.

Dann hieß es nachher: "Mensch Martin, du hast doch ein Auto, wir können doch mal so übers Wochenende und nach drüben, hauen wir da mal auf den Putz!" Und dann kam ich wieder nach Hause, dann mußte ich wieder lügen, ich sage: "Du, Kleine, ich muß übers Wochenende weg von der Firma aus. Vielleicht bin ich Montag oder Dienstag abend wieder da!" Und das ist natürlich ein bißchen prekär. Blöde Ausreden und so weiter. Aber jetzt sich aus diesem Freundeskreis auch nicht abkapseln zu wollen, weil das mir im Grunde genommen irgendwie Spaß gemacht hat. Dann waren wir mehr oder weniger schon eine kleinere Gruppe von fünf, sechs Leuten. Dann hatten die natürlich auch kein Geld, ich konnte mir das weiterhin auch nicht mehr großartig leisten, sie finanziell zu unterstützen, dann fingen die natürlich auch schon an, ihre linken Dinger alle abzudrehen, also so klauen, Kaufhausdiebstähle und so weiter. Und so langsam bin ich mit reinbezogen worden in dieses Millieu. Also jetzt noch gar nicht mal Strafkriminalität, das gar nicht mal, aber ich habe dazu gehört. Und dann natürlich, jetzt in Verbindung mit der einen Seite und mit der anderen Seite, dann hat sich das gerieben, und dann fingen schon die ersten Kündigungen an.

Abschied der Freundin - Kündigungen

Die Freundin, die war von Hause aus schon mißtrauisch, ob ich nicht eine andere habe und alles so'n Blödsinn. Da fingen auch dann schon die ersten Reibereien an, ich sage: "Naja, wenn du dich so hast, du weißt ja, wo die Tür ist!" Hat auch gar nicht so lange gedauert, ich glaube, da war ich 23 oder 24 Jahre, sie hat sich dann verabschiedet von mir, so und auf einmal war ich alleine zu Hause. Dann kam nachher das Schockerlebnis. Was hast du denn? Was ist nun los? Warum ist die jetzt gegangen? Du hast ja gar nichts verkehrt gemacht! Dann habe ich schon angefangen, die erste Zeit angetrunken mit dem Auto zu fahren, dann habe ich die Wohnung vernachlässigt. Naja, dann die Einsamkeit nachher zu Hause. Einsam wollte ich natürlich auch nicht sein, also was machst du, nimmst du einen Kumpel, der eventuell jetzt keine Wohnung hat oder kein Zuhause hat, von meinem früheren Bekanntenkreis. Und die habe ich dann einfach mitgenommen bei mir nach Hause, und das ging natürlich auch nicht lange gut, also vom Hauswart aus gesehen. Also hat es auch gar nicht lange gedauert, da kam schon die erste Kündigung.

Meine Arbeit habe ich zu der Zeit noch gehabt, beziehungsweise ich konnte auch noch viel nebenbei arbeiten, aber mehr oder weniger auch, dann habe ich schon gemerkt, also der Alkohol. Wenn du schon frühmorgens aufstehst und du brauchst schon einen, oder ein Bier, der Klapperschluck, und dann brauchst du noch einen, bevor du überhaupt erstmal unten das Auto aufkriegst. Oder beziehungsweise auf der Leiter, und dann denkst du dir früh: Um Gottes Willen, ich geh' da schnell wieder runter und trinke erstmal was, vorher kann du gar keinen Pinsel anfassen! Dann kam schon die Kündigung von der Arbeit. Also, ich konnte dann auch nicht mehr mitziehen oder ich hatte keine richtige Lust dann mehr, wegen Akkord. Damals habe ich ja nur Akkord gearbeitet, dann hatte ich keine Lust gehabt, dann habe ich gekündigt, versucht, wieder anzufangen. Das war mir auch nichts, und so ging das. Jetzt gar nicht mal so in der Verzweiflung, aber so eine Leck-Arsch-Stimmung.

Weil ich ja nun keine Wohnung mehr hatte, bin ich erstmal wieder zwangsläufig zu meinen Eltern gefahren nach Steglitz. Weil meine Eltern gesagt haben: "Hier kannst du wohnen, kannst dieses und jenes machen, aber jetzt neuerdings Kostgeld, der Wagen bleibt stehen und deine Miete gibst du ab!" Die haben's ja gut gemeint. Die wollten mich wieder auf'n Gleis bringen. Dann ging es da etwa ein Dreivierteljahr gut und dann habe ich gesagt: "Also weißt du was, Mutter, es geht nicht!"

Auto - Blackout - Haft - Parkanlagen - "Besorgungen"

Dann bin ich los, habe mich ins Auto gesetzt und bin drei Tage durch Berlin. Und dann habe ich im Auto geschlafen. Circa ein halbes Jahr, ein gutes halbes Jahr. Naja, nicht immer. Der Begriff 'Platte schieben', das war mir damals noch zu hoch gewesen, mit diesen Dingen hatte ich damals noch nichts zu tun gehabt großartig. Aber bloß eben das Frei-Sein, Nicht-bevormunden-lassen, und "Das mußt du machen, das mußt du machen", ja, also das war mir alles denn... Obwohl ich zu der Zeit, war ich schon sauer gewesen über das, was ich alles verloren hatte. Ich habe mir gesagt: "Mensch, du bist ja noch ein junger Kerl, das kannst du dir schnell wiederholen!"

