Stefan Schneider - Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung

2. Kriterien der Auswahl der Untergruppen

In einer ersten Annäherung an die Frage nach dem Verhältnis Wohnungsloser zum Hilfesystem (Nähe -Distanz) wird die Untersuchungsgruppe in vier Untergruppen eingeteilt (Nähe-, Ambivalenz-, Distanz- und Organisationsgruppe). Die Zuordnung erfolgt nach dem objektiven Kriterium des Bezugs der Wohnungslosen zum Hilfesystem zum Zeitpunkt der Befragung.

Der Nähegruppe sind diejenigen Personen zugeordnet, die dauerhaft untergebracht sind. Das sind HANS, der in einer Pension wohnt, JENS, der in einer Wohngemeinschaft wohnt und JOCHEN, der in einer Einrichtung nach ß 72 BSHG lebt.
 
Der Ambivalenzgruppe sind diejenigen Personen zugeordnet, die in einem kontinuierlichen Kontakt zu einer oder mehreren - dann vorwiegend ambulanten - Einrichtungen des Hilfesystems stehen, aber nicht oder nicht dauerhaft untergebracht sind. DIETER und ERNST gehören zu den regelmäßigen Besuchern vorwiegend einer Berliner Wärmestube, HERBERT nimmt regelmäßig eine Vielzahl von ambulanten Angeboten - auch kurzfristigen Unterbringungsmöglichkeiten in Anspruch, MARTIN gehört zu den regelmäßigen Besuchern der Zentralen Beratungsstelle in der Levetzowstraße, OTTO hält regelmäßig Bezug zu einem Verein, der Wohnraum vermittelt, auch PAULA nimmt eine Reihe von Hilfeangeboten in Anspruch.
 
Der Distanzgruppe sind diejenigen Personen zugeordnet, die in keinem - oder nur im gelegentlichen - Kontakt zum Hilfesystem stehen. Keinen Kontakt zum Hilfesystem haben ACHIM und NICK, nur äußerst selten werden Einrichtungen des Hilfesystems von GERHARD und SIEGFRIED in Anspruch genommen.
 
Die letzte Gruppe ist die Organisationsgruppe. Das sind HERBERT, der in einer Theatergruppe engagiert ist, MARTINA, die in einer Bauwagensiedlung lebt und WERNER, der an der Containerbesetzung der 1. Berliner Obdachlosenoffensive am Hegelplatz in Berlin-Mitte teilnimmt.

Die nun folgende Zusammenstellung von Daten soll der/m LeserIn einen Überblick ermöglichen, sie ist zugleich als eine erste Orientierungshilfe gedacht, um die Vielzahl der Charaktere, Lebensgeschichten und Lebenslagen zu erfassen.

Die einzelnen Falldarstellungen (und ihre Interpretation) im folgenden Kapitel "Die Wohnungslosen: Darstellung und Interpretation" können auch unabhängig vom Kontext dieser Arbeit gelesen werden, sie erklären sich in der Regel selbst. An dieser Stelle ist lediglich zu bemerken, das aus subjektwissenschaftlicher Perspektive in erster Linie die Herausarbeitung und Erfassung von subjektiven Sinn- und Motivationsstrukturen und ihrer Genese, die Analyse der individuellen biografischen Entwicklungsmomente, -möglichkeiten und -notwendigkeiten im Mittelpunkt der Interpretationen steht. Ein zweiter zentraler Aspekt ist die Beurteilung der Handlungsfähigkeit beim Entstehen von Wohnungslosigkeit und ihrer Bewältigung, im Handlungsbezug auf Einrichtungen und andere Möglichkeiten der Hilfe und Selbsthilfe. Der objektive Realitätsgehalt der Aussagen, ihre Plausibilität und Überprüfbarkeit ist zunächst von untergeordneter Bedeutung und kann auch nicht in jedem einzelnen Fall abschließend untersucht werden, ist aber ebenso für ein adäquates interpretatives Verständnis von biografischer Entwicklung und Lebenslage relevant.

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© Text und Gestaltung: Stefan Schneider (zosch@zedat.fu-berlin.de)
Fotos: Karin Powser - Logo: Willly Drucker
Letzte Änderung: 08.12.97