Solange ich das Auto noch hatte, war ja gut. Naja, das Auto habe ich auch nicht lange gehabt, dann ist es passiert. Dann bin ich in meinem Suff natürlich, habe natürlich einen Unfall gebaut, das ist klar. Totalschaden, Blackout, aus, Feierabend! Und das hat noch eine Stange Geld gekostet, da war der Frust total. Ich bin immer tiefer reingeraten in die ganze Scheiße. Und dann hat es auch nicht lange gedauert, dann war das 1976, da wurde ich in Verbindung mit einer Straftat, das weiß ich noch ganz genau, das war zweimal Kaufhausdiebstahl, zwei Pullen Schnaps, und irgendwie noch eine Kleinigkeit. Also, ich hatte derzeit eine Geldstrafe gekriegt von ungefähr 400 Mark ohne Bewährung! Das war in Verbindung mit 20 Tagessätzen oder sowas gewesen. Naja, ich dachte: 20 Tagessätze, da gehst du hin zu Mutter und pumpst dir das Geld, das wird sie ja nun machen. "Nee, nee", hat sie gesagt, "du hast die Scheiße gebaut, sieh' zu, daß du da reingehst, ich helfe dir nicht!" Dann war ich 1976 das erste Mal im Knast. Das war wirklich hart. Die alten Knastologen, die da drinne sind, die konnten natürlich mir dir als Neuem machen, was sie wollten. Ich habe mehr oder weniger nur in der Zelle gesessen und geweint und gegrübelt. Gut, die 14 Tage gehen nun vorbei, und jetzt konnte ich mich aber mit erhöhter Brust in den Kumpelkreis einreihen und sagen: "Jetzt geht die Party erstmal richtig los!" - Mehr oder weniger ist es dann ja auch passiert, und im Laufe der Jahre hat sich das natürlich auch dann gesteigert.

Also wurde immer mehr, also jetzt mehr oder weniger immer dieselbe Kacke, wenn wir so in den Parkanlagen gesessen haben und wir hatten dann mehr oder weniger auch nichts zu trinken, dann sind wir los mit ein, zwei Mann, und dann haben wir das besorgt oder... - Ich meine gut, zu 60% ist das meistens immer gut gegangen, und zu 40% haben sie dir hinten ran gekriegt, also das, was man an täglichem Gebrauch so... - Also mit arbeiten hatte ich auch gar kein Interesse mehr, mir war das damals lieber gewesen, im Freundeskreis so um eine Bank rum und dann erzählen, das war viel interessanter, als wenn ich da oben jetzt wieder anfange, einen Pinsel zu schwingen.

Gerichtshilfe

Dann war ich mal bei dem und bei dem, und dann habe ich das erste Mal vom Sozialamt eine Aufforderung bekommen zum Vorsprechen. Ich habe da selber gar nichts unternommen, also die kamen da von der sozialen Gerichtshilfe, damals gab's die noch. Dann bin ich da hin gegangen und habe ich mich mit der Frau unterhalten. Also jetzt praktisch genau denselben Lebenslauf, den ich dir jetzt erzähle, habe ich der Frau geschildert. Da sagt die zu mir: "Das ist alles gar kein Problem. Ich gebe Ihnen jetzt eine Adresse, und da gehen Sie sich jetzt erstmal vorstellen. Wenn Sie die Wohnung annehmen, dann kommen Sie gleich wieder her, dann kriegen Sie von mir Geld!" Das war schon wieder Musik in meinen Ohren. Und dann hat sie schon ausgerechnet, wieviel ich... Ich sage: "Moment mal", sage ich. "Ich war mein ganzes Leben lang nie auf dem Sozialamt, ich habe hier noch keinerlei Ansprüche genommen, sogar nicht vom Arbeitsamt!" - "Naja, machen Sie, ich helfe Ihnen schon, gehen Sie mal hin, nehmen Sie die Wohnung, und dann kommen Sie gleich wieder her, lassen Sie sich gleich eine polizeiliche Anmeldung ausschreiben, und dann kriegen Sie Geld von mir!" So schnell konnte ich ja, so schnell konnte ich die Sachen alle gar nicht verarbeiten, denn mehr oder weniger habe ich dann ja auch auf der Straße gesessen.

Die ersten Tage war ich natürlich da, ich war auch alleine so, ich habe mir das ein bißchen gemütlich gemacht. Und nachher kamen natürlich die einzelnen Aufforderungen bei den Behörden, und dann kam auch schon die erste Arbeitsaufforderung. Dann hat der schon frühmorgens um acht geklingelt bei mir, und hat dann mal leise nachgefragt, wie es aussieht mit der Arbeit. Ich sage: "Kein Problem, die Woche werde ich doch irgendwie was finden!" Naja, ich nicht dumm natürlich, habe mir erstmal ein paar Freunde mit nach oben genommen. Unten war die F.Bar, da konnte man billig essen, gegenüber war der Zeitungsladen, da konnte man billig trinken, und oben konnte man sich das in Ruhe bequem machen. War ein tolles Leben, die vier Monate. Und mit der Arbeit habe ich angefangen, sie natürlich auch zu bescheißen. Dann habe ich ihr einen fingierten Arbeitsvertrag vorgelegt von Quelle. Aber da kannst du als Maler natürlich nur nachts arbeiten, habe ich ihr vorgeschwindelt. Ich arbeite nur nachts, und tagsüber möchte ich dann meine Ruhe haben. Und ich wurde auch nicht gestört, ich hatte ja die Bude voll, die Flaschen standen rum und haben rumgelegen. Und der Hausmeister kommt laufend an und klingelt. Das ging auch nicht lange gut, ganze vier Monate. Das Geld hat ja auch nicht lange gehalten. Innerhalb einer Woche war das schon alle und verbraten.

"Verwehte Träume"

Mir war damals nicht bewußt gewesen, in welcher Weise die Leute mir Hilfe angeboten haben. Ich war ja in meinem ganzen Leben noch nie Sozialempfänger gewesen. Ich dachte, das wäre mehr oder weniger eine einmalige Sache, ich wußte mit dem gar nichts anzufangen, mehr oder weniger. Heute würde ich das mit Kußhand nehmen. Das waren alles im Grunde verwehte Träume damals. Dann kam die Kündigung wieder. Dann bin ich wieder ein paar Tage nach Hause gegangen, das war immer ein Kreislauf, und dann kam wieder der Knast dazwischen. Das hat sich so mittlerweile hingezogen bis '81. '81 bin ich dann aus Tegel entlassen worden und natürlich frustriert, der Lebensweg, der ist sowieso gestört, der ist vermauert. Und ist alles Scheiße und ich bin ja selber gar nicht Schuld, die andern sind ja Schuld, weil sie dir nicht helfen oder weil sie dich nicht verstehen wollen und alles so 'ne Kacke. Aber eine ganze Zeit war ich ja trocken gewesen im Knast. Ich habe da auch nicht gesoffen, anderthalb Jahre waren das. Die Pforte war kaum auf gewesen, das Schultheiß-Schild stach mir schon in die Augen und das erste, was du gemacht hast, da warst du gleich drinnen gewesen. Ich war damals schon in so einem Stadium gewesen, was ich nicht gemerkt habe, daß ich den Alkohol brauchte. Ich brauchte den schon. Und wenn ich jetzt da drinne angefangen hätte zu trinken, dann wäre das da drinne weitergegangen. Also jetzt auch immer mehr und mehr. Weil, draußen ist es ja einfach, draußen kriegst du fast an jeder Ecke, aber da drinne nicht. Da mußt du schon dich verkaufen oder du mußt Klamotten verkaufen und alles so'n Blödsinn. Also habe ich gesagt: "Bevor du in so ein Stadium reinfällst da oder was, hörst du auf!" Also das habe ich zumindest gepackt. Aber nützt ja nichts, eines Tages geht die Pforte auf, naja, und bong, drin!

Lichte Augenblicke - Therapieversuche - Rückschläge

Und damals haben mir meine Eltern nochmal die letzte Chance gegeben. Und ein gutes Jahr bis '82 ging das gut. In diesem Jahr habe ich mal einen lichten Augenblick gehabt. Da habe ich mal über meine ganze Situation so nachgedacht. "Nee!", dachte ich. "Mensch, du warst ja so blöde!" Und: "An was kann das liegen?" Und: "Liegt das an dir?" Und da habe ich gemerkt, das ist mehr oder weniger in der Phase passiert, wo du dabei besoffen warst. Und da habe ich zu mir gesagt: "Also jetzt mußt du mal was machen und jetzt gehst du freiwillig mal in die Klinik, machst eine Entziehung!" Und so habe ich mich da angemeldet, das war in Spandau draußen, in der NKS[22]. Und wie ich natürlich da hin kam, habe ich erstmal einen Schreck gekriegt. Ich habe das genau drei Tage ausgehalten. Ich habe zum Arzt dann gesagt: "Passen Sie auf, Herr Doktor, ich habe mir das jetzt so angeguckt, und ich bin doch noch nicht so weit!", sag' ich. "Ja, und mir eingestehen zu können, daß ich Alkoholiker bin!" Der hat gar nichts gesagt, der hat mich bloß angeguckt. Und da sagt der: "Ihnen steht das frei, jederzeit gehen zu dürfen. Wir halten Sie hier auch nicht fest. Aber unter Vorbehalt, wir sehen uns mit Sicherheit wieder!" Da habe ich gesagt: "Du quatsch' mal da, paß mal lieber auf deine Kranken auf, als mir hier so'n Ding da zu geben." Das habe ich alles noch so im Kopf gehabt, was die anderen Patienten da erzählt haben in der Gruppe. Und dann vorne ist ja ein Zeitungsstand. Also das Eingeständnis, daß ich alkoholkrank oder alkoholgefährdet bin, habe ich gleich fallengelassen. Ich habe mich gefühlt, ich bin ein ganz stinknormaler Mensch und ich kann Tatsache auch mit Alkohol umgehen und wenn ich nicht mehr kann, dann kann ich eben nicht mehr.

Ich weiß nicht, ob es 14 Tage waren oder drei Wochen, da hatte ich dann den ersten Blackout. Ich war dann schon in dem Stadium gewesen, wo ich zwei, zweieinhalb Pullen am Tag brauchte, Tatsache brauchte. Ich meine, ich bin dadurch nicht besoffen geworden, aber das war der Spiegelgehalt, den der Körper brauchte. Bloß wehe, das Zeug ist ausgegangen aus dem Körper. Um Gottes Willen! Ich konnte gar nichts verrichten mehr. Ich konnte noch nicht mal auf Toilette gehen, mich irgendwie pflegen oder was. Dann ist das auch noch vernachlässigt worden. Dann war ich wieder auf der Station gelandet, wo ich vor drei Wochen den Hut genommen hatte, so schnell. Das werde ich auch nie vergessen. Dann nach den drei Tagen Bettruhe, die ich dann bekommen hatte erstmal, bin ich da zu meinem Doktor wieder hin. Der hat die Akte aufgeschlagen und die haben denn da auch Bilder gemacht von mir. Sagt der: "Gucken Sie mal, wie Sie jetzt aussehen und gucken Sie mal, wie Sie vorher ausgesehen haben. Ich garantiere Ihnen, wenn Sie so exzessiv weitertrinken, ich gebe Ihnen genau noch zwei Jahre Lebenszeit!" Das hat mich damals stutzig gemacht. Ich sage: "Wie?" Ich sage: "Ich bin doch körperlich, organisch bin ich doch..." - Sagt der: "Passen Sie auf, wir werden Sie total durchchecken. Von oben, vom Gehirn, bis unten bis zu Ihren Zehenspitzen. Das macht sich alles durch Ihren Alkohol bemerkbar!" Naja bitte, und mehr oder weniger hat sich das auch bestätigt. Also kamen schon die ersten körperlichen Schäden, Anzeichen. Jetzt auch mit Krämpfen in den Fingern, was ich alles für normal hielt. "Nee!", sagt der, "und wenn Sie jetzt so weiter machen, dann fallen Sie total auf die Schnauze!" Ich war damals auch der Meinung gewesen, meine Gesundheit, die geht mir über alles. Da habe ich angefangen, nachzudenken. Jetzt habe ich überlegt, machst du eine Langzeittherapie oder machst du keine? Und dann habe ich mich für eine Langzeittherapie entschlossen.

Nur entschlossen, gemacht habe ich sie ja nicht. Bin jetzt also rausgegangen, habe mein Aufnahmegespräch geführt und wurde auch ohne Schwierigkeiten angenommen. Habe die finanziellen Sachen geregelt, über die LVA[23]. So eine Therapie kostet für ein Dreivierteljahr 68.000 Mark, eine schöne Stange Geld. Der Kostenbescheid kam, ich durfte auch rüber ins andere Haus. Und im Entgiftungshaus hast du bloß am Tag einmal Gruppe. Und das andere Therapiehaus, da hast du gleich volles Programm, Psychotherapie und Arbeitstherapie, kleine Gruppe, großes Meeting, kleines Meeting. Und mein Name stand schon ganz oben drauf am ersten Tag. An diesem Tag hatte ich Freigang gehabt, ich hätte da was besorgen sollen. Habe ich denen auch erklärt, da sagt der: "Ja, Herr E., natürlich, können Sie machen. Aber kommen Sie her, ich möchte Ihnen das erklären. Hier oben steht der Name, in dieser Gruppe sind Sie drin. Ab morgen haben Sie das, das und das, das und das." Und das wurde immer mehr. Ich dachte: "Hoffentlich hört der jetzt mal auf zu reden. Ich muß raus hier!" Ich bin dann auch gegangen, meine Sachen, meine Papiere habe ich einfach nur aufs Bett gepackt und los. Dann schon beim Bus habe ich mir die Erkenntnis gesetzt, um Gottes Willen, erstmal raus! Dann bin ich ausgestiegen, da war eine Kneipe gewesen, so, und dann habe ich über mein Problem noch mal nachgedacht[24] den ganzen Tag bis abends um sechs. Und immer gib ihm einen. Ich bin dann zurückgegangen, ich dachte, wenn du besoffen bist, dann würdest du das eventuell packen, den Arbeitsablauf so am Tag. Jetzt bin ich so voll, wie ich gewesen bin, natürlich wieder da hingegangen. Der brauchte gar nichts zu sagen, der hat mir gleich die Papiere wieder in die Hand gedrückt, sagt der: "Schlaf' dich erstmal aus und morgen sehen wir weiter!" Naja, da gab's dann auch gar nichts mehr groß zu Reden. Ich sage: "Mach' mal meinen Ausweis fertig, meine Papiere!", und dann bin ich wieder los. Das war meine Langzeittherapie.

Aber das kommt ja noch härter. Also ich wieder los, und der erste Gang, damals war ja die Mauer noch zu, zum Glück hatte ich auch noch ein paar Mark, dann erstmal zur Friedrichstraße, Lodsch, den Panzersprit da. Der erste Tag ist gut gelaufen, der zweite auch noch und dann kam der dritte Tag und dann saßest du wieder da, jetzt fängst du wieder an zu grübeln. Was mache ich? Naja, ab nach Hause. Jetzt war aber die Situation bei mir zu Hause schon so gewesen, das war schon ein gespanntes Verhältnis. Dann bin ich wieder los und habe mich dann irgendwo in Wedding eingemistet da für ein dreiviertel Jahr.

Eltern - Tod der Mutter - Ausverkauf

Da kam schon der Zeitraum, da ging meine Mutter damals auf Rente. Also dachte ich, naja, wenn sie zu Hause, dann hat sie mehr Zeit, vielleicht auch mehr Verständnis um das alles. Dann könnten wir über die Dinge reden oder quatschen. Mein Alter war auch schon denn auf Rente gegangen. Ging auch gut alles, mehr oder weniger. Ich habe dann auch so die Rumtreibereien sein lassen, ich habe dann mehr oder weniger mein Quantum an Alkohol, was ich brauchte, zu Hause getrunken. Habe dann auch, weil ich nicht arbeiten gegangen bin, mehr oder weniger den Haushalt gemacht. Wir hatten damals eine 4-Zimmer-Wohnung und da kannst du ja dann schon reichlich was machen, du kannst Fensterputzen, weil meine Eltern können ja nicht so auf die Leiter. Und dann ging es so einigermaßen.

Dann kam der Krankheitsfall meiner Mutter, sie hat über ein halbes Jahr bis zu ihrem Tode im Krankenhaus gelegen. Ich bin sie jeden Tag besuchen gegangen, weil mein Vater konnte oder wollte nicht. Er wollte meine Mutter nicht in dem Zustand sehen. Ich habe ihm das immer geschildert, wenn ich von der Sprechstunde kam, wie es ihr geht und was nun heute war. Und wie der Arzt mich mal eines Tages reinrief und sagt: "Also bei Ihrer Mutter ist keine Hilfe mehr zu erwarten, Sie müssen sie auch entmündigen lassen!" Und so ging es dann im völligen Stadium weiter, immer hier, immer hier, ja. Immer gib ihm einen,[25] und das wurde immer schlimmer. Dann irgendwann war es dann soweit. Und dann die Beerdigung, und dann ging es so langsam los, also jetzt erstmal das ganze finanzielle mit der Versicherung und den Banken. Jetzt stand natürlich die Wohnungsauflösung im Raum. Mein Vater war derzeit im Krankenhaus, und da sagt der: "Die Wohnung gebe ich auf. Du kannst damit machen, was du willst!" Der wollte gar nichts haben, der wollte bloß die kleinen Andenken, was Mutter hatte, darauf hat er Anspruch gelegt.

Jetzt war ich alleine in der Wohnung mit meinem Kumpel. Was nun? Jetzt haben wir Institute angerufen, das sollte ja im Grunde genommen auch schnell weg und unter die Leute. Aber das war nicht der Fall gewesen, die haben sich immer bloß die besten Stücke rausgesucht. "Nee!", habe ich gesagt. "Entweder alles oder gar nichts!" Dann hatte ich eines Tages die Schnauze voll, dann haben wir Zettel rangemacht an die Bäume, oder hier in der Zweiten Hand annonciert. Dann habe ich nur am Telefon gesessen im Schaukelstuhl, nebenan war die Pulle. Dann kamen sie an, haben nur noch geklingelt. Ich sage: "Das und das, selber abholen natürlich, und gleich Bares hier!" Innerhalb von 14 Tagen war die Bude leer, und die Kündigungszeit war drei Monate. Jetzt war aber die Wohnung leer. Hauptsache, du hast ein Dach überm Kopf, mir war das doch egal gewesen. Dann war ich bei der Gesellschaft, der da die Wohnung gehörte. Da habe ich gesagt: "Für die 4-Zimmer-Wohnung gebt ihr mir 'ne 2-Zimmer-Wohnung. Also wir tauschen!" Das war ja eine ganz prima Wohnung. Erstmal habe ich viel da drin gemacht und als Maler hergerichtet vom Allerfeinsten. Sonnig, großräumig und alles. Ich sage: "Da müßt ihr doch zumindest in der Lage sein, mir eine Tauschwohnung zu geben. Eine 4-Zimmer-Wohnung gegen eine 2-Zimmer-Wohnung, wenn mein Vater nachher aus dem Krankenhaus kommt. Er ein Zimmer, ich ein Zimmer, das reicht doch vollkommen aus!" - "Nein!", so und so, und da lagen schon Schriftstücke angeblich - gezeigt haben sie mir die nie - und: "Ihnen dürfen wir die Wohnung nicht übermitteln!"

Ich wollte nochmal rein, da war schon ein neues Schloß eingebaut gewesen, ich dachte: "Leckt mir doch am Arsch!" Damals hatte ich schon eine 1-Zimmer-Wohnung gehabt am Olivaer Platz da unten im Keller, ein ganz dunkles Ding, da war ein Hof, alles voller Bäume und Sträucher vor, am Tage mußtest du schon helles Licht machen. Also da habe ich einen Horror gekriegt, ich habe nie drin geschlafen. "Um Gottes Willen!", dachte ich. "Und dafür zahle ich nun 300 Mark!" Damals für die 4-Zimmer-Wohnung hatte ich 366 Mark Kaltmiete bezahlt, und hier für so'n Affenloch da 300 Mark. Dann Hauptsache, du bist polizeilich angemeldet, dann gehst du wieder unterwegs.

Reha-Station - Aufschwung - Teamwork

Unterwegs ging es auch nicht lange gut. Das war so katastrophal gewesen, da war ich an so einem Punkt, da brauchte ich keine zwei Flaschen mehr, da brauchte ich schon drei, vier bis fünf. Also wieder ab in die Klinik. Über einen Arzt habe ich mich damals einweisen lassen. Sagt der: "Ich kann dich nicht mehr weiter behandeln, bei dir schlagen keine Medikamente ein, deine Wunden gehen nicht zu. Das geht nicht, du mußt wieder in die Klinik rein." Ich habe gesagt: "Naja, ist gut!" Ich war sowieso fix und fertig auf Dauer, nicht richtig ausgeschlafen und verpennert und: Ach du Scheiße! Ich dachte: "Naja, gehst du, und dann ruhst du dich wieder drei Wochen aus!" Da kam ein Arzt zu mir oder eine Therapeutin: "Paß auf, das mit der Therapie ist bei dir fehlgeschlagen, das haut sowieso nicht hin, da hast du ja kein Interesse. Aber ich mach dir ein Angebot, du gehst auf die Reha-Station," - also Rehabilitierung - "da hast du bloß einmal in der Woche Gruppe. Ansonsten kannst du machen und tun was du willst, und dann kannst du dich einigermaßen wieder hocharbeiten!" Da bin ich auch rüber, habe meine Vorgespräche geführt, und auch sofort aufgenommen.

Das war auch an dem gewesen, ich konnte für mich was tun. Nicht für andere, ich hatte wirklich Tatsache die Möglichkeit, noch ein bißchen was für mich zu tun. Mich, also zuerst mal mein Selbstbewußtsein wiederzufinden, eins nach dem anderen. Ich habe mich wirklich von Stufe zu Stufe aufgebaut. Dann habe ich auch angefangen, innerhalb der Klinik zu arbeiten, das erste Mal vier Wochen, das war Pflicht gewesen, in der Gärtnerei. Da habe ich meine gewisse Ausgeglichenheit gehabt. Und wenn du natürlich auch den gewissen Kreis um dir hast, Gesprächspartner, Freunde. Und das war dann auch gemischt, also da drin waren dann auch Frauen, auch mit solchen Problemen befaßt, auch mit Wohnungslosigkeit und diesem und jenem. Da habe ich mich derzeit mit jemand angefreundet, wir waren damals ein dolles Team, das war ein ganz duftes Verhältnis. Da habe ich gemerkt, wenn eins ins andere paßt, immer stückweise, dann macht das Spaß. Ich habe auch ohne irgendwie Angst zu haben oder Hintergedanken, daß ich eventuell draußen irgendwie rückfällig werden könnte, meine Wege erledigt. Oder wir beide zusammen. Oder jetzt mit einem anderen, also das war, eins nach dem anderen kam das, mein eigenes Aufbauen wieder. Das hat Spaß gemacht, wirklich den Tag nüchtern und realistisch so zu sehen, wie ich den früher mal erlebt hatte. Und wir hatten dann auch gewisse Pläne schon geschmiedet, wir versuchten uns eine eigene Wohnung zu nehmen. Wir konnten uns auch, also ich jetzt damals mit der A., frei und ohne Zwang mit den Ärzten und Therapeuten unterhalten. Die Truppe hat auch unsere Beziehung oder unser Verhältnis akzeptiert, die Ärzte auch, das war einwandfrei. Wir konnten uns gut aufbauen, sie und ich, das war ein herrliches Gefühl, und das ging auch. Ich habe dann draußen feste Arbeit angenommen wieder als Maler, dann kam auch schon das erste Geld wieder ins Haus. Ich brauchte nichts abzugeben im Krankenhaus, ich konnte mir ein bißchen was zur Seite legen. War ein dolles Ding gewesen.

"Dann kam der Hammer" - Haft - Raubüberfälle

Das waren genau vier Monate, dann kam der Hammer. Da wurde ich einmal reingerufen bei der Ärztin: "Wir haben hier ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft. Sie müssen Ihre Haftstrafe absitzen." - Ich hatte derzeit noch neun Monate offen, die hatte ich schon längst vergessen gehabt. Gleich in Verbindung mit, das sind so grüne Zettel, da war der Strafantritt drauf. Und sie hat mir das verdeutlicht: "Da kommst du jetzt nicht drum rum!" Sie hat gesagt: "Das ist eine ganz große Schweinerei, was die jetzt machen!" Dann hat sie für mich ein Gutachten aufgesetzt mit dem Chefarzt. Dann haben wir das eingeschickt, innerhalb von einer Woche kam die Ablehnung, dann hieß es, das wäre besser, wenn ich jetzt die Klinik verlassen würde. Sie hat es mir angeboten, sie sagte: "Also bevor sie dich hier abholen, versuche das draußen. Geh' zur Justizanstalt und versuche zumindestens erstmal einen Strafaufschub zu kriegen für drei Monate, aber verschwinde hier, bevor sie dich hier abholen!" Die dürfen dich ja drin verhaften, das ist ja nun keine Therapie. Wenn ich jetzt eine Therapie gemacht hätte, hätten sie an mich nicht rankommen können. Naja, der Haftaufschub ist ohnehin abgelehnt worden. Das Urteil war rechtskräftig, der Strafantritt so oder so hat auch mehr oder weniger bestanden. Das einzige, was ich eventuell bewirkt haben könnte, das wäre für ein, zwei, drei Tage. Was bringt mir das? Das bringt nichts. Du kannst dir ja vorstellen, also ich habe die Welt nicht mehr verstanden.

'84 bin ich dann rausgekommen. Dann war ich für ein oder zwei Tage trocken gewesen, weil ich hatte das damals meiner Kleinen versprochen gehabt und so weiter und so fort. Sie war natürlich auch schockiert gewesen, sie hat auch keine Lust mehr gehabt, da drin dann alleine, weil wir das... Ja, das war alles komisch und prekär und also ging das nicht. Und dann kam das natürlich. Ich war in meiner ganzen Phase, was ich dir jetzt geschildert habe, nie gewalttätig oder aggressiv oder was, aber da gingen bei mir die Lichter durch. Ich hatte einen alten Freund dann wieder kennengelernt, wir haben uns beide unterhalten und ich wurde immer saurer und immer saurer. Wir hatten kein Geld und nichts mehr zu trinken. Das war gleich innerhalb von den zwei Tagen. Ich sage: "Paß auf, mir ist sowieso alles so scheißegal, jetzt gehen wir rüber bei Karstadt und klauen ein Messer!" Da sagt der: "Was willst du denn mit 'nem Messer?" Ich sage: "Laß' mich mal machen. Ich besorg' uns ein bißchen Geld übers Wochenende und dann hauen wir ab!" - Jetzt bin ich los mit ihm, gleich bei mir hinten um die Ecke, das war Freitag kurz vor sechs, da habe ich mir gedacht, so um die Phase, da müßte der Laden da noch ein bißchen Geld in der Kasse haben. Aber mein Kumpel hat Angst gehabt, er wollte nicht mit rein. Mir war das alles so scheißegal gewesen, angeknallt war ich auch, ich habe schon gekiekt, keiner drin, ich rein, gleich mit dem Messer bis hinten durch, dem das Ding an die Kehle gesetzt, ich sage: "Runter auf den Fußboden und kiek mich bloß nicht an!" und alles so'n Blödsinn. Habe ihm erstmal das ganze Geld aus der Kasse, und als Alkoholiker ist man ja nicht doof, da steckt man sich noch eine Tüte ein für die Flaschen. Und dann kam bei mir drin im Laden die Erleuchtung. Wenn ich jetzt alleine aus dem Laden gehe, ruft der natürlich logischerweise um Hilfe. Und dann kommst du sowieso nicht weit. Da habe ich gesagt: "Paß mal auf, mein Lieber, wenn wir jetzt beide aus dem Laden gehen, ich nehm' dich mit!" Jetzt habe ich dem das Messer hier untern Arm gesetzt, und er hat natürlich Angst gehabt, das war ja ganz logisch. Ich sage: "Und wenn was ist oder was, dann zieh ich das durch, ja! Und sollten wir uns mal am Tage wiedersehen oder irgendwo, du wirst mich nicht kennen, damit das klar ist bei mir, ja!" Hat er auch alles begriffen und ist mitgekommen im Zittern, dann sind wir ganz hinten um die Ecke gegangen bis kurz überm Park, wo wir immer gesessen haben, und da geht es gleich runter in die U-Bahn. Da habe ich ihn laufen lassen, ihm noch zehn Mark in die Hand gedrückt, damit er mit dem Taxi nach Hause fahren kann, weil der so gezittert hat. Und ich mit meiner Tüte und mit meinem Kumpel, dann sind wir losgestiefelt.

Dann haben wir so 'ne kleine versteckte Kneipe gefunden, da sind wir erstmal rein. Und dann kam es mir da drin erst zur Erkenntnis, was ich da für'n Ding gebaut habe. Es ist zwar gut gegangen, aber wie lange? Und draußen fingen schon die Sirenen an. Da habe ich gesagt: "Erstmal einen Doppelten zur Beruhigung und ein Bier, und dann hauen wir ab!" Da haben wir uns beide getrennt, ich sage: "Wir sehen uns vorläufig nicht wieder! Was habe ich gemacht mit den 1800 Mark? Ich habe mir eine Flugkarte gekauft und bin nach Hamburg gefahren. In Hamburg hat das Geld zwei oder drei Tage gelangt, das hat gerade noch gereicht mit dem Zug, daß ich wieder nach Berlin komme. Da fing dasselbe Theater schon wieder an. Was machen, was tun? Ich habe mir gedacht, wenn das einmal gut geht, warum soll das nicht nochmal gut gehen? Dann ging das so mit den Gedanken, aber ich wirklich total besoffen, ich wußte gar nicht mehr, was los war. Das war ein Sonnabend kurz vor zwei, kein Geld, nichts zu trinken, also was machst du? Da habe ich mir von einem Kumpel so'n Fleischermesser genommen, dann bin ich los in den Zeitungsladen. Und als ich reinkam, um Gottes Willen, die hat da gleich angefangen zu keifen da. Das hat natürlich draußen gleich die ganze Straße gehört, und ich wollte türmen in meinem Suff, da wollte ich laufen. Ich kam gar nicht weit, ich konnte ja gar nicht mehr laufen im Grund genommen, da haben sie mich gekriegt, verhaftet, wieder Moabit, Untersuchungshaft. In der Zeit, wo du dann nüchtern geworden bist, dann kommt natürlich: "Jetzt hast du aber keine Sorge mit der Unterkunft. Jetzt kriegst du einen bewaffneten Raubüberfall, räuberische Erpressung, das ist ein ganz schöner Stiefel!" Ich habe mich schon für ein paar Jahre eingerichtet.

(Zwangs-)Therapie statt Strafe

Nachher in der Gerichtsverhandlung hatte ich die Gelegenheit, darüber zu reden, wie es gekommen ist und warum, weshalb und in Verbindung mit dem Alkohol. Der Rechtsanwalt hat mich erst darauf hingewiesen, wie es ist, wenn ich den 64er angehe? Ich sage: "Was ist denn 64er?" Da sagt er: "Du machst jetzt deine neun Monate ab, und eine Zwangstherapie. Die dauert zwei Jahre. Du mit deinen Kenntnissen als Alkoholiker und das, was ich von dir gehört habe, hast die Möglichkeit, schon nach einem halben Jahr wieder raus zu sein, wenn du nicht rückfällig wirst!" Da sagte ich: "Neun Jahre hat der Staatsanwalt gefordert, anderthalb Jahre habe ich auf die Straftat gekriegt, und die zwei Jahre, das sind dreieinhalb, das ist eine ganz schöne Zeit. Und wenn ich das Glück habe, bin ich nach einem halben Jahr draußen!" Sage ich: "Nehme ich an!" Haben sie mich auch Tatsache dazu verdonnert. Anderthalb Jahre Strafe und, wie gesagt, die zwei Jahre 64er. Und dann bin ich runter gekommen nach Bonnies Ranch[26], Zwangstherapie. Der 64er besagt, Straftäter, die unter Alkoholeinfluß standen, also wegen vorsätzlichen Vollrausches - wenn du Scheiße baust, wenn du was getrunken hast, dann ist das vorsätzlicher Vollrausch -, und der kann geahndet werden bis zu zwei Jahren mit dem 64er. Du hast ja in der Hinsicht ein Gutachten, also einen Gutachter im Gerichtssaal, daß eben eine Unterbringung stattfindet. "Naja", dachte ich, "ist ja ganz gut! Und dann da drin, jetzt hast du das damals in der Klinik geschafft, in vier Monaten, warum sollst du das nicht ein halbes Jahr schaffen? Um so besser bist du ja dran!"

Ich guten Mutes dahin, sie haben mich dann raus gefahren, ich hatte ja nun alles bei, meinen Fernseher und das alles, da konnte ich mir das gut einrichten. Aufnahme und das alles, ganz wunderbar, auch die Leute und das Pflegepersonal: "Ach, geh' mal auf dein Zimmer hoch, Kaffee und so weiter, und dann ist gut." Ich kam auf den Flur: "Hallo Martin!" Ich dachte, was ist denn jetzt? Also auch Leute, die du kennst oder gekannt hast, und der eine torkelt schon rum, und aus der Kaffeetasse kommt dir der Schnapsgeruch entgegen - wenn du eine Weile nichts getrunken hast, drei Monate, dann weißt du ja sofort, was Sache ist! Das ist doch keine Therapie! Das war ein festes Haus, aber die Möglichkeiten, Schnaps oder was zu kriegen, war nachher kein Problem. Das war schlimmer wie draußen gewesen! Und dann mach' mal Therapie! Gleich am ersten Abend hast du einen gekostet. Es war ja was ganz anderes, du konntest dich ja frei bewegen, du bist ja da nicht eingesperrt oder was. Jedenfalls, das war schon furchtbar. Also im Grunde genommen, mein 64er hat keine zwei Jahre gedauert, der hat vier Jahre gedauert. Du kriegst ja nachher auch Ausgänge oder deinen Wochenendurlaub, dann bist du mal so abgehauen für drei Monate oder ein halbes Jahr. Das drehen sie dir dann nachher immer wieder an.

Derselbe Staatsanwalt, der mich damals verurteilt hatte mit den neun Monaten, und der mich wieder zurück beordert hatte in den Knast, war auch in der Gerichtsverhandlung, wo sie mich dazu verdonnert hatten. Und da werde ich seinen Spruch nie vergessen: "Eine Therapie unter Zwang für einen Patienten ist, also fürn Arsch!" Ich sage: "Warum haben Sie mich dann erst rausgeholt aus der Klinik? Sie haben doch die Gutachten gelesen und so weiter!" Da wußte er nicht mehr, was er sagen sollte. Das war's dann gewesen.

Entlassung - Behörden - Arbeitssuche - Beziehung

Und von diesem Zeitraum nach der Entlassung, das war Juni '88, ging es los, bis heute, bis zum heutigen Zeitpunkt. Die erste Zeit natürlich, da hast du wieder ein bißchen neuen Lebensmut gehabt, die vier Jahre schlauchen natürlich auch. Dann bin ich zum Sozialamt hin, damit du erstmal deine laufende Unterstützung kriegst, und dann die Auflagen, die sie dir stellen, denen mußt du auch nachgehen, mit Arbeitsamt und alles so'n Plunder. Dann hatte ich mich auch zeitweise wieder um Arbeit bemüht, dann heißt es schon: "Na, um Gottes Willen, wo waren Sie denn, wo haben sie denn die letzten Jahre gearbeitet?" Beim Arbeitsamt fing es schon an, die haben sich dann gehabt: "Wo waren Sie denn gewesen?" Ich sage: "Ich war in der Ka-Bo-En vier Jahre!" - "Um Gottes Willen! Sie nimmt doch keiner, höchstens wieder Schnellvermittlung!" Also im Grunde genommen mußt du als gelernter Maler Dreckarbeiten machen, und ein Türke, der da ankommt - ich habe derzeit zwölf Mark verdient -, verdient zehn Mark mehr, 22 Mark. Der versteht kein Deutsch und ich muß dem seine Dreckarbeit machen, also habe ich mir das gar nicht erst lange angekiekt. Also ging das auch nicht lange gut.

Dann nach der Entlassung war ich mal kurzfristig mit einer Frau zusammen gewesen. Das war schön, wir haben uns wirklich gut arrangiert. Selbst die Häuslichkeit, das Gewohnte wieder: Aufstehen, frühstücken, Mittag essen und abends entweder mal weggehen, oder wenn wirklich mal was Gutes im Fernsehen war, richtig das Familiäre. Aber dann so nach vier oder fünf Wochen, wenn du jeden Tag mit so einem Menschen dann wirklich zusammen bist, dann fällt dir die Decke auf den Kopf. Die Erfahrung habe ich zwischendurch schwer machen müssen.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97